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BGH, 14.07.1955 - 1 StR 172/55

Daten
Fall: 
Jugendgefährdende Schriften
Fundstellen: 
BGHSt 8, 80; JZ 1956, 64; NJW 1956, 519; NJW 1955, 1604; NJW 1955, 1287
Gericht: 
Bundesgerichtshof
Datum: 
14.07.1955
Aktenzeichen: 
1 StR 172/55
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Landgericht München II

1. Ob Bildstreifenhefte (sog. Comic Strips oder Stripes, Comic Books) geeignet sind, Jugendliche sittlich zu gefährden, hängt von ihrem jeweiligen bildlichen und textlichen Inhalt ab.
2. Das Tatbestandsmerkmal der schweren sittlichen Gefährdung von Verbrecher-Comics kann nicht mit dem Hinweis darauf verneint werden, daß das Maß der von ihnen ausgehenden Jugendgefährdung nicht größer sei als der ungünstige Einfluß anderer moderner Mittel der Massenunterhaltung (z.B. schlechter Filme) und daß von ihnen keine schädliche Dauerwirkung zu befürchten sei, weil sie nur in einer gewissen Alters- und Entwicklungsstufe gelesen würden.
3. Das Merkmal der Offensichtlichkeit bedeutet, daß die von der Schrift ausgehende sittliche Gefährdung der Jugend jedem einsichtigen, für Erziehung und Schutz der Jugend aufgeschlossenen Menschen ohne besondere Mühe erkennbar sein muß.
4. Der Zeitschriftenhändler ist verpflichtet, das von ihm feilgehaltene Schrifttum auf seine sittliche Ungefährlichkeit für die Jugend zu prüfen, sofern er sie nicht wegen des anerkannten Rufs des Verlags oder auf Grund sonstiger, ihm bekannter Umstände ohne weiteres voraussetzen kann.

Gründe

Dem Angeklagten, der einen der größten Zeitschriftenvertriebe in G.-P. unterhält, lag nach dem Eröffnungsbeschluß zur Last, in fünf selbständigen Fällen fahrlässig von einer Verkaufsstelle aus, die von Kunden nicht betreten zu werden pflegt, Schriften, die Jugendliche offensichtlich sittlich schwer gefährden, vertrieben und zugleich in vier dieser Fälle die Schriften zum Zwecke der geschäftlichen Werbung im Schaufenster ausgehängt zu haben (§§ 6 Abs. 1, 4 Abs. 1, 5 Abs. 2, 21 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften vom 9. Juni 1953 - im folgenden als "Ges." bezeichnet). Bei den Schriften handelt es sich um Jugendhefte mit Abenteurergeschichten in Form von bunten Bildreihen, die an Stelle eines zusammenhängenden Begleittextes sog. Sprech- oder Gedankenfahnen aufweisen, deren Inhalt sich meist auf die Wiedergabe von kurzen Ausrufen, von Angst- und Schreckenslauten oder von Gedanken und Empfindungen einer der dargestellten Personen beschränkt (sog. Comic-Strips oder Stripes, Comic Books). Der Angeklagte ist freigesprochen worden.

Hiergegen wendet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts. Sie hat Erfolg.

