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Art. 116 GG - Begriff „Deutscher“, Wiedereinbürgerung (Kommentar)

(1) Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat.

(2) ¹Frühere deutsche Staatsangehörige, denen zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden ist, und ihre Abkömmlinge sind auf Antrag wieder einzubürgern. ²Sie gelten als nicht ausgebürgert, sofern sie nach dem 8. Mai 1945 ihren Wohnsitz in Deutschland genommen haben und nicht einen entgegengesetzten Willen zum Ausdruck gebracht haben.

Inhaltsverzeichnis 

1. Absatz 1

„Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat.“

1.1. Einführung

Artikel 116 Abs. 1 GG definiert den Begriff des „Deutschen“ im Sinne des Grundgesetzes und legt damit eine wesentliche Grundlage für den staatsangehörigkeitsrechtlichen und damit auch verfassungsrechtlichen Status einer Person in der Bundesrepublik Deutschland. Der Artikel stellt eine spezifische Regelung für die deutsche Staatsangehörigkeit bereit und berücksichtigt in einem historischen Kontext die besonderen Umstände der Nachkriegszeit. Die Bestimmung nimmt dabei insbesondere auf die Folgen des Zweiten Weltkriegs und der nationalsozialistischen Herrschaft Rücksicht, indem sie Personen deutscher Volkszugehörigkeit, die durch Flucht oder Vertreibung im Nachkriegsdeutschland Aufnahme gefunden haben, einen Status als „Deutscher“ zuspricht.

Der Zweck dieser Norm ist es, einen rechtlichen Rahmen für die Zugehörigkeit zur deutschen Staatsnation zu schaffen, indem sowohl die formale Staatsangehörigkeit als auch ein erweiterter „Status Deutscher“ aufgrund historischer und ethnischer Zugehörigkeit anerkannt wird. Dieser besondere Status dient dazu, das verfassungsrechtliche Gleichheitsgebot zu wahren und Menschen deutscher Volkszugehörigkeit, die durch historische Entwicklungen betroffen wurden, als Teil der deutschen Nation zu schützen.

1.2. Historischer Kontext

1.2.1. Ursprünge und Bedeutung der deutschen Staatsangehörigkeit

Die Definition des „Deutschen“ war in der deutschen Geschichte stets von großer Bedeutung und wurde durch die Wirren des Zweiten Weltkriegs und die Folgen der nationalsozialistischen Expansionspolitik nochmals verschärft. Das Deutsche Reich umfasste bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs ein größeres Gebiet als das heutige Bundesgebiet, und es existierte eine Vielzahl von deutschen Volksgruppen außerhalb der Reichsgrenzen, etwa in Ost- und Südosteuropa. Die Zuweisung eines verfassungsrechtlichen Status zu diesen Volksgruppen zielte darauf ab, eine Grundlage für ihren rechtlichen und sozialen Schutz im Nachkriegsdeutschland zu bieten.

1.2.2. Flucht und Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kam es zu massiven Vertreibungen und Umsiedlungen deutscher Volkszugehöriger aus den ehemaligen Ostgebieten des Deutschen Reiches sowie aus anderen europäischen Staaten. Dieser historisch einzigartige Vorgang führte dazu, dass Millionen Menschen ihre Heimat verloren und im nunmehr besetzten und verkleinerten Deutschland Zuflucht suchten. Der Verfassungsgeber trug dieser historischen Realität Rechnung und schuf mit Art. 116 Abs. 1 GG eine Grundlage für die Integration und rechtliche Anerkennung dieser Menschen als Deutsche, unabhängig von ihrer formalen Staatsangehörigkeit.

1.2.3. Normierung im Grundgesetz und verfassungsrechtliche Zielsetzung

Artikel 116 Abs. 1 GG wurde in das Grundgesetz aufgenommen, um eine Grundlage für die Wiedereingliederung der ausländischen deutschen Minderheiten zu schaffen, die aufgrund ihrer Herkunft und Kultur eine enge Bindung zum deutschen Staat und Volk aufwiesen. Der Verfassungsgeber stellte dabei klar, dass die Zugehörigkeit zur deutschen Nation nicht allein durch den Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit definiert wird, sondern auch durch die ethnische und kulturelle Identität als Deutscher. Diese Regelung war zudem notwendig, um den in Deutschland aufgenommenen Vertriebenen und Flüchtlingen den Zugang zu den Grundrechten zu sichern und ihnen eine staatsbürgerliche Gleichstellung zu gewähren.

