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Art. 3 GG - Gleichheit vor dem Gesetz (Kommentar)

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) ¹Männer und Frauen sind gleichberechtigt. ²Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) ¹Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. ²Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

1. Einführung

1.1. Allgemeines

Zur Systematik der Gleichheitsrechte: Art. 3 Abs. 1 GG legt das allgemeine Gleichheitsgrundrecht fest. Daneben gibt es im Grundgesetz aber noch die speziellen Gleichheitsgrundrechte, die nicht nur in Art. 3 Abs. 2, Abs. 3 GG enthalten sind, sondern auch in Art. 6 Abs. 5 GG, Art. 33 Abs. 1 bis Abs. 3 GG und Art. 38 Abs. 1, Abs. 2 GG.

Auf Europäischer Ebene wird der allgemeine Gleichheitsgrundsatz in Art. 3 Abs. 1 GG sowie die speziellen Gleichheitsgrundrechte, ergänzt durch Art. 20 ff. GRCh und Art. 14 EMRK. Bemerkenswert ist, dass die EU-GRCh zur Gleichheit einen eigenen Titel enthält. Jedoch sind auch die europäischen Grundfreiheiten (Art. 18 ff., Art. 28 ff., 34 ff., Art. 45 ff., Art. 49 ff, Art. 56 ff., Art. 63 ff. AEUV) allesamt und unabhängig von deren überragender wirtschaftlicher Bedeutung auf die Abschaffung von Diskriminierungen ausgelegt.
Art. 14 EMRK selbst enthält kein allgemeines Gleichheitsgrundrecht. „Insoweit gelten die Diskriminierungsverbote nur i. R. d. Schutzbereichs eines anderen Menschenrechts der Art. 2 ff. EMRK. Dieses Manko wurde durch Art. 1 des 12. Zusatzprotokolls zur EMRK beseitigt.“.1

1.2. Kernaussagen

Gleiches muss grundsätzlich gleich und Ungleiches muss grundsätzlich ungleich behandelt werden. Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht nur vom formellen Gesetzgeber, sondern auch von der Exekutive und Judikative zu beachten.“.2 Hieraus ergeben sich z. B. weitere Konsequenzen für das Prozess- oder allgemeine Verwaltungsrecht. „Art. 3 Abs. 1 GG enthält demgegenüber keinen Verfassungsauftrag zur Herstellung tatsächlicher Gleichheit unter den Menschen.“.3

„Als Rechtsprinzip meint der Gleichheitssatz in der Regel nicht Gleichmacherei, sondern Rechtsgleichheit. Rechtliche Gleichbehandlung, verstanden als Diskriminierungsverbot ist die Grundidee des allgemeinen Gleichheitssatzes. Die Rechtsgleichheit fordert indessen vielfach Ungleichbehandlungen, um jedenfalls eine Chancengleichheit herzustellen. Der Gleichheitsgrundsatz muss daher Gestaltungsmöglichkeiten offenlassen, die nicht unbeschränkt bestehen können.“.4

Gleichheitsrechte zielen darauf ab, ein relatives Verhalten der öffentlichen Hand zu garantieren. „Die öffentliche Gewalt soll sich in bestimmten Fällen nicht anders verhalten, als sie sich in gleichgelagerten Fällen verhalten hat. Wenn sie sich in bestimmten Fällen anders verhält, darf sie dies nicht ohne sachlichen Grund. Sie muss hierbei zulässige Differenzierungskriterien anwenden oder eine ausreichende Legitimation der Ungleichbehandlung vorweisen. Bei den Gleichheitsrechten dominiert somit die Gleichbehandlungs- bzw. Nichtdiskriminierungsfunktion.“.5

„Über das allgemeine Gleichbehandlungsgebot hinaus kann Art. 3 Abs. 1 GG auch einen spezifischen Anspruch auf Leistung gewähren […]. Dazu wird Art. 3 Abs. 1 GG mit besonderen Freiheitsgrundrechten (insb. Mit der Ausbildungs- und Berufswahlfreiheit, Art. 12 […]) kombiniert. Das Ergebnis ist ein Recht auf Teilhabe an bestehenden staatlichen Leistungen und damit ein Anspruch auf gleichheitsgerechte Zulassung dazu […]. Allerdings besteht grds. Kein Anspruch des Einzelnen darauf, dass der Staat Leistungen in einem Umfang schafft, der der jeweiligen Nachfrage gerecht wird. Das Recht auf chancengleichen Zugang zu staatlichen Leistungen besteht mithin nur in dem Rahmen, in dem der Staat entsprechende Angebote tatsächlich zur Verfügung stellt (vgl. BVerfGE 147, 253 [305 ff. Rn. 103 ff.]). Daher wird insoweit von „derivativen“ (d. h. aus den vorhandenen Kapazitäten abgeleiteten) Leistungsansprüchen gesprochen […]. Solche derivaten Ansprüche stehen im Übrigen nur demjenigen zu, der die subjektiven Zulassungsvoraussetzungen erfüllt.“.6

1.3. Verfahrens- und Allgemeines Verwaltungsrecht

Das Verfahrensrecht und Verwaltungsverfahren (§ 9 LVwVfG) werden sehr stark durch den allgemeinen Gleichheitssatz geprägt. So determiniert das allgemeine Gleichheitsgrundrecht in Art. 3 Abs. 1 GG beispielsweise die folgenden Verfahrensgrundsätze (im Verwaltungsverfahren):

  • Gebot der materiellen Gerechtigkeit und parallel dazu das Gebot des fairen Verfahrens,7
  • eine über einen längeren Zeitraum dauernde Verwaltungspraxis kann im Ergebnis zu einer Selbstbindung der Verwaltung führen, die gleich gelagerte Sachverhalte auch gleich behandeln muss, soweit nicht besondere Umstände eine Änderung mit Wirkung für die Zukunft gestatten.8