Das Landgericht ist in Übereinstimmung mit den Gutachten der Sachverständigen zu dem Ergebnis gekommen, daß die Hefte Nr 2/54, 3/54 und 4/54 der Bildserien-Jugendzeitschrift "Tom Mix" und das Heft Nr 72 der 2. Piccolo-Bildserie "El Bravo - Das rote Haus" im Sinne des § 1 Ges. Jugendliche sittlich gefährden, weil sie eine "Fülle von Gewalttaten mit einem erheblichen Grad von Primitivität, Roheit und Gemeinheit" (wie Fesselungsszenen, grausame Handlungen gegen eine Frau, eingehende Vorbereitung einer Hinrichtung am Galgen) bildlich darstellten und deshalb in den Jugendlichen vor allem die Triebe ansprächen, die auf die Roheiten und Gewalttätigkeiten gerichtet seien. Damit führten die genannten Schriften für Jugendliche eine Gefahrenlage herbei, derzufolge bei diesen eine sittliche Schädigung in Form einer Verrohung und einer Verschiebung der sittlichen Wertvorstellungen eintreten könne. Diese Wirkung werde nur wenig abgeschwächt dadurch, daß sich in den Erzählungen die Vertreter von Gesetz und Recht zur Durchsetzung ihrer an sich guten Ziele gleicher Mittel bedienten. Denn bei den Jugendlichen besteht die Gefahr, daß sich die augenfällig herausgestellte Gewaltanwendung als besondere Leistung einpräge, ohne Rücksicht auf ihre sittliche oder gesetzliche Berechtigung. Hinzu komme, daß die Darstellungsweise in Form der Bildstreifenhefte eine besondere Zusammendrängung der äußeren "spannungsgeladenen" Handlung mit sich bringe und mangels epischer oder lyrischer Ruhepunkte der frei schöpferischen Phantasie keinerlei Möglichkeit zum Tätigwerden biete; dadurch würden die Leser außerstand gesetzt, die dargestellten Gewalttätigkeiten im ablehnenden (negativen) Sinne zu werten.

Im Gegensatz zu den Gutachten der Sachverständigen verneint das Landgericht indes die schwere sittliche Jugendgefährdung und die Offensichtlichkeit dieser Gefährdung, - zwei Tatbestandsmerkmale, bei deren Vorliegen die Schriften den in den §§ 3 - 5 Ges. aufgestellten Werbe- und Vertriebsbeschränkungen unterworfen sind, ohne daß es einer Aufnahme in die Liste der jugendgefährdeten Schriften und einer entsprechenden Bekanntmachung bedarf (§ 6 Abs. 1, vgl. §§ 1, 11 ff., 19 Ges.). Die Erwägungen, mit denen die Strafkammer ihre Auffassung begründet hat, unterliegen jedoch, wie die Revision zutreffend rügt, rechtlichen Bedenken.

1. Zum Tatbestandsmerkmal der schweren sittlichen Gefährdung (vgl. dazu das Urteil des 5. Strafsenats BGHSt 8, 125)

a) Ob Schriften im Sinne der §§ 1, 6 Ges. geeignet sind, Jugendliche, sittlich zu gefährden, ist, wie sich aus Inhalt- und Entstehungsgeschichte des Gesetzes sowie aus der Begründung des Regierungsentwurfs (BTDrucks. Nr. 1101) ergibt, von erzieherischen und jugendpsychologischen Gesichtspunkten aus zu beurteilen. Eine Schrift oder Schriftenreihe gefährdet Jugendliche dann sittlich, wenn sie nach ihrer mutmaßlichen Wirkung in jungen Menschen den Aufbau der unserer christlich-abendländischen Weltanschauung und unserer staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung entsprechenden sittlichen Wertvorstellungen und der ihrer Verwirklichung zustrebenden Willenskräfte erschwert und dadurch die Jugendlichen der Gefahr sittlicher Verwahrlosung aussetzt. Die Gefährdung steigert sich zu einer schweren, wenn die Erziehung der jungen Menschen zu sittlich verantwortungsbewußten Persönlichkeiten unmittelbar in Frage gestellt wird, weil die Jugendlichen durch das Lesen von Schriften dieser Art der nahen Gefahr ausgesetzt werden, daß sie eine dem Erziehungsziel entgegengesetzte Haltung einnehmen. Dabei kommt es nicht nur auf den Durchschnittsjugendlichen und erst recht nicht auf den vom Elternhaus her behüteten und vielleicht innerlich schon gefestigten Jugendlichen, sondern auch auf den infolge Anlage, mangelhafter Erziehung oder ungünstiger Wohnverhältnisse für schädliche Einflüsse besonders anfälligen Jugendlichen an; denn auch er und gerade er bedarf des Schutzes des Gesetzes.

