Wissen Sie mehr? Als Co-Autor bearbeiten oder als Leser kommentieren. Mehr erfahren...

Art. 36 GG - Bundesbeamte (Kommentar)

(1) ¹Bei den obersten Bundesbehörden sind Beamte aus allen Ländern in angemessenem Verhältnis zu verwenden. ²Die bei den übrigen Bundesbehörden beschäftigten Personen sollen in der Regel aus dem Lande genommen werden, in dem sie tätig sind.

(2) Die Wehrgesetze haben auch die Gliederung des Bundes in Länder und ihre besonderen landsmannschaftlichen Verhältnisse zu berücksichtigen.

1. Allgemeines

Artikel 36 des Grundgesetzes (GG) behandelt die verfassungsrechtlichen Regelungen zur personellen Besetzung und Organisation der Bundesbehörden, insbesondere im Hinblick auf die föderale Balance zwischen Bund und Ländern. Er ist ein zentraler Bestandteil der Verfassung, der sicherstellen soll, dass die föderale Struktur der Bundesrepublik Deutschland auch in der Praxis bei der Besetzung von Stellen in den Bundesbehörden Berücksichtigung findet. Die Vorschrift konkretisiert das Prinzip der bundesstaatlichen Organisation und leistet einen wesentlichen Beitrag zur regionalen Ausgewogenheit im föderalen System.

2. Absatz 1 Satz 1: Repräsentative Zusammensetzung der obersten Bundesbehörden

„Bei den obersten Bundesbehörden sind Beamte aus allen Ländern in angemessenem Verhältnis zu verwenden.“

2.1. Normzweck und Funktion

Absatz 1 des Art. 36 GG formuliert das Prinzip der repräsentativen Zusammensetzung der obersten Bundesbehörden, welches die föderale Integration und Partizipation innerhalb der Bundesverwaltung sicherstellen soll. Ziel ist es, eine ausgewogene Vertretung der Beamten aus allen Bundesländern zu erreichen, um so das föderale Gleichgewicht auch auf der personellen Ebene der Verwaltung zu wahren und die Identifikation aller Bundesländer mit den Bundesbehörden zu fördern.

2.2. Begriffsklärung: „Oberste Bundesbehörden“

Der Begriff „oberste Bundesbehörden“ umfasst gemäß der gängigen Rechtsauffassung die Verfassungsorgane der Exekutive, insbesondere das Bundeskanzleramt, die Bundesministerien und gegebenenfalls auch die obersten Bundesgerichte in ihrer Verwaltungsfunktion. Diese Behörden sind für die Umsetzung der Politik des Bundes verantwortlich und spielen eine zentrale Rolle in der Entscheidungsfindung auf Bundesebene.

2.3. „Angemessenes Verhältnis“: Interpretation und praktische Umsetzung

Das „angemessene Verhältnis“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der im konkreten Fall durch den Gesetzgeber und die Verwaltung zu konkretisieren ist. Es geht um eine sinnvolle Verteilung, die sowohl die Einwohnerzahlen der Länder als auch deren Verwaltungsbedarf berücksichtigt. Dies bedeutet nicht zwingend eine strikte proportionale Vertretung, sondern es können auch andere Kriterien wie Fachkompetenz, Erfahrungen und die besondere Eignung der Beamten berücksichtigt werden.

2.4. Verfassungsrechtliche Bedeutung und Kontrolle

Die Regelung in Art. 36 Abs. 1 GG ist als verfassungsrechtliche Verpflichtung des Bundes zu verstehen, die nicht lediglich programmatischen Charakter hat, sondern eine verbindliche Handlungsanweisung darstellt. Eine Nichtbeachtung kann im Einzelfall eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung darstellen und damit gerichtlich überprüfbar sein. Die Maßstäbe für diese Kontrolle ergeben sich aus den allgemeinen Gleichheitsgrundsätzen, die das Grundgesetz in Art. 3 GG niedergelegt hat.

