BVerfG, 17.03.1959 - 1 BvL 39/56, 1 BvL 44/56
Zur Auslegung des allgemeinen Gleichheitssatzes.
Beschluß
des Ersten Senats vom 17. März 1959
-- 1 BvL 39, 44/56 --
in dem Verfahren wegen verfassungsrechtlicher Prüfung des § 52 Absatz 2 des Gesetzes über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz) in der Fassung vom 7. August 1953 -- BGBl. I S. 866 -- auf Antrag 1. des Sozialgerichts Detmold -- KB 2071/54 -- in dem Verfahren des minderjährigen, durch seine Mutter gesetzlich vertretenen Gerhard M. gegen das Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch das Landesversorgungsamt Westfalen in Münster; 2. des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in Essen -- LS XI (VII) KB 208/54 -- in dem Verfahren des minderjährigen, durch seine Mutter gesetzlich vertretenen Werner W. gegen das Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch das Landesversorgungsamt Westfalen in Münster.
Entscheidungsformel:
1. Die Verfahren 1 BvL 44/56 und 1 BvL 39/56 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
2. § 52 Absatz 2 des Gesetzes über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz) in der Fassung vom 7. August 1953 -- BGBl. I S. 866 -- ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
Gründe:
A.
Durch das Bundesversorgungsgesetz vom 20. Dezember 1950 -- BGBl. I S. 791 -- (BVG) ist die Versorgung der Opfer des Krieges einheitlich geregelt worden. Der Kreis derjenigen, die als Waisen eines Beschädigten, der an den Folgen der Schädigung gestorben ist, Anspruch auf Rente haben, ist in § 45 Abs. 1 und 2 BVG bestimmt:
(1) Waisen erhalten Rente bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres, längstens bis zum Ablauf des Monats ihrer Verheiratung.
(2) Als Waisen im Sinne des Absatzes 1 gelten
1. eheliche Kinder,
2. für ehelich erklärte Kinder,
3. an Kindes Statt angenommene Kinder,
4. Stiefkinder,
5. Pflegekinder, die der Verstorbene bei seinem Tode mindestens seit einem vor der Schädigung oder vor Anerkennung der Folgen der Schädigung liegenden Zeitpunkt oder seit mindestens einem Jahr unentgeltlich unterhalten hat,
6. uneheliche Kinder, wenn die Vaterschaft des Verstorbenen glaubhaft gemacht ist.
Nach den früheren versorgungsrechtlichen Bestimmungen waren ebenso wie im Sozialversicherungsrecht Zweifel darüber aufgetaucht, ob auch den sogenannten scheinehelichen Kindern eine Waisenrente zustehe. Ähnliche Bedenken erhoben sich bei der Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes. Als "scheinehelich" werden Kinder dann bezeichnet, wenn der Ehemann der Mutter bereits bei Beginn der gesetzlichen Empfängniszeit (§ 1592 BGB) verschollen war. Nun bestimmt § 1593 BGB, daß die Unehelichkeit eines Kindes, das während der Ehe oder innerhalb der Empfängniszeit nach der Auflösung der Ehe geboren ist, nur geltend gemacht werden kann, wenn sie rechtskräftig festgestellt ist. Auf Grund dieser Bestimmung behandelten die meisten Sozialgerichte die scheinehelichen Kinder im Sozialversicherungs- und Versorgungsrecht als eheliche Kinder und sprachen ihnen Waisenrenten nach dem Schein-Vater zu, solange dieser nicht auf einen vor der Empfängniszeit liegenden Zeitpunkt für tot erklärt oder die Ehelichkeit des Kindes mit Erfolg angefochten worden war. Andere Sozialgerichte traten dieser als unbillig empfundenen Konsequenz mit verschiedener Begründung entgegen. Neuerdings hat insbesondere das Bundessozialgericht im Wege der Gesetzesinterpretation dem Versicherungsträger das Recht zuerkannt, die Verschollenheit selbständig und unabhängig vorn Todeserklärungsverfahren der ordentlichen Gerichte festzustellen und dieser Feststellung entsprechend gegebenenfalls die Waisenrente zu versagen -- vgl. Entscheidung vom 4. Juli 1957 in BSozGE 5, 249 = Zeitschrift für Sozialversicherung 1957 S. 303 f.; Entscheidung vom 24. Oktober 1957 in Zeitschrift für Sozialversicherung 1958 S. 20 --.
