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BGH, 29.01.1952 - 1 StR 563/51

Daten
Fall: 
Deportation württembergischer Juden
Fundstellen: 
BGHSt 2, 234; JZ 1952, 376
Gericht: 
Bundesgerichtshof
Datum: 
29.01.1952
Aktenzeichen: 
1 StR 563/51
Entscheidungstyp: 
Urteil
Richter: 
Richter, Peetz, Mantel, Geier, Jagusch
Instanzen: 
  • SchwG Stuttgart, 18.05.1951

1. Anstelle der Freisprechung eines Angeklagten, der der Verletzung deutschrechtlicher Strafgesetze nicht überführt ist, darf nicht mit Rücksicht darauf auf Einstellung des Verfahrens erkannt werden, dass das Verhalten des Angeklagten den Tatbestand des von deutschen Gerichten nicht anwendbaren Art. II 1 c KRG 10 verwirklicht haben könnte.
Ist das Gericht in dieser Weise gegen mehrere Angeklagte verfahren, ist § 357 anzuwenden, auch wenn nur die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt hat und das Rechtsmittel sich nicht gegen alle Angeklagte richtet.
2. Hängt die Rechtswidrigkeit einer Freiheitsberaubung davon ab, ob obrigkeitliche Anordnungen, nach denen die Freiheitsberaubung durchgeführt werden soll, einen Rechtfertigungsgrund enthalten, muss sich der Täter oder der Gehilfe dessen bewusst sein oder mindestens damit rechnen und seinen Beitrag auch für diesen Fall wollen, dass die obrigkeitlicher Anordnungen keinen Rechtfertigungsgrund bilden.

Inhaltsverzeichnis 

Tenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Schwurgerichts in Stuttgart vom 18. Mai 1951, soweit es die Angeklagten K., O., Am. und M. betrifft, mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache in diesem Umfange zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Schwurgericht zurückverwiesen.

Soweit das Urteil den Angeklagten J. betrifft, wird es aufgehoben und der Angeklagte freigesprochen.

Gründe

I.

In der Zeit vom 1. Dezember 1941 bis zum 12. Februar 1945 wurden 2 462 jüdische Personen aus Württemberg in elf Eisenbahntransporten nach dem Osten verschleppt. Das Ziel dieser Transporte war R., I., T. und A. Der grösste Teil der Verschleppten ist umgekommen. Das war auch das - nach aussen hin allerdings getarnte - Ziel dieser "Aktionen". Bei ihrer Durchführung wirkten die Angeklagten K., O., A. und M. mit, von denen K. Leiter des Referats für kirchliche Angelegenheiten bei der Gestapo ... in S. war, dem auch das Judenreferat unterstand, während O. und A. Sachbearbeiter im Judenreferat, M. Sachbearbeiter im Referat für kirchliche Angelegenheiten waren. Sie verfuhren in der im Urteil im einzelnen angegebenen Weise, indem sie die Listen der Opfer aufstellten, Eisenbahnwagen bestellten, das Gepäck der Opfer überprüften oder die Transporte bis zum Zielbahnhof als Transportführer oder Reisebegleiter begleiteten. Bei dem Angeklagten J. konnte das Schwurgericht entgegen der Annahme der Anklage keine Mitwirkung feststellen. Das Verfahren gegen die der Beihilfe zur schweren Freiheitsberaubung im Amt (§§ 341, 239 Abs. 2 und 3, 49 StGB) beschuldigten Angeklagten ist vom Schwurgericht eingestellt worden, weil es nicht für erwiesen erachtet hat, dass die Angeklagten bei ihrem Verhalten das Bewusstsein von der Widerrechtlichkeit der Freiheitsentziehung gehabt hätten, beim Angeklagten J. auch kein Tatbeitrag erwiesen sei. An der Freisprechung hat sich das Schwurgericht gehindert gesehen, weil das Verhalten der Angeklagten möglicherweise als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäss Art. II 1 c KRG 10 zu beurteilen sei. Insoweit habe es den Sachverhalt nicht prüfen können, weil ihm die Gerichtsbarkeit zur Anwendung des KRG 10 gefehlt habe.

