BVerwG, 24.09.1975 - VIII C 78.74

Daten
Fall: 
Einziehung des Vertriebenenausweises
Fundstellen: 
BVerwGE 49, 197; ZLA 1976, 8
Gericht: 
Bundesverwaltungsgericht
Datum: 
24.09.1975
Aktenzeichen: 
VIII C 78.74
Entscheidungstyp: 
Urteil
Richter: 
Arndt, Türke, Klamroth, Willberg, Barbey

In der Verwaltungsstreitsache
hat der VIII. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 24. September 1975
durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Arndt und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Türke, Klamroth, Willberg und Dr. Barbey
für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15. August 1974 wird aufgehoben.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 10. März 1972 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.

Gründe

I.

Die Klägerin ficht die Einziehung des ihr erteilten Vertriebenenausweises A an.

Sie ist am 1. September 1924 in Przemysl/Galizien geboren und gehört der jüdischen Glaubensgemeinschaft an. Bei Ausbruch des zweiten Weltkrieges lebte sie mit ihrer Mutter in Grybow bei Krakau. Ihr damals bereits verstorbener Vater hatte dort eine Anwaltspraxis betrieben. Nach dem Einmarsch deutscher Truppen wich sie nach Lemberg aus und gelangte dann nach Sibirien. Nach Kriegsende kam sie zunächst nach Bielitz und dann nach Breslau, wo sie im Jahre 1948 heiratete. Im Jahre 1957 wanderte sie mit ihrem Ehemann und ihren beiden Söhnen nach Israel aus, begab sich jedoch im Jahre 1962 mit ihrer Familie in die Bundesrepublik.

Auf den im Dezember 1962 gestellten Antrag stellte der Beklagte der Klägerin den Vertriebenenausweis A vom 19. April 1965 mit Sperrvermerk aus.

Nachdem in dem Einbürgerungsverfahren der Klägerin Zweifel an der deutschen Volkszugehörigkeit der Klägerin aufgetaucht waren, zog der Beklagte den Vertriebenenausweis der Klägerin durch Bescheid vom 8. Dezember 1966 ein mit der Begründung, sie sei keine deutsche Volkszugehörige. Den Widerspruch wies der Regierungspräsident mit Bescheid vom 6. November 1968 zurück mit der Begründung, der Beklagte sei zur Ausstellung des Vertriebenenausweises örtlich nicht zuständig und die Angaben der Klägerin über ihre Volkszugehörigkeit seien unrichtig gewesen.

Die Klage der Klägerin, mit der sie beantragt hat, den Einziehungsbescheid nebst dem Widerspruchsbescheid aufzuheben, hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Auf die dagegen eingelegte Berufung der Klägerin hat der Verwaltungsgerichtshof das angefochtene Urteil, den Einziehungsbescheid und den Widerspruchsbescheid aufgehoben Er hat dazu ausgeführt:

Anzuwenden sei die jetzt geltende Fassung des § 18 des Bundesvertriebenengesetzes - BVFG -. Dessen Voraussetzungen lägen nicht vor. Der Beklagte habe der Klägerin den Vertriebenenausweis A erteilt, weil er den Eindruck gewonnen habe, sie gehöre zu den Volksdeutschen. Das habe der Beklagte als Tatsache seiner Entscheidung zugrunde gelegt; dies ergebe sich aus seinem Schreiben an die Bezirksregierung der Pfalz vom 23. März 1966. Der Beklagte bezweifle nunmehr nachträglich die Richtigkeit dieser Tatsache. Ob diese Tatsache richtig oder unrichtig sei, lasse sich nicht mehr nachweisen. Die Nachteile aus der Ungeklärtheit dieser Frage trage der Beklagte, weil er in eine der Klägerin erteilte Rechtsposition eingreife. Die Einziehung sei auch rechtswidrig, soweit sie auf die örtliche Unzuständigkeit des Beklagten gestützt werde. Dieser Gesichtspunkt rechtfertige keine Einziehung, sondern nur eine Zurücknahme. Die Zurücknahme stehe nach allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen im Ermessen der Behörde. Der Beklagte habe sein Ermessen nicht ausgeübt. Er habe sich für gebunden angesehen, den der Klägerin erteilten Vertriebenenausweis zurückzunehmen.

