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Art. 34 GG - Haftung bei Amtspflichtverletzung (Kommentar)

¹Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. ²Bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit bleibt der Rückgriff vorbehalten. ³Für den Anspruch auf Schadensersatz und für den Rückgriff darf der ordentliche Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden.

Artikel 34 des Grundgesetzes (GG) beschäftigt sich mit der Verantwortlichkeit des Staates für rechtswidriges Verhalten seiner Amtsträger im Rahmen der Amtshaftung. Er stellt sicher, dass der Staat für das Verhalten seiner Amtsträger haftet und regelt gleichzeitig die Rückgriffsmöglichkeit bei vorsätzlichem oder grob fahrlässigem Verhalten. Die Norm gewährleistet zudem, dass der ordentliche Rechtsweg für Amtshaftungsansprüche nicht ausgeschlossen werden kann, was den Rechtsschutz der Bürger maßgeblich stärkt. Art. 34 GG trägt damit zu einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Staat und Bürger bei und stärkt das Vertrauen in den Rechtsstaat. Diese Regelungen sind nicht nur Ausdruck eines fortgeschrittenen Staatsverständnisses, sondern auch ein wesentlicher Bestandteil des sozialen Rechtsstaates nach dem Grundgesetz. Art. 34 GG bildet zusammen mit § 839 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) das Herzstück des deutschen Amtshaftungsrechts.

1. Satz 1: Grundsatz der Staatshaftung

"Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm gegenüber einem Dritten obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht."

1.1. Historische Entwicklung und Rechtsdogmatik

Art. 34 GG basiert auf dem Grundsatz der Staatshaftung, der in Deutschland erstmals im Haftpflichtgesetz von 1871 angelegt war und mit der Weimarer Reichsverfassung weiterentwickelt wurde. In der Weimarer Republik wurde erstmals die umfassende Verantwortlichkeit des Staates für seine Amtsträger normiert. Art. 34 GG stellt nun einen weiteren Entwicklungsschritt dar und verlagert die Haftung für Amtspflichtverletzungen von Beamten auf den Staat bzw. die Körperschaft, in deren Dienst der Beamte steht.

1.2. Tatbestandliche Voraussetzungen

Die Haftung des Staates setzt eine Amtspflichtverletzung voraus, die einem Dritten gegenüber besteht. Zentrale Voraussetzung ist die „Ausübung eines öffentlichen Amtes“, was eine Funktion im Rahmen der hoheitlichen Tätigkeiten des Staates oder einer anderen Körperschaft des öffentlichen Rechts beschreibt. Maßgeblich ist also, dass der handelnde Amtsträger eine ihm übertragene staatliche Funktion erfüllt. Auch der Begriff „Dritter“ ist weit auszulegen und umfasst alle natürlichen und juristischen Personen, die durch die Amtspflichtverletzung betroffen sind.

1.3. Rechtsnatur und systematische Stellung

Art. 34 GG in Verbindung mit § 839 BGB bildet die gesetzliche Grundlage für Ansprüche gegen den Staat auf Ersatz eines Schadens, der durch eine Amtspflichtverletzung entstanden ist. Im Gegensatz zu anderen Haftungstatbeständen im Zivilrecht ist hier die Verantwortlichkeit nicht auf den handelnden Amtsträger persönlich, sondern auf den Staat oder die Körperschaft verlagert. Diese „Institutsverantwortlichkeit“ zielt darauf ab, den Bürger effektiver zu schützen, indem er seine Ansprüche direkt gegen den Staat geltend machen kann, der in der Regel zahlungsfähiger ist als der einzelne Amtsträger.

1.4. Bedeutung der Norm im Gefüge des Grundgesetzes

Art. 34 GG gewährleistet das Prinzip der Staatshaftung und trägt so zur Vertrauensbildung in den Staat und seine Funktionsträger bei. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung für die Legitimation staatlichen Handelns. Der Staat kann sich nicht hinter dem Verhalten einzelner Amtsträger verstecken, sondern muss für deren Fehlverhalten geradestehen, was zugleich einen wichtigen Anreiz zur sorgfältigen Auswahl und Ausbildung von Amtsträgern darstellt.

2. Satz 2: Rückgriffsmöglichkeit bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit

"Bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit bleibt der Rückgriff vorbehalten."

