BVerfG, 18.12.1953 - 1 BvL 106/53
1. In dem Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG ist es nicht zulässig, das vorlegende Gericht als "Beteiligten" anzuhören oder einem seiner Mitglieder persönlich das Wort zu erteilen.
2. Die Norm einer Verfassung kann dann nichtig sein, wenn sie grundlegende Gerechtigkeitspostulate, die zu den Grundentscheidungen dieser Verfassung selbst gehören, in schlechthin unerträglichem Maße mißachtet.
3. Will ein Gericht eine Norm der Verfassung um einer vermeintlich übergeordneten Norm willen ganz oder teilweise unangewendet lassen, dann hat es nach Art. 100 Abs. 1 GG zu verfahren.
4. Art. 3 Abs. 2 GG ist eine echte Rechtsnorm. Er enthält wie Art. 3 Abs. 3 GG eine Konkretisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes.
5. Seit dem Ablauf der in Art. 117 Abs. 1 zweiter Halbsatz GG gesetzten Frist sind Mann und Frau auch im Bereich von Ehe und Familie gleichberechtigt.
Urteil
des Ersten Senats vom 18. Dezember 1953
- 1 BvL 106/53 -
in dem Verfahren wegen verfassungsrechtlicher Prüfung des Art. 117 Abs. 1 GG auf Antrag des Oberlandesgerichts Frankfurt (Main) in dem Rechtsstreit des K. gegen K. wegen Ehescheidung - 3 W 87/53 -.
Entscheidungsformel:
Artikel 117 Absatz 1 GG ist insoweit wirksam, als er das dem Artikel 3 Absatz 2 GG entgegenstehende bürgerliche Recht auf dem Gebiete von Ehe und Familie mit Ablauf des 31. März 1953 außer Kraft setzt.
Gründe
A.
I.
Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland hat einen bereits in der Weimarer Verfassung und in Länderverfassungen nach 1945 ausgesprochenen Grundsatz wieder aufgenommen, indem es in Art. 3 Abs. 2 bestimmt, daß Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Obwohl die Grundrechte, denen auch dieser Satz eingeordnet ist, nach Art. 1 Abs. 3 GG Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht binden, hatte Art. 117 Abs. 1 GG die unmittelbare Geltung des Gleichberechtigungssatzes aufgeschoben, um dem Gesetzgeber Gelegenheit zu geben, das zur Zeit des Inkrafttretens des Grundgesetzes dem Gleichberechtigungsgrundsatz entgegenstehende Recht diesem Prinzip auf den verschiedenen Rechtsgebieten anzupassen.Art. 117 Abs. 1 GG lautet:
"Das dem Artikel 3 Absatz 2 entgegenstehende Recht bleibt bis zu seiner Anpassung an diese Bestimmung des Grundgesetzes in Kraft, jedoch nicht länger als bis zum 31. März 1953."
Bis zu dem hier als Endtermin für die Geltung entgegenstehenden Rechts gesetzten Datum ist jedoch ein Gesetz nicht ergangen, welches das Recht auf dem Gebiete der Ehe und Familie dem Grundsatz der Gleichberechtigung angepaßt hätte. Die überwiegende Rechtsprechung der Gerichte geht seit dem 1. April 1953 davon aus, daß alles dem Art. 3 Abs. 2 GG entgegenstehende Recht zu diesem Zeitpunkt außer Kraft getreten ist. Sie bemüht sich, der dadurch entstandenen Lücke mit den herkömmlichen Methoden der Auslegung und Lückenfüllung Herr zu werden.
II.
Der Vorlagebeschluß des Oberlandesgerichts Frankfurt (Main) (OLG) ist in einem Ehescheidungsverfahren ergangen. Die Ehefrau hat Scheidungsklage erhoben und beantragt, dem Ehemann im Wege der einstweiligen Anordnung die Zahlung eines Prozeßkostenvorschusses aufzuerlegen. Gegen den ablehnenden Beschluß des Landgerichts hat die Klägerin beim OLG Beschwerde eingelegt. Die Scheidungsklage ist nach Auffassung des OLG nicht aussichtslos, und unstreitig ist der Beklagte, nicht aber die Klägerin imstande, den Kostenvorschuß aufzubringen. Ihre Beschwerde müßte daher bei Anwendung von § 1387 Nr. 1 BGB in Verbindung mit § 627 Abs. 1 ZPO Erfolg haben. § 1387 Nr. 1 BGB, in dem das OLG die allein in Betracht kommende materielle Rechtsgrundlage der Vorschußpflicht sieht, setzt voraus, daß die Ehegatten im Güterstand der Verwaltung und Nutznießung leben; diesen Güterstand aber hält das OLG für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 2 GG. Es würde daher eine Vorschußpflicht des Ehemannes verneinen, wenn nach Art. 117 Abs. 1 zweiter Halbsatz GG das bürgerliche Recht auf dem Gebiete der Ehe und Familie, soweit es Art. 3 Abs. 2 GG entgegensteht, mit Ablauf des 31. März 1953 außer Kraft getreten wäre. Das OLG meint jedoch, Art. 117 Abs. 1 GG sei insoweit nichtig; denn es verstoße gegen die übergeordneten Grundsätze der Rechtssicherheit und der Gewaltenteilung, wenn, wie es Art. 117 Abs. 1 zweiter Halbsatz GG offenbar wolle, wesentliche Teile des bis dahin gesetzlich geordneten Ehe- und Familienrechts vor Erlaß eines Anpassungsgesetzes aufgehoben würden; damit werde den Gerichten die ihnen wesensfremde Aufgabe übertragen, die entstandene empfindliche Gesetzeslücke durch richterliche Entscheidungen auszufüllen. Das OLG möchte also die Vorschußpflicht des Ehemannes auf Grund von § 1387 Nr. 1 BGB bejahen, sieht sich aber durch Art. 100 Abs. 1 GG gehindert, den einer solchen Entscheidung entgegenstehenden Art. 117 Abs. 1 zweiter Halbsatz GG als eine vorgeblich nichtige Verfassungsnorm unangewendet zu lassen.
Es hat deshalb das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt,
ob Art. 117 Abs. 1 GG insoweit nichtig sei, als er das bürgerliche Recht auf dem Gebiete von Ehe und Familie mit Ablauf des 31. März 1953 außer Kraft setzt.
III.
Der Beschluß des OLG Frankfurt ist dem Bundesverfassungsgericht gemäß § 80 BVerfGG über den Bundesgerichtshof zugeleitet worden.
Das Bundesverfassungsgericht hat dem Bundestag, dem Bundesrat, der Bundesregierung, den Regierungen der Länder und den an dem Verfahren vor dem OLG Beteiligten gemäß § 82, 77 BVerfGG Gelegenheit zur Stellungnahme, den Verfassungsorganen auch Gelegenheit zum Beitritt gegeben. Ein Beitritt ist nicht erfolgt. Schriftsätzlich hat sich nur die Hessische Landesregierung geäußert. In der mündlichen Verhandlung waren die Bundesregierung, die Hessische Landesregierung und die Klägerin des Ehescheidungsverfahrens vertreten. Die Bundesregierung weist auf den augenblicklichen Stand der Meinungen zur Frage unwirksamer Verfassungsnormen hin, ohne dazu im einzelnen Stellung zu nehmen. Die Hessische Landesregierung hält die Vorlage des OLG für unzulässig, weil eine verfassungswidrige Verfassungsnorm begrifflich nicht möglich, jedenfalls die Überprüfung von Verfassungsnormen durch ein Gericht, an welchem Maßstab auch immer, nicht gestattet sei. Im übrigen hält sie die Vorlage zumindest für unbegründet; sie folgt insoweit dem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 14. Juli 1953 (BGHZ 10, 266). Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin des Ehescheidungsverfahrens schließt sich in der hier zu entscheidenden Rechtsfrage der Ansicht des OLG an.