Der Beklagte hat gegen dieses Urteil die zugelassene Revision eingelegt. Er beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt zurückzuweisen und rügt die Verletzung der §§ 6, 16 und 18 des Bundesvertriebenengesetzes.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie verteidigt das angefochtene Urteil und weist darauf hin, das Berufungsgericht habe angenommen, die zur Ausstellung des Ausweises führende Tatsachenlage habe sich nicht geändert. Nach ihrer Ansicht rechtfertigte diese Tatsachenlage die Ausstellung des Ausweises.

II.

Die Revision ist begründet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat zu Unrecht der Berufung der Klägerin gegen das klagabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts stattgegeben. Er hätte die Berufung zurückweisen müssen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage der Klägerin gegen die Einziehung des ihr ausgestellten Vertriebenenausweises A zu Recht abgewiesen. Nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO wäre dieser Klage nur stattzugeben gewesen, wenn der angefochtene Einziehungsbescheid rechtswidrig wäre und die Klägerin in ihre a Rechten verletzte. Das ist jedoch nicht der Fall. Er ist rechtmäßig.

Auszugehen ist vom Bundesvertriebenengesetz - BVFG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. September 1971 (BGBl. I S. 1565). Maßgebend ist § 18 BVFG. Er hat seinen jetzigen Inhalt durch § 6 Nr. 2 des Zwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes - 20. ÄndG LAG - vom 15. Juli 1968 (BGBl. I S. 806) erhalten, Er war bereits in Kraft als der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidenten, erging und ist grundsätzlich auf alle noch nicht abgeschlossnen Einziehungsverfahren anzuwenden (Urteile vom 14. November 1973 - BVerwG VIII C 173.72 [MDR 1974; 342] und BVerwG VIII C 204.72 - und vom 5. Juni 1974 - BVerwG VIII C 60.73 -). Örtlich und sachlich zuständig für die umstrittene Einziehung ist gemäß § 15 Abs. 5 Satz 2 BVFG der Beklagte als Ausstellungsbehörde. Ob er bei der Ausstellung des Vertriebenenausweises der Klägerin örtlich zuständig war, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung.

Nach § 15 Abs. 5 Satz 2 BVFG kann eine Behörde oder Stelle, die für die Gewährung von Rechten oder Vergünstigungen als Vertriebener oder Sowjetzonenflüchtling nach dem Bundesvertriebenengesetz oder anderen Gesetzen zuständig ist (Betreuungsbehörde), auch dann, wenn sie die Entscheidung der zuständigen Behörde über die Ausstellung des Ausweises nicht für gerechtfertigt hält, nur die Änderung oder Aufhebung der Entscheidung durch die Ausstellungsbehörde beantragen. Daraus folgt, daß allein die Ausstellungsbehörde zur Änderung oder Aufhebung der Entscheidung über die Ausstellung des Ausweises sachlich zuständig ist. Die Einziehung des Ausweises nach § 18 BVFG ist eine Aufhebung der Entscheidung über die Ausstellung. Sie knüpft daran an, daß die Voraussetzungen für die Ausstellung der Ausweises nicht vorgelegen haben, und macht aus diesem Grunde die Entscheidung über die Ausstellung rückgängig. Nach § 15 Abs. 5 Satz 2 BVFG ist ferner die Ausstellungsbehörde örtlich zuständig für die Änderung oder Aufhebung der Entscheidung über die Ausstellung des Ausweises, die die Entscheidung getroffen hat. Zwar handelt die Vorschrift von der zuständigen Behörde. Sie versteht darunter aber nicht etwa die Ausstellungsbehörde, die nach der Regelung der örtlichen Zuständigkeit gegebenenfalls über die Ausstellung des Ausweises hätte entscheiden müssen. Vielmehr versteht sie unter der zuständigen Behörde die sachlich, zuständige Behörde. Sie meint damit die Ausstellungsbehörde, die über die Ausstellung des Ausweises entschieden hat. Die Vorschrift sient in der zuständigen Behörde allein die Behörde, die den Betreuungsbehörden gegenübersteht. Das ist nach dem unmißverstärdlichen Wortlaut der Vorschrift die Ausstellungsbehörde, die über die Ausstellung des Ausweises entschieden hat.

