danke-sagen-unterstützen

Wissen Sie mehr? Als Co-Autor bearbeiten oder als Leser kommentieren. Mehr erfahren...

Art. 35 GG - Rechts-, Amts- und Katastrophenhilfe (Kommentar)

(1) Alle Behörden des Bundes und der Länder leisten sich gegenseitig Rechts- und Amtshilfe.

(2) ¹Zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung kann ein Land in Fällen von besonderer Bedeutung Kräfte und Einrichtungen des Bundesgrenzschutzes zur Unterstützung seiner Polizei anfordern, wenn die Polizei ohne diese Unterstützung eine Aufgabe nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten erfüllen könnte. ²Zur Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall kann ein Land Polizeikräfte anderer Länder, Kräfte und Einrichtungen anderer Verwaltungen sowie des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte anfordern.

(3) ¹Gefährdet die Naturkatastrophe oder der Unglücksfall das Gebiet mehr als eines Landes, so kann die Bundesregierung, soweit es zur wirksamen Bekämpfung erforderlich ist, den Landesregierungen die Weisung erteilen, Polizeikräfte anderen Ländern zur Verfügung zu stellen, sowie Einheiten des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte zur Unterstützung der Polizeikräfte einsetzen. ²Maßnahmen der Bundesregierung nach Satz 1 sind jederzeit auf Verlangen des Bundesrates, im übrigen unverzüglich nach Beseitigung der Gefahr aufzuheben.

1. Allgemeines

Artikel 35 des Grundgesetzes (GG) regelt die Amtshilfe und die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern sowie zwischen den Ländern untereinander. Diese Norm bildet die Grundlage für die administrative und operative Kooperation in Deutschland und ist von zentraler Bedeutung für das föderale System der Bundesrepublik. Sie stellt sicher, dass Bund und Länder sowie die Länder untereinander in bestimmten Situationen effizient und rechtmäßig zusammenarbeiten können. Der Artikel ist sowohl für den normalen Verwaltungsalltag als auch für außergewöhnliche Gefahren- und Katastrophensituationen von großer Bedeutung.

2. Absatz 1: Allgemeine Amtshilfe und Rechtshilfe

„Alle Behörden des Bundes und der Länder leisten sich gegenseitig Rechts- und Amtshilfe.“

2.1. Begriff und Bedeutung der Amtshilfe und Rechtshilfe

Der erste Absatz von Art. 35 GG normiert den Grundsatz der gegenseitigen Amtshilfe und Rechtshilfe zwischen den Behörden des Bundes und der Länder. Amtshilfe bedeutet die Unterstützung einer Behörde durch eine andere Behörde bei der Erfüllung ihrer Aufgaben, während Rechtshilfe die Unterstützung bei der Durchführung rechtlicher Maßnahmen umfasst. Der Begriff der „Behörden“ ist weit gefasst und umfasst alle Verwaltungseinheiten, einschließlich der Ministerien, Verwaltungsbehörden, Polizei- und Sicherheitsbehörden sowie nachgeordnete Ämter und Dienststellen.

2.2. Historischer Kontext und Systematik

Der Grundsatz der Amtshilfe hat eine lange Tradition im deutschen Verwaltungsrecht und geht auf die preußischen und deutschen Verwaltungsordnungen des 19. Jahrhunderts zurück. Art. 35 Abs. 1 GG knüpft an diese Tradition an und stellt sicher, dass das föderale System auch in der Praxis handlungsfähig bleibt. Die Norm steht im Kontext der Kompetenz- und Verwaltungsverteilung zwischen Bund und Ländern und ergänzt die Grundsätze der Zusammenarbeit und des kooperativen Föderalismus.

2.3. Rechtsnatur und Verbindlichkeit

Art. 35 Abs. 1 GG stellt eine bundesverfassungsrechtliche Verpflichtung dar, die unmittelbar gilt und für alle Verwaltungsbehörden des Bundes und der Länder bindend ist. Diese Verpflichtung kann weder durch einfache Gesetze eingeschränkt noch aufgehoben werden. Die Verfassungsnorm wirkt unmittelbar und ist justiziabel, was bedeutet, dass eine Behörde bei Nichtbefolgung gerichtlich zur Leistung der Amtshilfe verpflichtet werden kann.

2.4. Anwendungsbereich und Rechtspraxis

Die Amtshilfe erstreckt sich auf alle Bereiche der Verwaltungstätigkeit, soweit keine spezialgesetzlichen Regelungen entgegenstehen. Amtshilfeersuchen dürfen nur abgelehnt werden, wenn die Behörde aus rechtlichen Gründen gehindert ist oder die Amtshilfe mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden wäre. Die Verwaltungsgerichte überprüfen solche Entscheidungen und stellen sicher, dass das Prinzip der Amtshilfe tatsächlich umgesetzt wird. In der Praxis kommt es häufig zu Amtshilfeersuchen, insbesondere in den Bereichen des Polizeiwesens, der Gefahrenabwehr, des Katastrophenschutzes und der Finanzverwaltung.