In der mündlichen Verhandlung ist auch der Vorsitzende des vorlegenden Senats erschienen und hat angeregt, ihn als Bevollmächtigten seines Senats anzuhören. Das Bundesverfassungsgericht hat eine solche Anhörung abgelehnt.
B.
I.
Der Wunsch des vorlegenden Gerichts, in der mündlichen Verhandlung durch einen Bevollmächtigten zu Wort zu kommen, macht die Entscheidung der Frage erforderlich, ob das vorlegende Gericht in dem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zu den Beteiligten gehört. Das Bundesverfassungsgericht verneint diese Frage.
Es ist nicht richtig, daß das vorlegende Gericht als "Antragsteller" zu den Beteiligten zähle, sich also gemäß § 22 Abs. 1 BVerfGG in jeder Lage des Verfahrens vertreten lassen könne. Das vorlegende Gericht gehört weder zu den in § 22 Abs. 1 BVerfGG aufgeführten Gruppen von Beteiligten noch zu dem Kreis der Beteiligten, der in den Sondervorschriften für das Verfahren der Normenkontrolle auf Vorlage der Gerichte umschrieben ist (§ 82 in Verbindung mit § 77 BVerfGG). Die Absicht des Gesetzgebers, das vorlegende Gericht nicht als Beteiligten zu behandeln, ist hiernach unverkennbar.
Sie stimmt auch mit den überkommenen Vorstellungen des Verfahrensrechts überein. Es entspricht nicht der Stellung eines Richters, auf gleicher Ebene mit den Parteien eines bei ihm anhängigen Prozesses vor einem höheren Gericht sich mit eben diesen Parteien über Rechtsfragen auseinanderzusetzen. Deshalb war es unzulässig, einen Bevollmächtigten des vorlegenden Gerichts oder eines seiner Mitglieder persönlich in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht anzuhören.
II.
Die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für eine Sachentscheidung über die vorgelegte Frage sind gegeben.
1. Art. 117 GG enthält eine Übergangsvorschrift zu dem in Art. 1 Abs. 3 GG statuierten, nach Art. 79 Abs. 3 GG unabänderlichen Grundsatz: "Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht." Von dieser Regel setzt das Grundgesetz selbst eine begrenzte Ausnahme: in Art. 117 Abs. 1 für Art. 3 Abs. 2 (Gleichberechtigung von Mann und Frau) und in Art. 117 Abs. 2 für Art. 11 (Recht der Freizügigkeit). Art. 117 Abs. 1 GG enthält für das Außerkrafttreten des der Gleichberechtigung von Mann und Frau entgegenstehenden Rechts in seinem ersten Halbsatz eine Bedingung ("bis zu seiner Anpassung", gemeint ist: durch Gesetz), in seinem zweiten Halbsatz einen Endtermin ("jedoch nicht länger als bis zum 31. März 1953"). In dem Vorlagebeschluß wird nur der zweite Halbsatz des Art. 117 Abs. 1 GG zur Prüfung gestellt; jedoch erhält diese Übergangsbestimmung ihren Sinn erst aus ihrer Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 und Art. 117 Abs. 1 erster Halbsatz GG, so daß die Fragestellung eigentlich dahin geht, ob der Verfassungsgeber durch irgendwelche Normen gehindert war, dem Art. 3 Abs. 2 GG von einem bestimmten Zeitpunkt an ohne besonderes Anpassungsgesetz unmittelbar bindende Wirkung für Rechtsprechung und Exekutive zu verleihen.
Es handelt sich nicht darum, ob und in welchem Umfang das vorkonstitutionelle Ehe- und Familienrecht mit Art. 3 Abs. 2 GG vereinbar ist und welche Folgerungen daraus für die jeweilige Entscheidung zu ziehen sind. Diese Frage hätte das OLG - wie es nicht verkennt - in eigener Zuständigkeit zu beantworten (BVerfGE 2, 124). Zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist vielmehr lediglich die Frage gestellt, ob die Verfassung dem Richter überhaupt vor Erlaß eines Anpassungsgesetzes eine solche Überprüfung des Ehe- und Familienrechts am Maßstab des Art. 3 Abs. 2 GG ohne Verstoß gegen übergeordnete Normen auferlegen konnte.
Die Besonderheit der Vorlage beruht also darauf, daß das OLG nicht die Nachprüfung eines auf Grund der Verfassung erlassenen Gesetzes begehrt, sondern meint, eine für seine Entscheidung mittelbar bedeutsame Norm der Verfassung selbst könne und müsse im vorliegenden Fall um ranghöherer Normen willen für nichtig erklärt werden. Daß die "mittelbare" Erheblichkeit einer Norm für die Entscheidung eines Rechtsstreits die Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG rechtfertigt, hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (BVerfGE 2, 341).
2. Zutreffend geht das OLG davon aus, daß auch über die Unwirksamkeit von Verfassungsnormen selbst - sofern solche Normen an ranghöheren Normen überhaupt gemessen werden können - das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG entscheiden muß.
a) Es mag bei der Abfassung dieses Artikels nicht an die Möglichkeit gedacht worden sein, daß die Vereinbarkeit einer Norm des Grundgesetzes selbst mit einer höherrangigen Norm - möge diese ihren Platz im Grundgesetz selbst oder in einem anderen Rechtsquellenbereich haben - in Zweifel gezogen werden könne. Da jedenfalls auch die zu prüfende Norm des Grundgesetzes selbst ein "Gesetz" ist, schließt es der Wortlaut des Art. 100 Abs. 1 GG nicht aus, das Normenkontrollverfahren auch in einem solchen Fall anzuwenden. Wie das Bundesverfassungsgericht überdies in früheren Entscheidungen dargelegt hat, ist Art. 100 Abs. 1 GG von seinem gesetzgeberischen Zweck her auszulegen; dieser geht dahin, zu verhüten, daß jedes Gericht sich über den Willen des unter dem Grundgesetz tätig gewordenen Bundes- oder Landesgesetzgebers hinwegsetze (BVerfGE 1, 184 [197]) und ausspreche, der Gesetzgeber habe das Grundgesetz verletzt (BVerfGE 2, 124 [131]). Ist also die Sorge vor einer Beeinträchtigung der gesetzgebenden Gewalt durch eine allgemeine, nicht bei einem höchsten Gericht konzentrierte richterliche Prüfungsbefugnis der tragende Grund für die ausschließliche Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts, Gesetze für nichtig zu erklären, dann muß diese Zuständigkeit um der Würde und der Autorität des pouvoir constituant willen erst recht für die Überprüfung des Staatsgrundgesetzes selbst, an welchen Normen auch immer, gelten.