Der danach örtlich und sachlich für die Einziehung zuständige Beklagte war auch dann befugt, den der Klägerin ausgestellten Ausweis einzuziehen, wenn er zur Ausstellung des Ausweises örtlich nicht zuständig gewesen sein sollte. Die hier umstrittene Einziehung des der Klägerin ausgestellten Ausweises beruht auf einem nach § 15 Abs. 5 Satz 2 BVFG eingeleiteten Verwaltungsverfahren. Die Einbürgerungsbehörde hielt die Ausstellung des Ausweises nicht für gerechtfertigt und bat den Beklagten, den Ausweis einzuziehen. In dem Verfahren nach § 15 Abs. 5 Satz 2 BVFG hat die Ausstellungsbehörde nicht nur die Kompetenz, Fehler bei der Ausstellung des Ausweises zu korrigieren. Sie ist vielmehr in allen Fällen sachlich zuständig, darüber zu entscheiden, ob der Ausweis entgegen den materiellrechtlichen Voraussetzungen im Bundesvertriebenengesetz ausgestellt wurde. Das ergibt einmal der Aufbau des Verwaltungsverfahrens.

Im Verfahren über die Ausstellung der in § 15 Abs. 2 BVFG vorgesehenen Ausweise hat die örtliche Zuständigkeit der Ausstellungsbehörde nur verwaltungsinterne Bedeutung. Auswirkungen auf die Ausweisausstellung selbst sind mit ihr nicht verbunden. Für die Ausstellung des Ausweises sind örtlich gebundene Interessen ohne Belang. Die Ausstellungsvoraussetzungen sind, zwingendes Recht. Sie sind an Umstände geknüpft, die außerhalb des Geltungsbereichs des Gesetzes in der Vergangenheit eingetreten sind und regelmäßig lange zurückliegen. Die Feststellung und Beurteilung dieser Umstände ist für jede Ausstellungsbehörde gleich aufwendig und gleich schwierig. Die Regelung der örtlichen Zuständigkeit dient allein der zweckmäßigen Erledigung durch eine ortsnahe Behörde. Deshalb enthält das Bundesvertriehenengesetz im Vierten Titel, dsr das Ausweisverfahren behandelt, anders als zur Frage der sachlichen Zuständigkeit (§§ 15 Abs. 5, 16 Abs. 3, 20 Abs. 2, 21 BVBG) nur wenige auf Sonderfälle beschränkte Regelungen über eine örtliche Zuständigkeit (§ 16 Abs. 1 BVFG). Das offenbar geringe Gewicht, das das Bundesvertriebenengesetz der örtlichen Zuständigkeit zumißt, führt dazu daß sie als Grund für eine Änderung oder Aufhebung des Ausweises im Sinne des § 15 Abs. 5 Satz 2 BVFG ausscheidet. Sie tritt hinter der Bestandskraft des Ausweises zurück. Dann hindert sie aber die Ausstellungsbehörde auch nicht, die Einziehung des Ausweises nach § 18 BVFG zu betreiben.

