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Art. 104 GG - Freiheitsentziehung (Kommentar)
(1) ¹Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. ²Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden.
(2) ¹Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. ²Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. ³Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. ⁴Das Nähere ist gesetzlich zu regeln.
(3) ¹Jeder wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. ²Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen.
(4) Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen.
- 1. Absatz 1
- 2. Absatz 2
- 3. Absatz 3
- 4. Absatz 4
1. Absatz 1
„(1) ¹Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. ²Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden.“
1.1. Einführung in Art. 104 Abs. 1 GG
Artikel 104 Abs. 1 GG gehört zu den zentralen Grundrechten des deutschen Grundgesetzes (GG) und bezieht sich auf die Freiheitsrechte und den Schutz vor ungerechtfertigtem Freiheitsentzug. Er legt fest, dass Freiheitsbeschränkungen nur unter streng geregelten Voraussetzungen zulässig sind und fordert, dass festgehaltene Personen vor jeglicher Form von Misshandlung zu schützen sind. Die Vorschrift bildet eine konkrete Ausprägung des allgemeinen Freiheitsrechts und steht in engem Zusammenhang mit den Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG (Recht auf Freiheit der Person) und Art. 1 Abs. 1 GG (Schutz der Menschenwürde).
1.2. Schutzzweck und Struktur des Artikels
Artikel 104 Abs. 1 GG schützt die persönliche Freiheit, die in der deutschen Verfassungsordnung einen herausragenden Stellenwert hat. Die Norm gewährleistet, dass die Freiheit der Person – ein zentrales Grundrecht im demokratischen Rechtsstaat – nicht ohne förmliches Gesetz eingeschränkt werden kann. Der Artikel stellt außerdem sicher, dass die Rechte festgehaltener Personen umfassend geschützt sind, indem jede Form der Misshandlung ausgeschlossen wird. Die Norm greift damit zwei grundlegende Prinzipien des Rechtsstaats auf: das Gesetzesvorbehaltsprinzip und das Folterverbot.
Artikel 104 GG ist Bestandteil der sogenannten Freiheitsrechte und bietet ein besonderes verfahrensrechtliches Fundament für den Schutz der körperlichen und seelischen Unversehrtheit. Er schafft zudem einen doppelten Schutzmechanismus: Einerseits wird festgelegt, dass Freiheitsbeschränkungen nur aufgrund eines formellen Gesetzes möglich sind, andererseits wird ein absolutes Verbot von Misshandlungen für alle staatlichen Eingriffe in die Freiheit festgelegt.
1.3. Die Voraussetzungen für die Einschränkung der Freiheit der Person
1.3.1. „Nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes“
Der Grundsatz, dass Freiheitsbeschränkungen „nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes“ vorgenommen werden dürfen, ist eine Ausprägung des Gesetzesvorbehalts. Das bedeutet, dass jede Einschränkung der Freiheit der Person eine gesetzliche Grundlage erfordert. Ein bloßes Verwaltungsreglement oder eine allgemeine behördliche Praxis reicht nicht aus. Stattdessen ist ein formelles Gesetz erforderlich, das durch das Parlament verabschiedet wurde und den demokratischen Legitimationsanforderungen genügt. Die Norm stellt sicher, dass Freiheitsbeschränkungen nur durch eine klare, vom Gesetzgeber definierte Grundlage erfolgen und nicht durch Verwaltungsvorschriften oder richterliche Einzelentscheidungen erlassen werden können.
Diese Anforderung entspricht dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit und gewährleistet, dass Einschränkungen der Freiheit der Person durch den demokratisch legitimierten Gesetzgeber gesteuert werden. Eine formell gesetzliche Grundlage ist in Deutschland traditionell in den Strafverfahrensgesetzen (StPO), den Polizeigesetzen der Länder und den allgemeinen Verwaltungsgesetzen verankert. Diese gesetzlichen Bestimmungen müssen die wesentlichen Voraussetzungen und Grenzen für Freiheitsbeschränkungen definieren.
1.3.2. „Unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen“
Diese Formulierung ergänzt das Gesetzesvorbehaltsprinzip durch den Grundsatz des verfassungsrechtlich verankerten Verfahrensschutzes. Die Beschränkung der Freiheit der Person darf nicht nur auf einem formellen Gesetz beruhen, sondern muss auch den in diesem Gesetz definierten prozeduralen Anforderungen entsprechen. Diese Verfahrensanforderungen stellen sicher, dass das Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht willkürlich oder unangemessen eingeschränkt wird. Zu den in den jeweiligen Gesetzen vorgeschriebenen Formen können unter anderem die Notwendigkeit richterlicher Anordnungen, Benachrichtigungsrechte der Betroffenen oder die Verpflichtung zur sofortigen Anhörung der festgehaltenen Person gehören.
