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Art. 37 GG - Bundeszwang (Kommentar)

(1) Wenn ein Land die ihm nach dem Grundgesetze oder einem anderen Bundesgesetze obliegenden Bundespflichten nicht erfüllt, kann die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates die notwendigen Maßnahmen treffen, um das Land im Wege des Bundeszwanges zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten.

(2) Zur Durchführung des Bundeszwanges hat die Bundesregierung oder ihr Beauftragter das Weisungsrecht gegenüber allen Ländern und ihren Behörden.

1. Allgemeines

Art. 37 GG regelt den sogenannten „Bundeszwang“. Dieser Begriff beschreibt das Recht und die Möglichkeit des Bundes, Zwangsmaßnahmen gegen ein Bundesland zu ergreifen, wenn dieses seine verfassungsrechtlichen Verpflichtungen gegenüber dem Bund nicht erfüllt. Die Bestimmung spiegelt die föderale Ordnung der Bundesrepublik Deutschland wider und gewährleistet die Einhaltung der Bundesgesetze und der im Grundgesetz festgelegten bundesstaatlichen Pflichten durch die Länder.

2. Absatz 1: Voraussetzungen und Durchführung des Bundeszwangs

2.1. Verletzung bundesstaatlicher Pflichten

Art. 37 Abs. 1 GG setzt voraus, dass ein Land „bundesstaatliche Pflichten“ verletzt. Darunter fallen alle verfassungsrechtlichen Verpflichtungen, die einem Land gegenüber dem Bund obliegen. Dies können sowohl ausdrückliche Pflichten sein, die im Grundgesetz selbst geregelt sind, als auch solche, die sich implizit aus der Struktur des Bundesstaates ergeben.

  • Ausdrückliche Pflichten: Hierzu zählen etwa die Verpflichtung zur Beachtung und Ausführung von Bundesgesetzen nach Art. 83 ff. GG oder die Pflicht zur Treue gegenüber der Verfassungsordnung gemäß Art. 28 Abs. 3 GG.
  • Implizite Pflichten: Diese ergeben sich z. B. aus dem allgemeinen Prinzip des Bundesstaates. Ein Beispiel ist die Loyalitätspflicht der Länder gegenüber dem Bund, die sich aus dem föderalen Aufbau der Bundesrepublik ableiten lässt.

Die konkrete Feststellung einer Pflichtverletzung erfolgt durch die Bundesregierung. Diese Feststellung kann jedoch einer gerichtlichen Überprüfung unterliegen, da Art. 37 GG in den grundgesetzlich garantierten Kompetenzen der Länder eingreift.

2.2. Zustimmung des Bundesrates

Ein wesentliches formelles Erfordernis für den Einsatz des Bundeszwangs ist die Zustimmung des Bundesrates. Dies verdeutlicht die Bedeutung des föderalen Systems der Bundesrepublik, da der Bundesrat als Vertretungsorgan der Länder sicherstellt, dass der Einsatz des Bundeszwangs nicht leichtfertig oder parteipolitisch motiviert erfolgt.

  • Funktion des Bundesrates: Der Bundesrat dient als Kontrollorgan und soll den Föderalismus wahren, indem er die Interessen der Länder gegenüber dem Bund verteidigt. Durch die Zustimmungspflicht wird das Prinzip der bundesstaatlichen Solidarität betont.
  • Mehrheitsanforderung: Die Zustimmung des Bundesrates erfordert eine absolute Mehrheit (Art. 52 Abs. 3 GG). Dies stellt sicher, dass nur eine breite Mehrheit von Ländern dem Einsatz des Bundeszwangs zustimmt.

2.3. Durchführung des Bundeszwangs

Die Durchführung des Bundeszwangs erfolgt durch die Bundesregierung. Sie kann hierbei alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um das Land zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten. Die Maßnahmen des Bundeszwangs müssen jedoch verhältnismäßig sein. Sie dürfen nicht über das erforderliche Maß hinausgehen und müssen das mildeste Mittel darstellen, das zur Erreichung des Zwecks geeignet ist.

  • Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: Jede Zwangsmaßnahme muss den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Hierbei sind insbesondere die Grundrechte der betroffenen Bürger zu beachten, die durch die Maßnahmen des Bundeszwangs beeinträchtigt werden könnten.
  • Mögliche Maßnahmen: Denkbare Maßnahmen sind die Weisung an ein Land, eine bestimmte Handlung vorzunehmen oder zu unterlassen, die Aufhebung rechtswidriger Landesgesetze oder -verordnungen, bis hin zum Einsatz von Bundespolizei oder Bundeswehr, sofern dies im Rahmen des Art. 87a Abs. 4 GG notwendig erscheint.

3. Absatz 2: Vollzug der Maßnahmen

3.1. Weisungsrecht der Bundesregierung

Art. 37 Abs. 2 GG sieht vor, dass die Bundesregierung im Rahmen der Durchführung des Bundeszwangs ein umfassendes Weisungsrecht gegenüber den betroffenen Ländern und deren Behörden besitzt. Dies ist notwendig, um die Durchführung der Zwangsmaßnahmen zu koordinieren und effektiv umzusetzen.

  • Weisungsrecht als Durchgriffsbefugnis: Das Weisungsrecht der Bundesregierung ermöglicht es, direkt in die Verwaltung der Länder einzugreifen und Anordnungen zu erlassen, die sowohl auf Landes- als auch auf kommunaler Ebene umzusetzen sind. Damit wird ein direktes Durchgriffsrecht des Bundes geschaffen.
  • Delegation an einen Beauftragten: Die Bundesregierung kann dieses Weisungsrecht an einen Beauftragten delegieren. Der Beauftragte agiert dann im Namen und im Auftrag der Bundesregierung, wobei er rechtlich wie diese gebunden ist.

3.2. Rechtsschutz und Kontrolle

Der Einsatz des Bundeszwangs und die damit verbundenen Weisungen unterliegen einer engen verfassungsrechtlichen Kontrolle. Betroffene Länder haben die Möglichkeit, gegen Maßnahmen des Bundeszwangs den Rechtsweg zu beschreiten.

  • Verfassungsrechtlicher Rechtsschutz: Die betroffenen Länder können Verfassungsbeschwerde erheben oder ein Organstreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht anstrengen, um die Rechtmäßigkeit des Bundeszwangs überprüfen zu lassen.
  • Kontrolle durch den Bundestag: Da es sich beim Bundeszwang um eine einschneidende Maßnahme handelt, ist eine parlamentarische Kontrolle durch den Bundestag notwendig. Dies gewährleistet, dass der Einsatz des Bundeszwangs transparent und demokratisch legitimiert erfolgt.

4. Abgrenzung und Verhältnis zu anderen Verfassungsnormen

Art. 37 GG muss im Kontext anderer Normen des Grundgesetzes betrachtet werden, die ebenfalls Regelungen zu Notstands- und Zwangsmaßnahmen enthalten.

  • Art. 91 GG (Innerer Notstand): Art. 91 GG erlaubt dem Bund, bei Gefährdungen des Bundes oder eines Landes durch inneren Notstand die Befugnisse der Länder vorübergehend zu übernehmen. Im Unterschied zu Art. 37 GG bezieht sich Art. 91 GG auf außergewöhnliche innere Notlagen und erfordert keine Zustimmung des Bundesrates.
  • Art. 28 Abs. 3 GG (Bundestreue): Diese Norm sichert die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern und könnte Grundlage für den Einsatz von Art. 37 GG sein, wenn ein Land die freiheitliche demokratische Grundordnung verletzt.