BVerfGE 15, 235; BayVBl 1963, 82; BB 1963, 53; DÖV 1963, 105; DVBl 1963, 147; JuS 1963, 156; JZ 1963, 283; MDR 1963, 192; NJW 1963, 195; WM 1963, 54
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Daten
Rechtsnormen
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BVerfGE 15, 235 (235):
Die Pflichtzugehörigkeit zu den IHK nach dem IHKG vom 18. Dezember 1956 (BGBl. I S. 920) ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
Beschluss
des Ersten Senats vom 19. Dezember 1962
- 1 BvR 541/57 -
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der Firma B ... & Co., Kommanditgesellschaft, ..., Bevollmächtigte: Rechtsanwälte ..., gegen §§ 1, 2 und 9 des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern vom 18. Dezember 1956 (BGBl. I. S. 920).
Entscheidungsformel:
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Rechtsverhältnisse der um die Mitte des 19. Jahrhunderts entstandenen Industrie- und Handelskammern waren zunächst
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landesrechtlich geordnet. In weitgehender Übereinstimmung wiesen die Landesgesetze den Kammern die Aufgabe zu, die Staatsbehörden auf wirtschaftlichem Gebiet zu beraten und die Gesamtinteressen der Handels- und Gewerbetreibenden ihres Bezirks zu vertreten. Die Industrie- und Handelskammern wurden als Körperschaften des öffentlichen Rechts angesehen; es bestand Pflichtmitgliedschaft der Handel- und Gewerbetreibenden; sie waren zur Teilnahme an den Kammerwahlen berechtigt, hatten auch Beiträge zu den Kosten der Kammern zu leisten.
Das nationalsozialistische Regime baute die Industrie- und Handelskammern in seine Organisation der gewerblichen Wirtschaft ein; schließlich verloren sie 1942 ihre Selbständigkeit und gingen in den "Gauwirtschaftskammern" auf.
Nach dem Zusammenbruch wurden in den Ländern der westlichen Besatzungszonen Industrie- und Handelskammern wieder errichtet. In der britischen und französischen Zone stellte man den Rechtszustand der Zeit vor 1933 im wesentlichen wieder her, in der amerikanischen Zone dagegen ließen die Besatzungsbehörden die Kammern nur als privatrechtliche Vereinigungen mit freiwilliger Mitgliedschaft zu; im einzelnen blieb die Rechtslage vielfach unklar. Der Wunsch nach bundesrechtlicher Vereinheitlichung machte sich immer stärker geltend und führte schließlich - auf der Grundlage eines Gesetzentwurfs aus der Mitte des Bundestags - zu dem Bundesgesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern vom 18. Dezember 1956 - BGBl. I S. 920 - (im folgenden: IHKG).
Nach § 3 Abs. 1 IHKG sind die Industrie- und Handelskammern Körperschaften des öffentlichen Rechts; bestehende Kammern mit anderer Rechtsform mußten innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten des Gesetzes entsprechend umgebildet werden (§ 9).
Die Aufgabe der Kammern ist in § 1 Abs. 1 allgemein dahin bestimmt, daß sie "das Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirks wahrzunehmen, für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft zu wirken und dabei die
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wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend zu berücksichtigen" haben; in den Absätzen 1 bis 3 sind einzelne praktisch besonders wichtige Aufgaben hervorgehoben, in Abs. 4 wird die Übertragung weiterer Aufgaben durch Gesetz oder Rechtsverordnung vorbehalten.
Die Kosten der Kammern werden im wesentlichen durch Beiträge der Kammerzugehörigen aufgebracht; dabei unterscheidet das Gesetz einheitliche Grundbeiträge und Umlagen auf der Grundlage der Gewerbesteuermeßbeträge (§ 3 Absätze 2 ff.).
Die Industrie- und Handelskammern haben das Recht der Selbstverwaltung. Sie wählen ihre Organe selbst, können eine Satzung, Wahl- und Beitragsordnungen erlassen und unterliegen nur der Rechtsaufsicht des Staates (§§ 4, 7, 11).