Die Einhaltung der gesetzlichen Verfahrensvorschriften ist für die Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung entscheidend. Verstöße gegen diese Vorschriften können die Maßnahme rechtswidrig machen und gegebenenfalls zu einem Entschädigungsanspruch der betroffenen Person führen. Ein prominentes Beispiel für die gesetzlichen Anforderungen an das Verfahren findet sich in § 128 StPO, der die Pflicht zur unverzüglichen Vorführung einer festgenommenen Person vor den Richter regelt.
1.3.3. Das Rechtsstaatsprinzip und der Schutz vor willkürlicher Inhaftierung
Artikel 104 Abs. 1 GG baut auf dem Rechtsstaatsprinzip auf und sichert so den Schutz vor willkürlicher Inhaftierung. Die Norm verhindert, dass der Staat ohne nachvollziehbare, gesetzlich geregelte Gründe in die Freiheit der Person eingreifen kann. Dieser Schutz ist insbesondere im Kontext des polizeilichen und justiziellen Freiheitsentzugs von hoher Bedeutung, da er der Gefahr präventiver Inhaftierungen ohne ausreichende Rechtsgrundlage entgegenwirkt. Die formalen Anforderungen an den Freiheitsentzug spiegeln auch die Verpflichtungen Deutschlands aus internationalen Menschenrechtsverträgen wider, insbesondere aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), die ähnliche Garantien für die Freiheit der Person vorsieht.
1.4. Schutz vor Misshandlung für festgehaltene Personen
1.4.1. „Weder seelisch noch körperlich misshandelt werden“
Der zweite Satz von Artikel 104 Abs. 1 GG formuliert ein absolutes Verbot von Misshandlungen. Dieser Schutz gilt unabhängig von der Gesetzesvorbehaltsklausel und ist somit bedingungslos. Unter Misshandlung versteht man jegliche Form physischer oder psychischer Gewaltanwendung, die die Würde und Integrität der betroffenen Person verletzt. Dieses Verbot dient dem umfassenden Schutz der persönlichen Integrität und ergänzt das absolute Folterverbot, wie es auch in Artikel 1 Abs. 1 GG und den internationalen Menschenrechtsstandards verankert ist.
Körperliche Misshandlung umfasst jegliche Form physischer Gewalt, die über die im Gesetz vorgeschriebenen Mittel hinausgeht. Beispielsweise wären gewaltsame Schläge oder gewaltsame Zwangsmaßnahmen, die nicht der Abwehr unmittelbarer Gefahren dienen, als Misshandlung anzusehen.
Seelische Misshandlung umfasst sämtliche Handlungen, die die psychische Integrität der festgehaltenen Person beeinträchtigen. Hierzu zählen etwa Drohungen, die Androhung von Gewalt gegenüber nahestehenden Personen oder andere Maßnahmen, die auf die psychische Einschüchterung der festgehaltenen Person abzielen.
Das absolute Verbot von Misshandlungen ist Ausdruck der Verpflichtung, die Würde jedes Menschen, auch während eines Freiheitsentzugs, zu achten. Es stellt eine normative Grenze dar, die der Staat unter keinen Umständen überschreiten darf.
1.4.2. Verhältnis zu internationalen Menschenrechtsverträgen
Artikel 104 Abs. 1 GG steht in Einklang mit den internationalen Menschenrechtsstandards, insbesondere mit Artikel 3 EMRK (Verbot der Folter und unmenschlicher Behandlung) und der Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen. Diese internationalen Normen verbieten Folter und unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und stellen einen Mindeststandard für die Behandlung festgehaltener Personen dar. Die EMRK und die Anti-Folter-Konvention betonen ebenfalls den absoluten Charakter des Folterverbots, was bedeutet, dass es unter keinen Umständen gerechtfertigt sein kann, Personen körperlich oder seelisch zu misshandeln.
Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Entscheidungen klargestellt, dass der Schutz vor Misshandlung ein fundamentaler Bestandteil des Grundgesetzes ist und dass die deutsche Verfassung die Standards des Völkerrechts in diesem Bereich erfüllt und teilweise übertrifft.
1.5. Die Bedeutung des absoluten Verbots in der Praxis
1.5.1. Präventive und repressive Maßnahmen gegen Misshandlung
Der Schutz vor Misshandlung verlangt von staatlichen Organen, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um Misshandlungen präventiv zu verhindern. Dies betrifft insbesondere die Polizeibehörden und Justizvollzugsanstalten, die verpflichtet sind, interne Kontrollmechanismen und klare Verfahrensregeln zu schaffen, um Übergriffe zu verhindern. Verstöße gegen das Misshandlungsverbot ziehen disziplinarische und strafrechtliche Konsequenzen für die verantwortlichen Beamten nach sich.
1.5.2. Kontrollmechanismen und Rechtsschutz
Das Verbot der Misshandlung verlangt nicht nur eine präventive Absicherung, sondern auch die Einrichtung effektiver Kontrollmechanismen. Zu diesen zählen regelmäßige Überprüfungen durch unabhängige Stellen sowie das Recht der Betroffenen auf unverzügliche Beschwerdemöglichkeiten. Auf diese Weise wird das Misshandlungsverbot durch ein System des Rechtsschutzes und der Überwachung flankiert.