Für das Bundesversorgungsrecht werden diese Zweifel in dem Zweiten Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Bundesversorgungsgesetzes vom 7. August 1953 -- BGBl. I S. 862 -- durch eine ausdrückliche Regelung behoben; dem § 52 BVG a. F. der als Absatz 1 aufrechterhalten blieb, wurde ein Absatz 2 angefügt. § 52 BVG hat demnach folgende Fassung:
(1) Ist eine Person, deren Hinterbliebenen eine Rente zustehen würde, verschollen, so wird diesen die Rente schon vor der Todeserklärung gewährt, wenn das Ableben des Verschollenen mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist.
(2) Ein Kind hat keinen Anspruch auf Rente, wenn der Ehemann der Mutter während der Dauer der Empfängniszeit verschollen war.
Dieser Absatz 2 steht hier zur verfassungsrechtlichen Prüfung.
Er wirkt sich dahin aus, daß scheinehelichen Kindern verschollener Kriegsteilnehmer die Waisenrente vom 1. August 1953, dem Tage des Inkrafttretens der Änderung des § 52 BVG -- Zweites Änderungsgesetz Art. V Abs. 2d --, an versagt wird.
B.
I.
Beiden Gerichtsvorlagen liegen Klagen sogenannter scheinehelicher Kinder von Kriegsverschollenen auf Waisenrente zugrunde.
1.
Der Kläger des vor dem Sozialgericht Detmold anhängigen Verfahrens ist am 16. Dezember 1950 geboren. Der Ehemann seiner Mutter ist seit dem 1. Januar 1943 vermißt. Ein Todeserklärungsverfahren hat nicht stattgefunden. Dem Antrag der Versorgungsbehörde bei dem zuständigen Oberstaatsanwalt, die Ehelichkeit des Klägers anzufechten, wurde nicht entsprochen. Eine Unterhaltsklage gegen den außerehelichen Erzeuger des Klägers ist abgewiesen worden, weil die Unehelichkeit nach § 1593 BGB nicht geltend gemacht werden könne. Der Kläger bezog zunächst Waisenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz, bis sie ihm einige Zeit nach Inkrafttreten des § 52 Abs. 2 BVG entzogen wurde. Er begehrt die Zahlung der Waisenrente auch über diesen Zeitpunkt hinaus.
2.
Der Kläger des vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in Essen anhängigen Verfahrens ist am 4. März 1946 geboren. Der Ehemann seiner Mutter ist seit dem 3. März 1945 vermißt. Durch Beschluß des Amtsgerichts in Neheim-Hüsten vom 19. Juli 1951 wurde er für tot erklärt und als Zeitpunkt des Todes der 31. Dezember 1945, 24 Uhr, festgestellt. Das vorlegende Landessozialgericht hat dem Kläger durch Teilurteil die Waisenrente für die Zeit bis zum 31. Juli 1953 zugesprochen. Er begehrt die Weiterzahlung über den 31. Juli 1953 hinaus.
II.