b) Von dieser Begriffsbestimmung aus ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, daß das Landgericht ausführt, die Bildstreifenhefte seien nicht ohne Rücksicht auf ihren bildlichen oder textlichen Inhalt allein deshalb als schwer jugendgefährdend im Sinne des § 6 Ges. anzusehen, weil sie wegen ihrer Geistlosigkeit, Geschmacklosigkeit und Plattheit die Entwicklung des Gefühls der Jugendlichen für das ästhetisch Schöne erheblich gefährdeten und weil diese bedauerliche Wirkung auch die sittliche Entwicklung der Jugendlichen ungünstig beeinflussen könnte. Denn eine geistige Verarmung braucht, wie die Strafkammer ohne Rechtsirrtum darlegt, noch nicht zu einer sittlichen Entartung zu führen. Der Begriff der sittlichen Gefährdung steht dem der gesundheitlichen Gefährdung des Körpers oder des Geistes sowie dem der geistigen Gefährdung in bildungsmäßiger Hinsicht gegenüber(vgl § 56 JWG vom 9. Juli 1922 - RGBl I S 633, 643 - und § 10 des Österr. Bundesgesetzes vom 31. Mai 1950 über die Bekämpfung unzüchtiger Veröffentlichungen und den Schutz der Jugend gegen sittliche Gefährdung). Wenn auch die Grenzen zwischen diesen Begriffen, insbesondere zwischen der geistigen und der sittlichen Gefährdung flüssig sind und eine körperliche oder geistige Verwahrlosung mittelbar häufig auch eine sittliche zur Folge haben mag, dürfen doch angesichts des im Gesetz deutlich hervorgehobenen Zwecks, der sittlichen Gefährdung der Jugend durch Druckerzeugnisse vorzubeugen, Schriften, die wie die modernen Bildstreifenhefte der gesunden geistigen Entwicklung und Bildung der Jugend hemmend im Wege stehen oder entgegenwirken und aus diesem Grunde abzulehnen sind, nicht ohne weiteres solchen Schriften gleichgestellt werden, die geeignet sind, Jugendliche sittlich schwer zu gefährden (§§ 1, 6 Ges.). Als Beispiele können die lustigen Micky-Maus Bildstreifen, sog. klassische oder historische Bildgeschichten von der des "Prinz Eisenherz" und die Kriminalerzählungen "Nick Knatterton" gelten; sie können nicht ohne weiteres als sittlich gefährdend angesehen werden, auch wenn sie durch Entwertung des echten Bildes und der menschlichen Sprache als Verständigungsmittel der geistigen Verflachung und Verkümmerung Vorschub leisten mögen.

c) Rechtlichen Bedenken begegnet aber die Meinung des Landgerichts, die den Gegenstand dieses Verfahrens bildenden Schriften "Tom Mix" und "EI Bravo" könnten auch unter Berücksichtigung ihres in Roheiten und Gewalttaten bestehenden Inhalts deshalb nicht als sittlich schwer jugendgefährdend bezeichnet werden, weil das Maß der von ihnen ausgehenden sittlichen Gefährdung nicht größer sei als der ungünstige Einfluß, den zahllose andere auf dem Markte befindlichen Druckschriften ähnlicher Art und die "übrigen, teilweise wirtschaftlich und soziologisch bedingten negativen Zeiterscheinungen, sowie Wildwest- und Kriminalfilm, Illustrierte mit oft sehr offenherzigen Frauenabbildungen" auf Jugendliche ausübten; ferner, weil von solchen Heften keine Dauerwirkung der Schädigung zu befürchten sei, da sie erfahrungsgemäß nur in einer gewissen Alters- und Entwicklungsstufe gelesen würden, die von der Mehrzahl der Jugendlichen in verhältnismäßig kurzer Zeit ohne bleibende Schädigung überwunden werde.