§ 2 Abs. 1 IHKG lautet:
Zur Industrie- und Handelskammer gehören, sofern sie zur Gewerbesteuer veranlagt sind, natürliche Personen, Handelsgesellschaften, andere nicht rechtsfähige Personenmehrheiten und juristische Personen des privaten und des öffentlichen Rechts, welche im Bezirk der Industrie- und Handelskammer entweder eine gewerbliche Niederlassung oder eine Betriebsstätte oder eine Verkaufsstelle unterhalten (Kammerzugehörige).
II.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich unmittelbar gegen §§ 1, 2 und 9 IHKG. Die Begründung läßt sich dahin zusammenfassen, es lägen keine ausreichenden Gründe dafür vor, die Zugehörigkeit zu den Industrie- und Handelskammern obligatorisch zu machen; die ihnen übertragenen Aufgaben, bei denen es sich im wesentlichen um reine Interessenvertretung handle, könnten ebenso gut durch Verbände mit freiwilliger Mitgliedschaft erfüllt werden. Die Freiheit der Beteiligten werde deshalb durch das Gesetz übermäßig beschränkt. Gerügt werden Verstöße gegen Art. 2 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 und 3, Art. 12 Abs. 1 GG; es wird ferner angeregt zu prüfen, ob die Bestimmungen des Gesetzes über die Erhebung von Beiträgen und Sonderbeiträgen auf Grund
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von Satzungen und Beitragsordnungen der Kammern mit Art. 20 und 80 GG vereinbar seien.
Der Bundesminister für Wirtschaft, der sich für die Bundesregierung geäußert hat, hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Die Organisation der Industrie- und Handelskammern sei im wesentlichen dieselbe, die schon unter der Geltung der Weimarer Verfassung unangefochten bestanden habe; sie sei mit dem Grundgesetz in vollem Umfang vereinbar. Der Minister hat eine Äußerung des Deutschen Industrie- und Handelstags, der Spitzenorganisation der Industrie- und Handelskammern, vorgelegt, die unter eingehender Darlegung der geschichtlichen Entwicklung des Kammerwesens denselben Standpunkt vertritt.
III.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
1. Sie ist "namens des Dr. E. B...." erhoben, der als "Unternehmer der Maschinenbauindustrie" bezeichnet wird. Nach einer vom Bundesverfassungsgericht erholten Auskunft der Industrie- und Handelskammer München gehört jedoch nicht Dr. E. B.... als Einzelkaufmann der Kammer an; kammerzugehörig sind vielmehr zwei Gesellschaften mit beschränkter Haftung und eine Kommanditgesellschaft, an denen er beteiligt ist. Dr. B.... hat daraufhin mitgeteilt, daß er die Verfassungsbeschwerde als einziger persönlich haftender und allein vertretungsberechtigter Gesellschafter der Kommanditgesellschaft B.... & Co. erhoben habe; bei Inkrafttreten des Bundesgesetzes sei er noch Alleininhaber dieser Firma gewesen, erst nachher - allerdings vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde - sei sie durch Eintritt seiner Tochter als Kommanditistin in eine Kommanditgesellschaft umgewandelt worden.
Bei diesem Sachverhalt, der durch einen Handelsregisterauszug des Amtsgerichts München bestätigt worden ist, kann davon ausgegangen werden, daß Dr. B.... bei Erhebung der Verfassungsbeschwerde für die Kommanditgesellschaft B.... & Co.
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handeln wollte, also lediglich eine falsche Bezeichnung der Beschwerdeführerin vorliegt.
2. Die Ausführungen der Beschwerdeführerin ergeben in ihrem Zusammenhang, daß sie sich ausschließlich gegen den auf § 2 Abs. 1 des Gesetzes beruhenden Organisationszwang wendet. Was sie zu §§ 1 und 9 ausführt, soll diese Rüge nur erläutern und verstärken. Die Frage, ob ein selbständiger Angriff gegen diese Bestimmungen zulässig wäre, mag daher auf sich beruhen.
3. Die Beschwerdeführerin, eine Kommanditgesellschaft, kann sich jedenfalls auf das hier im Vordergrund stehende Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG berufen (BVerfGE 10, 89 [99]). Da die Kammerzugehörigkeit kraft Gesetzes eintritt, ist die Beschwerdeführerin von diesem gegenwärtig und unmittelbar betroffen.
IV.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht begründet.
1. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach ausgesprochen, daß Art. 9 GG den Einzelnen vor einer gesetzlich angeordneten Eingliederung in eine öffentlich-rechtliche Körperschaft oder Anstalt nicht schützt (BVerfGE 10, 89 [102]; 10, 354 [361 f.]). Hieran ist festzuhalten.