Beide Gerichte möchten den Klageanträgen stattgeben, sehen sich jedoch an dieser Entscheidung durch § 52 Abs. 2 BVG gehindert, den sie für verfassungswidrig halten. Die Gerichte haben deshalb gemäß Art. 100 Abs. 1 GG die Verfahren ausgesetzt und die Vorschrift des § 52 Abs. 2 BVG zur Prüfung vorgelegt:
Sie halten die Bestimmung für unvereinbar mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG): einmal, weil sie die scheinehelichen Kinder verschollener Kriegsteilnehmer im Versorgungsrecht schlechter stelle als im Sozialversicherungsrecht, das ihnen den Rentenanspruch nach dem Schein-Vater gewähre; zum anderen, weil sie diese Kinder im Vergleich zu allen übrigen ehelichen und unehelichen Kindern benachteilige. Das gelte insbesondere für die Kinder, deren Abstammung von dem Ehemann der Mutter ebenfalls, jedoch aus anderen Gründen, offenbar unmöglich sei (z.B. bei Gefangenschaft oder Internierung). Die Entziehung des Anspruchs auf Versorgungs-Waisenrente nach dem Schein-Vater sei auch deshalb unvertretbar, weil den scheinehelichen Kindern dann überhaupt kein Unterhalts- oder Rentenanspruch mehr zustehe. Da ihre bürgerlich-rechtliche Stellung als eheliche Kinder erhalten bleibe, sei nämlich ein Anspruch auf Unterhalt gegen den außerehelichen Erzeuger oder auf eine Waisenrente nach diesem, sofern er gefallen, verstorben oder verschollen sei, ebenfalls ausgeschlossen.
III.
Im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht ist der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, der sich für die Bundesregierung geäußert hat, für die Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Vorschrift eingetreten. Auch das Landesversorgungsamt Westfalen hat die Gültigkeit der Vorschrift bejaht. Der 8. Senat des Bundessozialgerichts hält die zur Prüfung gestellte Vorschrift für grundgesetzmäßig. Der Kläger des beim Amtsgericht Detmold anhängigen Verfahrens hat sich den Ausführungen der Gerichtsvorlage angeschlossen; er ist der Ansicht, daß auch die Vorschrift des Art. 3 Abs. 3 GG verletzt sei, insofern sie Benachteiligung wegen der Abstammung verbietet.
Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung ergehen. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung ist zwar namens der Bundesregierung den Verfahren beigetreten, hat jedoch auf mündliche Verhandlung verzichtet (§§ 82, 77, 25 BVerfGG).
C.
Die Vorlagen sind zulässig. Die Bedenken gegen die Vereinbarkeit des § 52 Abs. 2 BVG mit dem Grundgesetz sind jedoch nicht begründet.
I.
Das in Art. 3 Abs. 3 GG ausgesprochene Gebot, niemanden "wegen seiner Abstammung" zu bevorzugen oder zu benachteiligen, kommt als Prüfungsmaßstab nicht in Betracht; es trifft den hier zu entscheidenden Fall nicht. Der Anspruch auf Waisenrente beruht seinem Wesen nach auf der Abstammung oder auf einer der Abstammung ausdrücklich gleichgestellten sozialen Verbundenheit. Im Versorgungsverfahren muß also notwendig von der Abstammung -- oder der entsprechenden sozialen Beziehung -- ausgegangen werden. Die vorgelegte Norm enthält lediglich eine Bestimmung darüber, daß eine Abstammungsvermutung, die im bürgerlichen Recht aufgestellt ist, im Versorgungsrecht bei Verschollenheit des Ehemannes der Mutter gegenüber der wahren Abstammung zurücktritt.
II.
Auch Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht verletzt. Wie das Bundesverfassungsgericht bereits vielfach ausgesprochen hat, ist der in Art. 3 Abs. 1 GG statuierte allgemeine Gleichheitssatz nur dann verletzt, wenn der Gesetzgeber versäumt, tatsächliche Gleichheiten oder Ungleichheiten der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, daß sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise beachtet werden müssen (z.B. BVerfGE 1, 264 [275]; 3, 58 [135]; 4, 7 [18]; 4, 352 [357]). Der Gesetzgeber hat hiernach eine sehr weitgehende Gestaltungsfreiheit; es ist nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts, zu prüfen, ob er jeweils die gerechteste und zweckmäßigste Regelung getroffen hat, sondern lediglich, ob jene äußersten Grenzen gewahrt sind. Vor allem ist er innerhalb jener Grenzen frei, die Merkmale als Vergleichspaar zu wählen, an denen er Gleichheit und Ungleichheit der gesetzlichen Regelung orientiert.