1.4. Historisches und rechtliche Randbereiche

Gleichheit ist einer der Tragpfeiler der Demokratie. So herrschte bereits im antiken Griechenland die Rechtsgleichheit aller und die Ablehnung jeder Willkürherrschaft. Das heißt also darüber hinaus auch, „[d]ie Interpretation des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) ist in besonderem Maße von ethischen und sozialphilosophischen Vorgängen abhängig.“.9 Die Weimarer Reichsverfassung enthielt in Art. 109 Abs. 1 WRV den allgemeinen Gleichheitssatz an der Spitze der Grundrecht, welcher damals noch wie folgt formuliert war: „Alle Deutschen sind vor dem Gesetze gleich.“.

Auch die Verfassung des Freistaates Bayern, welche etwas älter ist als das Grundgesetz, formuliert den allgemeinen Gleichheitssatz in Art. 118 Abs. 1 BV etwas anders: „Vor dem Gesetz sind alle gleich. Die Gesetze verpflichten jeden in gleicher Weise und jeder genießt auf gleiche Weise den Schutz der Gesetze.“. Trotz der unterschiedlichen Formulierung entspricht dieser Gleichheitsatz demjenigen in Art. 3 Abs. 1 durch die Anwendung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs im Wesentlichen.10

Auch das Kirchenrecht kennt bestimmte Formen des Gleichheitsgrundsatzes. So findet sich beispielsweise im katholischen Kirchenrecht, in can. 208 des codex iuris canonici das Folgende: „Unter allen Gläubigen besteht, und zwar aufgrund ihrer Wiedergeburt in Christus, eine wahre Gleichheit in ihrer Würde und Tätigkeit, kraft der alle je nach ihrer eigenen Stellung und Aufgabe am Aufbau des Leibes Christi mitwirken.“. Bemerkenswert an jener Formulierung ist auch deren relative Natur.

2. Allgemeiner Gleichheitssatz (Abs. 1)

2.1. Allgemeines

Der allgemeine Gleichheitssatz verlangt die Gleichbehandlung aller Menschen vor dem Gesetz. Er gilt für das Handeln Staates gegenüber den Bürgern. Hierbei sind zwei unterschiedliche Perspektiven zu beachten: Art. 3 Abs. 1 GG erfasst sowohl die Rechtsanwendungsgleichheit (Gleichheit vor dem Gesetz), als auch die Rechtssetzungsgleichheit (Gleichheit des Gesetzes).11 Er gilt außerdem auch unter Bürgern, also z. B. im Zivil- oder Zivilprozessrecht, sodass er unabhängig vom Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und den speziellen Gleichheitsrechten bereichsspezifisch anzuwenden ist.12 Mit anderen Worten: „Da Art. 3 Abs. 1 GG nicht konkret besagt, was der Gesetzgeber gleich behandeln muss, waren [und sind] Rechtsprechung und Wissenschaft zur inhaltlichen Bestimmung aufgerufen.“.13

Da die Vorschrift des Art. 3 Abs. 1 GG grundlose Ungleichbehandlungen verbietet, bedeutet dies gleichzeitig die Gültigkeit eines (staatlichen) Willkürverbots.14 Willkür liegt jedenfalls dann vor, wenn für die Ungleichbehandlung kein sachlicher Unterscheidungsgrund gegeben ist.15 Da es also bei dem allgemeinen Gleichheitssatz vor allem darauf ankommt, dass eine eventuelle Ungleichbehandlung verhältnismäßig behandelt wird,16 wirkt sich dies abweichend auf Prüfungsstruktur aus.17 „Zu prüfen ist nicht, ob ein ‚Eingriff‘ in eine vorgegebene Gleichheit vorliegt, sondern ob es bei der Rechtssetzung oder Rechtsanwendung zu Ungleichbehandlungen kommt und ob die Ungleichbehandlung verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist.“.18

2.2. Ungleichbehandlung als Schutzbereich

2.2.1. Persönlicher Schutzbereich

Grundrechtsträger ist jedermann. Art. 3 Abs. 1 GG ist ein Menschenrecht.19

Art. 3 Abs. 1 GG schützt über dessen Wortlaut hinaus aber nicht nur natürliche Personen, sondern auch (inländische) juristische Personen (Art. 19 Abs. 3 GG) und Personengesellschaften,20, soweit der allgemeine Gleichheitssatz seinem Wesen nach auf diese anwendbar ist. Das ist der Fall, wenn die juritische Person oder Personenvereinigung sich in einer "grundrechtstpyischen Gefährdungslage" befindet.21

Ausländische juristische Personen sollen sich nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 19 Abs. 3 GG nicht auf den allgemeinen Gleichheitssatz in Art. 3 Abs. 1 GG berufen können. Dies ist jedoch umstritten, es werden verschiedene Auffassungen hierzu vertreten:22

  • Ob dies mit dem überpositiven Rechtscharakter von Art. 3 Abs. 1 GG generell vereinbar ist, dass die Norm nur für inländische juristche Personen gilt, wird stark bezweifelt.
  • Es sollen sich zumindest auch juristische Personen aus EU-Mitgliedstaaten auf Art. 3 Abs. 1 GG berufen können. Insofern sei "inländisch" in Art. 19 Abs. 3 GG unionsrechtskonform auszulegen.
  • Die Erforderlichkeit dessen kann bezweifelt werden. Ausländische juristische Personen und Personengesellschaften können sich ohnehin, sofern Deutschland EU-Recht anwendet (Art. 51 Abs. 1 S. 1 HS. 2 GRCh), auf Art. 20 GRCh ff. berufen. Außerdem verfolgen juristische Personen und Personengesellschaften häufig primär wirtschaftliche Interessen, für die hauptsächlich die Grundfreiheiten in Art. 26 ff. AEUV gelten.

