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Art. 19 GG - Einschränkung von Grundrechten, Wesensgehaltsgarantie, Rechtsweg (Kommentar)

(1) ¹Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. ²Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) ¹Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. ²Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. ³Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

1. Allgemeines

Artikel 19 des Grundgesetzes (GG) nimmt eine besondere Stellung im Grundrechtsgefüge der Bundesrepublik Deutschland ein. Er regelt die Grenzen und Voraussetzungen, unter denen Grundrechte eingeschränkt werden können, und enthält zugleich fundamentale Vorgaben zur Wahrung des Wesensgehalts der Grundrechte. Art. 19 GG sichert also den grundrechtlichen Mindestbestand und konkretisiert das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit in Bezug auf die Grundrechte. Er umfasst insgesamt vier Absätze, die jeweils spezifische Aspekte der Grundrechtseinschränkung und der Grundrechtssicherung thematisieren.

Der erste Absatz (Abs. 1) behandelt das Zitiergebot, während der zweite Absatz (Abs. 2) die sogenannte Wesensgehaltsgarantie regelt. Art. 19 Abs. 3 GG befasst sich mit der Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen, und Abs. 4 enthält den Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes. Dieser Kommentar wird sich systematisch mit den Absätzen von Art. 19 GG auseinandersetzen und dabei sowohl die dogmatischen Grundlagen als auch die rechtspolitischen Implikationen beleuchten.

Kern der Absätze:

  • Art. 19 Abs. 1 GG: Zitiergebot
  • Art. 19 Abs. 2 GG: Wesensgehaltsgarantie
  • Art. 19 Abs. 3 GG: Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen
  • Art. 19 Abs. 4 GG: Rechtsweggarantie

2. Art. 19 Abs. 1 GG – Das Zitiergebot

2.1. Historischer Hintergrund und Schutzzweck

Das Zitiergebot ist eine Konsequenz aus den Erfahrungen mit der Weimarer Republik, in der die Freiheit und die Rechte des Einzelnen vielfach durch Gesetze eingeschränkt wurden, ohne dass dies hinreichend transparent war. Art. 19 Abs. 1 GG soll sicherstellen, dass dem Gesetzgeber die Bedeutung und Tragweite von Grundrechtseingriffen bewusst sind und dass Bürgerinnen und Bürger erkennen können, wann und durch welches Gesetz ein Grundrecht eingeschränkt wird. Das Zitiergebot ist daher ein Element des Transparenzgebots und dient der Rechtsklarheit und -sicherheit.

2.2. Anwendungsbereich und Anforderungen

Das Zitiergebot gilt für alle Grundrechte, die nach dem Grundgesetz durch oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden können. Der Gesetzgeber muss im Gesetz selbst den eingeschränkten Artikel des Grundgesetzes ausdrücklich benennen. Dies bedeutet, dass in der Regel die Formulierung „eingeschränkt durch Artikel X GG“ oder eine ähnliche Formulierung zu finden sein muss. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat klargestellt, dass eine solche Benennung klar und unmissverständlich sein muss (vgl. BVerfGE 8, 274).

2.3. Ausnahmen und Grenzen des Zitiergebots

Das Zitiergebot gilt nicht absolut. Gesetze, die lediglich mittelbare Auswirkungen auf Grundrechte haben oder administrative Normen, die in Ausführung eines bereits zitierten Gesetzes ergehen, fallen nicht unter das Zitiergebot. Es ist auch anerkannt, dass sich das Zitiergebot nicht auf solche Grundrechte erstreckt, die von vornherein unter einem Gesetzesvorbehalt stehen, wie etwa Art. 13 GG in Bezug auf die Unverletzlichkeit der Wohnung.

2.4. Rechtsfolgen bei Verstoß

Ein Verstoß gegen das Zitiergebot führt grundsätzlich zur Nichtigkeit der betreffenden Norm. Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung klargestellt, dass Gesetze, die das Zitiergebot missachten, nichtig sind, weil sie einen Verstoß gegen höherrangiges Verfassungsrecht darstellen.

3. Art. 19 Abs. 2 GG – Die Wesensgehaltsgarantie

3.1. Dogmatische Einordnung und Schutzzweck

Die Wesensgehaltsgarantie ist ein Ausdruck der materiellen Verfassungsmäßigkeit und dient der Sicherung des Kerngehalts der Grundrechte. Sie garantiert, dass der „Wesensgehalt“ eines Grundrechts auch im Falle einer zulässigen Einschränkung nicht angetastet wird. Sie verhindert somit eine völlige Aushöhlung der Grundrechte durch exzessive Beschränkungen. Der „Wesensgehalt“ eines Grundrechts ist dabei der „Kernbereich“, der nicht zur Disposition des Gesetzgebers steht.

3.2. Kerngehaltsbestimmung

Der Begriff des „Wesensgehalts“ ist nicht eindeutig definiert und unterliegt einer einzelfallbezogenen Konkretisierung. Im Wesentlichen wird der Wesensgehalt als der unverzichtbare Kernbestand eines Grundrechts verstanden, der dessen Identität ausmacht. So ist etwa im Rahmen der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) der freie Austausch von Meinungen als zentraler Kern geschützt, während Einschränkungen etwa bei beleidigenden Äußerungen möglich sind, ohne den Wesensgehalt anzutasten .

3.3. Rechtsfolgen bei Verletzung der Wesensgehaltsgarantie

Eine Norm, die den Wesensgehalt eines Grundrechts verletzt, ist verfassungswidrig und damit nichtig. Diese Folge ist zwingend, da es sich um einen der Grundpfeiler des Grundrechtsschutzes handelt. Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt betont, dass die Wesensgehaltsgarantie eine Grenze des Gesetzgebers darstellt, die nicht überschritten werden darf.

4. Art. 19 Abs. 3 GG – Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen

4.1. Systematische Einordnung und Reichweite

Art. 19 Abs. 3 GG regelt die Grundrechtsfähigkeit inländischer juristischer Personen und stellt klar, dass die Grundrechte auch für diese gelten, „soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind“. Diese Vorschrift gewährleistet, dass auch juristische Personen wie Vereine, Stiftungen, GmbHs und AGs in den Schutzbereich der Grundrechte fallen, sofern die jeweilige Grundrechtsnorm ihrem Wesen nach für sie relevant ist.

4.2. Dogmatische Kriterien der Anwendbarkeit

Ob ein Grundrecht „seinem Wesen nach“ auf eine juristische Person anwendbar ist, hängt von der jeweiligen Grundrechtsnorm ab. Grundrechte, die ihrem Inhalt nach nur natürlichen Personen zukommen können, wie etwa das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG), gelten nicht für juristische Personen. Hingegen sind die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG), die Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) oder die Religionsfreiheit (Art. 4 GG) auf juristische Personen anwendbar, soweit diese entsprechende Tätigkeiten ausüben.

4.3. Besondere Schutzwürdigkeit inländischer juristischer Personen

Der Begriff der „inländischen“ juristischen Person ist in Abgrenzung zu ausländischen juristischen Personen zu verstehen. Der Hintergrund dieser Regelung ist, dass die Grundrechte des Grundgesetzes primär für den Geltungsbereich der deutschen Rechtsordnung geschaffen wurden. Für juristische Personen mit Sitz im Ausland gilt Art. 19 Abs. 3 GG daher grundsätzlich nicht.

5. Art. 19 Abs. 4 GG – Die Rechtsweggarantie

5.1. Verfassungsrechtliche Bedeutung und Schutzgehalt

Art. 19 Abs. 4 GG stellt sicher, dass jedem Bürger der Rechtsweg offensteht, wenn er durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird. Dies ist ein Kernbestandteil des Rechtsstaatsprinzips und gewährleistet die Möglichkeit einer gerichtlichen Kontrolle staatlicher Akte. Die Norm schützt den effektiven Rechtsschutz und konkretisiert das verfassungsrechtliche Gebot, dass alle staatlichen Maßnahmen auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfbar sein müssen.

5.2. Umfang der Rechtsweggarantie

Die Rechtsweggarantie ist umfassend und erstreckt sich auf alle Maßnahmen der „öffentlichen Gewalt“, das heißt auf Exekutive, Legislative und Judikative, soweit sie in Grundrechte eingreifen oder Rechtspositionen betreffen. Hierbei gilt der Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes, wonach Gerichte in der Lage sein müssen, die gesamte Tat- und Rechtslage zu überprüfen.

5.3. Besonderheiten und Einschränkungen

Einschränkungen der Rechtsweggarantie können nur unter engen Voraussetzungen gerechtfertigt sein. Hierzu gehört beispielsweise die Zulässigkeit von Vorverfahren oder besonderen Verfahrensvorschriften, soweit diese den effektiven Rechtsschutz nicht beeinträchtigen. Eine Verkürzung des Rechtsschutzes oder eine Überlastung der Gerichte darf jedoch nicht Ziel solcher Regelungen sein.