1.3. Persönlicher Anwendungsbereich des Artikels 116 Abs. 1 GG

1.3.1. Formale deutsche Staatsangehörigkeit

Artikel 116 Abs. 1 GG definiert zunächst den „Deutschen“ durch die formale deutsche Staatsangehörigkeit. Wer im rechtlichen Sinne die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, ist nach dieser Vorschrift „Deutscher“ und genießt die Grundrechte und staatsbürgerlichen Rechte, die das Grundgesetz nur „Deutschen“ gewährt (z. B. das Recht auf freie Berufswahl nach Art. 12 Abs. 1 GG oder das Versammlungsrecht nach Art. 8 Abs. 1 GG). Die Regelung greift dabei auf das geltende Staatsangehörigkeitsrecht zurück, das durch Bundesgesetze, insbesondere das Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG), festgelegt ist.

1.3.2. Flüchtlinge und Vertriebene deutscher Volkszugehörigkeit

Neben Personen mit formaler deutscher Staatsangehörigkeit umfasst Art. 116 Abs. 1 GG auch Flüchtlinge und Vertriebene „deutscher Volkszugehörigkeit“. Der Begriff „deutscher Volkszugehöriger“ bezieht sich auf Personen, die sich aufgrund ihrer Sprache, Kultur und Identität zum deutschen Volk bekennen, auch wenn sie keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Der Verfassungsgeber wollte hierdurch sicherstellen, dass jene Personen, die durch die historische Entwicklung entwurzelt wurden, gleichwohl als Teil der deutschen Nation betrachtet und ihnen entsprechende Rechte gewährt werden.

Die Begriffe „Flüchtling“ und „Vertriebener“ sind im Bundesvertriebenengesetz (BVFG) näher definiert. Es handelt sich dabei um Personen, die aufgrund ethnischer oder politischer Verfolgung ihre Heimat verlassen mussten und in das Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 31. Dezember 1937 aufgenommen wurden.

1.3.3. Ehegatten und Abkömmlinge

Die Regelung des Art. 116 Abs. 1 GG erstreckt sich ebenfalls auf Ehegatten und Abkömmlinge (Kinder und Enkel) von Vertriebenen und Flüchtlingen deutscher Volkszugehörigkeit. Diese Bestimmung wurde aufgenommen, um den Familiennachzug zu erleichtern und die Einheit der Familie zu bewahren. Das Recht auf Anerkennung als „Deutscher“ ist damit auch für Ehepartner und Nachkommen von Volksdeutschen gegeben, die infolge der Vertreibungen ihre Heimat verloren haben und gemeinsam mit ihren Familienangehörigen in Deutschland Aufnahme fanden.

1.3.4. Territorialer Bezug: „Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937“

Art. 116 Abs. 1 GG nimmt ausdrücklich Bezug auf das „Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937“. Damit wird der räumliche Geltungsbereich dieser Bestimmung auf das historische Territorium des Deutschen Reiches vor Beginn des Zweiten Weltkriegs festgelegt. Der Verweis auf diesen Gebietsstand dient dazu, eine klare Abgrenzung zur NS-Zeit und den später annektierten Gebieten vorzunehmen und definiert den Bezugspunkt für die Aufnahme von Vertriebenen und Flüchtlingen.

1.4. Auslegung und verfassungsrechtliche Bedeutung des Artikels 116 Abs. 1 GG

1.4.1. Integration und Gleichstellung

Art. 116 Abs. 1 GG schafft eine rechtliche Grundlage zur Integration der Vertriebenen und Flüchtlinge in die deutsche Gesellschaft und stellt sie im verfassungsrechtlichen Sinne den Staatsangehörigen gleich. Der Artikel gewährt den betroffenen Personen einen Status als „Deutscher“ und sichert ihnen den Zugang zu den Grundrechten und den staatsbürgerlichen Rechten, die das Grundgesetz exklusiv für Deutsche vorsieht.