2. Auch Art. 12 Abs. 1 GG ist nicht berührt. Die Zugehörigkeit zur Industrie- und Handelskammer ist eine einfache Folge der Ausübung eines bestimmten Berufs. Mit ihrer Anordnung hat der Gesetzgeber weder die Art und Weise der Ausübung des Berufs geregelt noch eine berufspolitische Tendenz verfolgt (BVerfGE 10, 354 [362 f.]; 13, 181 [184 ff.]).
3. Das angegriffene Gesetz ist Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung; es beschränkt daher die wirtschaftliche Handlungsfreiheit der Beschwerdeführerin, ohne gegen Art. 2 Abs. 1 GG zu verstoßen (vgl. BVerfGE 10, 89 [99]).
a) Die Industrie- und Handelskammern verdanken ihre Entstehung dem in der Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs im 19. Jahrhundert hervorgetretenen Bedürfnis nach einer Stelle,
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die mit Anspruch auf sachliche Autorität die staatlichen Organe und Behörden durch Berichterstattung und Beratung in wirtschaftlichen Fragen unterstützen und ihnen verläßliche Grundlagen für ihre Entscheidungen auf diesem Gebiete liefern könne. Umfassender wird bereits im preußischen Gesetz vom 24. Februar 1870 als Hauptaufgabe der Kammern bezeichnet die Wahrnehmung der Gesamtinteressen der Handel- und Gewerbetreibenden des Bezirks; insbesondere sollen sie die Behörden in der Förderung des Handels und der Gewerbe durch tatsächliche Mitteilungen, Anträge und Erstattung von Gutachten unterstützen. An dem so gesetzlich festgelegten Aufgabenbereich der Kammern hat sich bis 1933 nichts geändert; auch § 1 Abs. 1 IHKG nimmt ihn wieder auf. Hinzugekommen sind - teils nach § 1 Abs. 1 bis 3 IHKG, teils im Wege besonderer Gesetzgebung - zahlreiche Einzelaufgaben zumeist verwaltungsmäßiger Natur; bei ihrer Erledigung werden die Kammern als eine Art Sonderverwaltungsbehörden tätig, die sowohl allgemeine Vorschriften als auch Verwaltungsakte erlassen können.
In der industriellen Gesellschaft, in der auch die allgemeine Staatspolitik in weitem Maße von wirtschaftlichen Vorgängen und Entwicklungen bestimmt wird und demzufolge - auch in einer grundsätzlich freien Wirtschaft - staatliche Einwirkungen auf das Wirtschaftsleben unvermeidbar sind und ständig in großer Zahl erfolgen, ist es naheliegend und jedenfalls von der Verfassung her unbedenklich, daß der Staat die Förderung der Wirtschaft im weitesten Sinne zum Rang einer besonders wichtigen Staatsaufgabe erhebt. Es kann ihm dann nicht verwehrt sein, sich bei der Erfüllung dieser Aufgabe der Hilfe von Organen zu bedienen, die er - auf gesetzlicher Grundlage - aus der Wirtschaft selbst heraus sich bilden läßt und die durch ihre Sachkunde die Grundlagen dafür schaffen helfen, daß staatliche Entschließungen auf diesem Gebiet ein möglichst hohes Maß an Sachnähe und Richtigkeit gewinnen. Auch diese besonderen Einrichtungen, wie sie die Industrie- und Handelskammern darstellen, nehmen damit an der Erfüllung einer echten Staatsaufgabe teil; sie erfüllen
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sie in erster Linie durch Vorschläge, Gutachten und Berichte, durch Schaffung von Einrichtungen zur Förderung der Wirtschaft, insbesondere auf dem Gebiet der Berufsausbildung und des Prüfungswesens, endlich durch die Erledigung bestimmter Aufgaben der Wirtschaftsverwaltung (z.B. Ausstellung von Ursprungszeugnissen und sonstigen Bescheinigungen).