Zwar ist jedes Gericht nicht nur zur Interpretation der einzelnen Verfassungsbestimmung berufen, sondern auch dazu, Verfassungsvorschriften, die einander zu widersprechen scheinen, miteinander in Einklang zu setzen, soweit dies mit den Mitteln der Auslegung möglich ist. Ist dem Gericht aber eine solche Auslegung nicht möglich und will es eine Norm der Verfassung um einer vermeintlich übergeordneten Norm willen ganz oder teilweise unangewendet lassen, dann hat es nach Art. 100 Abs. 1 GG zu verfahren. Das OLG hat also mit Recht sein Verfahren ausgesetzt und das Bundesverfassungsgericht angerufen; denn es will den Art. 117 Abs. 1 zweiter Halbsatz GG für das Ehe- und Familienrecht nicht gelten lassen, weil diese Bestimmung gegen die übergeordneten Normen der Rechtssicherheit und der Gewaltenteilung verstoße.
b) Für die Entscheidung über die Zulässigkeit der Vorlage kann an der Frage nicht vorbeigegangen werden, ob es theoretisch überhaupt denkbar ist, Normen der Verfassung selbst an ranghöheren Normen, welcher Herkunft auch immer, zu messen. Läge dies nämlich außerhalb aller Denkmöglichkeit, so wäre der Antrag des OLG unzulässig. Hier ist das Folgende zu erwägen:
Das Grundgesetz kann nur als Einheit begriffen werden. Daraus folgt, daß auf der Ebene der Verfassung selbst ranghöhere und rangniederere Normen in dem Sinne, daß sie aneinander gemessen werden könnten, grundsätzlich nicht denkbar sind (ebenso BGHZ 1, 274 [276]). Das hat nichts mit Bedeutung und innerem Gewicht der einzelnen Normen, insbesondere auch nichts damit zu tun, ob sie auf Grund eines Gesetzesvorbehaltes in gewissem Umfang der Disposition des einfachen Gesetzgebers unterliegen oder ob sie umgekehrt durch Art. 79 Abs. 3 GG einer Verfassungsänderung entzogen, also für unverbrüchlich erklärt worden sind. So könnte etwa die Gültigkeit des Art. 117 GG nicht mit der Begründung in Zweifel gezogen werden, daß er dem für unantastbar erklärten Art. 1 Abs. 3 GG widerspreche. Es liegt im Wesen des pouvoir constituant, daß er von seinen eigenen Grundsatznormen Ausnahmen statuieren kann, die nach der Regel vom Vorrang der speziellen gegenüber der allgemeinen Norm zu beachten sind.
Die ausnahmslose Geltung des darin zum Ausdruck kommenden Grundsatzes, daß der ursprüngliche Verfassungsgeber alles nach seinem Willen ordnen kann, würde aber einen Rückfall in die Geisteshaltung eines wertungsfreien Gesetzespositivismus bedeuten, wie sie in der juristischen Wissenschaft und Praxis seit längerem überwunden ist. Gerade die Zeit des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland hat gelehrt, daß auch der Gesetzgeber Unrecht setzen kann, daß also, soll die praktische Rechtsübung solchen geschichtlich denkbaren Entwicklungen nicht ungewappnet gegenüberstehen, in äußersten Fällen die Möglichkeit gegeben sein muß, den Grundsatz der materialen Gerechtigkeit höher zu werten als den der Rechtssicherheit, wie er in der Geltung des positiven Gesetzes für die Regel der Fälle zum Ausdruck kommt. Auch ein ursprünglicher Verfassungsgeber ist der Gefahr, jene äußersten Grenzen der Gerechtigkeit zu überschreiten, nicht denknotwendig entrückt. Das Bundesverfassungsgericht sieht für die Entscheidung des vorliegenden Falles keinen Anlaß, im einzelnen zu entwickeln, wann solche extremen Fälle gegeben sein können. Ihr Ausnahmecharakter steht außer Zweifel und kommt zum Beispiel in der vorsichtigen Formulierung zum Ausdruck, die Radbruch in seinem Aufsatz "Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht" (abgedruckt in Radbruchs "Rechtsphilosophie", 4. Aufl. 1950, S. 347 ff.) wählt, wenn es dort (S. 353) heißt: "Der Konflikt zwischen der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit dürfte dahin zu lösen sein, daß das positive, durch Satzung und Macht gesicherte Recht auch dann den Vorrang hat, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es sei denn, daß der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, daß das Gesetz als "unrichtiges Recht" der Gerechtigkeit zu weichen hat."
Auch dadurch, daß der Gesetzgeber des Grundgesetzes in seine Grundentscheidung Normen einbezogen und damit im Grundgesetz positiviert hat, die vielfach als übergesetzlich bezeichnet werden (etwa in Art. 1, aber auch in Art. 20 GG), haben sie ihren besonderen Charakter nicht verloren. In ihrer Einzelausgestaltung, namentlich in der Frage, inwieweit Ausnahmen von ihnen zuzulassen sind, stehen sie also zur freien Disposition des Verfassungsgebers nur insoweit, als jene letzten Grenzen der Gerechtigkeit selbst nicht überschritten werden.
Die Wahrscheinlichkeit, daß ein freiheitlich demokratischer Verfassungsgeber diese Grenzen irgendwo überschritte, ist freilich so gering, daß die theoretische Möglichkeit originärer "verfassungswidriger Verfassungsnormen" einer praktischen Unmöglichkeit nahezu gleichkommt.
Als der Parlamentarische Rat an die Abfassung des Grundgesetzes ging, stand seine Arbeit noch unter der frischen Erfahrung der geschichtlichen Katastrophe, die durch den nationalsozialistischen Unrechtsstaat herbeigeführt worden war. In entschiedener Abkehr von einer Haltung, die in Recht und Gerechtigkeit keine Werte zu sehen vermochte, war er bemüht, im Grundgesetz die Idee der Gerechtigkeit zu verwirklichen. Ob und inwieweit das gelungen ist, kann zwar nur aus dem objektiven Ergebnis der Gesetzgebung, nicht aus der Absicht des Gesetzgebers abgelesen werden. Doch ist eine Verletzung äußerster Gerechtigkeitsgrenzen in einem Gremium wie dem Parlamentarischen Rat, in welchem Vertreter der verschiedensten Geistesrichtungen und Weltanschauungen mit dem einmütigen Willen zusammenarbeiteten, bei der Schaffung einer neuen Staatsgrundordnung der Gerechtigkeit zu dienen, zwar im Hinblick auf das Spannungsverhältnis zwischen dem Ideal der Gerechtigkeit und der Notwendigkeit, einer geschichtlich gegebenen politischen Situation gestaltend Herr zu werden, nicht schlechthin unmöglich, aber doch schwer vorstellbar. Die Rechtswirklichkeit hat das bekräftigt. Kein Angriff gegen den Bestand einzelner Normen des Grundgesetzes ist bisher von einem Gericht als ernst genug betrachtet worden, um das Bundesverfassungsgericht anzurufen. Einzig der Angriff gegen die Rechtsbeständigkeit des Art. 117 Abs. 1 zweiter Halbsatz GG hat zu gerichtlichen Vorlagen nach Art. 100 Abs. 1 GG geführt.
c) Die Möglichkeit, "verfassungswidrige Verfassungsnormen" zu denken, genügt aber noch nicht, um die Zulässigkeit der Vorlage des OLG zu bejahen. Vielmehr ist weiter zu fragen, ob ein Gericht - unabhängig von den oben zur Frage der Zuständigkeit angestellten Erwägungen - zu einer Prüfung vielleicht deshalb keine Befugnis hat, weil die Beachtung jener Mindestanforderungen, die auch an eine verfassungsrechtliche Norm zu stellen sind, allein dem Verfassungsgeber anvertraut sei, so daß ihre etwaige Mißachtung nur durch verfassungsänderndes Gesetz, letztlich durch einen revolutionären Akt, nicht aber durch die richterliche Gewalt korrigiert werden könnte.