1.4.2. Verhältnis zum Staatsangehörigkeitsrecht

Art. 116 Abs. 1 GG ist eine eigenständige Definition des Begriffs „Deutscher“ und nicht deckungsgleich mit dem Staatsangehörigkeitsrecht. Während die formale Staatsangehörigkeit die Zugehörigkeit zur Bundesrepublik definiert, erweitert Art. 116 Abs. 1 GG den Status des „Deutschen“ auf bestimmte Personengruppen deutscher Volkszugehörigkeit ohne Staatsangehörigkeit.

1.4.3. Verfassungsrechtliche Gleichbehandlung und Schutzpflicht

Die Regelung des Art. 116 Abs. 1 GG sichert die Gleichbehandlung der betroffenen Volksdeutschen, um sie im Lichte des Art. 3 GG vor Diskriminierung zu schützen. Der Verfassungsgeber gewährleistet somit, dass alle deutschen Volkszugehörigen, die durch Flucht und Vertreibung nach Deutschland kamen, gleiche Rechte genießen und nicht aufgrund ihrer staatsrechtlichen Vergangenheit benachteiligt werden.

1.4.4. Völkerrechtliche und europäische Implikationen

Die Anerkennung von Vertriebenen und Flüchtlingen als Deutsche im Sinne des Grundgesetzes hat auch völkerrechtliche und europarechtliche Implikationen. Durch den besonderen Status dieser Personen besteht eine Bindung zur deutschen Nation, die unter Umständen Auswirkungen auf Aufenthalts- und Einbürgerungsfragen im europäischen Kontext haben kann.

2. Absatz 2

„Frühere deutsche Staatsangehörige, denen zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden ist, und ihre Abkömmlinge sind auf Antrag wieder einzubürgern. Sie gelten als nicht ausgebürgert, sofern sie nach dem 8. Mai 1945 ihren Wohnsitz in Deutschland genommen haben und nicht einen entgegengesetzten Willen zum Ausdruck gebracht haben.“

2.1. Einführung

Artikel 116 Abs. 2 GG hat eine besondere historische Bedeutung. Diese Regelung wurde in das Grundgesetz aufgenommen, um Wiedergutmachung für das Unrecht zu leisten, das während der Zeit des Nationalsozialismus zwischen dem 30. Januar 1933 (dem Tag der Machtübernahme Hitlers) und dem 8. Mai 1945 (dem Tag der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht) an bestimmten Bevölkerungsgruppen verübt wurde. Insbesondere dient der Artikel dazu, ehemaligen deutschen Staatsangehörigen, die ihre Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen verloren haben, eine rechtliche Grundlage zur Rückgewinnung dieser Staatsangehörigkeit zu bieten. Durch die Aufnahme dieser Norm ins Grundgesetz setzte die Bundesrepublik Deutschland ein starkes Signal, dass sie die von der nationalsozialistischen Diktatur verursachten Ungerechtigkeiten aktiv bekämpfen und wiedergutmachen will. Diese Vorschrift hat nicht nur eine historische, sondern auch eine identitätsstiftende Bedeutung für die Bundesrepublik, indem sie das Grundverständnis der Bundesrepublik als Rechtsstaat und als Gesellschaft der Wiedergutmachung unterstreicht.

2.2. Historischer Kontext

2.2.1. Verlust der Staatsangehörigkeit unter dem Nationalsozialismus

Während der nationalsozialistischen Herrschaft wurde einer Vielzahl von Menschen aus verschiedenen Gründen die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen. Besonders betroffen waren jüdische Deutsche, denen ab 1935 durch das „Gesetz zur Regelung der Staatsangehörigkeit“ und das „Reichsbürgergesetz“ die Rechte als deutsche Staatsangehörige aberkannt wurden. Diese Gesetze waren Teil der rassistischen Ideologie des NS-Regimes und dienten der systematischen Entrechtung und Verfolgung jüdischer Deutscher sowie anderer Bevölkerungsgruppen, die aus politischen, religiösen oder rassischen Gründen als „unerwünscht“ galten. Der massenhafte Entzug der Staatsangehörigkeit stellte einen schweren Eingriff in die Rechte der betroffenen Personen dar und führte dazu, dass viele von ihnen staatenlos wurden.