2. Absatz 2
„(2) Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. Das Nähere ist gesetzlich zu regeln.“
2.1. Einführung in Art. 104 Abs. 2 GG
Artikel 104 Abs. 2 GG befasst sich mit den spezifischen Anforderungen an die Freiheitsentziehung im deutschen Rechtsstaat. Die Vorschrift beschreibt die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die Freiheitsentziehung und garantiert den Richtervorbehalt, der das elementare rechtsstaatliche Prinzip der Kontrolle staatlicher Eingriffe in die persönliche Freiheit durch eine unabhängige richterliche Instanz sicherstellt. Der Artikel enthält eine wesentliche Ausprägung des Grundrechts auf Freiheit der Person und dient dem Schutz vor willkürlicher Inhaftierung, indem er die Befugnisse der Exekutive begrenzt und richterliche Kontrolle vorschreibt.
Die Absicherung des Richtervorbehalts und die Beschränkung der polizeilichen Befugnisse zur Freiheitsentziehung sind Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips und der Grundrechte. Die Garantie, dass eine Freiheitsentziehung nur durch oder unter sofortiger Überprüfung eines Richters erfolgen darf, verankert das Grundgesetz als eine der grundlegenden Sicherungen der individuellen Freiheit.
2.2. Schutzzweck und Hintergrund des Artikels
Artikel 104 Abs. 2 GG soll in erster Linie den Schutz vor willkürlicher Inhaftierung und die Sicherstellung eines fairen Verfahrens garantieren. Dieser Grundsatz steht in engem Zusammenhang mit der persönlichen Freiheit als einem der höchsten Güter im deutschen Verfassungsrecht, wie es in Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 GG verankert ist. Der Schutz der Freiheit der Person ist nicht nur ein zentrales Individualrecht, sondern auch ein wichtiger Bestandteil des allgemeinen Rechtsstaatsprinzips. Die Norm ist zudem durch die historische Erfahrung mit staatlicher Willkür geprägt, insbesondere durch die Erfahrungen des NS-Staates, der Freiheitsentziehungen oft ohne gerichtliche Kontrolle durchführte. Die richterliche Kontrolle bildet daher einen konstitutionellen Schutzmechanismus gegen staatliche Machtmissbrauch und willkürliche Freiheitsbeschränkungen.
2.3. Die verfahrensrechtliche Sicherung der Freiheitsentziehung
2.3.1. „Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden.“
Der erste Satz des Artikels 104 Abs. 2 GG etabliert den grundsätzlichen Richtervorbehalt für Freiheitsentziehungen. Freiheitsentziehung im Sinne des Grundgesetzes meint jeden staatlichen Eingriff, der die körperliche Bewegungsfreiheit einer Person nicht nur unerheblich einschränkt und somit eine Inhaftierung, Festnahme oder sonstige Form der Gewahrsamnahme darstellt. Der Begriff „Freiheitsentziehung“ unterscheidet sich von der „Freiheitsbeschränkung“ und betrifft Maßnahmen, die die Fortbewegungsfreiheit vollständig aufheben. Im Gegensatz zur Freiheitsbeschränkung sind Freiheitsentziehungen als besonders eingriffsintensiv angesehen und bedürfen deshalb der besonderen rechtsstaatlichen Absicherung.
Der Richtervorbehalt sichert dabei, dass die Anordnung einer Freiheitsentziehung und ihre Dauer einer unabhängigen Prüfung durch die Justiz unterliegt. Damit wird der Exekutive die alleinige Entscheidungsbefugnis entzogen und ein Kontrollmechanismus geschaffen, der das Risiko einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung minimiert. Diese richterliche Entscheidungspflicht ist ausnahmslos und muss in jedem Fall einer Freiheitsentziehung erfolgen.
2.3.2. „Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen.“
Der zweite Satz fordert, dass bei einer Freiheitsentziehung ohne vorausgegangene richterliche Anordnung unverzüglich eine richterliche Überprüfung erfolgen muss. Der Begriff „unverzüglich“ ist dabei ein zentraler Punkt: Er bedeutet, dass die richterliche Entscheidung ohne schuldhafte Verzögerung herbeigeführt werden muss. Dieser Grundsatz gilt insbesondere in Situationen, in denen polizeiliche Sofortmaßnahmen erforderlich sind, wie etwa bei einer vorläufigen Festnahme im Zuge der Gefahrenabwehr oder im Strafverfolgungsverfahren. Der Staat ist verpflichtet, den Festgehaltenen schnellstmöglich einem Richter vorzuführen, um eine rechtliche Überprüfung des Freiheitsentzugs zu gewährleisten.