Die Revision der Staatsanwaltschaft greift das Urteil insoweit an, als das Verfahren gegen K., O., A. und M. eingestellt ist. Sie rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Sie ist begründet.

II.

Auch wenn man, worauf noch einzugehen ist, dem Landgericht sonst in allem folgen wollte, könnte das Urteil nicht unverändert bestehen bleiben; denn dann hätten die Angeklagten freigesprochen werden müssen, Ihnen wurde in der Anklageschrift wie im Eröffnungsbeschluss Beihilfe zur schweren Freiheitsberaubung im Amt zur Last gelegt. Zur Beurteilung des Sachverhalts unter dem Gesichtspunkt des Verbrechens gegen die Menschlichkeit fehlte dem Schwurgericht die Gerichtsbarkeit. Die in der amerikanischen Besatzungszone gelegenen deutschen Gerichte sind weder allgemein zur Anwendung des KRG 10 ermächtigt worden, noch wurde im vorliegenden Falle eine besondere Ermächtigung ausgesprochen. Das Recht und die Pflicht des Gerichts, den Sachverhalt unabhängig von der Beurteilung der Tat, die dem Beschluss über die Eröffnung des Hauptverfahrens zugrunde liegt, nach allen möglichen rechtlichen Gesichtspunkten zu würdigen, hat ihre Grenze in der Gerichtsbarkeit. Die Möglichkeit der Beurteilung der Tat unter dem Gesichtspunkt des Verbrechens gegen die Menschlichkeit musste deshalb sowohl für die Prüfung wie für die Entscheidung ausser Betracht bleiben. Die wegen Beihilfe zur schweren Freiheitsberaubung im Amt angeschuldigten Angeklagten hätten also einen Anspruch darauf gehabt, freigesprochen zu werden, sobald sich dieser Vorwurf als unbegründet erwies und nicht ersichtlich war, dass die Angeklagten irgend ein anderes deutsches Strafgesetz verletzt hatten. Wenn es geboten oder auch nur zulässig wäre, statt auf Freispruch auf Einstellung zu erkennen, nur weil die Möglichkeit besteht, dass die Angeklagten ein von deutschen Gerichten nicht anwendbares Strafgesetz verletzt haben, würde den Angeklagten jede Möglichkeit genommen, auch im Falle ihrer Schuldlosigkeit ihre Freisprechung zu erreichen; denn da den deutschen Gerichten rächt gestattet ist, den Sachverhalt unter dem Gesichtspunkt des Verbrechens gegen die Menschlichkeit zu prüfen, könnte auch ihr Vorbringen, kein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben, nicht erörtert werden. Das Schwurgericht hätte nach alledem von seinem Standpunkt aus, statt das Verfahren einzustellen, die Angeklagten freisprechen müssen. Für die Angeklagten K., O., A. und M. hat diese Frage nach der Lage des Verfahrens keine praktische Bedeutung, weil bei ihnen das Schwurgericht die Beihilfe zur schweren Freiheitsberaubung im Amt nicht rechtsirrtumsfrei verneint hat und deshalb das Urteil im ganzen aufgehoben werden muss, da mit der Möglichkeit zu rechnen ist, dass die neue Verhandlung zur Verurteilung führt.

Nur soweit das Urteil den früheren Mitangeklagten J. betrifft, muss es gemäss § 357 StPO dahin geändert werden, dass das Verfahren nicht eingestellt, sondern der Angeklagte freigesprochen wird, weil das Gericht bei ihm nicht nur das Bewusstsein der Widerrechtlichkeit der Freiheitsentziehung, sondern jeden Beitrag zur Freiheitsberaubung aus tatsächlichen Gründen verneint hat. Das hat zu geschehen, obwohl die Revision der Staatsanwaltschaft das Urteil insoweit nicht angreift und J. selbst kein Rechtsmittel eingelegt hat. Denn die Einstellung des Verfahrens bei J. beruht auf demselben Rechtsfehler wie bei den übrigen Angeklagten.