Art. 3 Abs. 1 GG erfasst hingegen grundsätzlich nicht auch juristische Personen des öffentlichen Rechts, öffentlich-rechtliche Anstalten und öffentlich-rechtliche Stiftungen. Ausnahmsweise ist jedoch aus Art. 3 Abs. 1 GG das Willkürverbot zu beachten, das für den Staat wegen des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG) allumfassend verbindlich gilt und ihn dazu verpflichtet, auch im Binnenbereich den allgemeinen Gleichheitssatz zu beachten.23 Im innerstaatlichen Breich kommt diesem Willkürverbot aber nicht der Charakter eines subjektiven Rechts zu.24

2.2.2. Sachlicher Schutzbereich

Der allgemeine Gleichheitssatz verbietet es, wesentlich Gleiches ohne sachlichen Grund ungleich oder wesentlich Ungleiches ohne sachlichen Grund gleich zu behandeln. Mit anderen Worten: Eine Beeinträchtigung des allgemeinen Gleichheitssatzes erfordert, dass eine Person oder Sache anders behandelt wird, als eine vergleichbare andere.25 Das bedeutet auch, der Anwendungs- oder sachliche Schutzbereich steht bei Art. 3 Abs. 1 GG von vorneherein nie fest, sondern ist variabel.26

Da vollständige Gleichheit niemals erreicht werden kann, bedeutet Gleichheit im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG keine Identität, sondern Vergleichbarkeit. Um Vergleichbarkeit herzustellen, bedarf es aus hoheitlicher Perspektive immer noch eines weiteren Bezugspunkts. Mit anderen Worten: „[F]ür den Anwendungsbereich des allgemeinen Gleichheitssatzes [ist] stets ein tripolares Verhältnis zwischen Grundrechtsträger, Grundrechtsadressaten und einem Dritten kennzeichnend.“.27 Ob und wann eine Vergleichbarkeit von Sachverhalten, Gruppen oder Personen gegeben ist, unterliegt wiederum der Bewertung des jeweils zuständigen Organs der Legislative, Exekutive oder Judikative, es handelt sich also um einen Akt wertender Betrachtung.28 Dies mag durchaus kritisch gesehen werden.

Um herauszufinden, ob Sachverhalte, Personen oder Gruppen vergleichbar behandelt werden, bedarf es der Ermittlung eines gemeinsamen Bezugspunktes, also die Bildung eines gemeinsamen Oberbegriffs oder übergeordneten Bezugspunkts, der auf beide Sachverhalte zutrifft. Der übergeordnete Bezugspunkt muss zu den staatlichen Maßnahmen jeweils wiederum Bezug aufweisen. Wichtig ist dabei, dass die beiden Sachverhalte, die miteinander verglichen werden sollen, abschließend erfasst sind, also dem gemeinsamen Oberbegriff keine weiteren Gruppen angehören.29 Auf diese Weise wird der sachliche Schutzbereich konstruiert.
Beispiel (nach BVerfGE 82, 126):
§ 622 Abs. 1 BGB a. F. enthielt die Bestimmung, dass Arbeitsverhältnisse von Angestellten mit einer Kündigungsfrist von sechs Wochen zum Schluss jedes Quartals gekündigt werden konnten. Arbeitsverhältnisse von Arbeitern konnten jedoch mit einer Kündigungsfrist von nur zwei Wochen zum Quartalsende gekündigt werden.
Der übergeordnete Bezugspunkt beider Sachverhalte ist hier die Kündigungsfrist. Im Hinblick auf die jeweils geltenden Kündigungsfristen werden die Gruppen „Angestellte“ und „Arbeiter“ ungleich behandelt, da die Fristen für Arbeiter kürzer sind als Angestellte.

Sofern eine legislative Ungleichbehandlung gerügt wird, gilt ein etwas anderer Prüfungsmaßstab, da dem Gesetzgeber ein weitreichenderer Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zugestanden wird. „Es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, welche Merkmale beim Vergleich von Lebenssachverhalten er als maßgebend ansieht, um sie im Recht gleich oder verschieden zu behandeln (vgl. BVerfGE 50, 57 [77]; stRspr). Art. 3 Abs. 1 GG verbietet es ihm aber, dabei Art und Ausmaß der tatsächlichen Unterschiede sachwidrig außer Acht zu lassen. Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn der Gesetzgeber es versäumt hat, Ungleichheiten der zu ordnenden Lebenssachverhalte zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, dass sie bei einer am Gerechtigkeitsdenken orientierten Betrachtungsweise beachtet werden müssen (vgl. BVerfGE 71, 255 [271]). Innerhalb dieser Grenzen ist der Gesetzgeber in seiner Entscheidung frei (vgl. BVerfGE 94, 241 [260]). Allerdings kann sich eine weiter gehende Einschränkung aus anderen Verfassungsnormen ergeben.“.30

2.2.3. Ungleichbehandlung von rechtlicher Relevanz

Der allgemeine Gleichheitssatz gilt nicht absolut, sondern erlaubt Eingriffe. Dass die Ungleichbehandlung zudem stets eine rechtliche Relevanz aufweisen muss, folgt aus dem Wortlaut "vor dem Gesetz".