Hierin kommt die Balance zwischen den Erfordernissen der Strafverfolgung und dem Schutz der persönlichen Freiheit zum Ausdruck. Polizeibehörden sind oft gezwungen, ohne richterliche Anordnung einzugreifen, um unmittelbare Gefahren abzuwehren oder Straftaten aufzuklären. Dennoch ist die Kontrolle durch einen unabhängigen Richter unverzichtbar, um rechtsstaatlichen Grundsätzen Rechnung zu tragen. Die Pflicht zur unverzüglichen Vorführung stellt daher sicher, dass die Polizei zwar handlungsfähig bleibt, jedoch nicht ohne baldige rechtliche Überprüfung über die Freiheit eines Einzelnen verfügen kann.
2.4. III. Die Begrenzung polizeilicher Befugnisse zur Freiheitsentziehung
2.4.1. „Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten.“
Der dritte Satz konkretisiert die zeitlichen Grenzen, innerhalb derer die Polizei aus eigenem Ermessen jemanden festhalten darf. Die Regelung bestimmt, dass die Polizei eine Person nur bis zum Ende des Tages des Ergreifens festhalten darf, falls bis dahin keine richterliche Entscheidung erwirkt wurde. Die Formulierung „bis zum Ende des Tages“ bedeutet grundsätzlich bis Mitternacht des Tages, an dem die Freiheitsentziehung begonnen hat. Diese Frist soll verhindern, dass die Polizei ohne richterliche Kontrolle länger über die Freiheit einer Person verfügt.
Die Begrenzung der polizeilichen Befugnisse ist ein Schutzmechanismus gegen Missbrauch und stellt sicher, dass die Polizei nicht willkürlich über die Freiheitsrechte verfügt. Diese Regelung ist im Kontext des präventiven Polizeigewahrsams besonders wichtig, da sie die Handlungsfähigkeit der Polizei wahrt, jedoch klare rechtliche Grenzen zieht. Die Vorschrift dient somit dem rechtsstaatlichen Anspruch, dass jegliche langfristige Freiheitsentziehung von unabhängigen Richtern überprüft werden muss.
2.4.2. Verhältnis zu den Polizeigesetzen der Länder
Der durch Artikel 104 Abs. 2 GG gesetzte Rahmen findet weitere Konkretisierung in den Polizeigesetzen der Länder, die spezifische Regelungen zur Dauer und Art der polizeilichen Freiheitsentziehung vorsehen. Die Länder können durch Landesgesetze die Dauer der polizeilichen Freiheitsentziehung weiter einschränken, jedoch nicht ausweiten. Die Polizeigesetze der Länder sind dabei stets im Lichte des Artikel 104 Abs. 2 GG auszulegen, da die Grundrechte des Grundgesetzes als Mindeststandard gelten und in jedem Fall beachtet werden müssen.
In der Praxis sieht die polizeiliche Gewahrsamnahme aufgrund landesrechtlicher Vorschriften oft eine kürzere Vorführungsfrist vor als die bis Mitternacht des Ergreifungstages reichende Frist. Die Länderregelungen dürfen jedoch die Rechte, die durch Artikel 104 Abs. 2 GG garantiert werden, nicht beschneiden. Insbesondere bleibt die Pflicht zur unverzüglichen richterlichen Entscheidung unberührt.
2.5. „Das Nähere ist gesetzlich zu regeln“
Der vierte Satz des Artikels 104 Abs. 2 GG verlangt eine gesetzliche Ausgestaltung der Einzelheiten der Freiheitsentziehung. Dies betrifft insbesondere die Anforderungen an das Verfahren, die Dauer der Freiheitsentziehung und die konkreten Rechte der festgehaltenen Person. Zu diesen gesetzlichen Regelungen zählen beispielsweise das Strafprozessrecht, insbesondere die §§ 112 ff. StPO (Untersuchungshaft), das Polizeirecht der Länder und spezielle Verwaltungsgesetze, die Voraussetzungen und Verfahren zur Freiheitsentziehung näher regeln. Artikel 104 Abs. 2 GG selbst enthält daher lediglich die Grundprinzipien, während die konkreten Bestimmungen der Ausführungsgesetze überlassen bleiben.
Die gesetzliche Ausgestaltung hat den Vorteil, dass sie flexibel an die jeweiligen Anforderungen angepasst werden kann und so eine detaillierte und differenzierte Regelung der Freiheitsentziehung ermöglicht. Die Ausführungsregelungen gewährleisten, dass die Vorgaben des Grundgesetzes durch klar definierte Verfahrensregelungen umgesetzt werden, die den notwendigen Schutz der persönlichen Freiheit sicherstellen.