In der Tat sind im modernen Verfassungsstaat auch die Gerichte Geschöpfe der Verfassung; auch sie leiten ihre Funktionen unmittelbar oder mittelbar aus der Verfassung ab, so daß sie im Grundsatz nur die Aufgaben zu erfüllen haben, die ihnen nach der Verfassung zukommen. Ein Teil der Wissenschaft und Rechtsprechung verneint deshalb allgemein die Prüfungsfunktion der richterlichen Gewalt gegenüber der Verfassung selbst (vgl. Apelt, NJW 1952 S. 733, mit weiteren Nachweisen). Zur Begründung wird vornehmlich angeführt, daß der Richter sich mit einer solchen Prüfung verfassungsgebende Gewalt anmaße und sich vom Grundsatz der Gewaltenteilung zu weit entferne, als daß dergleichen aus den modernen rechtsstaatlichen Verfassungen und im besonderen aus dem Grundgesetz noch gerechtfertigt werden könne. Demgegenüber wird von anderer Seite eingewandt (vgl. Bachof, Verfassungswidrige Verfassungsnormen, in: Recht und Staat, Nr. 163/164, S. 11 ff., und NJW 1952 S. 242, mit weiteren Nachweisen), daß das Grundgesetz selbst ein Gericht, nämlich das Bundesverfassungsgericht, dazu bestimmt habe, die Unantastbarkeit der im Grundgesetz getroffenen Grundentscheidung zu gewährleisten, und daß der Verfassungsgerichtsbarkeit nach ihrer konkreten Ausgestaltung im Grundgesetz sinngemäß auch die Prüfung von Verfassungsnormen am Maßstab des in die Verfassung einbezogenen und in ihr vorausgesetzten übergesetzlichen Rechts obliegen müsse. Nicht mit der Ausübung einer solchen Normenkontrolle, sondern gerade mit ihrer Ablehnung würde deshalb - so wird weiter gesagt - das Bundesverfassungsgericht sich über den Willen der Verfassung hinwegsetzen und damit die Rechtssicherheit gefährden; denn würde das Bundesverfassungsgericht Anträge auf Prüfung angeblich verfassungswidriger Verfassungsnormen mit der Begründung verwerfen, daß das Grundgesetz eine richterliche Prüfung von Normen der Verfassung selbst ausschließe, so wäre es immerhin denkbar, daß ein anderes Gericht dieser Begründung nicht folgte und eine solche Prüfung dann selbst vornähme - ein Ergebnis, das durch die Konzentration der Normenkontrolle beim Bundesverfassungsgericht gerade vermieden werden sollte.
Bejaht man die, wenn auch nur entfernte, Denkbarkeit "verfassungswidriger Verfassungsnormen", so ist es in der Tat nur folgerichtig, eine solche Feststellung der richterlichen Gewalt zu übertragen, die ja eben doch ihre Autorität nicht nur äußerlich auf die Verfassung, sondern - dem Wesen ihrer Tätigkeit entsprechend - in gewisser Weise auf die Idee des Rechts selbst gründet. Die Einsicht, daß es verfassungswidrige Normen in der Verfassung selbst geben könne, verlöre gegebenenfalls weithin an Wert, wenn man die Beseitigung solcher Normen allein der verfassungsändernden Gesetzgebung anheimstellte. Davon aber, daß das Bundesverfassungsgericht sich mit der Bejahung dieser Prüfungszuständigkeit verfassunggebende Gewalt anmaße, kann schon deshalb keine Rede sein, weil die Normenkontrolle in ihrer abwehrenden Funktion wesensmäßig etwas anderes ist als die rechtsetzende Funktion des Gesetzgebers; auch bewegt diese Prüfungszuständigkeit sich gegenüber originären Verfassungsnormen, wie erwähnt, nach der Natur der Sache in einem so engen Raum, daß sich die richterliche Feststellung, eine originäre Verfassungsnorm sei nichtig, schwerlich ereignen wird.
3. Auch die letzte Voraussetzung für eine sachliche Prüfung der Vorlage, nämlich daß die gestellte Frage für das OLG entscheidungserheblich sei, ist erfüllt (BVerfGE 2,181 [191]).
Vom Rechtsstandpunkt des OLG aus bedarf die Erheblichkeit keiner besonderen Begründung, da es nach seiner zu den Vorfragen entwickelten Ansicht der Klägerin einen Prozeßkostenvorschuß nur zusprechen kann, wenn Art. 117 Abs. 1 zweiter Halbsatz GG hinfällig ist, andernfalls ihren Antrag abweisen muß. Die überwiegende Mehrzahl der Oberlandesgerichte hat zwar die Frage der Vorschußpflicht des Ehemannes auch unter dem Gesichtspunkt der Gleichberechtigung bejaht (die Oberlandesgerichte Bamberg, NJW 1953 S. 903; Braunschweig, MDR 1953 S. 425; Bremen, NJW 1953 S. 984; Celle, NJW 1953 S. 828; Düsseldorf, NJW 1953 S. 828 und S. 986 und JMBl. NRW 1953 S. 126; Frankfurt, ZS Darmstadt, NJW 1953 S. 1105; Frankfurt, ZS Kassel, NJW 1953 S. 985; Freiburg, NJW 1953 S. 905; Hamm, NJW 1953 S. 905 und JMBl. NRW 1953 S. 149; Köln, NJW 1953 S. 906 und MDR 1953 S. 425; München, 7. ZS, NJW 1953 S. 906; Nürnberg, NJW 1953 S. 985; Oldenburg, NdsRpfl. 1953 S. 83; Schleswig- Holstein, 2. und 6. ZS, SchlHA 1953 S. 133 und S. 151; Stuttgart, NJW 1953 S. 906; Tübingen, NJW 1953 S. 985; KG, 10. ZS, NJW 1953 S. 984), jedoch teilen einige andere Oberlandesgerichte die Ansicht des vorlegenden Gerichts (die Oberlandesgerichte Hamburg, NJW 1953 S. 909 und MDR 1953 S. 426; Hamm, 4. ZS, MDR 1953 S. 362; Karlsruhe, NJW 1953 S. 908; München, 4. ZS, NJW 1953 S. 829; Neustadt, JR 1953 S. 263; Schleswig-Holstein, 1. ZS, SchlHA 1953 S. 264; KG, 12. ZS, NJW 1953 S. 985). Als offensichtlich unhaltbar kann die Rechtsauffassung des OLG also nicht bezeichnet werden.
III.
Die Ansicht des OLG, Art. 117 Abs. 1 zweiter Halbsatz GG sei wegen Überschreitung der auch dem Verfassungsgeber gesetzten Grenzen für den Bereich des Ehe- und Familienrechts unwirksam, ist nicht begründet.