Im § 52 Abs. 2 BVG hat der Gesetzgeber für die scheinehelichen Kinder verschollener Kriegsteilnehmer im Gegensatz zum (1) bürgerlichen Recht und zum (2) Sozialversicherungsrecht eine Sonderregelung getroffen und damit zugleich (3) im Versorgungsrecht selbst eine besondere Behandlung dieser Kinder im Vergleich zu anderen Kindern geschaffen. Er hat also die ungleichen Merkmale in den vorgenannten drei Fällen als wesentlich behandelt. Die vorlegenden Gerichte halten dagegen die gleichen Merkmale in der Situation der Kinder für so bedeutsam, daß sie für eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Betrachtungsweise zwingend zur Gleichbehandlung im Recht führen müßten. Das trifft nicht zu.
1.
§ 52 Abs. 2 BVG schafft allerdings eine Ausnahme von der in § 1593 BGB aufgestellten Regel, daß die Unehelichkeit eines während der Ehe oder innerhalb von 302 Tagen nach ihrer Auflösung geborenen Kindes nur geltend gemacht werden kann, wenn sie rechtskräftig festgestellt ist. Gewiß enthält § 1593 BGB eine Grundregel des Abstammungsrechts; sie hat aber nicht Verfassungsrang, und "eine Sondervorschrift verstößt nicht schon dadurch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, daß sie von den einen Rechtskreis bestimmenden Grundregeln abweicht. Es kommt allein darauf an, ob sie sachlich hinreichend gerechtfertigt ist" (vgl. die zum Abdruck bestimmte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Dezember 1958 -- 1 BvL 3/57, 4/57, 8/58 --). Das ist bei der Vorschrift des § 52 Abs. 2 BVG der Fall.
Ein Ehemann hat im allgemeinen die Möglichkeit, die Unehelichkeit eines nicht von ihm gezeugten Kindes seiner Ehefrau feststellen zu lassen, so daß das Kind von ihm keinen Unterhalt verlangen kann. Die Möglichkeit der Anfechtung der Ehelichkeit durch den Mann selbst entfällt bei Verschollenheit; die Staatsanwaltschaft macht von ihrem Anfechtungsrecht -- § 1595a BGB -- erfahrungsgemäß meist keinen Gebrauch. Die Allgemeinheit, die nach dem Versorgungsrecht in die Unterhaltspflichten des Vaters eintritt, wäre also bei uneingeschränkter Anwendung der Regel des § 1593 BGB auch dann zur Unterhaltszahlung verpflichtet, wenn der Vater selbst sie hätte abwenden können; das Fehlen einer Sonderregelung würde zu dem absurden Ergebnis führen, daß noch viele Jahre nach Kriegsende Kinder geboren würden, die als "Kriegsopfer" Waisenrente zu beanspruchen hätten. Das würde dem Grundgedanken des Versorgungsrechts widersprechen, nur Hinterbliebenen, die in einer besonders nahen Beziehung zu dem Verstorbenen gestanden haben, wenigstens ihre wirtschaftliche Einbuße nach Kräften zu ersetzen.
2.
Es kann dahinstehen, ob eine Sonderregelung der Abstammungsfrage bei scheinehelichen Kindern Verschollener im Versorgungsrecht im Vergleich zum Sozialversicherungsrecht als willkürlich angesehen werden müßte. Denn nach der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts können scheineheliche Kinder auch aus der Sozialversicherung keine Waisenrente nach dem verschollenen Schein-Vater beanspruchen. Die von den vorlegenden Gerichten gerügte Ungleichheit zwischen versorgungsrechtlicher und sozialversicherungsrechtlicher Ordnung ist dadurch beseitigt.
3.