Zum gleichen Ergebnis führt die Betrachtung des § 15 Abs. 5 Satz 1 und Satz 3 BWG. Nach § 15 Abs. 5 Satz 1 a.a.O. bindet die Entscheidung über die Ausstellung eines Ausweises die Betreuungsbehörden. Dies gilt für die positive wie für die die sachlich-rechtlichen Voraussetzungen verneinende negative Entscheidung (Urteil vom 5. Juni 1974 - BVerwG VIII C 60.75 -). Dies gilt auch dann, wenn die Ausstellungsbehörde örtlich nicht zuständig gewesen sein sollte. Das in § 15 Abs. 5 Sätze 2 und 3 BVFG vorgesehene Verfahren dient der Beseitigung der in Satz 1 a.a.O. bestimmten Bindungswirkung einer Entscheidung über die Ausstellung des Ausweises. Es hat zum Ziele die Herbeiführung der Bindungswirkung einer negativen Entscheidung, durch die das Ausweisbegehren auch für die Betreuungsbehörden verbindlich abgelehnt wird. Das ergibt sich aus dem von den Betreuungsbehörden verfolgten Interesse. Nach § 15 Abs. 5 Satz 2 BVFG soll die Ausstellungsbehörde deren Bedenken gegen die Entscheidung über die Ausstellung des Ausweises Raum geben. Diese Bedenken können sich nur auf das Fehlen der sachlichen Voraussetzungen für die Ausstellung des Ausweises stützen. Nur von deren Fehlen werden die Betreuungsbehörden betroffen. Nur auf deren Bejahung gründet sich die in § 15 Abs. 5 Satz 1 BVFG angeordnete Bindung Wirkung. Daher sind die in § 15 Abs. 5 Satz 2 BVFG geforderten Bedenken der Betreuungsbehörde gleichzusetzen mit der Erwägung, der Ausweisinhaber erfülle die materiellen Voraussetzungen für die Ausstellung des Ausweises nicht. Eine dementsprechende Entscheidung begehren die Betreuungsbehörden nach § 15 Abs. 5 Satz 2 BVFG. Um eine Entscheidung dieses Inhalts zu erlangen, verweist § 15. Abs. 5 Satz 2 BVFG die Betreuungsbehörden an die Ausstellungsbehörde. Dann muß die Ausstellungsbehörde auch die Kompetenz haben, in jedem Fall in die Prüfung dieser Frage eintreten und darüber entscheiden zu können. Dies kann ihr nach dem Sachzusammenheng nicht deshalb verwehrt sein, weil sie für die Ausstellung örtlich nicht zuständig gewesen sein sollte.

Endlich spricht für diese Auslegung neben dem Umstand, daß Leerlauf vermieden wird, auch die Entwicklung des Verwaltungsverfahrensrechts in Rechtsprechung und Gesetzgebung. Dort setzt sich der Gedanke immer mehr durch, daß eine Verletzung der Regeln über die örtliche Zuständigkeit die Rücknahme eines rechtsbeständig gewordenen Verwaltungsaktes grundsätzlich, nicht ermöglichen soll. In der Rechtsprechung wird angenommen, daß die Verletzung von Verfahrensvorschriften zur Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts führt, wenn die Entscheidung in der Sache auf dem Verfahrensmangel beruhen kann (BVerwGE 24, 23 [32]; 29, 282 [284]; BSGE 26, 177 [179]). Das wird zwar zugunsten der Aufhebung auch beim Fehlen der örtlichen Zuständigkeit bejaht (Urteil vom 3. November 1972 - BVerwG IV C 106.68 - [Buchholz 407.4 § 8 FStrG Nr. 9]). Indessen hat die Gesetzgebung diesen Grundsatz eingeschränkt. Sie schließt eine Aufhebung wegen Fehlens der örtlichen Zuständigkeit aus, sofern diese nicht ausnahmsweise zur Nichtigkeit führt und die Entscheidung in der Sache von dem Mangel nicht betroffen ist (§ 41 Abs. 1 Satz 2, § 3 Abs. 1 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung vom 2. Mai 1955 [BGBl I S. 202]; § 115, § 116 Abs. 1 Satz 1 Allgemeines Verwaltungsgesetz für das Land Schleswig-Holstein, vom 18. April 1967 [GVBl. 1967, 131]; § 36, § 37 Abs. 1 Satz 1 des Musterentwurfs eines Verwaltungsverfahrensgesetzes - EVwVerfG 1963 -; § 42 des Entwurfs eines Verwaltungsverfahrensgesetzes - VwVfG - der Bundesregierung - BTDrucks. 7/910 -). Um so mehr ist es gerechtfertigt, die Rücknahme allein wegen Fehlens der örtlichen Zuständigkeit auszuschließen, sofern die Entscheidung in der Sache davon nicht betroffen ist. So liegen die Dinge hier. Die Entscheidung über die Ausstellung des Ausweises der Klägerin wird, wie oben dargelegt, von der Frage der örtlichen Zuständigkeit der Ausweisbehörde nicht betroffen. Daher stände es der Einziehung des der Klägerin ausgestellten Ausweises nicht entgegen, wenn der Beklagte zur Ausstellung dieses Ausweises örtlich nicht zuständig gewesen wäre.