Die Meinung des OLG, die Betrauung des Richters mit der Aufgabe, die am 1. April 1953 entstandene Gesetzeslücke zu füllen, verstoße gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Gewaltenteilung, könnte - wie dargelegt - nur dann begründet sein, wenn zumindest ein gewisser Kernbereich dieser Grundsätze zu den eigentlichen Gerechtigkeitswerten gehörte, die das Grundgesetz in seine Grundentscheidungen einbezogen hat, und wenn der Verfassungsgeber in Art. 117 Abs. 1 zweiter Halbsatz GG von diesen Grundsätzen in einem schlechthin nicht mehr erträglichen Maße abgewichen wäre.
1. Der Grundsatz der Rechtssicherheit ist durch Art. 117 Abs. 1 zweiter Halbsatz GG nicht verletzt.
a) Rechtssicherheit ist ein wesentliches Element des rechtsstaatlichen Prinzips (vgl. BVerfGE 2, 380 [403]). Dieses Prinzip seinerseits gehört zu den im Grundgesetz getroffenen Grundentscheidungen, die echte Gerechtigkeitspostulate verwirklichen wollen. Die Rechtssicherheit zu vernachlässigen, kann also auch dem Verfassungsgeber nur bis zu einer bestimmten Grenze gestattet sein. Würde eine Norm die dem Recht immanente Funktion der Friedensbewahrung verleugnen, verfälschen oder in unerträglichem Maße mißachten, so könnte sie selbst in der Gestalt einer ursprünglichen Verfassungsnorm nichtig sein. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, daß das Prinzip der Rechtssicherheit mit der Forderung nach materialer Gerechtigkeit häufig in Widerstreit liegt und daß es in erster Linie Aufgabe des Gesetzgebers sein muß, einen solchen Widerstreit bald nach der Seite der Rechtssicherheit, bald nach der Seite der materialen Gerechtigkeit hin zu entscheiden. Geschieht dies ohne Willkür, so kann ein solches Verfahren nicht beanstandet werden. Ein legitimer Grund, die Rechtssicherheit in gewissem Umfang und für gewisse Zeit einzuschränken, wird für den Gesetzgeber insbesondere dann gegeben sein, wenn er solche Einschränkungen um der Verwirklichung materialer Gerechtigkeit willen selbst setzt oder doch hinnimmt. Das ist hier geschehen. Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates erkannten die Gleichberechtigung von Mann und Frau einmütig als ein Gebot materialer Gerechtigkeit an. Unter allseitiger Zustimmung erklärte das Mitglied des Parlamentarischen Rates Dr. Strauß in der 42. Sitzung des Hauptausschusses vom 18. Januar 1949 (StenoProt. S. 529 ff. [538, 539]):
"...ich sage, daß der Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau uns zum mindesten seit 1918 bereits ... in Fleisch und Blut übergegangen ist ... Gerade die vergangenen Jahre haben wohl jedem Mann ... vor Augen geführt, daß die Aufgaben der Frau fast sogar noch schwerer - auch physisch schwerer - sind als die des Mannes ... Infolgedessen dürfte es gar keinen Zweifel ... darüber geben ..., daß wir die Gleichberechtigung der Frau in jeder Beziehung ... anerkennen und verlangen..."
Der Wille des Parlamentarischen Rates, diese rechtspolitische Forderung unmittelbar geltendes Recht werden zu lassen, ist bereits durch die Einordnung des Art. 3 Abs. 2 GG in die "Grundrechte" zum Ausdruck gekommen. Um Zeit für eine Anpassungsgesetzgebung zu gewinnen, hat der Grundgesetzgeber freilich in Art. 117 Abs. 1 GG diese Aktualisierung des Grundsatzes der Gleichberechtigung der Geschlechter um eine begrenzte Zeit hinausgeschoben. Jedoch wird zugleich durch die verschiedene Fassung der Absätze 1 und 2 des Art. 117 GG unterstrichen, daß man für den Fall fruchtlosen Ablaufs der Frist eine etwa dann folgende Rechtsunsicherheit um des als material gerecht Erkannten willen bewußt in Kauf nahm. Während nämlich in Art. 117 Abs. 2 GG die volle Wirksamkeit des Art. 11 GG (Freizügigkeit) ohne einen Endtermin bis zur Aufhebung des zunächst fortgeltenden entgegenstehenden Rechts durch ein besonderes Bundesgesetz gehemmt ist, ist die entsprechende Anordnung in Art. 117 Abs. 1 GG für Art. 3 Abs. 2 GG durch den Zusatz: "jedoch nicht länger als bis zum 31. März 1953" mit einem Endtermin versehen worden. Es mag sein, daß man im Parlamentarischen Rat zuversichtlich gehofft hat, der Gesetzgeber werde die Frist einhalten. Nachdem diese Hoffnung getrogen hatte, hätte die Frist durch den Gesetzgeber möglicherweise verlängert werden können. Da eine solche Fristverlängerung nicht Gesetz geworden ist, vermag der Richter die wohlerwogene und sachlich durchaus vertretbare Entscheidung des Gesetzgebers, daß er eine vielleicht vorübergehend eintretende Rechtsungewißheit um der Verwirklichung der Gleichberechtigung willen hinnehme, nicht zu ändern die eintretende Rechtsnot müßte denn schlechthin nicht erträglich sein.
b) Ob dies der Fall und deshalb Art. 117 Abs. 1 zweiter Halbsatz GG unwirksam ist, hängt davon ab, ob der in dieser Bestimmung aktualisierte Art. 3 Abs. 2 GG einen für die Lösung konkreter Streitigkeiten verwendbaren Rechtssatz bietet oder ob es sich - wie behauptet worden ist - nur um einen Programmsatz, einen politischen Begriff oder eine leere Formel, jedenfalls also um eine Bestimmung ohne greifbaren rechtlichen Gehalt handelt. Träfe das Letztere zu, so wäre in der Tat die Anwendung des Art. 3 Abs. 2 GG mit den richterlichen Mitteln der Subsumtion, Auslegung und Lückenfüllung nicht möglich. Es würde sich dann um eine politisch-weltanschaulich bestimmte Willensentscheidung des Richters handeln. Dies aber hieße, das Ehe- und Familienrecht ohne eine Bindung an das geltende Recht der persönlichen Ansicht des Richters ausliefern. Bei dem Umfang der ungewiß gewordenen Materie wäre dann ein Rechtschaos zu befürchten, das mit der friedensbewahrenden Funktion der Rechtssicherheit nicht mehr zu vereinbaren wäre.