III.

Bei der Beurteilung des Sachverhalts ist das Schwurgericht davon ausgegangen, dass in den Judendeportationen, die in den weitaus meisten Fällen mit dem Tode der Opfer endeten und nach dem Plan der Urheber dieser "Aktion" auch enden sollten, ein fortgesetztes Verbrechen des Mordes und der Freiheitsberaubung im Amt mit Todeserfolg gesehen werden müsse, soweit das Verhalten der Urheber und Leiter (das Urteil nennt als solche H., G., H. und deren Ausführungsorgane im RSHA) in Betracht komme. Dem ist zuzustimmen. Nicht unbedenklich ist nur die Annahme, diese Urheber und Leiter seien mittelbare Täter gewesen, Mögen auch bei der Durchführung des Verbrechens wegen einer gewissen Tarnung nach aussen manche gutgläubig einen Tatbeitrag geleistet haben, so ist es doch nicht gut denkbar, dass auch diejenigen, die die Tötung der Opfer ausführten, sämtlich in gutem Glauben handelten und als schuldlose Werkzeuge tätig wurden. Für die Beurteilung des Tatbeitrages von Gehilfen macht es jedoch keinen Unterschied aus, ob die Urheber und Leiter der "Aktion" als Täter oder als mittelbare Täter angesehen werden. Frei von Rechtsirrtum ist auch die Annahme des Schwurgerichts, dass die Angeklagten K., O., A. und M. durch die im Urteil im einzelnen geschilderten Handlungen die Durchführung der von den Urhebern und Leitern des Ausrottungsplanes begangenen Verbrechen des Mordes und der Freiheitsberaubung im Amt mit Todesfolge tatsächlich gefördert und insofern objektiv Beihilfe zu diesen Verbrechen geleistet haben. Zur inneren Tatseite legt das Urteil jedoch dar, die Angeklagten hätten, soweit ihr Verhalten als Beihilfe zum Mord beurteilt werden könne, keine Kenntnis von den Mordabsichten der Urheber und Leiter des Planes, und soweit Beihilfe zur Freiheitsberaubung im Amt mit Todesfolge in Betracht komme, nicht das Bewusstsein gehabt, mit ihrer dienstlichen Tätigkeit bei den Judenverschickungen gegen das geltende Recht zu verstossen. Damit will das Urteil ersichtlich ausdrücken, der Torsatz der Angeklagten habe sich nicht, wie es zur Verurteilung wegen Freiheitsberaubung im Amt erforderlich sei, auf das Merkmal der Widerrechtlichkeit erstreckt. Die Urteilsbegründung ist in dieser Richtung nicht frei von Rechtsirrtum.

Soweit Beihilfe zum Mord in Betracht kommt, enthält das Urteil ausdrücklich nur die Feststellung, dass die Angeklagten von den Mordplänen der Täter keine Kenntnis gehabt hätten. Damit allein wird die Beihilfe zum Mord noch nicht ausreichend verneint. Sie würde auch dann zu bejahen sein, wenn sie solche Mordpläne nur für möglich gehalten und auch für diesen Fall ihren Beitrag gewollt hätten. Dass sie auch nicht mit bedingtem Vorsatz gehandelt haben, wird im Urteil nicht ausdrücklich festgestellt; es bestehen auch Bedenken, eine solche Feststellung dem Zusammenhang der Urteilsgründe zu entnehmen. Das Schwurgericht wird bei der schon aus anderen Gründen notwendigen neuen Verhandlung den Sachverhalt auch in dieser Beziehung nochmals genauer erörtern und zum bedingten Vorsatz klarere Feststellungen treffen müssen.