Im Versorgungsrecht selbst -- auf dessen Gestaltung die vorlegenden Gerichte entscheidend abheben -- sind die scheinehelichen Kinder in der Tat die einzigen, die weder nach dem Schein-Vater noch nach dem natürlichen Vater -- falls auch dieser infolge einer Schädigung verstorben wäre -- Waisenrente erhalten können. Die Rente nach dem Schein-Vater wird ihnen gemäß § 52 Abs. 2 BVG, die nach dem natürlichen Vater gemäß § 1593 BGB versagt.
Der Schein einer willkürlichen Sonderbehandlung trügt jedoch.
Der Sonderregelung des § 52 Abs. 2 BVG liegt der bei den betroffenen Kindern bestehende Zwiespalt zwischen dem Rechtsschein ehelicher Abstammung und der Wirklichkeit unehelicher Abstammung zugrunde. Diejenigen ehelichen Kinder, bei denen zwischen Rechtsschein und Wirklichkeit der Abstammung keine Divergenz besteht, können daher mit den scheinehelichen Kindern nicht verglichen werden; denn gerade der Zwiespalt ist unverkennbar das hier wesentliche Element des zu ordnenden Iebensverhältnisses.
Für einen Vergleich kommen nur diejenigen Kinder in Betracht, die nach bürgerlichem Recht als ehelich gelten und aus anderen Gründen als wegen Verschollenheit des Ehemannes der Mutter unmöglich von diesem abstammen können. Im Versorgungsrecht handelt es sich also um Kinder, deren Mutter während der gesamten Empfängniszeit von ihrem Ehemann getrennt war, wobei dieser jedoch während eines Teiles der Empfängniszeit -- im Feld, in Kriegsgefangenschaft oder Internierung -- noch gelebt hat und erst später gestorben ist.
Für diese zum Vergleich herangezogenen Gruppen von Kindern besteht keine Möglichkeit, ihren wahren Status als uneheliche Kinder zu klären. Eine solche Klärung könnte nur im Ehelichkeitsanfechtungsverfahren erfolgen, für das sie nicht antragsberechtigt sind. Sie können also ihren natürlichen Vater -- wenn er noch lebt -- nicht auf Unterhalt in Anspruch nehmen und -- wenn er ebenfalls durch Kriegsbeschädigung gestorben ist -- auch keine Waisenrente beanspruchen. Würde ihnen auch die Waisenrente nach dem Ehemann der Mutter abgesprochen, so würden sie gar keinen Unterhaltsanspruch nach einem Vater haben.
Das ist bei den scheinehelichen Kindern verschollener Kriegsteilnehmer entscheidend anders. Auf die Möglichkeit eines Ehelichkeitsanfechtungsverfahrens kann es zwar auch hier nicht ankommen, weil dem Kind rechtlich kein Weg eröffnet ist, auf ein solches Verfahren hinzuwirken. Das scheineheliche Kind kann jedoch seinen Status mit Hilfe des Verschollenheitsgesetzes in der Fassung vom 15. Januar 1951 (BGBl. I S. 63) und des Gesetzes vom 26. Juli 1957 (BGBl. I S. 861 [937]) sowie der Sondervorschriften für Verschollenheitsfälle aus Anlaß des Krieges 1939-1945 (Artikel 2-4 des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Verschollenheitsrechts vom 15. Januar 1951 [VerschÄndG], BGBl. I S. 59) klären. Die hier maßgeblichen Bestimmungen dieser Gesetze besagen folgendes:
Wer vor dem 1. Juli 1948 im Zusammenhang mit Ereignissen oder Zuständen des letzten Krieges vermißt worden und seitdem unter Umständen, die ernstliche Zweifel an seinem Fortleben begründen, verschollen ist, kann gerichtlich für tot erklärt werden (VerschÄndG Art. 2 § 1 Abs. 1).
Antragsberechtigt für das gerichtliche Verfahren sind -- neben anderen -- der Ehegatte und die "ehelichen und die ihnen rechtlich gleichgestellten Abkömmlinge", das heißt auch die scheinehelichen Kinder (VerschG § 16 Abs. 2).