Bei dem Hinweis auf die schädlichen Wirkungen anderer fragwürdiger Druckerzeugnisse, schlechter Filme und sonstiger unerfreulicher Erscheinungen der heutigen Zeit verkennt die Strafkammer, daß die Schwere der von einer Schrift oder Schriftenreihe ausgehenden sittlichen Gefährdung nicht danach beurteilt werden kann und darf, ob noch andere verderbliche Einflüsse derselben oder ähnlichen Art vorhanden sind oder nicht. Ebenso wie der sittliche Unwert einer Schrift um nichts dadurch vermindert wiord, daß noch zahlreiche andere minderwertige Schriften im Handel sind, kann auch die der Schrift innewohnende Gefährlichkeit für die Jugend nicht deshalb geringer bewertet werden, weil die Jugendlichen durch diese anderen Schriften oder sonstigen Einflüsse in ihrer sittlichen Entwicklung möglicherweise in gleichem Maße gefährdet werden. Der Vergleich mit schlechten Filmen oder andwren Mitteln der heutigen Massenunterhaltung fällt im übrigen schon deshalb zuungunsten der sog. Verbrecher-Comics aus, weil der Jugendliche die Bildstreifenhefte jederzeit zur Hand hat und immer wieder betrachten kann und weil es ihm die Billigkeit der Hefte und die vielen Tauschgelegenheiten ermöglichen, in kurzer Zeit eine Vielzahl von gleichartigen Bilddarstellungen mit einer Vielfalt von verbrecherischen Handlungen auf sich einwirken zu lassen.

Das Landgericht meint ferner, daß Schriften der genannten Art keine schädliche Dauerwirkung auslösten, weil sie von jungen Menschen erfahrungsgemäß nur in einem bestimmten Alter gelesen würden. Damit übersieht es zwei Gesichtspunkte: Nämlich erstens, daß junge Menschen gerade in den Lebensjahren, in denen sie die Bildstreifenhefte am meisten lesen, Gefahr laufen, in den die Phantasie aufreizenden Bildern die Wiedergabe wirklicher Geschehnisse zu sehen und sich, teilweise sogar in einer unmittelbare Tatstimmung erzeugenden Weise, weit mehr beeindrucken zu lassen als erwachsene Menschen. Zweitens wird übersehen, daß diese Jahre für die Persönlichkeitsbildung des Jugendlichen entscheidend sind, weil er im Alter der heute zeitiger einsetzenden geschlechtlichen Reifung besonders prägsam und sowohl guten wie auch schlechten Einflüssen in erhöhtem Maße zugänglich ist. In die genannte Zeit fällt zudem das Suchen des jungen Menschen nach einem bestimmten Leitbild, nach dem er sein persönliches Leben gestalten möchte. Da dieses Leitbild vielfach auch für die spätere Zukunft des Jugendlichen bestimmend bleibt, ist es von größter Bedeutung, welche Wertvorstellungen ihm gerade in diesen Jahren vermittelt werden. Zu welcher Gefahr für die Allgemeinheit Jugendliche werden können, denen der überall siegreiche Gewaltmensch als Leitbild und der rücksichtslose Kampf als das Mittel, sich in der Gemeinschaft durchzusetzen, vor Augen geführt wird, ist vor allem in der Strafrechtspflege in besorgniserregendem Maße zu beobachten.

Schließlich darf auch nicht außer Acht gelassen werden, daß die Bildstreifenhefte infolge ihres häufigen Erscheinens, ihrer großen Verbreitung und der ihnen eigenen starken Anziehungs- und Gewöhnungskraft von den jugendlichen in Massen "verschlungen" werden (vgl. die Entscheidung der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften vom 9. Juli 1954, abgedruckt im Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt 1954 S. 242 f.). Das hat notwendig eine Vertiefung der durch die Hefte vermittelten Eindrücke zur Folge.

Die Frage, ob Schriften Jugendliche sittlich schwer gefährden, ist auch nicht danach zu beurteilen, ob bei der Mehrzahl der Jugendlichen schwere Schädigungen festzustellen sind oder ob bisher nur ein geringer Teil der Jugendlichen durch schlechtes Schrifttum zum strafbaren Verhalten veranlaßt worden ist. Die Voraussetzungen des § 6 Ges. können nicht mit dem Hinweis darauf verneint werden, daß nur eine verhältnismäßig geringe Zahl ohnehin anfälliger junger Menschen den schädlichen Einflüssen jugendgefährdenden Schrifttums erliege. Entscheidend ist allein, ob eine Schrift oder Schriftenreihe die Bereitschaft junger Menschen zu strafbaren Handlungen oder zu anderen Verfehlungen erzeugt oder fördert. Es verhält sich hier nicht anders als bei Erregern körperlicher Krankheiten; kein verständiger Mensch wird z.B. die Gefährlichkeit des Erregers der Kinderlähmung deshalb bestreiten, weil nur wenige von den zahllosen Kindern, die mit ihm in Berührung kommen, tatsächlich erkranken. Der Tatrichter verkennt mit der angeführten Erwägung außerdem, daß es gerade der Zweck des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften ist, der befürchteten weiteren Zunahme der von Jugendlichen begangenen schweren und schwersten Verbrechen durch Erfassung des Übels an der Wurzel vorzubeugen, und daß sittliche Schäden nicht immer nur in der Begehung von Straftaten, sondern auch in sonstigem gemeinschaftswidrigen Verhalten zutage treten.