3. Absatz 3
„(3) Jeder wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen.“
3.1. Einführung in Art. 104 Abs. 3 GG
Artikel 104 Abs. 3 GG ist eine zentrale verfahrensrechtliche Norm des Grundgesetzes, die für die Sicherung der persönlichen Freiheit im Zusammenhang mit strafrechtlichen Ermittlungen eine bedeutende Rolle spielt. Die Bestimmung ergänzt und konkretisiert die Grundsätze des Rechtsstaats- und Freiheitsprinzips, wie sie in Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 GG („Freiheit der Person“) und in Artikel 104 Abs. 2 GG (Richtervorbehalt bei Freiheitsentziehungen) verankert sind. Der Art. 104 Abs. 3 GG formuliert eine konkrete Pflicht zur richterlichen Kontrolle, um einerseits das Grundrecht auf persönliche Freiheit abzusichern und andererseits den Schutz vor staatlicher Willkür zu gewährleisten.
Die Norm knüpft unmittelbar an die strafprozessuale Maßnahme der „vorläufigen Festnahme“ (§ 127 StPO) an und hat somit sowohl einen kriminalpolitischen Zweck – nämlich die effektive Strafverfolgung – als auch einen rechtsstaatlichen Zweck – die richterliche Kontrolle über den Freiheitsentzug. Die Regelung ist strikt darauf ausgelegt, polizeiliche Freiheitsbeschränkungen, die ohne richterliche Anordnung erfolgen, zeitlich zu begrenzen und rasch einer unabhängigen gerichtlichen Prüfung zu unterziehen.
3.2. Tatbestandliche Voraussetzungen
3.2.1. Vorläufige Festnahme wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung
Voraussetzung für die Anwendung von Art. 104 Abs. 3 GG ist zunächst, dass eine Person „wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung vorläufig festgenommen“ wurde. Dies bedeutet, dass der Festgenommene einer konkreten, strafrechtlich relevanten Tat verdächtigt wird. Die vorläufige Festnahme erfolgt in der Regel durch Polizeibeamte und ist in der Strafprozessordnung (StPO) geregelt, insbesondere in § 127 Abs. 1 und Abs. 2 StPO.
Die vorläufige Festnahme unterscheidet sich von anderen Formen der Freiheitsentziehung wie der Untersuchungshaft oder der Abschiebehaft dadurch, dass sie ohne richterlichen Haftbefehl und somit aus eigener polizeilicher „Machtvollkommenheit“ erfolgt. Art. 104 Abs. 3 GG knüpft an den besonderen Fall an, dass eine Freiheitsentziehung zunächst ohne richterliche Kontrolle erfolgt ist, und verlangt eine richterliche Prüfung der Rechtmäßigkeit, um das Freiheitsrecht der festgenommenen Person zu sichern.
3.2.2. Zeitliche Grenze: „Spätestens am Tage nach der Festnahme“
Art. 104 Abs. 3 GG schreibt vor, dass der Festgenommene „spätestens am Tage nach der Festnahme“ dem Richter vorzuführen ist. Der Ausdruck „am Tage nach der Festnahme“ ist zeitlich strikt auszulegen. Die Vorführung hat daher innerhalb von 24 Stunden ab dem Zeitpunkt der Festnahme zu erfolgen. Diese enge zeitliche Frist betont den Schutz der persönlichen Freiheit und soll verhindern, dass eine Person ohne gerichtliche Prüfung länger festgehalten wird.
Die Regelung steht in Übereinstimmung mit dem Rechtsstaatsprinzip, das einen möglichst raschen Rechtsschutz fordert, um die persönliche Freiheit zu sichern und Missbrauch durch exekutive Organe zu verhindern. Die zeitliche Grenze bildet daher eine unüberwindbare Schranke für die Polizei und soll die vorläufig Festgenommenen davor schützen, länger als nötig einer Freiheitsentziehung ohne richterliche Kontrolle ausgesetzt zu sein.
3.3. Der Richterliche Prüfungsprozess
3.3.1. Mitteilung der Gründe der Festnahme
Der Richter, vor den der Festgenommene geführt wird, hat zunächst die Pflicht, die Gründe der Festnahme mitzuteilen. Diese Mitteilung dient der rechtsstaatlichen Aufklärung und soll dem Festgenommenen die Möglichkeit geben, den Grund seiner Freiheitsentziehung zu verstehen und sich in einem ordnungsgemäßen Verfahren zu verteidigen. Hierdurch wird der Transparenz des Verfahrens und dem Anspruch auf rechtliches Gehör Rechnung getragen.
Die Gründe der Festnahme sind konkret und nachvollziehbar darzulegen, sodass der Festgenommene verstehen kann, welcher Tatverdacht gegen ihn besteht. Dies entspricht dem verfassungsrechtlichen Prinzip der Waffengleichheit und der Möglichkeit einer effektiven Verteidigung. Die Informationspflicht des Richters ist eine grundlegende verfahrensrechtliche Garantie, die sicherstellt, dass die Freiheitsentziehung nicht intransparent bleibt und dem Festgenommenen die Basis für rechtliche Einwände gegeben wird.