Als Zeitpunkt des Todes eines Kriegsvermißten ist im allgemeinen das Ende des Jahres 1945 festzustellen (VerschÄndG Art. 2 § 2 Abs. 3 Satz 1).
Auf Antrag sind jedoch Ermittlungen über den Zeitpunkt des Todes anzustellen, und es ist dann der Zeitpunkt als Zeitpunkt des Todes festzustellen, der nach dem Ergebnis der Ermittlungen der wahrscheinliche ist (VerschÄndG Art. 2 § 2 Abs. 1 und 2).
Ist die Stellung eines solchen Antrages verabsäumt worden und deshalb als Todeszeit - schematisch -- der 31. Dezember 1945 festgestellt worden, so kann jeder, der ein rechtliches Interesse an der Feststellung einer anderen Todeszeit hat, beantragen, die Ermittlungen nachzuholen und -- in Abänderung des früheren Beschlusses -- den wahrscheinlichen Zeitpunkt festzustellen.
Sogar gegenüber einer nach Ermittlungen getroffenen Feststellung ist u. U. ein Berichtigungsverfahren möglich (VerschG § 33 a).
Jede Mutter eines scheinehelichen Kindes und jedes solche Kind selbst kann danach erreichen, daß der kriegsverschollene Schein-Vater für tot erklärt und der den Umständen nach wahrscheinlichste Todestag in der Todeserklärung festgestellt wird. Liegt der wahrscheinlichste Todestag vor Beginn der gesetzlichen Empfängniszeit, so begründet die Feststellung der Todeszeit nach allgemeiner und zutreffender Rechtsprechung die Vermutung, daß die Ehe des Verschollenen in diesem Zeitpunkt aufgelöst ist mit der Folge, daß das Kind nicht mehr als ehelich gelten kann -- vgl. die grundlegende Entscheidung des Reichsgerichts in RGZ 60, 196, ferner KG in OLGE 12, 298 entgegen seiner früheren Rechtsprechung in OLGE 6, 153; OLG Neustadt in NJW 52, 940; insbesondere für das Versicherungs- und Versorgungsrecht: OVA Düsseldorf in Breithaupt 1946-1949 S. 457 [459]; OVA Schleswig in Breithaupt 1950 S. 795 [796]; sehr eingehend LVA Württemberg-Baden in Breithaupt 1954 S. 112; SG Düsseldorf in Breithaupt 1956 S. 612 [613]; LSG Celle in Breithaupt 1957 S. 923 [924]; a.A. neuerdings nur LG Koblenz, NJW 52, 146, und LG Hagen, NJW 51, 276 f., jedoch mit rechtlich unhaltbarer -- vom OLG Neustadt in der zitierten Entscheidung bereits eingehend widerlegter -- Begründung.
Damit erreicht das Kind die notwendige Klärung seines Status und erlangt wie jedes uneheliche Kind Unterhaltsansprüche gegen den natürlichen Vater, gegebenenfalls Ansprüche auf Waisenrente nach ihm. Gerade im Hinblick auf die versorgungsrechtlich wichtige Möglichkeit, den Status zu klären, sind die Unterschiede tatsächlicher und rechtlicher Art in der Situation scheinehelicher Kinder verschollener Kriegsbeschädigter und anderer entgegen der materiellen Wahrheit als ehelich geltender Kinder hiernach so erheblich, daß die verschiedene Behandlung beider Gruppen die durch Art. 3 Abs. 1 GG gezogenen Grenzen nicht überschreitet.