Unter dem Gesichtspunkt der Beihilfe zur Freiheitsberaubung im Amt ist das Schwurgericht davon ausgegangen, dass die Widerrechtlichkeit der Freiheitsentziehung nicht nur objektiv gegeben sein müsse, sondern dass sich der Vorsatz der Täter wie der Gehilfen auch auf die im § 239 StGB ausdrücklich zum Tatbestandsmerkmal erhobene Widerrechtlichkeit erstrecken müsse, Auch der Gehilfe müsse also wissen oder wenigstens mit der Möglichkeit rechnen und seinen Beitrag auch für den Fall leisten wollen, dass die Freiheitsberaubung widerrechtlich geschehe, und dass auch der Täter mit entsprechendem Vorsatz handele. Dass der Gehilfe die Widerrechtlichkeit hätte erkennen können, würde nicht genügen.

Ob dem uneingeschränkt zuzustimmen ist, kann dahinstehen. Die Sachlage war hier dadurch gekennzeichnet, dass obrigkeitliche Anordnungen, die sich auch an die Angeklagten richteten, die Freiheitsberaubungen forderten. Neben der Frage, ob diese Anordnungen einen Rechtfertigungsgrund bildeten, war für den Fall ihrer Verneinung die weitere Frage zu entscheiden, ob die Angeklagten etwa in ihnen einen Rechtfertigungsgrund für ihr Verhalten gesehen haben. Dem Schwurgericht ist darin beizustimmen, dass die - wenn auch irrige - Annähme eines in obrigkeitlichen Anordnungen liegenden Rechtfertigungsgrundes ihre strafrechtliche Verantwortlichkeit ausschlösse. Sie müssen also in dem Bewusstsein gehandelt haben, dass die Anordnungen, denen sie Folge leisteten, nicht dem Recht entsprachen und darum auch für ihr Verhalten nicht rechtfertigend wirkten, oder mindestens damit gerechnet und auch für diesen Fall ihren Beitrag gewollt haben.

Zu rechtlichen Bedenken geben jedoch diejenigen Ausführungen Anlass, mit denen das Schwurgericht im einzelnen seine Ansicht begründet, dass sich die Angeklagten möglicherweise der Widerrechtlichkeit der Freiheitsberaubung nicht bewusst gewesen seien. Es sieht die Rechtsgrundlage für die Tätigkeit der Gestapo in der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat vom 28. Februar 1933. Durch sie sei u.a. Art. 114 der Weimarer Reichsverfassung über das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Freiheit ausser Kraft gesetzt und ausdrücklich bestimmt worden, dass Beschränkungen der persönlichen Freiheit auch ausserhalb der sonst hierfür bestimmten gesetzlichen Grenzen zulässig seien. Aus dem Vorspruch der Verordnung, der die Erklärung enthielt, dass sie zur Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte ergangen sei, hätten damals Rechtsprechung und Rechtslehre nur die Einschränkung entnommen, dass sich die den Behörden auf Grund dieser Verordnung zustehenden erweiterten Befugnisse nur auf ihre Tätigkeit auf politischem Gebiet erstreckten, d.h. auf denjenigen Teil der Tätigkeit, der dem Schutze des Staatswesens nach aussen und innen zu dienen bestimmt sei. Da die Gestapo, wie schon ihr Name besage, nur auf politischem Gebiet tätig gewesen sei, sei ihr jede Festnahme und Freiheitsbeschränkung erlaubt gewesen. Die Angeklagten hätten zwar diese Auslegung nicht im einzelnen gekannt, sie hätten aber auch von keinem Gerichtsurteil und keiner Anklage der Staatsanwaltschaft erfahren, die Festnahmen oder sonstige Freiheitsbeschränkungen durch die Gestapo als Unrecht gekennzeichnet hätten. Sie hätten wohl "das unklare Gefühl" gehabt, dass den Juden "durch die Verschickungen Unrecht geschehe", ihnen sei aber nicht bewusst gewesen, "mit ihrer dienstlichen Tätigkeit bei Judenverschickungen gegen das geltende Recht zu Verstossen", zumal da Umsiedlungen ganzer Bevölkerungsgruppen damals keine seltene Erscheinung gewesen seien.

