Wissen Sie mehr? Als Co-Autor bearbeiten oder als Leser kommentieren. Mehr erfahren...
Art. 42 GG - Öffentliche Sitzungen, Mehrheitsbeschlüsse (Kommentar)
(1) ¹Der Bundestag verhandelt öffentlich. ²Auf Antrag eines Zehntels seiner Mitglieder oder auf Antrag der Bundesregierung kann mit Zweidrittelmehrheit die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden. ³Über den Antrag wird in nichtöffentlicher Sitzung entschieden.
(2) ¹Zu einem Beschlusse des Bundestages ist die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich, soweit dieses Grundgesetz nichts anderes bestimmt. ²Für die vom Bundestage vorzunehmenden Wahlen kann die Geschäftsordnung Ausnahmen zulassen.
(3) Wahrheitsgetreue Berichte über die öffentlichen Sitzungen des Bundestages und seiner Ausschüsse bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei.
- 1. Allgemeines
- 2. Absatz 1
- 3. Absatz 2
- 4. Absatz 3
1. Allgemeines
Art. 42 GG regelt in umfassender Weise die zentralen Prinzipien der Öffentlichkeit, Dokumentation und Abstimmungspraxis im Deutschen Bundestag. Er stellt die notwendige Balance zwischen Transparenz und Vertraulichkeit her und gewährleistet ein rechtsstaatliches und funktionsfähiges parlamentarisches Verfahren. Durch die Verweisung auf die Geschäftsordnung wird zudem sichergestellt, dass detaillierte Verfahrensregelungen flexibel und an die sich verändernden Bedürfnisse des parlamentarischen Betriebs angepasst werden können. Die Regelungen des Art. 42 GG tragen wesentlich zur Sicherung der parlamentarischen Demokratie und zur Legitimation des Gesetzgebungsprozesses in der Bundesrepublik Deutschland bei.
2. Absatz 1
2.1. Grundsatz der Öffentlichkeit
Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Verhandlungen des Deutschen Bundestages ist ein Ausdruck der demokratischen Staatsordnung. Durch die öffentliche Zugänglichkeit der Debatten und Entscheidungsprozesse im Parlament wird die Transparenz staatlichen Handelns gewährleistet, was ein zentrales Prinzip des demokratischen Rechtsstaats ist. Die Öffentlichkeit der Verhandlungen soll sicherstellen, dass die Bürgerinnen und Bürger die politischen Entscheidungsprozesse nachvollziehen und die Verantwortlichkeit der Abgeordneten überprüfen können. Damit dient die Vorschrift der demokratischen Legitimation des Parlaments und der Sicherung der Meinungsfreiheit und Informationsfreiheit der Bevölkerung.
2.2. Ausnahmen von der Öffentlichkeit
Die Möglichkeit, die Öffentlichkeit auszuschließen, dient dem Schutz besonders sensibler Interessen, etwa der inneren oder äußeren Sicherheit. Der Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit kann entweder von mindestens einem Zehntel der Mitglieder des Bundestages oder von der Bundesregierung gestellt werden. Diese Regelung trägt der Tatsache Rechnung, dass sowohl die Abgeordneten als auch die Exekutive ein Interesse an der Wahrung der Vertraulichkeit in bestimmten Situationen haben können.
Die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit für einen Ausschluss der Öffentlichkeit ist eine hohe Hürde und stellt sicher, dass die Entscheidung, Debatten im Geheimen zu führen, nicht leichtfertig getroffen wird. Die Entscheidung über den Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgt selbst in einer nicht öffentlichen Sitzung, um sicherzustellen, dass auch die Gründe für eine solche Entscheidung nicht in die Öffentlichkeit gelangen und möglicherweise sicherheitsrelevante oder vertrauliche Informationen preisgegeben werden.
2.3. Verfassungsrechtliche Schranken und gerichtliche Kontrolle
Der Ausschluss der Öffentlichkeit steht unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit. Er muss also nicht nur formell korrekt, sondern auch inhaltlich gerechtfertigt sein. Die Verhältnismäßigkeit prüft dabei, ob der Ausschluss der Öffentlichkeit geeignet, erforderlich und angemessen ist, um das damit verfolgte Ziel zu erreichen. Zudem unterliegt die Entscheidung des Bundestages der parlamentarischen und gerichtlichen Kontrolle. Eine vollständige Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht wäre denkbar, wenn Grundrechte, etwa das Informationsrecht der Bürger, unverhältnismäßig beeinträchtigt würden.
3. Absatz 2
Art. 42 Abs. 2 GG regelt die grundlegenden Voraussetzungen für die Beschlussfassung des Deutschen Bundestages und bestimmt die Mehrheitsverhältnisse, die erforderlich sind, um einen Beschluss zu fassen. Der Absatz unterteilt sich in zwei Sätze, die verschiedene Aspekte der Entscheidungsfindung betreffen.