3. Absatz 2: Zusammenarbeit bei Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen

„Zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung können die zuständigen Landesbehörden in Fällen einer Naturkatastrophe oder eines besonders schweren Unglücksfalles Kräfte und Einrichtungen der Bundespolizei und der Streitkräfte anfordern.“

3.1. Normzweck und Abgrenzung zu Absatz 1

Absatz 2 regelt spezielle Fälle der Zusammenarbeit, die über die allgemeine Amtshilfe hinausgehen. Im Gegensatz zu Absatz 1, der alle Verwaltungsbereiche umfasst, bezieht sich Absatz 2 spezifisch auf Situationen, in denen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung durch Naturkatastrophen oder besonders schwere Unglücksfälle bedroht ist. Der Anwendungsbereich ist enger, aber die Einsatzmöglichkeiten sind weitreichender, da auch die Streitkräfte – unter bestimmten verfassungsrechtlichen Voraussetzungen – zum Einsatz kommen können.

3.2. Begriffsbestimmungen: Naturkatastrophen und besonders schwere Unglücksfälle

Der Begriff „Naturkatastrophen“ umfasst extreme Naturereignisse wie Erdbeben, Überschwemmungen, Stürme oder Waldbrände, die eine massive Bedrohung für Menschenleben, Gesundheit und Sachwerte darstellen. „Besonders schwere Unglücksfälle“ beziehen sich auf durch menschliches Handeln oder technisches Versagen verursachte Ereignisse, wie zum Beispiel Industrieunfälle, Großbrände, Massenkarambolagen oder terroristische Angriffe.

3.3. Voraussetzungen und Verfahren der Anforderung

Für die Anforderung von Bundespolizei und Streitkräften ist die zuständige Landesbehörde verantwortlich. Sie muss die Notwendigkeit des Einsatzes in einer konkreten Gefahrensituation darlegen und die Entscheidung über den Einsatz in enger Abstimmung mit der Bundesebene treffen. Die Anforderung stellt sicher, dass keine eigenmächtigen Handlungen der Länder erfolgen und der Einsatz der Streitkräfte verfassungsrechtlich legitimiert ist.

3.4. Verfassungsrechtliche und völkerrechtliche Grenzen

Der Einsatz der Streitkräfte im Innern unterliegt strengen verfassungsrechtlichen Grenzen, insbesondere durch Art. 87a GG. Ein Einsatz der Bundeswehr im Innern ist nur zulässig, wenn die verfassungsmäßige Ordnung oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährdet ist und andere Mittel nicht ausreichen. Die strenge verfassungsrechtliche Kontrolle soll sicherstellen, dass es nicht zu einer Militarisierung der inneren Sicherheit kommt. Auch völkerrechtliche Verpflichtungen, insbesondere die Einhaltung der Menschenrechte, sind zu beachten.

4. Absatz 3: Einsatz von Polizeikräften und Einrichtungen des Bundes und anderer Länder

„Ist in einem Land die Feststellung der gegenwärtigen Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung auf andere Weise nicht möglich oder reicht die Polizeigewalt eines Landes zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nicht aus, so können die Bundesregierung oder die zuständige oberste Landesbehörde den Einsatz von Polizeikräften anderer Länder und von Einrichtungen und Kräften anderer Länder und des Bundes anordnen.“

4.1. Norminhalt und Zielsetzung

Absatz 3 erweitert die Möglichkeiten der Zusammenarbeit und des Ressourceneinsatzes bei besonders schwerwiegenden Bedrohungslagen. Er ermöglicht den Einsatz von Polizeikräften und sonstigen Kräften des Bundes und anderer Länder, wenn die Mittel eines einzelnen Landes zur Bewältigung der Lage nicht ausreichen. Ziel ist es, auch bei extremen Gefahrenlagen die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der gesamten Bundesrepublik zu gewährleisten.

4.2. Rechtliche Voraussetzungen für den Einsatz

Der Einsatz setzt eine „gegenwärtige Gefahr“ voraus, die eine sofortige Handlung notwendig macht. „Gegenwärtig“ bedeutet, dass die Gefahr unmittelbar droht oder bereits eingetreten ist. Eine weitere Voraussetzung ist, dass die vorhandenen Polizeikräfte eines Landes nicht ausreichen, um die Gefahr abzuwenden. Die Anordnung kann sowohl von der Bundesregierung als auch von der zuständigen obersten Landesbehörde ergehen, was eine schnelle und flexible Reaktion auf die Gefahrensituation ermöglicht.

4.3. Vereinbarkeit mit dem Föderalismusprinzip

Absatz 3 wahrt das Prinzip des kooperativen Föderalismus, da er die Zusammenarbeit und Koordination zwischen den Ländern und dem Bund fördert, ohne die Eigenverantwortung der Länder grundsätzlich infrage zu stellen. Der Bund wird jedoch nicht ermächtigt, dauerhaft die Polizeigewalt in einem Land zu übernehmen; es handelt sich immer um eine temporäre und anlassbezogene Maßnahme.

4.4. Rechtsschutz und Kontrolle

Der Einsatz von Polizeikräften und sonstigen Einrichtungen muss im Einklang mit den Grundrechten stehen. Insbesondere sind die Verhältnismäßigkeit und das Rechtsstaatsprinzip zu wahren. Die betroffenen Länder und ihre Bürger haben die Möglichkeit, gerichtlichen Rechtsschutz gegen unverhältnismäßige Maßnahmen zu suchen. In der Praxis wird der Einsatz oft von politischen Kontroversen begleitet, insbesondere in Hinblick auf die Grenzen der föderalen Zusammenarbeit und die Wahrung der Landeshoheit.

Literaturverzeichnis