Bei den Aufgaben der Industrie- und Handelskammern lassen sich zwar die beiden Komplexe "Vertretung der gewerblichen Wirtschaft gegenüber dem Staat" und "Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben auf wirtschaftlichem Gebiet" deutlich scheiden; es ist jedoch unzweifelhaft, daß es sich in beiden Fällen um legitime öffentliche Aufgaben (BVerfGE 10, 89 [102]) handelt. Namentlich stellt auch die erstgenannte Aufgabe nicht, wie die Beschwerdeführerin meint, "reine Interessenvertretung" dar. Die von der Beschwerdeführerin gezogene Parallele zu den Fachverbänden übersieht, daß diese primär die Interessen ihrer Wirtschaftszweige vertreten, so daß eine umfassende Würdigung entgegenstehender und allgemeiner Interessen von ihnen nicht ohne weiteres erwartet wird. Demgegenüber ist es den Industrie- und Handelskammern gesetzlich zur Pflicht gemacht, stets das Gesamtinteresse der gewerblichen Wirtschaft im Auge zu behalten und die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe lediglich "abwägend und ausgleichend zu berücksichtigen"; es ist ihnen die gesetzliche Verantwortung dafür auferlegt, daß sie im Rahmen ihrer Aufgabe, die gewerbliche Wirtschaft im ganzen zu fördern, das höchstmögliche Maß von Objektivität walten lassen. An der Erfüllung dieser Aufgabe besteht ein erhebliches öffentliches Interesse; gerade mit Rücksicht auf sie hat das preuß. Oberverwaltungsgericht schon 1890 die Kammern als "Hilfsorgane der Staatsregierung" angesehen, die der Staat sich geschaffen habe, damit sie ihn "in der Fürsorge um Handel und Verkehr mit ihren Erfahrungen berufsmäßig unterstützen" könnten (Entsch. Bd. 19 S. 62 [68]). Daß dieses Interesse umso stärker ist, je mehr sich Zahl und Intensität staat
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licher Maßnahmen im wirtschaftlichen Bereich steigern, bedarf keiner näheren Darlegung.
b) Es leuchtet ein, daß die Vertretung der Gesamtinteressen der gewerblichen Wirtschaft mit der praktisch im Vordergrund stehenden Aufgabe, die Staatsorgane zu beraten, ihnen Gutachten zu erstatten und Vorschläge zu machen, am zweckmäßigsten einem Selbstverwaltungsorgan der Wirtschaft anvertraut wurde. Es ist aber auch nicht zu beanstanden, daß diesem Organ weitere, spezifisch verwaltungsmäßige, ja zum Teil hoheitliche Aufgaben übertragen worden sind und weiter übertragen werden, die sonst von staatlichen Behörden wahrgenommen werden müßten; in Betracht kommen etwa: die Börsenaufsicht, die öffentliche Bestellung von Versteigerern, die Bestellung und Beeidigung von Sachverständigen, die Durchführung bestimmter staatlich angeordneter Prüfungen u. dgl. Dem Gesetzgeber steht es grundsätzlich frei, öffentliche Aufgaben unmittelbar durch staatliche Behörden oder mittelbar durch Körperschaften des öffentlichen Rechts erfüllen zu lassen, also staatliche Aufgaben an Selbstverwaltungskörper zu delegieren (BVerfGE 10, 89 [102, 104]). Im vorliegenden Fall handelt es sich im wesentlichen um Verwaltungsaufgaben im wirtschaftlichen Bereich, die sich in den Rahmen der Gesamtaufgabe der Industrie- und Handelskammern einfügen, den Interessen der von ihnen vertretenen Wirtschaftskreise dienen und die besondere Sach- und Personenkenntnis der Kammerorgane voraussetzen. Staatliche Behörden könnten Entscheidungen dieser Art nur nach Einholung sachverständigen Rates treffen; die unmittelbare Erledigung durch die Kammern erleichtert somit den Geschäftsgang und erspart Kosten.
c) Aus den vorstehenden Darlegungen erhellt zugleich, daß es zur sachgemäßen Erfüllung der den Industrie- und Handelskammern übertragenen Aufgaben sinnvoll, ja notwendig war, ihre Organisation auf dem Prinzip der Pflichtzugehörigkeit aufzubauen.