2. Zum Merkmal der Offensichtlichkeit der schweren sittlichen Gefährdung

Das Landgericht hat die Freisprechung des Angeklagten auch darauf gestützt, daß die im Eröffnungsbeschluß und im Nachtragsbeschluß aufgeführten Schriften Jugendliche keinesfalls offensichtlich schwer gefährdeten. Die Begründung, die es hierfür gibt, ist schon deshalb nicht frei von rechtlichen Bedenken, weil auch hier der unter 1 c abgelehnte Gedanke verwertet ist, daß man davon ausgehen könne, der durchschnittliche Jugendliche werde derartige Schriften ohne bleibenden sittlichen Schaden lesen oder betrachten und in absehbarer Zeit davon ablassen, ohne einer dauernden Sucht zu verfallen. Im übrigen ist bei der Auslegung jenes Tatbestandsmerkmals vom Wortsinn auszugehen, wonach "offensichtlich" ist, was klar zutage liegt und deshalb für jedermann ohne besondere Mühe erkennbar ist (vgl. Becker-Seidel, Erläuterungsbuch zum Ges. 1953 Anm. 1 zu § 6; Riedel, Erläuterungsbuch zum Ges. 1953 Anm. 2 zu § 6; Potrykus, Kommentar zu den Bundesgesetzen zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit und über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften 1954 S 210). Dabei bedarf jedoch der Begriff "jedermann" insofern einer gewissen Einschränkung, als nicht, wie das Landgericht meint, das Urteil des beliebigen Durchschnittsbürgers\'ab maßgebend sein muß, sondern das Urteil des für Jugenderziehung und Jugendschutz aufgeschlossenen Lesers, der die Wirkungen guten und schlechten Schrifttums auf Geist und Gemüt von Jugendlichen zu beurteilen vermag. Auf die Meinung von Kreisen, die dem Gedanken des Jugendschutzes gleichgültig gegenüberstehen oder ihn aus geschäftlichen oder sonstigen Gründen sogar ablehnen, kann es nicht ankommen. Einer besonderen Sachkunde oder Vorbildung in erzieherischen oder seelenkundlichen Fragen bedarf es hierzu nicht; auch der einfache Mensch verfügt meist über ein sehr gutes Urteilsvermögen darüber, ob ein Lesestoff Jugendliche sittlich gefährden kann. Bei den Bildstreifenheften, deren ausschließlicher oder hauptsächlicher Inhalt in der Schilderung von Gewalttaten, hinterhältigen Überfällen, Schießereien und Grausamkeiten besteht und die den Leser, sei es auch unter dem Deckmantel des angeblichen Kampfes für das Gute, in die Welt des Faustrechts einführen und ihn mit den Einzelheiten gemeiner Verbrechen und den dabei angewendeten Mitteln vertraut machen, wird eine schwere sittliche Gefährdung in der Regel für jeden einsichtigen und verständigen Menschen ohne weiteres erkennbar sein.

3. Zum inneren Tatbestand

Die Fehler, die bei der Auslegung des äußeren Tatbestandes des § 6 Ges. begangen sind, zwingen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, obwohl die Strafkammer hilfsweise festgestellt hat, daß dem Angeklagten auch keine Fahrlässigkeit nachzuweisen sei. Es ist nicht auszuschließen, daß die Rechtsirrtümer, die die äußere Tatseite betreffen, die Beurteilung des inneren Tatbestands beeinflußt haben.