Art. 42 Abs. 2 GG kombiniert das Mehrheitsprinzip als grundlegendes demokratisches Entscheidungsverfahren mit der Flexibilität, durch die Geschäftsordnung des Bundestages spezielle Regelungen für bestimmte Wahlen festzulegen. Diese Verknüpfung von klaren Vorgaben und Regelungsfreiräumen trägt wesentlich zur Arbeitsfähigkeit und Effizienz des Parlaments bei und sichert gleichzeitig die demokratische Legitimation der gefassten Beschlüsse.
3.1. Satz 1: "Zu einem Beschlusse des Bundestages ist die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich, soweit dieses Grundgesetz nichts anderes bestimmt."
3.1.1. Grundsatz der einfachen Mehrheit
Der erste Satz des Art. 42 Abs. 2 GG legt fest, dass für die Beschlussfassung des Bundestages die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich ist. Dies bedeutet, dass mehr als die Hälfte der anwesenden und abstimmenden Abgeordneten zustimmen muss, damit ein Beschluss gefasst werden kann. Dies wird als einfache Mehrheit oder relative Mehrheit bezeichnet. Diese Regelung ist Ausdruck des Mehrheitsprinzips in der parlamentarischen Demokratie, das die Entscheidungsfindung in einem demokratischen System ermöglicht und vereinfacht.
3.1.2. Abgegebene Stimmen und Enthaltungen
Entscheidend ist, dass es sich um die Mehrheit der abgegebenen Stimmen handelt. Dies bedeutet, dass nur die tatsächlich abgegebenen Ja- und Nein-Stimmen gezählt werden. Enthaltungen zählen dabei nicht als abgegebene Stimmen und bleiben daher unberücksichtigt. Diese Regelung stellt sicher, dass Beschlüsse nicht durch eine hohe Anzahl von Enthaltungen blockiert werden können, was die Handlungsfähigkeit des Bundestages unterstützt.
3.1.3. Abweichende Mehrheiten im Grundgesetz
Art. 42 Abs. 2 GG enthält auch eine wichtige Einschränkung: „soweit dieses Grundgesetz nichts anderes bestimmt.“ Das Grundgesetz sieht in bestimmten Fällen abweichende Mehrheiten vor. Diese reichen von der absoluten Mehrheit (mehr als die Hälfte aller Mitglieder des Bundestages, z.B. bei der Wahl des Bundeskanzlers nach Art. 63 Abs. 2 GG) bis zur Zweidrittelmehrheit (z.B. für Verfassungsänderungen nach Art. 79 Abs. 2 GG). Solche qualifizierten Mehrheiten sind in der Regel bei besonders bedeutenden Entscheidungen erforderlich, um einen breiten Konsens sicherzustellen und die Stabilität des Verfassungsgefüges zu wahren.
3.2. Satz 2: "Für die vom Bundestage vorzunehmenden Wahlen kann die Geschäftsordnung Ausnahmen zulassen."
3.2.1. Regelungsbefugnis der Geschäftsordnung
Der zweite Satz des Art. 42 Abs. 2 GG räumt dem Bundestag die Möglichkeit ein, in seiner Geschäftsordnung Ausnahmen vom Grundsatz der einfachen Mehrheit vorzusehen, soweit es sich um Wahlen handelt, die im Bundestag stattfinden. Dies bedeutet, dass der Bundestag für interne Wahlverfahren eigene Mehrheitsregelungen beschließen kann, die von der Regel der einfachen Mehrheit abweichen.
3.2.2. Beispiele für abweichende Wahlmodi
In der Praxis hat der Bundestag von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Die Geschäftsordnung des Bundestages enthält spezifische Regelungen für die Wahl bestimmter Ämter, z.B. des Bundestagspräsidenten und seiner Stellvertreter, für die in den ersten beiden Wahlgängen die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich ist. Erst im dritten Wahlgang reicht die einfache Mehrheit aus. Solche Regelungen sind notwendig, um das Prinzip der Mehrheitswahl zu flexibilisieren und gleichzeitig die Funktionsfähigkeit des Parlaments sicherzustellen.
3.2.3. Funktion und Bedeutung
Durch die Möglichkeit, abweichende Regelungen zu treffen, erhält der Bundestag eine gewisse Gestaltungsfreiheit, um seine inneren Angelegenheiten und Wahlverfahren den jeweiligen politischen und organisatorischen Erfordernissen anzupassen. Dies gewährleistet eine flexible und effektive Arbeitsweise des Parlaments, insbesondere bei der Besetzung von Ämtern, bei denen ein breiter Rückhalt im Bundestag gewünscht ist.