Nach § 18 BVFG ist der Ausweis einzuziehen oder für ungültig zu erklären, wenn die Voraussetzungen für seine Ausstellung nicht vorgelegen haben. Diese Vorschrift hat der Beklagte im Falle der Klägerin angewendet. Sie rechtfertigt die verfügte Einziehung, Ihre Voraussetzungen liegen vor.

Bei der Ausstellung des Vertriebenenausweises A erfüllte die Klägerin die Ausstellungsvoraussetzungen nicht. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs durfte die Ausstellungsbehörde nach der damals gegebenen Sach- und Rechtslage den Ausweis nicht ausstellen. Sie hatte der Klägerin den Vertriebenenausweis A ausgestellt, ohne die rechtlichen Voraussetzungen für die Ausstellung zu prüfen. Der Verwaltungsgerichtshof hat fest gestellt, die Ausstellungsbehörde habe der Ausstellung des Vertriebenenausweises der Klägerin als Tatsache zugrunde gelegt, daß die Klägerin zu den Volksdeutschen gehöre. Gerade darin, daß die Ausstellungsbehörde es als eine Tatsache ansah, die Klägerin gehöre zu den Volksdeutschen, liegt der Rechtsfehler.

Die Klägerin konnte den Vertriebenenausweis A nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 BVFG nur beanspruchen, wenn sie Heimatvertriebene war. Nach § 2 Abs. 1 BVFG mußte sie dazu Vertriebene sein. Das war sie nur, wenn sie die Voraussetzungen in § 1 Abs. 2 Nr. 5 BVFG erfüllte, das heißt Umsiedler in im Sinne des Bundesvertriebenengesetzes war. Das wiederum setzt voraus, daß sie als deutsche Volkszugehörige im Sinne des § 6 BVFG umgesiedelt wurde. Denn deutsche Staatsangehörige ist sie in keinem Zeitpunkt gewesen. Nach § 6 BVFG ist die deutsche Volkszugehörigkeit keine Tatsache, sondern eine Rechtsfolge. Diese Rechtsfolge ist von zwei Merkmalen abhängig, nämlich einem Bekenntnis zum deutschen Volkstum und dessen Bestätigung durch sogenannte Bestätigungsmerkmale. Es ist daher bereits im Ausgangspunkt falsch zu fragen, ob jemand zu der Volksdeutschen gehört. Es kommt vielmehr darauf an, ob er die Erfordernisse des, § 6 BVFG erfüllt, also insbesondere darauf, ob er ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum abgelegt hat. Diese Frage hat die Ausstellungsbehörde nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs nicht geprüft. Für ein Bekenntnis der Klägerin zum deutschen Volkstum geben dievom Verwaltungsgerichtshof festgestellten Tatsachen auch, nichts her. Ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum liegt vor, wenn der Vertriebene im Bewußtsein der Bedeutung den Willen, dem deutschen Volkstum und keinem anderen angehören zu wollen, für Dritte wahrnehmbar verbindlich geäußert hat (BVerwGE 26, 344 [349]). Die entscheidende Stelle muß Tatsachen feststellen, aus denen sich ein solches Bekenntnis entnehmen läßt. Das Bekenntnis zum deutschen Volkstum im Sinne des § 6 BVFG ist ein Rechtsbegriff. Er muß aus Tatsachen subsumiert werden. Ein umittelbarer Schluß aus Tatsachen, die allenfalls Indizcharakter für einen bestimmten Bekenntnissachverhalt haben können, auf ein Bekenntnis ist fehlerhaft (Urteil vom 28. Oktober 1971 - BVerwG VIII C 92.70 -). Diese Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof nicht beachtet, wenn er es als eine vom Gericht hinzunehmende Folgerung tatsächlicher Art angesehen hat, daß der Beklagte die Klägerin als zu den deutschen Volkszugehörigen gehörig angesehen hat.