Im übrigen halten auch die Ausführungen, mit denen das Landgericht fahrlässiges Handeln des Angeklagten verneint hat, der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. So ist es ohne nähere Begründung nicht verständlich, warum der Angeklagte, wenn er unwiderlegbar die in Frage stehenden Bildstreifenhefte nach der Anlieferung auf ihren Inhalt durchgesehen hat, nicht erkennen konnte und mußte, daß diese bildlichen Darstellungen eine "Fülle von Gewalttaten mit einem erheblichen Grade von Primitivität, Roheit und Gemeinheit" enthielten und deshalb in hohem Maße geeignet waren, auf junge Menschen verrohend und verbrechenfördernd zu wirken. Zu dieser Erkenntnis bedurfte es weder einer "erheblichen Sachkenntnis auf pädagogischem oder psychologischem Gebiet" noch des Verständnisses der einzelnen gesetzlichen Merkmale des § 6 Ges. noch des Vermögens, diese Begriffe im Rechtssinne abzugrenzen. Die Meinung des Landgerichts, daß der Angeklagte die von den Bildstreifenheften ausgehende sittliche Gefährdung für Jugendliche selbst dann nicht habe erkennen müssen, wenn sie als eine offensichtlich schwere anzusehen wäre, widerspricht nicht nur dem vom Tatrichter vertretenen Begriff der Offensichtlichkeit der schweren sittlichen Gefährdung - nämlich ihrer Erkennbarkeit für jeden Durchschnittsbürger --, sondern würde die Anwendbarkeit des § 6 Ges. überhaupt in Frage stellen. Auf die Auskunft eines Amtsrichters seines Wohnorts könnte sich der Angeklagte nur dann berufen, wenn er dem Befragten gerade die hier beanstandeten Schriften vorgelegt und ihn um deren Beurteilung gebeten hätte.

Zu der Pflicht des Angeklagten als Zeitschriftenhändlers, die von ihm zum Weiterverkauf bezogenen Jugendzeitschriften daraufhin zu prüfen, ob sie Jugendliche sittlich schwer gefährden, ist im übrigen folgendes zu bemerken: Der Angeklagte durfte sich nicht darauf beschränken, die Schriften daraufhin durchzusehen, ob sie unzüchtige Bilder enthielten; er mußte unter der Geltung des Ges. auch darauf achten, ob die Schriften jugendliche in anderer Weise sittlich schwer gefährden konnten. Diese Pflicht lag ihm besonders bei Bildstreifenheften ob, die, wie allgemein bekannt ist, zu einem großen Teil Gewalttaten und Roheitsakte bildlich darstellen. Angesichts der großen Bedeutung, die dem Schutz der Jugend vor verderblichem Schrifttum zukommt, muß von einem verantwortungsbewußten Zeitschriftenhändler ferner verlangt werden, daß er Schriften, deren einwandfreien Inhalt er nicht wegen des anerkannten Rufs des Verlags oder auf Grund sonstiger, ihm bekannter Umstände ohne weiteres voraussetzen kann, nicht nur oberflächlich "durchblättert", sondern mit der dem Anliegen des Jugendschutzes gebührenden Sorgfalt durchsieht (vgl. RGSt 37, 315 [317]). Diese Forderung muß besonders dann erhoben werden, wenn eine Schriftenreihe für die Jugend bestimmt ist und von dieser in Massen gekauft wird, keinen erzieherischen oder anderen anerkennenswerten Zweck verfolgt und hinsichtlich einzelner Nummern schon gerichtlich oder polizeilich beanstandet worden ist. Sie ist bei Bildstreifenheften der besprochenen Art dem Händler auch zuzumuten, weil es hier keines zeitraubenden Durchlesens, sondern nur eines verhältnismäßig kurzen Anschauens der Bilder bedarf. Schließlich muß vom Zeitschriftenhändler, soll das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften nicht wirkungslos bleiben, auch verlangt werden, daß er sich über die ihm auferlegten Werbe- und Vertriebsbeschränkungen auf geeignete Weise unterrichtet; ein geeignetes Mittel hierzu sind die amtlich und von den Fachverbänden veröffentlichten Entscheidungen der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften.

Die Entscheidung entspricht dem Antrage des Oberbundesanwalts.