3.3.2. Vernehmung des Festgenommenen
Art. 104 Abs. 3 GG sieht des Weiteren eine Vernehmung des Festgenommenen vor. Die Vernehmung ist ein wesentlicher Bestandteil der richterlichen Prüfung und soll sicherstellen, dass der Festgenommene sich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen äußern kann. Dabei wird ihm die Gelegenheit gegeben, seine Sichtweise darzustellen und etwaige Entlastungsgründe vorzubringen.
Die Vernehmungspflicht dient somit nicht nur der Information des Festgenommenen, sondern auch der tatsächlichen und rechtlichen Überprüfung des Festnahmegrundes durch den Richter. Es handelt sich um eine Konkretisierung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs, der im Rechtsstaatsprinzip fest verankert ist. Der Richter hat die Pflicht, die Angaben des Festgenommenen objektiv und unvoreingenommen in seine Entscheidung einfließen zu lassen.
3.3.3. Gelegenheit zu Einwendungen
Der Festgenommene muss ferner die Gelegenheit erhalten, Einwendungen gegen die Freiheitsentziehung vorzubringen. Diese Möglichkeit der Einwendungen sichert das verfassungsrechtliche Grundprinzip, dass die Freiheitsentziehung stets verhältnismäßig und auf das notwendige Maß beschränkt sein muss. Einwendungen können sich sowohl gegen den Tatverdacht selbst als auch gegen die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Freiheitsentziehung richten.
Die Möglichkeit zur Einwendung ist eng mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör verbunden, der den Festgenommenen vor willkürlicher Festsetzung schützen soll. Der Richter muss die Einwendungen prüfen und abwägen, bevor er eine Entscheidung trifft. Auf diese Weise wird ein effektiver Schutz gegen unrechtmäßige Freiheitsentziehungen gewährt und das Vertrauen in die Rechtmäßigkeit des Verfahrens gestärkt.
3.4. Entscheidungspflicht des Richters
3.4.1. Entscheidung über Haftbefehl oder Freilassung
Nach der Vernehmung und Prüfung der Einwendungen ist der Richter verpflichtet, unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen. Der Richter hat hierbei ausschließlich zwei Entscheidungsmöglichkeiten: Er kann entweder die Untersuchungshaft anordnen oder die sofortige Entlassung verfügen. Ein Haftbefehl darf nur erlassen werden, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen gemäß § 112 StPO (Untersuchungshaft) vorliegen. Diese setzen u. a. den dringenden Tatverdacht sowie das Vorliegen eines Haftgrundes wie Fluchtgefahr oder Verdunkelungsgefahr voraus.
Die Entscheidung muss „unverzüglich“ erfolgen, was bedeutet, dass keine schuldhafte Verzögerung durch den Richter eintreten darf. Der Begriff „unverzüglich“ ist dabei nicht als starre Frist, sondern als gebotene Eile zu verstehen, die eine umgehende Entscheidung nach der Vernehmung verlangt.
3.4.2. Begründungsanforderung bei Haftbefehl
Sollte der Richter sich für den Erlass eines Haftbefehls entscheiden, muss dieser mit einer schriftlichen und nachvollziehbaren Begründung versehen sein. Die schriftliche Begründungspflicht dient der Nachvollziehbarkeit und Transparenz der Entscheidung und soll sicherstellen, dass der Freiheitsentzug auf einer rechtsstaatlich fundierten Basis erfolgt. Die Begründungspflicht unterstützt außerdem das Recht des Festgenommenen, gegen die Haftanordnung Rechtsmittel einzulegen, da er die rechtliche und tatsächliche Grundlage der Entscheidung kennen muss.
3.4.3. Funktion und Bedeutung der Freilassungsanordnung
Die Freilassung ist anzuordnen, wenn die Voraussetzungen für eine Untersuchungshaft nicht erfüllt sind oder die Freiheitsentziehung aus anderen Gründen unverhältnismäßig erscheint. Die Entscheidung zur Freilassung stellt sicher, dass niemand ohne hinreichenden Tatverdacht oder in Ermangelung eines Haftgrundes länger inhaftiert bleibt, als es die Umstände rechtfertigen. Der Richter muss also eine sorgfältige Abwägung zwischen dem staatlichen Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung und dem Freiheitsrecht des Einzelnen vornehmen.
3.5. Gesetzliche Ausführungsbestimmungen
Der Artikel 104 Abs. 3 GG wird durch Bestimmungen der Strafprozessordnung ergänzt, insbesondere durch §§ 128 und 129 StPO. Diese regeln detailliert die Voraussetzungen und das Verfahren zur Vorführung sowie die Anforderungen an die Entscheidung des Richters.