So aber liegen die Dinge nicht. Vielmehr ist Art. 3 Abs. 2 GG eine zwar allgemeine, aber der unmittelbaren Anwendung fähige Rechtsnorm:
aa) Art. 3 Abs. 2 GG ist eine echte Rechtsnorm. Die Ansicht, es handle sich um einen nicht justiziablen Programmsatz, beruht in erster Linie darauf, daß die Bedeutung der Bestimmung als Konkretisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) verkannt wird. Der Sinn des allgemeinen Gleichheitssatzes liegt zu einem wesentlichen Teil darin, daß nicht alle tatsächlichen Verschiedenheiten zu unterschiedlicher Behandlung im Recht führen dürfen, sondern nur solche tatsächliche Ungleichheiten, denen aus Erwägungen der Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit auch für das Recht unterscheidende Bedeutung zukommt. Dies zu entscheiden ist in erster Linie Sache des Gesetzgebers. Doch findet sein Ermessen eine Grenze - und damit Art. 3 Abs. 1 GG seinen aktuellen Gehalt - im Willkürverbot und in den Konkretisierungen des Gleichheitssatzes durch die Verfassung selbst, wie sie neben Art. 3 Abs. 2 und 3 zum Beispiel auch in Art. 6 Abs. 5, Art. 9 Abs. 3, Art. 28 Abs. 1 gegeben sind. Nach den Erfahrungen der Vergangenheit erschien es dem Grundgesetzgeber notwendig, die Differenzierungen nach "Geschlecht, Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat, Herkunft, Glauben, religiösen oder politischen Anschauungen" durch einen besonderen Verfassungssatz zu verbieten. Offenbar hat er angenommen, die allgemeine Überzeugung von der Unzulässigkeit solcher Differenzierungen sei noch nicht so gefestigt, daß sie durch die Generalklausel des Art. 3 Abs. 1 GG allein wirksam ausgeschlossen würden. Die politische Frage, ob die in Art. 3 Abs. 2 und 3 genannten Ungleichheiten einen beachtlichen Grund für Differenzierungen im Recht abgeben worüber erfahrungsgemäß verschiedene Meinungen möglich sind -, ist damit verfassungskräftig verneint. Ob der Geschlechtsunterschied heute noch als rechtlich erheblich anzusehen ist, kann daher nicht mehr gefragt werden; diese Frage überhaupt stellen hieße, in einem circulus vitiosus die vom Grundgesetz bereits getroffene politische Entscheidung in die Hände des einfachen Gesetzgebers zurückspielen und Art. 3 Abs. 2 (3) GG seiner rechtlichen Bedeutung entkleiden.
Um Art. 3 Abs. 2 dem Willen des Grundgesetzes entsprechend als Rechtssatz zu erkennen und anzuwenden, ist es freilich erforderlich, dem Begriff "Gleichberechtigung" den ihm immanenten präzisen juristischen Sinn abzugewinnen und ihn nicht durch eine Gleichsetzung mit den manchmal polemisch verwendeten, rechtlich kaum faßbaren Vokabeln "Gleichwertigkeit" oder "Gleichmacherei" zu entwerten. Mit "Gleichwertigkeit" hat "Gleichberechtigung" nämlich nur insofern zu tun, als Gleichberechtigung stets - nicht nur im Verhältnis von Mann und Frau auf Gleichwertigkeit aufbaut, die die Andersartigkeit anerkennt (so Frau Dr. Selbers in der 42. Sitzung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates, StenoProt. S. 539 [540]). Von "Gleichmacherei" wesensmäßig verschiedener Kategorien kann im Zusammenhang mit dem Begriff der Gleichberechtigung schon deshalb nicht die Rede sein, weil das Differenzierungsverbot des Art. 3 Abs. 2 GG ebenso wie das des Abs. 3 nur die Bedeutung hat, daß die aufgeführten faktischen Verschiedenheiten keine rechtliche, nicht aber auch daß sie keine gesellschaftliche, soziologische, psychologische oder sonstige Wirkung haben dürfen. Im Recht ist ferner das Differenzierungsverbot beschränkt auf die in den Vergleichstatbeständen benannten unterschiedlichen Eigenschaften, zum Beispiel Mann - Frau, Protestant - Katholik usw. Differenzierungen, die auf anderen Unterschiedlichkeiten der Personen oder auf Unterschiedlichkeiten der Lebensumstände beruhen, bleiben von dem Differenzierungsverbot unberührt.
Gelegentlich wird von Gerichten dem Art. 3 Abs. 2 GG der Charakter als Rechtsnorm auch deshalb abgesprochen, weil sich aus ihm infolge seines inneren Zusammenhanges mit Art. 6 Abs. 1 GG, welcher Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stellt, ein klarer Rechtsgehalt nicht gewinnen lasse. Die Entwicklung lehrt demgegenüber, daß der Verfassungsgeber selbst die beiden Prinzipien ohne Bedenken als vereinbar angesehen hat: Der Gesetzgeber der Weimarer Verfassung hatte ihr Verhältnis zueinander dadurch klar zum Ausdruck gebracht, daß er sie in Art. 119 Abs. 1 unmittelbar nebeneinander aufführte; dort hieß es: "Die Ehe steht als Grundlage des Familienlebens und der Erhaltung und der Vermehrung der Nation unter dem besonderen Schutz der Verfassung. Sie beruht auf der Gleichberechtigung der beiden Geschlechter." Der Gesetzgeber des Bonner Grundgesetzes wollte über den damaligen Zustand nur insoweit hinausgehen, als er die programmatisch gemeinten Bestimmungen der Weimarer Verfassung in aktuell geltendes Recht fortentwickeln wollte (vgl. die einmütigen Erklärungen aller Sprecher in der 17. und 42. Sitzung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates, StenoProt. S. 206 ff. und S. 538 ff.). Da mithin kein Zweifel sein kann, daß der Verfassungsgeber Art. 6 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 2 GG für vereinbar hielt, kann eine Auslegung, die dieser Vorstellung des Gesetzgebers Rechnung trägt, nur zu dem Ergebnis kommen: auch in Ehe und Familie sind Mann und Frau gleichberechtigt.
Es bedarf kaum eines Hinweises, daß im Bereich des Familienrechts im Hinblick auf die objektiven biologischen oder funktionalen (arbeitsteiligen) Unterschiede nach der Natur des jeweiligen Lebensverhältnisses auch eine besondere rechtliche Regelung erlaubt oder sogar notwendig ist (z. B. alle Bestimmungen zum Schutze der Frau als Mutter, Differenzierungen der Art der Leistung für die Familiengemeinschaft). Das wird auch von keiner Seite ernstlich verkannt und liegt gerade einem großen Teil der zur Verwirklichung der Gleichberechtigung aufgestellten Forderungen als selbstverständliche Voraussetzung zugrunde. Bei richtiger Zusammenschau von Art. 3 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 1 GG ist also nicht die Gefährdung der einen Bestimmung durch die andere zu befürchten, vielmehr anzunehmen, daß sie, der Absicht des Grundgesetzgebers entsprechend, dazu dienen werden, einander zu erfüllen.
bb) Richtig ist, daß es sich bei Art. 3 Abs. 2 GG um eine allgemeine Rechtsregel handelt, deren Anwendung vom Richter anders als die einer Spezialnorm - nicht nur oder doch überwiegend Beweiswürdigung und Subsumtion des Tatbestandes verlangt. Eine solche Norm stellt vielmehr besondere Anforderungen an die Kraft richterlicher Interpretation und Gesetzesergänzung. Doch ist diese Art rechtsfindender Lückenfüllung im modernen Rechtsstaat mehr und mehr zur echten richterlichen Aufgabe geworden.
Die manchmal erhobene Forderung, das Gesetz müsse so speziell sein, daß die rechtliche Lösung des Einzelfalles nahezu mit Sicherheit vorausgesehen werden könne, ist, wie geschichtliche Beispiele lehren, unerfüllbar. Die Berechenbarkeit der Lösung ist naturgemäß bei der Anwendung von Spezialnormen dem Grad nach höher als bei der Anwendung von Blankettbegriffen und allgemeinen Rechtsregeln. Gleichwohl verwendet der moderne Gesetzgeber vielerorts unbestimmte Rechtsbegriffe und allgemeine Regeln, weil es unmöglich ist, mit Spezialnormen der Vielfalt der Lebensverhältnisse Herr zu werden und zugleich einen Weg zu der rechtlichen Differenzierung zu eröffnen, die im Einzelfall eine gerechte Entscheidung oft erst ermöglicht.