Diese Auffassung läuft darauf hinaus, die Angeklagten hätten alles als rechtmässig ansehen dürfen, was der damalige Staat auf politischem Gebiet unternommen habe oder habe geschehen lassen. Sie ist in dieser Allgemeinheit unrichtig. Die Freiheit eines Staates, für seinen Bereich darüber zu bestimmen, was Recht und was Unrecht sein soll, mag noch so weit bemessen werden, sie ist doch nicht unbeschränkt. Im Bewusstsein aller zivilisierten Völker besteht bei allen Unterschieden, die die nationalen Rechtsordnungen im einzelnen aufweisen, ein gewisser Kernbereich des Rechts, der nach allgemeiner Rechtsüberzeugung von keinem Gesetz und keiner anderen obrigkeitlichen Massnahme verletzt werden darf. Er umfasst bestimmte als unantastbar angesehene Grundsätze des menschlichen Verhaltens, die sich bei allen Kulturvölkern auf dem Boden übereinstimmender sittlicher Grundanschauungen im Laufe der Zeit herausgebildet haben und die als rechtlich verbindlich gelten, gleichgültig, ob einzelne Vorschriften nationaler Rechtsordnungen es zu gestatten scheinen, sie zu missachten. Zu Unrecht ist das Schwurgericht deshalb davon ausgegangen, der Gestapo sei auf der Grundlage der VO vom 28. Februar 1933 "jede Festnahme und Freiheitsbeschränkung erlaubt" gewesene. Dabei braucht, da alle diese Fragen liier nur für das Bewusstsein der Angeklagten von der Widerrechtlichkeit der Freiheitsentziehung von Belang sind, nicht grundsätzlich die umstrittene Frage der Rechtsgültigkeit der VO vom 28. Februar 1933 und ihrer objektiven Tragweite erörtert zu werden. Auch wenn man zugunsten der Angeklagten die Rechtsgültigkeit bejaht und weiter annimmt, dass sie nicht nur zur Abwehr kommunistischer Umsturzversuche, sondern zur Bekämpfung anderer "Staatsfeinde" als Rechtsgrundlage angesehen werden durfte, konnte sie der Gestapo - selbst wenn sie es bei ihrem Erlass beabsichtigt haben sollte - keinen Freibrief zur. Verletzung jenes Kernbereichs des Rechts geben, den nach dem Rechtsbewusstsein der Allgemeinheit kein Gesetz und kein anderer obrigkeitlicher Akt antasten darf. Es ist ein grundlegender Fehler des Urteils, dass es diese Überall und jederzeit geltende Beschränkung einer staatlichen Willkür verkannt hat. Die entscheidende Frage nach dem materiellen Unrechtsgehalt eines Verhaltens, die unter Umständen auch dann bejaht werden muss, wenn ein Verhalten noch staatlichen Anordnungen zu entsprechen scheint, tritt auch in den beiden Entscheidungen des bayer. Obersten Landesgerichts vom 15. November 1950 (BayObLGSt 1950 Nr. 41 und 42) - an die sich das Schwurgericht zu halten scheint - zu stark in den Hintergrund. Der Senat vermag deshalb diesen Entscheidungen auch nicht in jeder Beziehung zu folgen.