4. Absatz 4
„(4) Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen.“
4.1. Einführung in Art. 104 Abs. 4 GG
Artikel 104 Abs. 4 GG stellt eine wichtige flankierende Regelung des deutschen Verfassungsrechts dar, die den Schutz der persönlichen Freiheit durch die Information eines Dritten ergänzt. Diese Vorschrift hat ihren Ursprung in der staatlichen Schutzpflicht gegenüber inhaftierten Personen und verfolgt das Ziel, Angehörige oder Vertrauenspersonen des Festgehaltenen über die Freiheitsentziehung zu informieren, um die soziale Kontrolle über den staatlichen Eingriff zu stärken und das Risiko von willkürlichen Inhaftierungen zu reduzieren. Der Benachrichtigungspflicht kommt eine doppelte Funktion zu: Sie gewährleistet einerseits Transparenz und sozialen Schutz für den Betroffenen und sichert andererseits dessen Grundrechte durch die Einbindung von Vertrauenspersonen, die als potenzielle Fürsprecher und Unterstützer fungieren können.
Art. 104 Abs. 4 GG ist daher eine verfahrensrechtliche Schutzmaßnahme, die die Reichweite der Freiheitsgarantien aus Art. 2 Abs. 2 GG und Art. 104 Abs. 2 und 3 GG erweitert und in verfahrensmäßiger Hinsicht präzisiert.
4.2. Voraussetzungen der Benachrichtigungspflicht
4.2.1. Richterliche Entscheidung über Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung
Die Benachrichtigungspflicht des Art. 104 Abs. 4 GG setzt eine richterliche Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung voraus. Eine „Freiheitsentziehung“ im Sinne des Art. 104 Abs. 4 GG liegt vor, wenn eine Person in ihrer körperlichen Bewegungsfreiheit derart eingeschränkt wird, dass sie daran gehindert wird, den Aufenthaltsort nach eigenem Willen zu verlassen. In Abgrenzung zur bloßen „Freiheitsbeschränkung“ geht es bei der Freiheitsentziehung um Eingriffe, die eine umfassendere Einschränkung der Bewegungsfreiheit beinhalten, etwa durch Untersuchungshaft, Unterbringung in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung oder Abschiebehaft.
Art. 104 Abs. 4 GG kommt zur Anwendung, wenn eine richterliche Entscheidung entweder die Freiheitsentziehung anordnet oder eine bereits bestehende Freiheitsentziehung verlängert. Diese richterliche Entscheidung ist oft Ergebnis einer Prüfung, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Haft fortbestehen und die Freiheitsentziehung verhältnismäßig ist.
4.2.2. Betroffene Entscheidungsarten
Der Anwendungsbereich umfasst verschiedene richterliche Entscheidungen, die mit einer Freiheitsentziehung einhergehen. Dazu zählen insbesondere:
- Entscheidungen über Untersuchungshaft gemäß § 112 StPO,
- Entscheidungen über einstweilige Unterbringung gemäß § 126a StPO,
- Entscheidungen über Zivilhaft und andere Formen der Unterbringung nach den §§ 415 ff. FamFG,
- Entscheidungen im Kontext des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) wie etwa die Anordnung von Abschiebehaft (§ 62 AufenthG).
Die Entscheidung über die „Fortdauer“ bezieht sich auf den Zeitraum nach der Anordnung der Freiheitsentziehung. Das betrifft zum Beispiel die richterliche Überprüfung von Untersuchungshaft im Rahmen der Haftprüfung (§ 117 StPO) oder bei der turnusmäßigen Haftfortdauerprüfung (§ 121 StPO). Die Regelung trägt so zur Sicherstellung des verfassungsrechtlich geschützten Rechts auf Freiheit und zur Kontrolle der Verhältnismäßigkeit bei.
4.3. Adressaten der Benachrichtigung
4.3.1. „Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens“
Art. 104 Abs. 4 GG benennt als Adressaten der Benachrichtigungspflicht entweder einen Angehörigen des Festgehaltenen oder eine „Person seines Vertrauens“. Die Begriffe „Angehöriger“ und „Person seines Vertrauens“ sollen sicherstellen, dass die Information an eine Person gelangt, die dem Festgehaltenen in einem nahen sozialen Verhältnis steht und ihm gegebenenfalls Beistand leisten kann.
4.3.1.1. Angehöriger
Der Begriff „Angehöriger“ ist grundsätzlich weit auszulegen und umfasst typischerweise Familienangehörige wie Ehegatten, Lebenspartner, Eltern, Kinder und Geschwister, kann aber in Abhängigkeit vom konkreten Fall auch weiter gefasst werden. In der Regel richtet sich die Benachrichtigungspflicht primär an diese engste soziale Gruppe, um eine verlässliche Informationsweitergabe sicherzustellen.
4.3.1.2. Person seines Vertrauens
Alternativ kann auch eine „Person seines Vertrauens“ informiert werden. Darunter versteht man eine Person, zu der der Betroffene in einem besonderen Vertrauensverhältnis steht, das aber nicht notwendigerweise auf familiären Bindungen basiert. Hierunter können Freunde, enge Bekannte oder auch rechtliche Vertreter wie etwa ein Rechtsanwalt fallen, sofern der Betroffene eine solche Person als seinen Vertrauenspartner bestimmt hat oder die Polizei bzw. die Vollzugsbehörde aus dem Umfeld des Betroffenen eine solche Person bestimmen kann.