Weiter kann eine Gleichbehandlung von verschiedenen Trägern öffentlicher Gewalt nicht beansprucht werden.31 Dass z. B. verschiedene Bundesländer oder Gemeinden auch unterschiedlich handeln und entscheiden können ist vielmehr gewollt.32 Müssten beispielsweise verschiedene Bundesländer oder Gemeinden jeweils gleich handeln, könnte das Bundesstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) unterlaufen werden oder die gemeindliche Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 Abs. 2 GG) wäre verletzt.33 Auch eine abweichende Auslegung von Rechtsnormen durch die Gerichte stellt grundsätzlich34 kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dar.35 "Art. 3 Abs. 1 GG enthält [auch] kein Gebot, ähnliche Sachverhalte in verschiedenen Ordnungsbereichen (zB Jagd- und Waffenrecht) mit unterschiedlichen systematischen und historischen Zusammenhängen gleich zu regeln.".36

Da Art. 3 Abs. 1 GG keinen Anspruch darauf begründet, beim Gesetzesvollzug Fehler zu wiederholen, folgt daraus, dass der Grundsatz keine Gleichheit im Unrecht ebenfalls ohne rechtliche Relevanz ist. Wollte man hieraus Ansprüche ableiten, stellte man das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) in Frage.

2.3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

„Im Grundsatz wird die Rechtfertigung von Ungleichbehandlung bzw. Gleichbehandlung so geprüft wie die Rechtfertigung von Eingriffen in Freiheitsgrundrechte [...]. Der allgemeine Gleichheitssatz enthält allerdings keinen geschriebenen Gesetzesvorbehalt [...]. Da Art. 3 Abs. 1 GG keinen festen Schutzbereich hat, ist die Frage, welche Schranken diesem gezogen sind, höchst umstritten.“.37 Im Kern ist die verfassungsrechtliche Rechtfertigung, ebenso wie der Schutzbereich des Art. 3 Abs. 1 GG, also auch wieder relativ zu beurteilen. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts differenziert jeweils nach der Intensität, mit welcher eine Ungleichbehandlung einen Betroffenen beeinträchtigt.38 Der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes kommt hierbei somit zentrale Bedeutung zu.

Ganz allgemein formuliert wächst die Intensität von Beeinträchtigung des allgemeinen Gleichheitssatzes,

  • je mehr das Kriterium der Ungleichbehandlung personen- und personengruppen und je weniger es sach- oder situationsbezogen ist,
  • je mehr das Kriterium der Ungleichbehandlung einem der nach Art. 3 Abs. 3 GG verbotenen Kriterien ähnelt,
  • je weniger der Betroffene das Kriterium der Ungleichbehandlung beeinflussen kann und
  • je mehr die Ungleichbehandlung den Gebrauch grundrechtlich geschützter Freiheiten erschwert.

Je nach Intensität wachen dann auch die Anforderungen an die verfassungsrechtliche Rechtfertigung.39

Bei Ungleichbehandlungen geringerer Intensität wendet das Bundesverfassungsgericht (nach wie vor) den allgemeinen Gleichheitssatz dergestalt an, dass die Ungleichbehandlung dem Willkürverbot standhalten muss (Willkürformel). Das ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits dann der Fall, wenn sich irgendein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung anführen lässt.40 Die Willkürformel hatte das Bundesverwaltungsgericht in einer von dessen ersten Entscheidungen entwickelt.41

Ungleichbehandlungen größerer Intensität begegnet die Rechtsprechung mit der sog. neuen Formel. Dies sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vor allem persönlichkeitsbezogene Ungleichbehandlungen ohne gewichtigen sachlichen Grund. Hier verlangt das Bundesverfassungsgericht eine (strenge) Verhältnismäßigkeitsprüfung und akzeptiert eine Ungleichbehandlung erst dann als durch einen gewichtigen sachlichen Grund gerechtfertigt, wenn sie

  • einen legitimen Zweck verfolgt,
  • zur Erreichung dieses Zwecks geeignet und notwendig ist und
  • auch sonst in angemessenem Verhältnis zum Wert des Zwecks steht.42

Das heißt, die Prüfungsintensität des Art. 3 Abs. 1 GG ist, wie erwähnt, auf der Ebene der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung ebenso relativ: Der Prüfungsmaßstab ist hierbei stufenlos gleitend und umso höher, je mehr an ein Differenzierungskriterium oder Merkmal angeknüpft wird, das statt Sachbezogenheit eben persönlichkeitsbezogen ist, mit anderen Worten und konkret: Also je weniger z. B. ein Mensch dies beeinflusssen kann.

Die sog. neue Formel wird kritisch gesehen: Es gibt Stimmen, die meinen, diese dürfe im Hinblick auf die Unterschiede zum Willkürverbot nicht überbewertet werden.43 Andere Stimmen meinen, dass auch mit der neuen Formel große Lücken zu den strengen Maßstäben verblieben, die Art. 3 Abs. 3 GG formuliert.44

Die jüngsten Tendenzen in der Rechtsprechung des Bundsverfassungsgerichts gehen von dem Folgenden aus:
„Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können (vgl. BVerfGE 117, 1 [30]; 122, 1 [23]; 126, 400 [416] m.w.N.). Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet nicht nur, dass die Ungleichbehandlung an ein der Art nach sachlich gerechtfertigtes Unterscheidungskriterium anknüpft, sondern verlangt auch für das Maß der Differenzierung einen inneren Zusammenhang zwischen den vorgefundenen Verschiedenheiten und der differenzierenden Regelung, der sich als sachlich vertretbarer Unterscheidungsgesichtspunkt von hinreichendem Gewicht erweist (vgl. BVerfGE 124, 199 [220]). Der Gleichheitssatz ist dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können (vgl. BVerfGE 55, 72 [88]; 88, 87 [97]; 93, 386 [397]; 99, 367 [389]; 105, 73 [110]; 107, 27 [46]; 110, 412 [432]).
Dabei gilt ein stufenloser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl. BVerfGE 75, 108 [157]; 93, 319 [348 f.]; 107, 27 [46]; 126, 400 [416] m.w.N.). Eine strengere Bindung des Gesetzgebers ist insbesondere anzunehmen, wenn die Differenzierung an Persönlichkeitsmerkmale anknüpft, wobei sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen umso mehr verschärfen, je weniger die Merkmale für den Einzelnen verfügbar sind (vgl. BVerfGE 88, 87 [96]) oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern (vgl. BVerfGE 124, 199 [220]). Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich auch aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben (vgl. BVerfGE 88, 87 [96]). Im Übrigen hängt das Maß der Bindung unter anderem davon ab, inwieweit die Betroffenen in der Lage sind, durch ihr Verhalten die Verwirklichung der Kriterien zu beeinflussen, nach denen unterschieden wird (vgl. BVerfGE 88, 87 [96]; 127, 263 [280]).“.45

Diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird auch als sog. neue Formel in neuem Gewand bezeichnet. Sie ist wichtig, da sie klarstellt, dass der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz als Grundrecht lückenlosen Schutz, wenn auch subsidiär, entfalten soll. Die zitierte Rechtsprechung unterstreicht ferner den relativen Charakter der Norm.

2.3.1. Perspektive der Legislative

Aufgabe des Gesetzgebers ist es, eine gleichheitsgerechte Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse mit Gesetzen herzustellen (Rechtssetzungsgleichheit). Tendenziell hat deshalb der Gesetzgeber bei dessen Entscheidungen nach umstrittener Ansicht einen etwas größeren Spielraum. Dies hängt mit dessen Einschätzungsprärogative zusammen. So entschied das Bundesverfassungsgericht: „Es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, welche Merkmale beim Vergleich von Lebenssachverhalten er als maßgebend ansieht, um sie im Recht gleich oder verschieden zu behandeln (vgl. BVerfGE 50, 57 [77]; stRspr).“.46

Die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers ist jedoch nicht grenzenlos. Das bedeutet, die vorgenannten herausgearbeiteten allgemeinen Grundsätze gelten nach wie vor. So entschied das Bundesverfassungsgericht weiter:
„Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können (vgl. BVerfGE 117, 1 [30]; 122, 1 [23]; 126, 400 [416]; 129, 49 [68]). Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben (vgl. BVerfGE 88, 87 [96]; 111, 176 [184]; 129, 49 [69]). Zudem verschärfen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind (vgl. BVerfGE 88, 87 [96]; 129, 49 [69]) oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern (vgl. BVerfGE 88, 87 [96]; 124, 199 [220]; 129, 49 [69]; 130, 240 [254]; 132, 179 [188 f. Rn. 31]).“.47

In der Gesamtschau lassen sich die beiden Entscheidungen jedoch dergestalt deuten, dass der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz wegen der Natur gesetzgeberischer Entscheidungen (abstrakt-generelle Regelungen) mit einem etwas gröberen Raster angewandt wird, als bei Entscheidungen der Exekutive oder Judikative.48 Mit anderen Worten: Dem Gesetzgeber ist es erlaubt, Typisierungen vorzunehmen, die aber im Falle weiterer Konkretisierungen folgerichtig sein müssen.49 Dass es eine gewisse gesetzgeberische Privilegierung gibt, kann auch Art. 20 Abs. 3 GG entnommen werden (str.)50.

Laut (verfassungsgerichtlicher) Rechtsprechung liegen beispielsweise lediglich sach-, situations- oder verhaltensbezogene Ungleichbehandlungen vor51:

  • bei Unterschieden zwischen verschiedenen Gerichtsbarkeiten,52
  • bei bloßen technischen Regeln ohne unmittelbaren Bezug zu Menschen,53
  • bei aus- oder verteilender Staatstätigkeit,54
  • bei wirtschaftslenkenden Regelungen,55
  • beim Besoldungsrecht,56
  • beim Sozialversicherungsrecht,57
  • bei der Vergabe öffentlicher Aufträge,58
  • bei Stichproben nach dem Zufallsprinzip,59
  • bei komplexen Materien und Zusammenhängen, mit denen der Gesetzgeber noch keine Erfahrung hat und diese erst sammeln muss,60
  • bei im Grundgesetz selbst angelegten Differenzierungen (z. B. zwischen Arbeitnehmern im öffentlichen Dienst und Beamten, s. Art. 33 Abs. 5 GG),61
  • sobald die Betroffenen die ungleichen Rechtsfolgen durch ihr eigenes Verhalten beeinflussen können.62

Laut (verfassungsgerichtlicher) Rechtsprechung liegen hingegen persönlichkeitsbezogene Ungleichbehandlungen mit einer höheren Prüfungsintensität vor63:

  • bei der Differenzierung nach den Merkmalen von Art. 3 Abs. 2, Abs. 3 GG,64
  • bei Unterschieden nach der sexuellen Ausrichtung,65
  • bei der unterschiedlichen Behandlung von Arbeitern und Angestellten,66
  • bei der unterschiedlichen Behandlung von Verheirateten und Geschiedenen,67
  • bei der Begünstigung von Angehörigen eines Bundeslandes,68
  • sobald und solange Personen durch ihr Verhalten die Unterscheidungsmerkmale nicht oder nur schwer beeinflussen können.69

2.3.2. Perspektive der Exekutive und Judikative

Aufgabe der Exekutive und Judikative ist es, die Gesetze gleichheitsgemäß anzuwenden (Rechtsanwendungsgleichheit).