Der Wert der von den Kammern erarbeiteten Vorschläge und Gutachten beruht einmal auf der Unabhängigkeit ihres Ur
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teils, zum anderen auf dem Maße des Überblicks, das die Kammern im Bereich der zu beurteilenden Verhältnisse besitzen. Die Gutachten gewinnen ihre sachliche Autorität daraus, daß sie über die Spezialkenntnisse und beruflichen Erfahrungen der einzelnen Branchen und Unternehmen hinaus die Auffassungen und Beurteilungsmaßstäbe der gesamten gewerblichen Wirtschaft zur Geltung bringen können. Den Kammern steht ein weiter Kreis sachverständiger Fachleute zur Verfügung, innerhalb dessen die verschiedensten Gesichtspunkte und Anschauungsweisen zu Worte kommen, aber auch in sich ausgeglichen werden können. Ohne die ständige Möglichkeit, die Auffassungen aller kaufmännischen Kreise kennenzulernen und gegeneinander abzuwägen, läßt sich diese Aufgabe nicht erfüllen; nur so können die Kammern auch wirksam "Anstand und Sitte des ehrbaren Kaufmanns" wahren (§ 1 Abs. 1 IHKG) oder glaubwürdig als Träger der Einigungsstellen für Wettbewerbsstreitigkeiten (§ 27a UWG) fungieren.
Wäre der Beitritt zur Industrie- und Handelskammer freiwillig, so hinge die Zusammensetzung der Mitgliederschaft vom Zufall ab. Die Kammern wären auf die Werbung von Mitgliedern angewiesen. Finanzstarke Mitglieder würden sich in den Vordergrund schieben und mit Austrittsdrohungen die Berücksichtigung ihrer Sonderinteressen und Sonderauffassungen zu erzwingen versuchen. Durch Fernbleiben oder Austritt ganzer Gruppen von Handel- und Gewerbetreibenden könnte den Kammern der Einblick in ihre Verhältnisse erschwert oder entzogen werden. In gleichem Maße wären die Vertrauenswürdigkeit solcher Kammern, ihre umfassende Sachkunde und Objektivität nicht mehr institutionell gesichert.
d) Dieser im öffentlichen Interesse liegenden sachlichen Notwendigkeit des Organisationszwangs gegenüber ist die aus ihm sich ergebende Freiheitsbeschränkung der Mitglieder unbedeutend. Die Verpflichtungen aus der Kammerzugehörigkeit bestehen fast nur in der Zahlung der Beiträge. Daß diese unzumutbar hoch seien und die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit der Mitglieder unerträglich einengten, hat die Beschwerdeführerin
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selbst nicht behauptet. Es trifft auch nicht zu; das Gesetz hat in § 3 Abs. 2 bis 4 Vorkehrung getroffen, daß die Mitglieder nach ihrer Leistungsfähigkeit herangezogen werden; bei wirtschaftlich schwächeren Mitgliedern wird u.U. nur der Grundbeitrag oder sogar nur die Hälfte davon erhoben. Gegen die Heranziehung zu Beiträgen besteht die Möglichkeit, den Rechtsweg zu beschreiten; auch wacht die staatliche Aufsicht über die Einhaltung der einschlägigen Bestimmungen. Hieraus erklärt es sich, daß die beteiligten Wirtschaftskreise so gut wie einhellig das Prinzip des Organisationszwangs bejahen. Offenbar bewerten sie die Möglichkeit, über die Beteiligung an der Kammerarbeit an der Gestaltung des Wirtschaftslebens teilnehmen zu können, höher als die hieraus sich ergebende materielle Belastung.
4. Die Beschwerdeführerin hat, ohne dies näher auszuführen, angeregt, das Bundesverfassungsgericht möge die Zulässigkeit der "Satzungsdelegation" an die Industrie- und Handelskammern prüfen. Es ist jedoch nicht ersichtlich, welche Verfassungsverstöße in den von der Beschwerdeführerin angezogenen §§ 3, 4 und 9 IHKG liegen sollen. Auf die Darlegungen des Beschlusses vom 2. Mai 1961 (BVerfGE 12, 319 [325]) zu dieser Frage wird verwiesen.
Das Bundesverfassungsgericht vermag nach alledem nicht festzustellen, daß der Gesetzgeber durch Einführung der Pflichtzugehörigkeit zu der Industrie- und Handelskammer die Freiheit der Betroffenen in einer über das sachgerechte Maß hinausgehenden Weise beschränkt habe. Er hat somit die Grenzen der verfassungsmäßigen Ordnung nicht überschritten.