Die unrichtige Behandlung der Ausstellung des Vertriebenenausweises A der Klägerin genügt allerdings nicht. Die Ausstellung muß vielmehr objektiv rechtswidrig sein. Es kommt deshalb darauf an, ob der Ausweis bei seiner Ausstellung nicht erteilt werden durfte, und weiterhin darauf, ob er nicht in der Zwischenzeit hätte erteilt werden müssen. Dar Ausweis durfte damals der Klägerin nicht erteilt werden. Er hätte ihr auch in der Zwischenzeit nicht erteilt werden dürfen.

Das für die Erteilung des Ausweises erforderliche Bekenntnis der Klägerin zum deutschen Volkstum liegt nicht vor. Zwar hat der Verwaltungsgerichtshof dazu keine Tatsachen festgestellt. Gleichwohl kann der Senat abschließend entscheiden. Den die Klägerin hätte wenigstens Tatsachen behauptet müssen, aus denen ein Bekenntnis hätte entnommen werden können. Es handelt sich bei der Frage des Bekenntnisses um besondere Sachverhalte, die außerhalb der Erfahrung der entscheidenden Stelle liegen. Die entscheidenden Stelle können daher nur dann Ermittlungen über die Ablegung eines Bekenntnisses anstellen, wenn der Antragsteller Tatsachen behauptet, die ein solches Bekenntnis ergeben können. Weder der Tatbestand des angefochtenen Urteils noch die Akten, auf die der Verwaltungsgerichtshof Bezug genommen hat und die der Senat daher verwerten darf, ergeben jedoch, daß die Klägerin derartige Behauptungen aufgestellt hat.

Die Klägerin ist Jüdin. Juden sind Kollektivverfolgte des Nazi-Regimes. Ihnen ist seit der Machtübernahme des Nationalsozialismus am 30. Januar 1933 ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum nicht mehr zuzumuten. Ist es danach noch abgelegt, wird es dem Ausweisbewerber gutgeschrieben. Ist es nicht mehr abgelegt worden, so ist dies unschädlich. Der Ausweisbewerber muß sich aber dann vor dem 30. Januar 1933 zum deutschen Volkstum bekannt haben (vgl. das zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts bestimmte Urteil vom 23. Januar 1975 - BVerwG III C 42.73 -).