2.1. Der Gedanke des Rückgriffs

Der zweite Satz von Art. 34 GG stellt klar, dass der Staat oder die Körperschaft, die für den Schaden eines Dritten gehaftet hat, bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit des Amtsträgers Rückgriff auf diesen nehmen kann. Diese Regelung berücksichtigt das Prinzip der Eigenverantwortung und soll verhindern, dass der Staat für vorsätzlich oder grob fahrlässiges Verhalten seiner Beamten und Angestellten haftet, ohne diese selbst zur Verantwortung zu ziehen.

2.2. Voraussetzungen des Rückgriffsanspruchs

Für den Rückgriff muss eine Amtspflichtverletzung durch den Amtsträger vorliegen, die den Tatbestand des Vorsatzes oder der groben Fahrlässigkeit erfüllt. Während der Vorsatz eine bewusste und gewollte Herbeiführung des Schadens voraussetzt, ist grobe Fahrlässigkeit dann gegeben, wenn der Amtsträger die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders hohem Maße verletzt hat, d.h., wenn die Handlung objektiv „unverständlich“ ist.

2.3. Umfang und Durchsetzung des Rückgriffs

Der Rückgriff kann in voller Höhe des entstandenen Schadens geltend gemacht werden. Allerdings sieht die Praxis häufig aus sozialpolitischen Gründen eine Reduzierung des Rückgriffsanspruchs vor, um den Beamten oder Angestellten nicht in existenzgefährdende Situationen zu bringen. Die konkrete Durchsetzung des Rückgriffsanspruchs erfolgt auf Grundlage der internen dienstrechtlichen Bestimmungen und bedarf einer gerichtlichen Prüfung, falls der betroffene Amtsträger die Rückgriffsforderung anficht.

2.4. Verfassungsrechtliche Abwägungen

Der Rückgriffsanspruch steht in einem Spannungsverhältnis zwischen dem Schutz des Staates und der Fürsorgepflicht gegenüber seinen Bediensteten. Die Regelung des Art. 34 GG erlaubt es, dieses Spannungsverhältnis durch eine sorgfältige Abwägung zu lösen, wobei auch Aspekte wie der Grad des Verschuldens und die persönlichen Verhältnisse des Betroffenen zu berücksichtigen sind.

3. Satz 3: Rechtsweggarantie

"Der ordentliche Rechtsweg darf nicht ausgeschlossen werden."

3.1. Bedeutung der Rechtsweggarantie

Der dritte Satz von Art. 34 GG stellt sicher, dass der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für Amtshaftungsansprüche nicht ausgeschlossen werden darf. Diese Garantie ist eine wesentliche Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips und der in Art. 19 Abs. 4 GG normierten Rechtsschutzgarantie, die jedem Bürger das Recht auf eine effektive gerichtliche Überprüfung von staatlichem Handeln gewährleistet.

3.2. Zuständigkeit der Gerichte

Für Amtshaftungsansprüche ist grundsätzlich der Zivilrechtsweg eröffnet. Die Zuständigkeit liegt bei den ordentlichen Gerichten, und die Verfahren werden nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) geführt. Diese Regelung unterscheidet sich von anderen Haftungsansprüchen, die gegen den Staat gerichtet sind, die möglicherweise dem Verwaltungsrechtsweg zuzuordnen sind. Die klare Abgrenzung zur Verwaltungsgerichtsbarkeit soll verhindern, dass unterschiedliche Gerichtswege konkurrieren und so Rechtsunsicherheit entsteht.

3.3. Ausnahmen und Sonderregelungen

Eine Ausnahme von der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte ist nur dann zulässig, wenn sie im Grundgesetz selbst oder in einem Spezialgesetz ausdrücklich vorgesehen ist. Ein Beispiel hierfür ist die Sonderregelung in Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG, die den Gesetzgeber ermächtigt, spezielle Regelungen für bestimmte Haftungstatbestände zu treffen. Im Allgemeinen bleibt jedoch die Norm des Art. 34 GG verbindlich und kann nicht durch einfachgesetzliche Regelungen umgangen werden.

3.4. Bedeutung für die Rechtspraxis

Die Sicherstellung des Zugangs zu den ordentlichen Gerichten ist von grundlegender Bedeutung für den Schutz des Bürgers gegenüber dem Staat. Die Praxis zeigt, dass die Möglichkeit einer Klage vor ordentlichen Gerichten oft ein wesentlicher Faktor ist, um dem Bürger den erforderlichen Rechtsschutz zu garantieren. Dies fördert das Vertrauen der Bürger in die Justiz und den Rechtsstaat als Ganzes.

Literaturverzeichnis
Weitere Literatur: