BGH, 05.05.1976 - 3 StR 47/76 (S)

Daten
Fall: 
Äußerungen des Richters über den Angeklagten als Befangenheitsgrund
Fundstellen: 
NJW 1976, 1462; MDR 1976, 681
Gericht: 
Bundesgerichtshof
Datum: 
05.05.1976
Aktenzeichen: 
3 StR 47/76 (S)
Entscheidungstyp: 
Beschluss
Richter: 
Schmidt, Mayer, Neifer, Schubath, Schauenburg

Amtlicher Leitsatz

Äußerungen des Richters über den Angeklagten als Befangenheitsgrund.

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bremen vom 22. Oktober 1975 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung in Tateinheit mit fahrlässiger Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und mit einem Vergehen nach § 53 Abs. 3 Nr. 1 a des Waffengesetzes zu einer Jugendstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und 11 Schußwaffen und zahlreiche andere Gegenstände eingezogen. Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Angeklagten dringt mit einer Verfahrensrüge durch.

Zu Recht beanstandet der Beschwerdeführer die Zurückweisung seines in der Verhandlung gegen den Vorsitzenden Richter Dr. P. gerichteten Ablehnungsgesuchs. Zur Begründung dieses Gesuchs hatte die Verteidigerin Äußerungen des Vorsitzenden herangezogen, welche dieser im Verlaufe eines am 6. August 1975 mit der Rechtsanwältin geführten Telefongesprächs getan hatte. Bei dieser Unterredung hat der Richter, von ihm nicht in Abrede gestellt, u.a. erklärt:

"Ich kann ja verstehen, wenn Herr Q. oder seine Freunde den Plan fassen, mich abzuknallen ... ich wurde zwar noch gerne ein paar Jahre auf dem Balkon sitzen ... aber das muß nicht sein". Auf den Einwarf der Verteidigerin, ihr Mandant habe keinen Menschen umbringen wollen, entgegnete er: "Ach, wissen Sie, mein Schwager, der Anti-Nazi war, sagte immer, wer sich ein Gewehr kauft, der will auch schießen".

Diese Äußerungen, auf die der zurückweisende Beschluß der Strafkammer nicht eingeht, rechtfertigten in der Tat die Besorgnis der Befangenheit. Sie konnten vom Angeklagten kaum anders als dahin verstanden werden, daß der Vorsitzende bereits vor der Hauptverhandlung von der Bereitschaft des Angeklagten ausging, in Verfolgung seiner - des Angeklagten - revolutionären politischen Zielsetzung und im Rahmen seiner darauf gerichteten, zusammen mit Gesinnungsgenossen auszuübenden Tätigkeit auch Menschen zu töten und, wenn er Gelegenheit dazu erhalten würde, selbst Richter des gegen ihn laufenden Verfahrens zu erschießen. Diesen Schluß glaubte der Vorsitzende - so mochte es sich jedenfalls dem Angeklagten darstellen - schon aus der Tatsache des Besitzes von Schußwaffen ziehen zu müssen. Nun mag gewiß ein solcher Verdacht nach allen Umständen des Falles nicht eben ferngelegen haben. Wenn der Vorsitzende das indessen in der geschehenen Weise bereits als mehr oder minder feststehende Tatsache wiedergab, ehe das vom Gesetz für die Bildung einer dahingehenden Oberzeugung vorgesehene, rechtsstaatlich geordnete Verfahren mit eingehender Würdigung der Beweise in mündlicher Verhandlung hinreichend gediehen war, so konnte der Angeklagte auch bei vernünftiger Beurteilung Grund zu der Annahme haben, der Richter nehme ihm gegenüber eine nicht mehr ganz unvoreingenommene und unparteiliche Haltung ein. Der Hinweis des Vorsitzenden in seiner dienstlichen Erklärung, es habe sich bei den eingeführten Äußerungen nur um "allgemeine Betrachtungen" gehandelt, vermochte diese Befürchtung des Angeklagten, den der Richter namentlich angesprochen hatte, nicht überzeugend auszuräumen.

Der abgelehnte Richter meint, sein Gespräch mit der Verteidigerin müsse von dieser heimlich auf Tonband aufgenommen worden sein. Das hinderte und hindert indessen die Verwertung der von dem Richter getanen Äußerung schon deshalb nicht, weil die Unterredung nicht dem privaten Lebensbereich zuzuordnen ist (vgl. BVerfGE 34, 238, 245 ff) und der Richter überdies die Äußerungen eingeräumt hat.

Dem Ablehnungsgesuch hätte daher stattgegeben werden müssen (§ 24 Abs. 1 und 2 StPO); es ist mit Unrecht verworfen worden. Das hat die Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Folge (§ 338 Nr. 3 StPO), wenngleich die sonstigen Verfahrens- und sachlichrechtlichen Beanstandungen des Beschwerdeführers unbegründet sind.