Zugleich zeigt sich, daß versorgungsrechtlich eine verschiedene Behandlung der scheinehelichen Kinder im Vergleich zu anderen unehelichen Kindern nicht vorliegt. Das scheineheliche Kind hat diesselbe Stellung wie jedes uneheliche Kind, sofern es nur die notwendige Vorentscheidung über den Zeitpunkt des Todes des Schein-Vaters in einem Todeserklärungsverfahren herbeiführt und dadurch seinen Status als uneheliches Kind klärt. Diese Vorentscheidung ist durch die besonderen Umstände geboten; die Durchführung des Todeserklärungsverfahrens ist dem Kind auch zuzumuten. Macht es von der im Verschollenheitsgesetz eröffneten Möglichkeit, den falschen Rechtsschein der Ehelichkeit zu beseitigen, keinen oder nur unzureichenden Gebrauch, so daß es die Stellung eines unehelichen Kindes im Versorgungsrecht nicht erlangt, so ist das nicht auf eine Verletzung des Gleichheitssatzes oder innere Widersprüche der Rechtsordnung, sondern auf das Verhalten des Kindes selbst zurückzuführen und kann nicht zur Begründung der Verfassungswidrigkeit von § 52 Abs. 2 BVG herangezogen werden.
Die beiden Fälle, über die in den Ausgangsverfahren zu entscheiden ist, erweisen dies Ergebnis beispielhaft als zutreffend: Nach dem kriegsverschollenen Ehemann der Mutter des Kindes Gerhard M. -- 1 BvL 39/56 -- hat ein Aufgebotsverfahren mit dem Ziel der Todeserklärung noch nicht stattgefunden. Da der Eheman seit dem 1. Januar 1943 vermißt und das Kind erst am 16. Dezember 1950 geboren ist, würde das Todeserklärungsverfahren selbst bei nur schematischer Feststellung des Todestages zur Klärung des Status des Kindes führen. -- In dem von dem Kind Werner W. eingeleiteten Ausgangsverfahren -- 1 BvL 44/56 -- liegt zwar eine Todeserklärung vor. Doch kann nach dem festgestellten Todesdatum -- 31. Dezember 1945 -- in Verbindung mit dem wesentlich früheren Datum des Vermißtseins -- 3. März 1945 -- davon ausgegangen werden, daß jenes Todesdatum ohne Ermittlung des wahrscheinlichsten Datums schematisch nach Art. 2 § 2 Abs. 3 Satz 1 VerschÄndG angenommen worden ist. Dadurch erscheint das Kind als ehelich, da zwischen dem angenommenen Todesdatum und der Geburt des Kindes -- 4. März 1946 -- nur wenig mehr als zwei Monate liegen, das Todesdatum also in die Empfängniszeit fällt. Wäre der Antrag auf gerichtliche Ermittlung des wahrscheinlichsten Todestages gestellt worden, so hätte schon in der Todeserklärung der 3. März 1945 als Todestag festgestellt und damit der Status des Kindes als außerehelich geboren geklärt werden können. Diese Klärung kann -- wie oben dargelegt -- jetzt noch durch einen Änderungsantrag zur Todeserklärung nachgeholt werden.
Widersprüchliche Behandlung eines scheinehelichen Kindes könnte nur dann vorliegen, wenn der Todestag, der in einer Todeserklärung nach gerichtlichen Ermittlungen als der wahrscheinlichste festgestellt wäre, innerhalb der Empfängniszeit läge -- so daß Ansprüche aus unehelicher Abstammung entfielen --, während die Versorgungsbehörde die Waisenrente aus ehelicher Abstammung mit der Begründung versagen würde, daß der Ehemann der Mutter schon vor Beginn der Empfängniszeit verschollen gewesen sei.
Es bedarf hier keiner abschließenden Stellungnahme zu der Frage, ob eine solche Entscheidung im Einzelfall mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes unvereinbar wäre. Die vorgelegte Norm kann durchaus dahin verstanden werden, daß auch die Versorgungsbehörde sich an den nach Ermittlungen durch Gerichtsbeschluß als wahrscheinlichsten festgestellten Todestag zu halten hat. Durch die entfernte Möglichkeit einer anderen Interpretation im Einzelfall ist ihre Rechtsgültigkeit nicht berührt.