Wo die Grenze zwischen dem Bereich, in dem der Staat darüber befinden darf, was Recht und Unrecht sein soll, und jenem anderen Bereich zu ziehen ist, in dem auch der Staat mit seinen Massnahmen Bindungen und Beschränkungen unterliegt, kann im einzelnen zweifelhaft sein. Sie ergibt sich heute aus den Art des Grundgesetzes, in denen die von Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung in gleicher weise zu achtenden Grundrechte näher umschrieben sind. Sie ergab sich aber auch schon für die Zeit, in der die Angeklagten die ihnen zur Last gelegten strafbaren Handlungen begingen, aus der Idee der Gerechtigkeit und Menschlichkeit, wie sie im Bewusstsein der Allgemeinheit lebt; mit der Idee der Gerechtigkeit ist der Gedanke der Gleichheit untrennbar verbunden. Anordnungen, die die Gerechtigkeit nicht einmal anstreben den Gedanken der Gleichheit bewusst verleugnen und allen Kulturvölkern gemeinsame Rechtsüberzeugungen, die auf den Wert und die Würde der menschlichen Persönlichkeit Bezug haben, deutlich missachten, schaffen kein materielles Recht und ein ihnen entsprechendes Verhalten bleibt Unrecht. Bei ganz offensichtlich groben Verstössen gegen die Idee der Gerechtigkeit und Menschlichkeit ist nicht nur objektiv die Rechtmässigkeit einer staatlichen Massnahme zu verneinen; die Gröblichkeit und Offensichtlichkeit der Verletzung wird regelmässig auch ein sicheres Anzeichen dafür sein, ob diejenigen, die die Massnahme anordneten, durchführten oder förderten, im Bewusstsein der Widerrechtlichkeit handelten. Die Frage, ob die Judenverschickungen nach dem Bilde, das sich die Angeklagten von ihnen machten, als widerrechtliche Freiheitsberaubungen angesehen werden mussten und ob die Angeklagten für den Fall der Bejahung der ersten Frage im Bewusstsein der Widerrechtlichkeit der Freiheitsentziehung handelten, ist allein danach zu beantworten, ob die Verschickungen Unrecht in dem erörterten materiellen Sinne waren und so auch von den Angeklagten beurteilt wurden. Damit wird das Verhalten der Angeklagten nicht etwa nach Maßstäben gemessen, die erst später allgemeine Geltung erlangten, und es wird ihnen nicht zugemutet, sie hätten die Frage, ob Recht oder Unrecht, nach damals nicht oder nicht mehr gültigen Grundsätzen beantworten müssen. Dass ihnen die wenigen für das menschliche Zusammenleben unentbehrlichen Grundsätze unbekannt gewesen wären, die zu jenem unantastbaren Grundstock und Kernbereich des Rechts gehören, wie er im Rechtsbewusstsein aller Kulturvölker lebt, oder dass sie ihre Verbindlichkeit unabhängig von aller staatlichen Anerkennung verkannt haben könnten, ist um so weniger anzunehmen, als sie die Eindrücke, nach denen sich solche. Überzeugungen bilden, sämtlich noch zu einer Zeit empfingen, ehe der Nationalsozialismus seine verwirrende und vergiftende Propaganda ungehemmt entfalten konnte. Schon die bisherigen Feststellungen des Schwurgerichts lassen erkennen, dass sich auch die Angeklagten dessen bewusst waren, dass auch ein staatlichen Anordnungen noch entsprechendes Geschehen materielles Unrecht umschliessen kann. Nur so ist die Wendung des Urteils zu verstehen, die Angeklagten hätten zwar das "unklare Gefühl gehabt, dass den Juden Unrecht geschehe", aber doch geglaubt, mit ihrer dienstlichen Tätigkeit nicht "gegen das geltende Recht zu Verstossen". Es ist der Fehler des Urteils, dass es für die Frage der Widerrechtlichkeit allein entscheidend sein lässt, ob die Judenverschickungen so, wie die Angeklagten sie sich vorstellten, noch Gesetzen und Anordnungen entsprachen, - ja sogar, ob sie sich noch gerade durch eine Anordnung allgemeinen Inhalts decken liessen, die viel früher ergangen war und auf eine solche Anwendung gar nicht abzielen konnte -, während es darauf ankam, ob sie noch mit der Idee der Gerechtigkeit und Menschlichkeit im Einklang oder in offensichtlichem Widerspruch dazu standen und die Angeklagten sich auch dessen bewusst waren.