Die Exekutive ist hauptsächlich zur gleichheitsgemäßen Rechtsanwendung aufgefordert, wenn es um Ermessensentscheidungen geht.70 Hierzu hat die Exekutive einerseits das ihr zustehende Ermessen pflichtgemäß auszuüben,71 andererseits ist sie beispielsweise auch zum Erlass und zur Anwendung von Verwaltungsvorschriften befugt und berufen, um eine Selbstbindung herbeizuführen.72 „Nach dem Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung darf die Verwaltung von einem selbst gesetzten Handlungsprogramm, das sie in einem Bereich gefasst hat, in dem ihr rechtlich Gestaltungsspielraum zusteht, nicht zu Lasten eines einzelnen abweichen, sofern kein atypischer Fall vorliegt oder sie das Handlungsprogramm generell umgestalten will. Ob der Fall atypisch liegt, entscheidet sich aus dem tragenden Gedanken heraus, der für die Regel maßgeblich war. Die Änderung des Handlungsprogrammes darf nicht willkürlich sein und muss zudem in sich rechtmäßig sein. Es darf aber auf einer geänderten Wertung beruhen, auch wenn die Umstände sich nicht geändert haben. War das ursprüngliche Handlungsprogramm aber offenbar geeignet und bestehen diesbezüglich beim künftigen Programm Zweifel, liegt die Annahme der Willkür nahe.“.73

Aus Perspektive der Judikative bedeutet der allgemeine Gleichheitssatz vor allem effektiven und gleichen Rechtsschutz sowie Rechtsanwendungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 19 Abs. 4 GG). Die Rechtsanwendungsgleichheit und der allgemeine Gleichheitssatz sind jedoch nicht bereits dann verletzt, wenn zwei unterschiedliche Gerichte bei vergleichbaren Sachverhalten zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.74 Es stellt auch keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dar, wenn Gerichte von einer früher vorherrschenden ständigen Rechtsprechung bei entsprechender Begründung abweichen.75 „Für eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG ist es vielmehr vonnöten, dass die Rechtsanwendung oder das Verfahren unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar sind und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruhen.“.76 Es handelt sich damit also um krasse Fehlentscheidungen.77

3. Gleichberechtigung von Mann und Frau (Abs. 2 und 3)

Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist ein spezieller Gleichheitssatz, der die Gleichstellung der Geschlechter in allen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens verlangt. Er gilt sowohl für das Handeln der öffentlichen Gewalt als auch für das Privatrecht. Er verbietet es, Personen wegen ihres Geschlechts zu benachteiligen oder zu bevorzugen. Er schützt nicht nur natürliche Personen, sondern auch juristische Personen und Personengesellschaften, soweit sie geschlechtsspezifische Merkmale aufweisen.

Die Gleichberechtigung von Mann und Frau besteht aus zwei Teilen:

  • dem Diskriminierungsverbot in Abs. 3 Satz 1: Das Diskriminierungsverbot verbietet jede unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung oder Bevorzugung von Personen wegen ihres Geschlechts ohne sachlichen Grund.
  • dem Fördergebot in Abs. 2 Satz 2: Das Fördergebot verpflichtet den Staat, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern und bestehende Nachteile zu beseitigen.

Die Intensität der verfassungsrechtlichen Prüfung richtet sich nach dem Maßstab der Verhältnismäßigkeit.

  1. Liegt eine Ungleichbehandlung von Personen wegen ihres Geschlechts vor? Dabei ist der Vergleichsmaßstab nach dem Zweck der Norm zu bestimmen.
  2. Besteht ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung?
  3. Ist die Ungleichbehandlung verhältnismäßig? Dabei ist wieder dien Erforderlichkeit, Geeignetheit und Angemessenheit zu prüfen. Insbesondere sind Maßnahmen zur Förderung der Gleichberechtigung nur zulässig, wenn sie zeitlich befristet und an konkrete Ziele gebunden sind.

4. Übrige spezielle Gleichheitssätze (Abs. 3)

Die übrigen speziellen Gleichheitssätze verbieten die Benachteiligung oder Bevorzugung von Personen wegen ihrer Abstammung, ihrer Rasse, ihrer Sprache, ihrer Heimat und Herkunft, ihres Glaubens, ihrer religiösen oder politischen Anschauungen oder ihrer Behinderung. Sie schützen nur natürliche Personen.

Die übrigen speziellen Gleichheitssätze sind strenger als der allgemeine Gleichheitssatz, da sie jede Ungleichbehandlung aus den genannten Gründen verbieten, ohne dass eine Rechtfertigung möglich ist. Sie dienen dem Schutz von Minderheiten und dem Abbau von Diskriminierung.

5. Rechtsfolgen

Kann ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG bejaht werden, ist die entsprechende Maßnahme rechtswidrig. Die weitere Folge hiervon ist regelmäßig zwar regelmäßig nicht die Nichtigkeit, aber die Unvereinbarkeit der hoheitlichen Maßnahme mit Art. 3 Abs. 1 GG. Dies liegt daran, dass Ungleichbehandlungen, anders als Eingriffe in Freiheitsgrundrechte, in unterschiedlicher Weise behoben werden können.78 Mit anderen Worten:
"Der Verstoß einer Norm gegen das Grundgesetz kann entweder zur Nichtigerklärung nach § 78 BVerfGG oder dazu führen, dass das Bundesverfassungsgericht die (bloße) Unvereinbarkeit der Norm mit dem Grundgesetz feststellt (vgl. § 31 Abs. 2, § 79 Abs. 1 BVerfGG). Beruht die Verfassungswidrigkeit ausschließlich auf einem Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, so gilt inzwischen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein umgekehrtes Regel-Ausnahme-Verhältnis: Regelfolge ist die Unvereinbarkeit (z.B. BVerfGE 99, 280 [298]; 105, 73 [133]), während Nichtigkeit die Ausnahme darstellt (z.B. BVerfGE 88, 87 [101 ff.]; 92, 91 [121]; 99, 69 [83]). Bei Verletzungen des allgemeinen Gleichheitssatzes hat der Gesetzgeber nämlich regelmäßig verschiedene Möglichkeiten, diesen Verfassungsverstoß zu beseitigen. Dann aber ist der Gesetzgeber in Wahrnehmung seiner (Gestaltungs-) Zuständigkeit grundsätzlich berechtigt und verpflichtet, den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen, und zwar, soweit nicht eine Weitergeltungsanordnung ausgesprochen worden ist, rückwirkend für den gesamten Zeitraum, auf den sich die Unvereinbarerklärung bezieht. Dabei ist es regelmäßig auch Sache des Gesetzgebers, die Relation zwischen materiellem Steuertatbestand und gegenläufigen Verfahrensnormen (hier etwa § 30a AO und Fehlen spezieller Aufzeichnungs- und Mitwirkungspflichten der Steuerpflichtigen und Dritter) verfassungsgemäß neu zu gestalten.".79