Die Meinung, daß Art. 3 Abs. 2 GG, der eine Verfassungsbestimmung ist und zugleich familienrechtliche Bedeutung hat, mit anderen als aktuell anerkannten allgemeinen Rechtsregeln nicht vergleichbar sei, ist unbegründet.
Insbesondere ist nicht zu ersehen, aus welchem Grunde bestehendes Recht nur in der Weise sollte aufgehoben werden können, daß entweder die zu beseitigenden Vorschriften einzeln aufgezählt werden oder daß den neuen Einzelvorschriften eine Klausel hinzugefügt wird, welche die ihnen entsprechenden älteren Vorschriften außer Kraft setzt (so besonders Schneider, NJW 1953 S. 889 [890] zu II 3). Es ist kein Grund erkennbar, warum das nicht auch in der Art sollte geschehen können, daß der Gesetzgeber eine positive, allgemein gefaßte Rechtsnorm setzt, aus deren Inhalt sich das Außerkrafttreten entgegenstehenden Rechts von selbst ergibt. Art. 12 GG, der allgemein in diesem Sinne verstanden wird, bietet dafür ein anschauliches Beispiel.
Art. 3 Abs. 2 GG unterscheidet sich von anderen Generalklauseln auch nicht dadurch, daß nur er den Richter nötige, eine Gesetzeslücke in schöpferischer Rechtsfindung zu schließen. Auch solche schöpferische Füllung weiter Lücken auf der Grundlage einer richtungweisenden Klausel ist eine herkömmliche und stets bewältigte richterliche Aufgabe. So ist etwa aus der Generalklausel von Treu und Glauben in Verbindung mit anderen allgemeinen Rechtserwägungen eine Fülle einzelner Rechtssätze, ja ganzer Rechtsinstitute von der Rechtsprechung entwickelt worden (z. B. Aufwertung, Verwirkung, Wegfall der Geschäftsgrundlage, Verschulden bei Vertragsschluß u. a.). Das weite Gebiet des internationalen Schuldrechts - mit Ausnahme des Deliktsstatuts, Art. 12 EGBGB - ist vom Gesetzgeber (sogar ohne jede Generalklausel) bewußt der allmählichen Entwicklung durch die Rechtsprechung überlassen worden, weil der Erkenntnisstand bei Erlaß des Bürgerlichen Gesetzbuches noch zu ungewiß war, als daß nicht gesetzliche Normierungen voreilig gewesen wären. Alle diese Aufgaben hat die Rechtsprechung gemeistert, ohne daß eine irgend nennenswerte Rechtsunsicherheit spürbar geworden wäre.
Die dem Richter in Art. 3 Abs. 2 GG gestellte Aufgabe ist schließlich nicht deshalb außergewöhnlich, weil es dabei neben wirtschaftlichen Fragen auch um immaterielle Fragen des Ehe- und Familienrechts geht. Derselben grundsätzlichen Aufgabe sieht sich der Richter im Familienrecht bei der Rechtsprechung zu Mißbrauchstatbeständen und zu den allgemeinen Scheidungsklauseln der §§ 43 und 48 des Ehegesetzes gegenüber, ohne daß er je Anlaß gesehen hätte, sich dieser Aufgabe aus rechtlichen, weltanschaulichen oder Gewissensgründen zu versagen.
cc) Auch der Anwendung von Art. 3 Abs. 2 GG hat sich die große Mehrzahl der Gerichte mit dem Ablauf der in Art. 117 Abs. 1 GG gesetzten Frist nicht verschlossen. Vielmehr ist in den seit dem Fristablauf verstrichenen acht Monaten schon eine umfangreiche Judikatur entstanden. Die Gerichte haben ihre Aufgabe mit Recht nicht darin gesehen, das gesamte Ehe- und Familienrecht neuzugestalten. Sie haben sich vielmehr an das bisher gesetzte Recht gebunden gehalten, soweit es nicht mit Art. 3 Abs. 2 GG unvereinbar ist. Auf dieser Grundlage wiederum haben sich ihnen für eine Reihe von Fragen eindeutige Lösungen angeboten. Im übrigen haben die Gerichte sich der erprobten Hilfsmittel, nämlich der Interpretation und Lückenfüllung, unter Verwertung auch der rechtsvergleichenden Methode bedient und vor allem auf den auch für die rechtliche Auslegung wesentlichen Inhalt der weithin einheitlichen Forderungen zurückgegriffen, die bei der Diskussion um die Gleichberechtigung im Laufe des vergangenen halben Jahrhunderts erhoben worden sind.
Selbstverständlich sind, besonders in der ersten Anlaufzeit, auch vielfach von einander abweichende Urteile ergangen. Die Befürchtung aber, es könne ein Rechtschaos entstehen, hat sich nicht bestätigt. Ein Blick auf die bisherige Rechtsprechung zeigt, daß sich zu den praktisch wichtigsten Zweifelsfragen eine herrschende Meinung bereits mit Deutlichkeit abzeichnet. Das Bundesverfassungsgericht hat nicht die Aufgabe, zu den Erkenntnissen der Rechtsprechung selbst Stellung zu nehmen. Die nachstehenden Beispiele belegen also nur die hier getroffene Feststellung, daß eine unerträgliche Rechtsunsicherheit jedenfalls nicht entstanden oder noch zu erwarten ist.
Eine solche herrschende Meinung wird, wie die oben zu B II 3 zitierten Entscheidungen beweisen, schon in der Frage erkennbar, ob der Ehemann auch weiterhin der unbemittelten Ehefrau die Prozeßkosten vorzuschießen hat oder ob sie auf das Armenrecht zu verweisen ist, d.h. für die Frage, die Anlaß zu dieser Vorlage gegeben und auch sonst im Zusammenhang mit Art. 3 Abs. 2 GG die Gerichte seit dem 1. April 1953 am meisten beschäftigt hat.
Nahezu in allen Entscheidungen, die Wirkungen der Gleichberechtigung für die Zeit seit dem Fristablauf betreffen, wird kein Unterschied gemacht zwischen Ehen, die vor dem 1. April 1953, und solchen, die nachher geschlossen worden sind (BGH, V.ZS, Urt. vom 14. Juli 1953, BGHZ 10, 266; ebenso Urt. des IV., speziell für Familienrecht zuständigen Senats des BGH vom 29. Oktober 1953 - IV ZR 40/53; ferner OLG Hamm, NJW 1953 S. 1225, und die meisten der oben zu B II 3 zitierten Entscheidungen).