2.2.2. Verfassungsrechtliche Einordnung und Zielsetzung bei der Schaffung des Grundgesetzes

Der Verfassungsgeber des Grundgesetzes erkannte nach dem Zweiten Weltkrieg die Notwendigkeit, die Unrechtsakte des nationalsozialistischen Regimes rückgängig zu machen. Art. 116 Abs. 2 GG wurde mit dem Ziel eingeführt, diesen früheren deutschen Staatsangehörigen eine Rückkehr in die deutsche Staatsangehörigkeit zu ermöglichen und ihre staatsbürgerlichen Rechte wiederherzustellen. Die Regelung repräsentiert eine Form der Restitution und symbolisiert das Bekenntnis der neuen deutschen Demokratie zur historischen Verantwortung. Darüber hinaus sollte Art. 116 Abs. 2 GG eine rechtliche Grundlage bieten, um Abkömmlinge der Betroffenen ebenfalls einzubeziehen und diesen Personenkreis vor Diskriminierung zu schützen.

2.2.3. Internationale und völkerrechtliche Dimension

Die Regelung in Art. 116 Abs. 2 GG steht auch im Kontext der internationalen Bestrebungen zur Wiedergutmachung und zur Rehabilitierung der Opfer des Nationalsozialismus. Insbesondere nach den Nürnberger Prozessen und der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen 1948 entwickelte sich ein völkerrechtliches Bewusstsein für die Notwendigkeit der Entschädigung und Restitution. Artikel 116 Abs. 2 GG reflektiert dieses völkerrechtliche Verantwortungsbewusstsein und betont die Rolle der Bundesrepublik Deutschland als Rechtsstaat.

2.3. Struktur und Inhalt des Artikels 116 Abs. 2 GG

2.3.1. Persönlicher Anwendungsbereich: „Frühere deutsche Staatsangehörige“

Der Anwendungsbereich der Norm erstreckt sich auf „frühere deutsche Staatsangehörige“. Damit ist der Personenkreis definiert, der ursprünglich die deutsche Staatsangehörigkeit besaß, diese jedoch in der Zeit des Nationalsozialismus durch staatlichen Zwang und Willkür verloren hat. Die Norm schließt ausdrücklich nur jene ein, deren Verlust der Staatsangehörigkeit in der Zeitspanne vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 erfolgte. Andere Entziehungen der Staatsangehörigkeit, die außerhalb dieses Zeitraums stattfanden, fallen nicht in den Anwendungsbereich dieser Regelung.

2.3.2. Gründe für den Verlust der Staatsangehörigkeit

Art. 116 Abs. 2 GG spezifiziert, dass die Entziehung der Staatsangehörigkeit „aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen“ erfolgt sein muss. Diese Kategorien entsprechen den typischen Diskriminierungsmerkmalen, die das NS-Regime zur Verfolgung und Entrechtung nutzte:

  • Politische Gründe: Betroffen waren beispielsweise Regimekritiker und Personen, die im Ausland gegen das NS-Regime tätig waren. Dazu zählten insbesondere Exilanten und Widerstandskämpfer.
  • Rassische Gründe: Besonders jüdische Deutsche wurden wegen ihrer „rassischen Zugehörigkeit“ entrechtet. Der „rassische“ Entzug der Staatsangehörigkeit basierte auf der rassistischen Ideologie des Regimes.
  • Religiöse Gründe: Menschen, die aufgrund ihrer Religion verfolgt wurden, etwa jüdische und christliche Minderheiten, die mit dem NS-Regime im Konflikt standen, verloren ebenfalls ihre Rechte.

2.3.3. Wiedereinbürgerung auf Antrag

Artikel 116 Abs. 2 GG sieht vor, dass Betroffene „auf Antrag“ wieder eingebürgert werden können. Das Erfordernis eines Antrags dient als formales Element, das sicherstellt, dass die Wiedereinbürgerung den aktiven Wunsch der betroffenen Person voraussetzt. Dies trägt der Möglichkeit Rechnung, dass einige der ehemals Ausgebürgerten die deutsche Staatsangehörigkeit nicht wiedererlangen wollen, insbesondere falls sie inzwischen eine andere Staatsangehörigkeit angenommen haben.

2.3.4. Erweiterung des Anwendungsbereichs auf Abkömmlinge

Neben den direkt Betroffenen erstreckt sich die Regelung auch auf deren „Abkömmlinge“. Die Einbeziehung von Abkömmlingen trägt dem Umstand Rechnung, dass die Auswirkungen der Ausbürgerung oft auf die nächste Generation übergingen. Durch die Einbeziehung der Nachkommen wird vermieden, dass die Nachkommen der verfolgten Deutschen weiterhin unter den Folgen der NS-Politik leiden. Die Norm dient damit auch der Förderung der Familienzusammenführung und des Schutzes der familiären Bindungen.