Art. 3 GG hat somit auch eine positive Wirkung, indem er den Gesetzgeber beispielsweise dazu verpflichten kann, eine Regelungslücke zu schließen oder eine bestehende Regelung anzupassen. Das ergibt sich insbesondere dann, wenn keine Gleichheit im Gesetzesvollzug möglich ist.

Literaturverzeichnis
Zitierte Literatur: 

Kommentare:

  • Fehling, Michael / Kastner, Berthold, Störmer, Rainer [Hrsg.], Verwaltungsrecht – VwVfG, VwGO, Nebengesetze, 5. Auflage (2021), Nomos Verlagsgesellschaft,
  • Gröpl, Christoph / Windthorst, Kay / von Coelln, Christian, Studienkommentar Grundgesetz, 4. Auflage (2020), Verlag C. H. Beck
  • Hömig, Dieter / Wolff, Heinrich Amadeus [Hrsg.], Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 13. Auflage (2022), Nomos Verlagsgesellschaft
  • Müller-Glöge, Rudi / Preis, Ulrich / Schmidt, Ingrid [Hrsg.], Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 23. Auflage (2023), Verlag C. H. Beck.

Lehrbücher:

  • Detterbeck, Steffen, Öffentliches Recht – Ein Basislehrbuch zum Staatsrecht, Verwaltungsrecht und Europarecht mit Übungsfällen, 8. Auflage (2010), Verlag Franz Vahlen,
  • Hufen, Friedhelm, Staatsrecht II Grundrechte, 2. Auflage (2009), Verlag C. H. Beck,
  • Ipsen, Jörn, Staatsrecht II Grundrechte, 15. Auflage (2012), Verlag Franz Vahlen,
  • Kühl, Kristian / Reichold, Hermann / Ronellenfitsch, Michael, Einführung in die Rechtswissenschaft, 3. Auflage (2019), Verlag C. H. Beck,
  • Lindner, Josef Franz, Bayerisches Staatsrecht, 1. Auflage (2011), Richard Boorberg Verlag,
  • Oberrath, Jörg-Dieter, Öffentliches Recht mit Europarecht und Öffentlichem Wirtschaftsrecht, 7. Auflage (2021), Verlag Franz Vahlen,
  • Pieroth, Bodo / Schlink, Bernhard, Grundrechte Staatsrecht II, 24. Auflage (2008), Verlag C. F. Müller,
  • Schmidt, Reiner /Wollenschläger, Ferdinand [Hrsg.], Kompendium Öffentliches Wirtschaftsrecht, 4. Auflage (2016), Springer Verlagsgesellschaft,
  • Towfigh, Emanuel / Gleixner, Alexander, Smartbook Grundrechte – Ein hybrides Lehrbuch mit 67 Lernvideos, 1. Auflage (2022), Nomos Verlagsgesellschaft.

Skripte:

  • Schroeder, Daniela, Grundrechte – Juriq Erfolgstraining, 4. Auflage (2016), Verlag C. F. Müller.
Weitere Literatur: 

Aufsätze:

  • Paals, Carsten, ZVR-Online Dok. Nr. 45/2012, Christlich motivierte Kleinparteien in Deutschland und ihr Verhältnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Eine Fallstudie anhand der „Christlichen Mitte“ und der „Partei Bibeltreuer Christen“, Rn. 29, 40, 45 f., 53, 57,
  • Schwarz, Kyrill-Alexander, JuS 2009, S. 315-319, S. 417-421, Grundfälle zu Art. 3 GG.

Fachrechtliche Kommentare:

  • Für das Bauordnungsrecht:
  • Schlotterbeck, Karlheinz / Hager, Gerd / Busch, Manfred / Gammerl, Bernd, Landesbauordnung für Baden-Württemberg (LBO), 8. Auflage (2020), Richard Boorberg Verlag <vgl. § 47 LBO Rn. 136 - 139 für die Erforderlichkeit eines konzpetionellen Vorgehens der Baurechtsbehörden bei entsprechendem bauaufsichtsrechtlichem Einschreiten.>,
  • Spannowsky, Willy / Uechtritz, Michael [Hrsg.], Bauordnungsrecht Baden-Württemberg, 1. Auflage (2020), Verlag C. H. Beck <vgl. § 65 LBO Rn. 47 - 52.>.
  • Für das Steuerrecht:
  • Klein, Franz [Begründer], Abgabenordnung einschließlich Steuerstrafrecht, 16. Auflage (2022), Verlag C. H. Beck <vgl. § 3 AO Rn. 12 (Gleichmäßige Besteuerung); § 4 AO Rn. 21 , 30 (Verwaltungsvorschriften); § 5 AO Rn. 9 (Ermessen)>.
Rechtsprechung: 