Von dieser Rechtsauffassung aus hätte deshalb im einzelnen festgestellt werden müssen, welche Vorstellungen sich die Angeklagten, wenn ihnen auch die ganze Wahrheit nicht bekannt war, von den Verschickungen und dem vermutlichen Schicksal der Opfer machten. Erst vom Boden solcher genauen Feststellungen aus konnte die weitere Frage entschieden werden, ob das, was sich die Angeklagten als gegeben oder auch nur als möglich vorstellten, schon so offenkundig die Merkmale des materiellen Unrechts in dem erörterten Sinne trug, dass die Annahme begründet war, dass sich auch die Angeklagten dessen bewusst gewesen seien. In einem Staat, der ersichtlich bestrebt ist, der Gerechtigkeit zu dienen und den Wert und die Würde der menschlichen Persönlichkeit zu achten, wird der Gedanke fernliegen, dass die von ihm gesetzten Normen und seine Anordnungen den Grundsätzen der Gerechtigkeit und Menschlichkeit widerstreiten könnten. Seine Behörden und Dienststellen werden im allgemeinen nicht damit zurechnen brauchen, dass ihnen mit der Ausführung von Weisungen und Anordnungen ihrer vorgesetzten Dienststellen die Begehung von Unrecht angesonnen wird. Anders die Angeklagten. Sie gehörten schon lange der Gestapo an, die zu der Zeit, als die Angeklagten bei den Judenverschickungen mitwirkten, schon seit Jahren mindestens in diesem Zweige ihrer Tätigkeit vom nationalsozialistischen Staat zu einem in der Bevölkerung gefürchteten Werkzeug der Unterdrückung, der Willkür und des Terrors ausgebildet worden war. Eine zutreffende Beurteilung der Frage, welche Vorstellungen sich die Angeklagten vom Schicksal der von der Verschleppung Betroffenen und von der Rechtmässigkeit oder Widerrechtlichkeit der Massnahme machten, war auch nicht möglich, ohne dass die Verschickungen in den Zusammenhang eingeordnet wurden, in dem sie - auch damals schon für jeden erkennbar - standen. Seit Jahren wurden die Juden in Deutschland in immer stärkerem Maße unterdrückt und verfolgt. Offene Gewaltakte, die ungesühnt blieben, wechselten mit scheinbar gesetzlichen Maßnahmen, die sämtlich das Ziel verfolgten, die Juden in Deutschland völlig zu entrechten und zu entehren. Schon als die ersten Verschickungen begannen, fristeten sie als Ausgestossene in grosser seelischer und materieller Bedrängnis nur noch ein elendes Dasein, das sich im weiteren Verlauf des Krieges immer mehr verschlechterte. Das wusste jedermann Dass die Verschickungen nur ein Teilstück dieser allgemeinen Verfolgung bildeten, konnte gerade den Angehörigen der Gestapo nicht gut verborgen bleiben, da in ihren Händen die Handhabung und Überwachung aller Verfolgungsmassnahmen lag, zumal wenn sie - Wie die Angeklagten - als Leiter oder Sachbearbeiter im Judenreferat der Gestapo tätig wären. Im Hinblick auf diese offenkundigen Zusammenhänge sind ihre Vorstellungen vom Schicksal der Verschleppten mit den Worten, sie hätten die Mordabsichten der Urheber und Leiter der "Aktion" nichtgekannt und sie hätten geglaubt, die Juden kernen zu einem "harten, aber keineswegs mörderischen Arbeitseinsatz", nur lückenhaft gekennzeichnet. Auch der Hinweis des Urteils darauf, dass "Umsiedlungen" damals nicht selten gewesen seien, versagt jedenfalls solange, wie nicht auch dargetan ist, dass die Angeklagten von der Meinung ausgingen, die "Umsiedlung" der Juden diene ähnlichen Zielen beruhe auf ähnlichen Gründen und verlaufe in ähnlichen schonenden Formen wie etwa die Umsiedlung von Volksdeutschen aus Südtirol oder dem Ostraum. Es ist nur schwer denkbar, dass damals ein Hitlebender einem solchen Irrtum unterlegen sein sollte. Das Urteil geht auch anscheinend als selbstverständlich davon aus, dass sich die Angeklagten über alle Verschickungen vom Dezember 1941 bis zum Februar 1945 dieselben nicht nur irrigen, sondern auch unwahrscheinlichen Vorstellungen gemacht haben. Das hätte jedoch einer viel eingehenderen Darlegung bedurft. Selbst wenn die Gutgläubigkeit der Angeklagten in Bezug auf die widerrechtlichkeit der Verschickungen im Dezember 1941 noch zu bejahen sein sollte, konnten sich ihre irrigen Vorstellungen vom Schicksal der Opfer und damit ihre Meinung von der Rechtmässigkeit oder Widerrechtlichkeit der Verschickungen mindestens im Laufe der Jahre bis zum Februar 1945 auf Grund zwischenzeitlicher Erfahrungen und Erkenntnisse gewandelt haben. Nur begrenzten Wert besitzt auch der vom Schwurgericht mit besonderem Nachdruck hervorgehobene Gedanke, die Angeklagten hätten von keinem Gerichtsurteil und keiner Anklage der Staatsanwaltschaft erfahren, durch die Festnahmen und sonstige Freiheitsberaubungen der Gestapo als Unrecht bezeichnet worden seien; sie hätten sich daher in ihren Zweifeln an der Rechtmässigkeit der Behandlung der Juden von den Richtern und Staatsanwälten als den berufenen Wahrem des Rechts nicht unterstützt, sondern missbilligt gesehen. Der Gedanke verlor in dem Augenblick jede Überzeugungskraft, in dem die Angeklagten mit der Möglichkeit staatlich gelenkten Unrechts unter Missbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts rechneten. Auch in dieser Beziehung fehlte es, als die Angeklagten die ihnen zur Last gelegten Handlungen begingen, nicht an Beispielen. Im Laufe der Jahre waren offenkundige Gewaltakte gegen Juden, gegen ihre Freiheit, ihr Vermögen, gegen Leib und Leben und gegen ihre heiligsten Gefühle ungesühnt geblieben, ohne dass jemand im Ernst auf den Gedanken kommen konnte, diese seien damit als "Recht" anerkannt worden. Auch bei der Beurteilung von einzelnen Umständen zeigt sich also der Fehler, dass sie aus dem Zusammenhange gelöst sind, aus dem sich erst ihre wahre Bedeutung ergibt.