3. Absatz 1 Satz 2: Personalwahl bei den übrigen Bundesbehörden

„Die bei den übrigen Bundesbehörden beschäftigten Personen sollen in der Regel aus dem Lande genommen werden, in dem sie tätig sind.“

3.1. Regelungsinhalt und Zweck

Absatz 1 Satz 2 regelt die Personalwahl für die „übrigen Bundesbehörden“, d. h. solche, die nicht zu den obersten Bundesbehörden zählen. Hierbei wird festgelegt, dass Beamte in der Regel aus denjenigen Ländern kommen sollen, in denen sie eingesetzt werden. Ziel dieser Regelung ist es, die lokale Verbundenheit und Kenntnis der regionalen Verhältnisse zu nutzen und die Effizienz der Verwaltung zu steigern.

3.2. „In der Regel“: Ausnahmen und Flexibilität

Die Formulierung „in der Regel“ zeigt, dass es sich hierbei nicht um eine starre Vorschrift handelt, sondern Raum für Ausnahmen besteht. Diese können dann gegeben sein, wenn besondere Anforderungen an die Qualifikation oder das Spezialwissen der Beamten gestellt werden, die im jeweiligen Land nicht vorhanden sind. Ebenso können sicherheitspolitische Erwägungen oder die Notwendigkeit zur Umsetzung bundesweiter Verwaltungsvorgaben solche Ausnahmen rechtfertigen.

3.3. Verhältnis zu Artikel 28 und 30 GG

Art. 36 Abs. 3 GG steht in engem Zusammenhang mit den Regelungen in Art. 28 und 30 GG, die die verfassungsmäßige Eigenstaatlichkeit der Länder und die ihnen zugewiesenen Kompetenzen und Aufgaben betreffen. Die Regelung in Art. 36 Abs. 3 trägt der föderalen Struktur Rechnung, indem sie eine Art „Dezentralisierungsprinzip“ für die Bundesverwaltung implementiert, ohne jedoch die bundesstaatliche Integrität zu untergraben.

3.4. Rechtliche Implikationen und Verwaltungspraxis

Für die Verwaltungspraxis bedeutet dies, dass bei der Auswahl von Beamten nicht nur deren Qualifikation und Eignung, sondern auch der Herkunftsaspekt eine Rolle spielt. Dies kann gerade in Bereichen von Bedeutung sein, die eng mit den regionalen Besonderheiten verknüpft sind, wie z. B. die Kulturverwaltung, die Polizeiarbeit oder der Katastrophenschutz. Auch hier ist die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und des allgemeinen Gleichheitssatzes von Art. 3 GG erforderlich.

4. Absatz 2: Berücksichtigung föderaler und landsmannschaftlicher Verhältnisse bei der Ausführung von Wehrgesetzen

„Die Wehrgesetze haben auch die Gliederung des Bundes in Länder und ihre besonderen landsmannschaftlichen Verhältnisse zu berücksichtigen.“

4.1. Kontext und Bedeutung

Der Absatz 2 des Art. 36 GG betont die föderale Struktur der Bundesrepublik und gewährleistet, dass bei der Gestaltung und Umsetzung der Wehrgesetze, welche die Organisation, den Aufbau und die Aufgaben der Streitkräfte regeln, die Gliederung des Bundes in Länder sowie die speziellen landsmannschaftlichen Gegebenheiten dieser Länder berücksichtigt werden müssen. Diese Norm steht im Zusammenhang mit dem Grundsatz des Föderalismus, der eine wesentliche Struktur des Grundgesetzes bildet und eine Ausprägung der föderativen Gleichberechtigung darstellt.

4.2. Zielsetzung der Regelung

Die Norm des Art. 36 Abs. 2 GG verfolgt mehrere Ziele:

4.2.1. Wahrung des föderalen Gleichgewichts

Die Vorschrift stellt sicher, dass die zentralstaatliche Kompetenz im Bereich der Verteidigung nicht die föderalen Strukturen der Bundesrepublik untergräbt. Die Wehrgesetze, als Ausdruck der wehrverfassungsrechtlichen Ordnung, sollen demnach so ausgestaltet werden, dass die bundesstaatliche Struktur geachtet wird.