Bundesverfassungsgericht:

  • BVerfG, Beschluss vom 07.04.2022 - 1 BvL 3/18,
  • BVerfG, Urteil vom 17.12.2014 - 1 BvL 21/12,
  • BVerfG, Beschluss vom 08.05.2013 - 1 BvL 1/08,
  • BVerfG, Urteil vom 19.02.2013 - 1 BvL 1/11, 1 BvR 3247/09,
  • BVerfG, Beschluss vom 19.12.2012 - 1 BvL 18/11,
  • BVerfG, Beschluss vom 18.07.2012 - 1 BvL 16/11,
  • BVerfG, Beschluss vom 21.06.2011 - 1 BvR 2035/07,
  • BVerfG, Beschluss vom 14.10.2008 - 1 BvR 2310/06,
  • BVerfG, Beschluss vom 14.10.2008 - 1 BvF 4/05,
  • BVerfG, Beschluss vom 07.07.2009 - 1 BvR 1164/07,
  • BVerfG, Beschluss vom 27.02.2007 - 1 BvL 10/00,
  • BVerfG, Beschluss vom 12.12.2006 - 1 BvR 2576/04,
  • BVerfG, Beschluss vom 13.06.2006 - 1 BvR 1160/03,
  • BVerfG, Beschluss vom 18.07.2005 - 2 BvF 2/01,
  • BVerfG, Beschluss vom 16.03.2005 - 2 BvL 7/00,
  • BVerfG, Beschluss vom 09.11.2004 - 1 BvR 684/98,
  • BVerfG, Beschluss vom 06.07.2004 - 1 BvL 4, 5, 6/97,
  • BVerfG, Beschluss vom 06.05.2004 - 2 BvL 16/02,
  • BVerfG, Urteil vom 20.04.2004 - 1 BvR 1748/99, 905/00,
  • BVerfG, Urteil vom 09.03.2004 - 2 BvL 17/02,
  • BVerfG, Beschluss vom 04.12.2002 - 2 BvR 400/98,
  • BVerfG, Urteil vom 28.04.1999 - 1 BvL 22/95,
  • BVerfG, Urteil vom 02.03.1999 - 1 BvL 2/91,
  • BVerfG, Urteil vom 08.04.1997 - 1 BvR 48/94,
  • BVerfG, Beschluss vom 07.11.1995 - 2 BvR 413/88 und 1300/93,
  • BVerfG, Beschluss vom 10.01.1995 - 1 BvL 20/87,
  • BVerfG, Beschluss vom 28.06.1994 - 1 BvL 14/88,
  • BVerfG, Beschluss vom 22.02.1994 - 1 BvL 21/85, 1 BvL 4/92,
  • BVerfG, Beschluss vom 08.02.1994 - 1 BvR 1693/92,
  • BVerfG, Beschluss vom 26.05.1993 - 1 BvR 208/93,
  • BVerfG, Beschluss vom 26.01.1993 - 1 BvL 38, 40, 43/92,
  • BVerfG, Beschluss vom 03.11.1992 - 1 BvR 1243/88,
  • BVerfG, Beschluss vom 07.04.1992 - 1 BvR 1772/91,
  • BVerfG, Beschluss vom 17.10.1990 - 1 BvR 283/85,
  • BVerfG, Beschluss vom 30.05.1990 - 1 BvL 2/83, 9, 10/84, 3/85, 11, 12, 13/89, 4/90 und 1 BvR 764/86,
  • BVerfG, Beschluss vom 08.06.1988 - 2 BvL 9/85 und 3/86,
  • BVerfG, Beschluss vom 26.04.1988 - 1 BvL 84/86,
  • BVerfG, Beschluss vom 30.09.1987 - 2 BvR 933/82,
  • BVerfG, Beschluss vom 06.05.1987 - 2 BvL 11/85,
  • BVerfG, Urteil vom 01.07.1986 - 1 BvL 26/83,
  • BVerfG, Beschluss vom 14.05.1985 - 1 BvR 449, 523, 700, 728/82,
  • BVerfG, Beschluss vom 26.02.1985 - 2 BvR 1145/83,
  • BVerfG, Beschluss vom 07.10.1980 - 1 BvL 50, 89/79, 1 BvR 240/79,
  • BVerfG, Beschluss vom 07.11.1979 - 2 BvR 513/73, 2 BvR 558/74,
  • BVerfG, Beschluss vom 26.09.1978 - 1 BvR 525/77,
  • BVerfG, Beschluss vom 07.06.1977 - 1 BvR 108, 424/73 und 226/74,
  • BVerfG, Beschluss vom 12.10.1976 - 1 BvR 197/73,
  • BVerfG, Beschluss vom 24.03.1976 - 2 BvR 804/75,
  • BVerfG, Beschluss vom 28.10.1975 - 2 BvR 883/73 und 379, 497, 526/74,
  • BVerfG, Beschluss vom 13.11.1974 - 1 BvL 27/73,
  • BVerfG, Urteil vom 07.05.1969 - 2 BvL 15/67,
  • BVerfG, Beschluss vom 14.02.1968 - 2 BvR 557/62,
  • BVerfG, Beschluss vom 11.05.1965 - 2 BvR 259/63,
  • BVerfG, Urteil vom 20.07.1954 - 1 BvR 459, 484, 548, 555, 623, 651, 748, 783, 801/52, 5, 9/53, 96, 114/54,
  • BVerfG, Urteil vom 23.10.1951 - 2 BvG 1/51.

Bayerischer Verfassungsgerichtshof:

  • BayVerfGH, Entscheidung vom 28.09.2016 – Vf. 20-VII-15.