Die Klägerin hat keine Tatsachen behauptet, aus denen hervorgehen könnte, daß sie selbst ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum abgelegt hat. Das war auch nicht möglich. Sie war am 30. Januar 1933 acht Jahre alt. Die Behauptungen, die sie aufgestellt hat, gehen nur dahin, daß die deutsche Sprache ihre Muttersprache sei und daß sie eine entsprechend ausgerichtete Erziehung genossen habe. Darin liegt kein Bekenntnis, sondern allenfalls ein Bestätigungsmerkmal im Sinne des § 6 BVFG. Zwar ist bei Kindern, die selbst kein Bekenntnis ablegen können, auf die Bekenntnislage der Familie abzustellen (Urteil vom 11. Dezember 1974 - BVerwG VIII C 97,73 -). Die von der Klägerin sowohl im Verfahren über die Ausstellung als auch dem über die Einziehung des Ausweises aufgestellten Behauptungen ergeben auch dann, wenn sie das Berufungsgericht allesamt so WIR behauptet festgestellt hatte, weder einzeln noch gemeinsam, daß sich die Eltern der Klägerin zum deutschen. Volkstum bekannt haben. Nach den Behauptungen der Klägerin, sprechen ihre Eltern und näheren Verwandten Deutsch als Muttersprache, Bruder ihres Vaters sowie ihre Mutter, Schwestern und ein Bruder ihrer Kutter, nicht jedoch ihr Vater, führten deutsche Vornamen, ihre Mutter den Nachnamen Zorn. Ihr Vater und dessen Bruder Adolf studierten in Wien Rechtswissenschaft, ihr Vetter Dr. Heinrich Kohn in Prag und Berlin Medizin. Ihr Vater, ein Rechtsanwalt, hatte überwiegend deutsche Bücher in seiner Bibliothek und lehrte die Klägerin deutsche Gedichte und Märchen. Alle diese Umstände ergeben jedoch nur, daß die Eltern der Klägerin dem deutschen Sprach- und Kulturkreis zuzurechnen waren. Sie ergeben nicht, daß die Eltern der Klägerin ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum abgelegt haben. Entgegen der Ansicht der Klägerin läßt sich ein solches Bekenntnis auch nicht daraus entnehmen, daß der Vater der Klägerin als einjährig Freiwilliger in der österreichischen Armee gedient hatte und dem Kriegsministerium in Wien zugeteilt worden war. Der Dienst in der Armee war für alle Nationalitäten Pflicht und enthielt keine Identifizierung mit einem bestimmten Volkstum, auch wenn er von einem Freiwilligen geleistet wurde. Eine solche liegt auch nicht in der Verwendung im Kriegsministerium in Wien. Sie war, wie sich aus der Äußerung des österreichischen Staatsarchivs - Kriegsarchivs - vom 15. Januar 1971 ergibt, eine Kommandierung und ist auf die rechtswissenschaftliche Ausbildung und die deutschen Sprachkenntnisse des Vaters der Klägerin zurückzuführen. Sie läßt keinen Schluß auf seine Einwendung zum deutschen Volkstum zu. Weitergehende Behauptungen hat die Klägerin trotz des Hinweises auf Bedenken nicht aufgestellt und kann sie nach den gegebenen Verhältnissen auch nicht aufstellen. Deshalb bedarf es keiner weiteren Aufklärung. Vielmehr steht aus Rechtsgründen fest, daß sich weder die Klägerin noch ihre Eltern zum deutschen Volkstum bekannt haben. Die Frage der Verteilung der materiellen Beweislast stellt sich nicht. Die gegenteilige Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs ist unrichtig.

Sie wäre auch dann unrichtig, wenn man zugunsten der Klägerin unterstellt, die Ausstellungsbehörde habe nicht - wie der Verwaltungsgerichtshof meint - die Eigenschaft der Klägerin, Volksdeutsche zu sein, als Tatsache festgestellt, sondern habe auf Grund tatsächlicher Feststellungen die rechtliche Folgerung gezogen, daß alle Voraussetzungen des § 6 BVFG erfüllt seien. Zwar würde eine spätere abweichende Beurteilung des ursprünglich zugrunde liegenden Sachverhalts in tatsächlicher Hinsicht nicht die Einziehung des Ausweises nach § 18 BVFG rechtfertigen, wie die Klägerin richtig ausführt. So wäre es hier aber nicht. Auch wenn die Ausstellungsbehörde die tatsächlichen Voraussetzungen eines Bekenntnisses zum deutschen Volkstum vor Erteilung des Ausweises, wirklich geprüft haben sollte, würde der Einziehungsbescheid nicht auf einer lediglich anderen Beurteilung festgestellter Tatsachen beruhen. Vielmehr läge auch darin ein die Einziehung rechtfertigender Rechtsfehler (Urteile vom 14. November 1973 - BVerwG VIII C 173.72 [MDR 1974, 342] und VIII C 204.72 -). Auch dann hätte die Ausstellungsbehörde nämlich zu Unrecht angenommen, daß sich die Klägerin oder deren Eltern zum deutschen Volkstum bekannt haben. Denn die Klägerin kann der Ausstellungsbehörde gegenüber keine anderen Behauptungen aufgestellt haben, als sie sie jetzt aufgestellt hat. Ihre jetzigen Darlegungen zur Frage der deutschen Volkszugehörigkeit sind erschöpfend. Mehr kann sie nicht anführen. Ihre jetzigen Darlegungen ergeben, wie Ausgeführt, aus Rechtsgründen, daß die Voraussetzungen des § 6 BVFG nicht vorliegen.

Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs ist deshalb weder in seiner Begründung noch im Ergebnis richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Es ist aufzuheben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts ist mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 und 2 VwGO zurückzuweisen.

Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 3.000 DM festgesetzt.