2.3.5. Nicht-Ausbürgerung für Personen mit Wohnsitz in Deutschland nach dem 8. Mai 1945

Der zweite Satz des Art. 116 Abs. 2 GG sieht vor, dass Personen, die nach dem 8. Mai 1945 ihren Wohnsitz in Deutschland genommen haben, „als nicht ausgebürgert“ gelten, sofern sie keinen entgegengesetzten Willen geäußert haben. Diese Fiktion der Nicht-Ausbürgerung bedeutet, dass die betroffenen Personen so behandelt werden, als hätten sie ihre Staatsangehörigkeit niemals verloren. Der Zweck dieser Regelung ist es, den bürokratischen Aufwand der Wiedereinbürgerung zu reduzieren und den Wiedereingliederungsprozess zu erleichtern. Eine ausdrückliche Antragstellung ist in diesen Fällen nicht erforderlich, solange kein gegenteiliger Wille geäußert wird.

2.3.6. Gegenteiliger Wille

Die Formulierung „sofern sie ... nicht einen entgegengesetzten Willen zum Ausdruck gebracht haben“ stellt sicher, dass die Fiktion der Nicht-Ausbürgerung nur dann greift, wenn die betroffene Person tatsächlich daran interessiert ist, als deutscher Staatsangehöriger anerkannt zu werden. Sollte eine betroffene Person ihren Wunsch zum Ausdruck bringen, die deutsche Staatsangehörigkeit nicht zurückzuerhalten, so wird dieser Wille respektiert. Diese Regelung vermeidet die zwangsweise Auferlegung der Staatsangehörigkeit und stellt sicher, dass die Entscheidung im Sinne der freien Selbstbestimmung der Betroffenen getroffen wird.

2.4. Verfassungsrechtliche und praktische Bedeutung

2.4.1. Restitution und Wiedergutmachung

Art. 116 Abs. 2 GG ist ein zentraler Bestandteil der verfassungsrechtlichen Wiedergutmachung für das Unrecht des NS-Regimes. Die Norm stellt eine Brücke zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit dar und drückt die Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland für die historischen Opfer des NS-Regimes aus.

2.4.2. Völkerrechtlicher Kontext

Die Regelung ist auch im Lichte des Völkerrechts zu betrachten, insbesondere im Hinblick auf den Schutz vor Staatenlosigkeit und das Recht auf Rückkehr für Opfer von Verfolgung. Der Verfassungsgeber setzte hiermit ein Zeichen der Solidarität mit den internationalen Opfern des Nationalsozialismus und sicherte ihnen ein Recht auf Wiederaufnahme in die deutsche Staatsgemeinschaft zu.

2.4.3. Stärkung des Rechtsstaats

Artikel 116 Abs. 2 GG reflektiert das deutsche Staatsverständnis als demokratischen Rechtsstaat, der aus der Geschichte lernt und versucht, die Folgen historischer Unrechtstaten durch rechtliche Mechanismen zu kompensieren. Die Norm verdeutlicht das Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland als Gesellschaft, die sich von der Unrechtsherrschaft des Nationalsozialismus abgrenzt und sich aktiv für die Beseitigung der Folgen dieser Verfolgung einsetzt.

2.4.4. Aktuelle Herausforderungen und Rechtsfragen

In der Praxis werfen die Regelungen des Art. 116 Abs. 2 GG vereinzelt auch Fragen auf, insbesondere hinsichtlich der genauen Definition von „Abkömmlingen“ und der Problematik mehrfacher Staatsangehörigkeiten. Die zunehmende Migration und Globalisierung hat die Frage aufgeworfen, wie weit der Begriff des „Abkömmlings“ gefasst werden kann und ob entfernte Nachkommen ebenfalls unter diese Regelung fallen. Des Weiteren ergibt sich in Einzelfällen die Problematik der doppelten Staatsangehörigkeit, die durch die Wiedereinbürgerung entstehen kann, da die Regelung des Art. 116 Abs. 2 GG von der Pflicht zur Aufgabe anderer Staatsangehörigkeiten absieht.