Nach alledem ist die Freisprechung der Angeklagten mit der Begründung, sie seien sich der Widerrechtlichkeit der in den Judenverschickungen liegenden Freiheitsberaubungen nicht bewusst gewesen, nicht gerechtfertigt. Das Schwurgericht hat einmal nicht erkannt, dass es für die Frage der Widerrechtlichkeit in § 239 StGB auf den materiellen Unrechtsgehalt ankommt und materielles Unrecht auch dann vorliegen kann, wenn die Handlung von Organen des Staates selbst gefördert, gewünscht, angeordnet oder befohlen ist und die staatlichen Organe ihre Anordnungen auf Normen des geschriebenen Rechts stützen, deren weite Fassung der Handhabung einen grossen Spielraum lässt. Es hat ausserdem die Frage, ob die Angeklagten in den obrigkeitlichen Anordnungen, denen sie folgten, einen Rechtfertigungsgrund sahen oder ob sie sich trotz dieser Weisungen der Widerrechtlichkeit ihres Verhaltens bewusst waren, auf Grund von nur lückenhaften Feststellungen darüber beantwortet, welche Vorstellungen sich die Angeklagten von den Verschickungen und dem vermutlichen Schicksal der Opfer machten. Das Urteil muss deshalb mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben werden. Da der Sachverhalt unter Berücksichtigung der vorstehenden Hinweise weiterer Aufklärung bedarf, muss die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Schwurgericht zurückverwiesen werden.

Ob sich die Angeklagten, falls die neue Hauptverhandlung zu dem Ergebnis führt, dass sie sich der Widerrechtlichkeit der Freiheitsberaubung bewusst waren, mit Erfolg auf einen Schuldausschliessungsgrund berufen können, lässt sich bei dem augenblicklichen Sachstande nicht beurteilen. Es fehlen dazu noch alle Unterlagen.

Die Entscheidung entspricht dem Antrage des Oberbundesanwalts.