4.2.2. Berücksichtigung regionaler Besonderheiten

Der Begriff „besondere landsmannschaftliche Verhältnisse“ verweist auf die kulturellen, historischen, wirtschaftlichen und geografischen Besonderheiten der Länder. Der Gesetzgeber soll somit verhindern, dass Wehrgesetze in einer Weise erlassen oder umgesetzt werden, die diesen Besonderheiten zuwiderlaufen.

4.2.3. Förderung der regionalen Verbundenheit

Die Regelung kann auch als Anreiz verstanden werden, dass die Bundeswehr und andere verteidigungsbezogene Institutionen ihre Struktur und Aufstellung so gestalten, dass sie in den jeweiligen Regionen integriert sind und eine gewisse „landsmannschaftliche Identität“ erhalten bleibt.

4.3. Inhaltliche Anforderungen an die Wehrgesetze

Die Bestimmung des Art. 36 Abs. 2 GG richtet sich in erster Linie an den Bundesgesetzgeber, der beim Erlass von Wehrgesetzen den föderalen Aufbau Deutschlands und die regionalen Eigenheiten berücksichtigen muss. Die Wehrgesetze umfassen dabei sämtliche gesetzlichen Regelungen, die die Verteidigungsorganisation und die Wehrverfassung betreffen, einschließlich der Gesetze über die Dienstpflichten der Soldaten, die Einberufung und die Aussetzung der Wehrpflicht.

4.3.1. Berücksichtigung der Länderstruktur

Die Wehrgesetze müssen sicherstellen, dass in ihrer Umsetzung und Durchführung die Gliederung des Bundes in Länder respektiert wird. Dies betrifft vor allem die Verteilung und den Einsatz von Bundeswehrdienststellen und die Organisation von Truppenverbänden, die möglichst keine einseitige Schwerpunktbildung in bestimmten Ländern fördern sollte.

4.3.2. Anerkennung landsmannschaftlicher Verhältnisse

In der Praxis bedeutet dies, dass der Gesetzgeber etwaige besondere sprachliche, kulturelle oder soziale Strukturen innerhalb eines Landes bei der Ausgestaltung von Wehrgesetzen nicht unbeachtet lassen darf. Ein Beispiel könnte die Aufstellung von Truppenverbänden sein, die an die historischen Miliztraditionen bestimmter Regionen anknüpfen, um so das landsmannschaftliche Bewusstsein zu fördern und die Akzeptanz der Bundeswehr in der Bevölkerung zu stärken.

4.4. Rechtliche Bindungswirkung und Kontrolle

Art. 36 Abs. 2 GG enthält eine gesetzgeberische Leitlinie, die jedoch nicht justiziabel ist. Sie entfaltet in erster Linie eine politisch-programmatische Bindung und stellt einen „föderalen Auftrag“ an den Bundesgesetzgeber dar, ohne dass sich daraus unmittelbar einklagbare Rechte für die Länder ergeben würden. Die verfassungsrechtliche Kontrolle erfolgt primär über den politischen Prozess im Bundesrat, in dem die Länder selbst vertreten sind und damit Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen können.

4.5. Verhältnis zu anderen Verfassungsnormen

Art. 36 Abs. 2 GG steht in engem Zusammenhang mit anderen Normen des Grundgesetzes, die die föderale Struktur und die militärische Organisation betreffen:

4.5.1. Art. 70 ff. GG (Kompetenzverteilung)

Diese Artikel regeln die allgemeine Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern. Auch wenn die Gesetzgebungskompetenz für die Verteidigung eindeutig beim Bund liegt, müssen die Länder an der Umsetzung beteiligt werden.

4.5.2. Art. 87a GG (Verteidigungsfall und Streitkräfte)

Diese Norm legt die rechtlichen Grundlagen für die Aufstellung und den Einsatz der Streitkräfte fest. Art. 36 Abs. 2 GG ergänzt dies durch die Forderung, dass die militärische Organisation die föderale Struktur berücksichtigt.

4.5.3. Art. 91 GG (Innerer Notstand)

Bei besonderen Gefährdungslagen im Inneren kann der Bund zur Unterstützung der Länder tätig werden. Auch in solchen Fällen wäre eine Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verhältnisse nach Art. 36 Abs. 2 GG geboten, um eine Zusammenarbeit im Geiste des Föderalismus zu gewährleisten.