4.3.2. Wahlmöglichkeit und Willensautonomie des Betroffenen
Die Benachrichtigungspflicht gibt dem Festgehaltenen grundsätzlich die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, wer von der Freiheitsentziehung erfahren soll. Diese Entscheidung stärkt seine Autonomie und seinen Schutz, indem er die Person, die benachrichtigt werden soll, selbst bestimmen kann. Ist der Festgehaltene aus gesundheitlichen oder anderen Gründen nicht in der Lage, eine konkrete Wahl zu treffen, liegt es im Ermessen der Vollzugsbehörde, eine geeignete Vertrauensperson auszuwählen.
4.4. Zeitpunkt und Modalitäten der Benachrichtigung
4.4.1. „Unverzüglich“
Die Benachrichtigung hat „unverzüglich“ zu erfolgen. Der Begriff „unverzüglich“ ist als ohne schuldhaftes Zögern zu interpretieren (§ 121 BGB). Die Anforderung dient dem Interesse des Betroffenen, dass ihm möglichst bald Unterstützung durch Angehörige oder Vertrauenspersonen zur Verfügung steht. Eine Benachrichtigung sollte also umgehend nach der richterlichen Entscheidung durchgeführt werden, es sei denn, dass zwingende Gründe eine kurzfristige Verzögerung rechtfertigen. In der Praxis bedeutet dies, dass die Benachrichtigung in der Regel innerhalb weniger Stunden bis maximal eines Tages nach der richterlichen Entscheidung zu erfolgen hat.
4.4.2. Form der Benachrichtigung
Art. 104 Abs. 4 GG enthält keine expliziten Vorgaben zur Form der Benachrichtigung. Üblich sind mündliche Benachrichtigungen oder telefonische Kontakte, um die Information schnellstmöglich zu übermitteln. In besonderen Fällen, etwa bei internationalen Sachverhalten oder eingeschränkter Erreichbarkeit, kann die Benachrichtigung auch schriftlich erfolgen. Es ist jedoch sicherzustellen, dass die Benachrichtigung auf einem Weg erfolgt, der den Adressaten sicher und verlässlich erreicht.
4.4.3. Umgehung der Benachrichtigungspflicht aus zwingenden Gründen
In Ausnahmefällen kann eine Benachrichtigung unterbleiben, wenn zwingende Gründe, wie etwa eine konkrete Gefährdung der Ermittlungen oder eine unmittelbare Gefahr für die Sicherheit, dies erfordern. Diese Ausnahmefälle sind jedoch eng auszulegen und in der Praxis selten. Insbesondere bei Gefährdungen durch mögliche Komplizen oder bei besonderer Fluchtgefahr könnte eine Ausnahme gerechtfertigt sein. Solche Gründe sind allerdings nur in extremen Situationen anzunehmen, da Art. 104 Abs. 4 GG die Benachrichtigung als grundlegendes Recht des Betroffenen vorsieht.
4.5. Funktion und verfassungsrechtliche Bedeutung
4.5.1. Schutz der persönlichen Freiheit
Die Benachrichtigungspflicht des Art. 104 Abs. 4 GG ist eine Ergänzung der richterlichen Anordnungspflicht und des Richtervorbehalts in Art. 104 Abs. 2 und 3 GG. Sie erweitert den Freiheitsanspruch des Betroffenen und stärkt seine Grundrechte dadurch, dass soziale Kontrolle und Fürsorge durch Angehörige oder Vertrauenspersonen ermöglicht wird. Die Benachrichtigung von Dritten dient also dazu, dass der Betroffene nicht isoliert bleibt und das Freiheitsentziehungsrecht transparent bleibt. Damit wird das Risiko von Fehlentscheidungen und missbräuchlichen Festhaltungen reduziert.
4.5.2. Unterstützung des Rechts auf Verteidigung
Die Benachrichtigung dient auch der Gewährleistung eines fairen Verfahrens und einer effektiven Verteidigung. Vertrauenspersonen können den Betroffenen rechtlich oder moralisch unterstützen und möglicherweise weitere Rechtsmittel in die Wege leiten. Besonders im strafprozessualen Kontext ermöglicht die Benachrichtigung einem Verteidiger oder einer anderen Vertrauensperson frühzeitig einzugreifen und im Sinne des Betroffenen zu handeln.
4.5.3. Soziale Bindungen und menschenwürdige Behandlung
Art. 104 Abs. 4 GG sichert den Kontakt des Betroffenen zu seiner sozialen Umgebung und stärkt das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Dies spiegelt den verfassungsrechtlichen Grundsatz wider, dass auch im Freiheitsentzug die Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG) und seine sozialen Beziehungen geachtet werden müssen. Die Benachrichtigungspflicht ist damit Ausdruck des grundrechtlichen Anspruchs auf eine menschenwürdige Behandlung im Justizvollzug und in staatlichen Zwangsmaßnahmen.