4. Absatz 3
Art. 42 Abs. 3 GG regelt den Schutz von Berichten über die öffentlichen Sitzungen des Bundestages und seiner Ausschüsse. Der Absatz lautet: „Wahrheitsgetreue Berichte über die öffentlichen Sitzungen des Bundestages und seiner Ausschüsse bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei.“
Dieser Absatz ist von erheblicher Bedeutung für die Transparenz und das Funktionieren der parlamentarischen Demokratie. Er schützt die Medien und andere Berichterstatter vor rechtlichen Konsequenzen, wenn sie über öffentliche Sitzungen des Bundestages und seiner Ausschüsse berichten, solange diese Berichte wahrheitsgemäß sind.
4.1. Schutz von Berichterstattung
4.1.1. Wahrheitsgetreue Berichte
Art. 42 Abs. 3 GG stellt klar, dass Berichte, die wahrheitsgetreu sind, von jeder Verantwortlichkeit frei bleiben. Dies bedeutet, dass die Berichterstattung über öffentliche Sitzungen des Bundestages und seiner Ausschüsse grundsätzlich nicht rechtlich belangt werden kann, sofern sie den Tatsachen entsprechen. Der Begriff „wahrheitsgetreu“ impliziert, dass die Berichte inhaltlich korrekt und nicht irreführend sein müssen.
4.1.2. Freistellung von Verantwortlichkeit
Die Freistellung von jeder Verantwortlichkeit bezieht sich auf den Schutz vor rechtlichen Konsequenzen, wie z.B. Klagen wegen Verleumdung, Beleidigung oder falscher Tatsachenbehauptungen. Die Regelung gewährleistet, dass Journalisten, Medien und andere Berichterstatter nicht für die Inhalte ihrer Berichte zur Rechenschaft gezogen werden, solange sie die Wahrheit berichten.
4.2. Funktion und Bedeutung
4.2.1. Transparenz und Kontrolle
Dieser Schutz ist von grundlegender Bedeutung für die Transparenz der parlamentarischen Arbeit. Durch die Sicherstellung, dass die Berichterstattung über die Sitzungen des Bundestages und seiner Ausschüsse wahrheitsgemäß und ohne Angst vor rechtlichen Konsequenzen erfolgen kann, wird das öffentliche Interesse an der Kontrolle und Nachvollziehbarkeit der parlamentarischen Entscheidungsprozesse gewahrt. Dies trägt zur Rechenschaftspflicht der Parlamentarier und der politischen Institutionen bei und ermöglicht der Öffentlichkeit eine informierte Teilnahme am politischen Diskurs.
4.2.2. Pressefreiheit und Demokratie
Art. 42 Abs. 3 GG stärkt die Pressefreiheit, indem er einen rechtlichen Schutzmechanismus für die Berichterstattung über öffentliche Sitzungen bietet. Die Pressefreiheit ist ein fundamentales Element der Demokratie, da sie den Zugang zu Informationen gewährleistet und eine kritische Auseinandersetzung mit politischen Prozessen ermöglicht. Durch die gesetzliche Regelung wird sichergestellt, dass Berichterstatter nicht durch potenzielle rechtliche Risiken von der Veröffentlichung wichtiger Informationen abgehalten werden.
4.3. Grenzen und Einschränkungen
4.3.1. Wahrheitsgemäße Berichterstattung
Die Wahrheitsgemäßheit der Berichterstattung ist eine wesentliche Voraussetzung für den Schutz nach Art. 42 Abs. 3 GG. Falsche oder irreführende Berichte sind von diesem Schutz ausgeschlossen und können rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Dies schützt die Integrität des Informationsflusses und verhindert, dass fehlerhafte oder manipulierte Berichterstattung die Öffentlichkeit täuscht.
4.3.2. Öffentliche Sitzungen
Der Schutz nach Art. 42 Abs. 3 GG gilt ausschließlich für öffentliche Sitzungen des Bundestages und seiner Ausschüsse. Das bedeutet, dass Sitzungen, die nicht öffentlich sind, nicht unter diesen Schutz fallen. Für die Berichterstattung über nicht-öffentliche Sitzungen gelten andere Regelungen, die möglicherweise strengere Anforderungen an die Wahrhaftigkeit und Vertraulichkeit stellen.
4.4. Rechtsprechung und Praxis
4.4.1. Rechtsprechung
In der Praxis hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt bestätigt, dass Art. 42 Abs. 3 GG eine schützende Funktion für die Presse und die Öffentlichkeit hat. Die Rechtsprechung stellt sicher, dass die Regelung nicht nur als theoretisches Prinzip, sondern auch in der praktischen Anwendung den journalistischen Schutz gewährt.
4.4.2. Praxisbeispiele
Praxisbeispiele zeigen, dass Medien und Berichterstatter in der Vergangenheit von Art. 42 Abs. 3 GG profitiert haben, um die Transparenz und das öffentliche Bewusstsein für parlamentarische Aktivitäten zu fördern. Die Regelung hat zur Stärkung der politischen Bildung und des öffentlichen Engagements beigetragen.