Allgemein wird ferner angenommen, daß beide Ehegatten zum Unterhalt der Familie nach ihren Kräften beizutragen haben, d. h. in der Regel der Mann durch außerhäusliche Erwerbsarbeit und Bereitstellung von Barmitteln, die Frau durch Haushaltsführung und Sorge für die Kinder. Die Leistungen der Frau und Mutter, deren Bewertung § 1356 Abs. 2 BGB bisher unmöglich machte, werden dabei den Leistungen des Mannes gleichgestellt und ebenso wie diese im Unterhaltsstreit der Ehegatten oder der Eltern und Kinder in die Berechnung einbezogen (so in Fortführung eines z. B. in BGHZ 8, 374 verwendeten Rechtsgedankens die Oberlandesgerichte Celle, MDR 1953 S. 429; Düsseldorf, NJW 1953 S. 909; Frankfurt, ZS Kassel, NJW 1953 S. 1104; Schleswig-Holstein, SchlHA 1953 S. 132; Stuttgart, NJW 1953 S. 1352, und die Landgerichte Bremen, NJW 1953 S. 1107; Kassel, MDR 1953 S. 493).
Übereinstimmend wird weiter davon ausgegangen, daß die elterliche Gewalt Vater und Mutter gemeinsam zusteht (z. B. OLG Hamm, NJW 1953 S. 1354, die Landgerichte Kassel, NJW 1953 S. 989, und Hamburg, NJW 1953 S. 1106).
Als gesetzlicher Güterstand ist nach weit überwiegender Meinung die Gütertrennung anerkannt worden (z. B. BGH in BGHZ 10, 266; OLG Neustadt, NJW 1953 S. 989, und ein großer Teil der oben zu B II 3 zitierten Urteile). In welcher Weise dabei der wirtschaftlich Schwächere, also in der Regel die Frau, während der Ehe und nach Auflösung der Ehe an dem Ertrag der gemeinsamen Lebensarbeit zu beteiligen sei, ist seit dem 1. April 1953 zwar vielfältig erörtert (vgl. z. B. Dölle, JZ 1953 S. 353 und S. 617, und Bosch, JZ 1953 S. 448, beide mit weiteren Nachweisen), aber, soweit die Veröffentlichungen erkennen lassen, noch nicht entschieden worden. Immerhin hat der Bundesgerichtshof schon in einer Entscheidung vom 20. Dezember 1952 (BGHZ 8, 249) ausgesprochen, daß es bei verständiger und lebensnaher Berücksichtigung der gesamten Verhältnisse im Rahmen einer Ehe weder eines schriftlichen Vertrages noch eines unter gemeinsamem Namen betriebenen Erwerbsgeschäftes bedarf, um anzunehmen, daß die Ehegatten "während der Ehe in der ihren Verhältnissen entsprechenden Weise an den Ergebnissen ihrer gemeinsamen Arbeit gemeinsam teilhaben", und um bei Beendigung der Ehe einen Auseinandersetzungsanspruch nach Art einer Innengesellschaft anzuerkennen. Das Bundesverfassungsgericht ist nicht berufen zu entscheiden, inwieweit mit diesem Urteil der Rechtsprechung allgemein Wege für die Lösung güterrechtlicher Fragen gewiesen sind. Jedenfalls ist die Aufgabe, über die Beteiligung des wirtschaftlich schwächeren Ehegatten an dem Zugewinn zu entscheiden, durch dieses Urteil als für den Richter lösbar erwiesen.
Zu der in der öffentlichen Meinung meistumstrittenen Frage der Entscheidungsbefugnis des Ehemannes und Vaters (§§ 1354, 1627,1634 BGB) ist Rechtsprechung bisher nicht bekannt geworden. Die Fortgeltung des § 1354 Abs. 1 BGB kann für die Gerichte im wesentlichen nur in einem Scheidungsprozeß, die Fortgeltung der §§ 1627, 1634 BGB nur in einem unmittelbar oder im Wege der Analogie auf § 1666 BGB gegründeten Verfahren erheblich werden. In aller Regel werden in diesen Verfahren Erwägungen darüber, was aus der gegenseitigen Verpflichtung zur Lebensgemeinschaft heraus oder was zum Wohle des Kindes sachlich geboten ist, die Entscheidung tragen, ohne daß zur Frage der Entscheidungsbefugnis und der Gehorsamspflicht grundsätzlich Stellung genommen werden müßte. Die Möglichkeit, daß eine solche Stellungnahme doch in Ausnahmefällen nötig und dann durch die weltanschaulich-politische Haltung des Richters beeinflußt werden könnte, rechtfertigt nicht die Sorge vor einer unerträglichen Rechtsunsicherheit.
2. Auch der Grundsatz der Gewaltenteilung steht der Wirksamkeit des Art. 117 Abs. 1 zweiter Halbsatz GG nicht entgegen. Freilich ist Gewaltenteilung ein tragendes Organisationsprinzip des Grundgesetzes. Seine Bedeutung liegt in der politischen Machtverteilung, dem Ineinandergreifen der drei Gewalten und der daraus resultierenden Mäßigung der Staatsherrschaft. Dieses Prinzip ist jedoch nirgends rein verwirklicht. Auch in den Staatsordnungen, die das Prinzip anerkennen, sind gewisse Überschneidungen der Funktionen und Einflußnahmen der einen Gewalt auf die andere gebräuchlich. Ob Durchbrechungen des Prinzips durch den originären Verfassungsgeber hiernach überhaupt geeignet sein können, jene letzten Grenzen zu überschreiten, deren Nichtbeachtung zur Rechtsungültigkeit auch einer ursprünglichen Verfassungsnorm führen könnte, ist zumindest zweifelhaft. Das alles braucht hier jedoch nicht weiter verfolgt zu werden; denn das OLG gibt bei seiner These, Art. 117 Abs. 1 zweiter Halbsatz GG verletze den Grundsatz der Gewaltenteilung, diesem Grundsatz einen besonderen Sinn. Es meint, das Gewaltenteilungsprinzip verbiete es schlechthin, eine Aufgabe, die der Grundgesetzgeber erkennbar dem Gesetzgeber zugedacht habe und die auch tatsächlich ihrem Wesen nach eine gesetzgeberische sei, nachträglich (d. h. hier: bei Untätigkeit des Gesetzgebers innerhalb einer bestimmten Frist) doch noch dem Richter zu übertragen. Daß hier eine dem Wesen nach gesetzgeberische, nicht richterliche Aufgabe vorliege, folgert das OLG daraus, daß nicht auf Grund objektiver, "richterlicher", Maßstäbe eine Anwendung von Rechtsnormen stattzufinden habe, sondern daß auf politisch-weltanschaulicher Grundlage eine Entscheidung darüber getroffen werden müsse, welche Rechtsnormen überhaupt gelten. Das mündet in dieselbe Begründung, die das OLG dazu geführt hat, einen Verstoß gegen das Prinzip der Rechtssicherheit anzunehmen. Aus der unter B II 1 getroffenen Feststellung, daß die durch Art. 117 Abs. 1 zweiter Halbsatz GG dem Richter übertragene Aufgabe ihrem Wesen nach noch eine echt richterliche Aufgabe ist und daß sie ohne Verletzung des Prinzips der Rechtssicherheit erfüllt werden kann, ergibt sich zugleich, daß auch der Grundsatz der Gewaltenteilung nicht verletzt wird.
IV.
Es ist mithin die Wirksamkeit des Art. 117 Abs. 1 GG insoweit festzustellen, als er das dem Art. 3 Abs. 2 GG entgegenstehende bürgerliche Recht auf dem Gebiet von Ehe und Familie mit Ablauf des 31. März 1953 außer Kraft setzt.