BVerfG, 19.12.1967 - 2 BvL 4/65
Beschluß
des Zweiten Senats vom 19. Dezember 1967
-- 2 BvL 4/65 --
in dem Verfahren wegen verfassungsrechtlicher Prüfung des Artikels 3 §§ 1 und 2 und des Artikels 4 § 16 Absatz 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung (Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz -- UVNG) vom 30. April 1963 (BGBl. I S. 241) -- Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Sozialgerichts Duisburg vom 29. Oktober 1964 -- S 18 U 147/64.
Entscheidungsformel:
Artikel 3 §§ 1 und 2 und Artikel 4 § 16 Absatz 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung (Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz -- UVNG) vom 30. April 1963 (Bundesgesetzbl. I S. 241) sind mit dem Grundgesetz vereinbar.
Gründe
A.
I.
1.
Durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz -- UVNG -- vom 30. April 1963 (BGBl. I S. 241) ist mit Wirkung vom 1. Januar 1963 die Rentenlast der Bergbau-Berufsgenossenschaft, soweit sie vor dem 1. Januar 1953 entstanden war, der Gesamtheit der gewerblichen Berufsgenossenschaften sowie der See-Berufsgenossenschaft auferlegt worden.
Die in Frage kommenden Vorschriften lauten:
Artikel 3 § 1
Die Rentenlast der Bergbau-Berufsgenossenschaft aus Versicherungsfällen, die sich vor dem 1. Januar 1953 ereignet haben, tragen die gewerblichen Berufsgenossenschaften und die See-Berufsgenossenschaft gemeinsam. Bei der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege bleiben die Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege außer Betracht.
§ 2
(1) Der Anteil jeder Berufsgenossenschaft an der gemeinsamen Last entspricht dem Verhältnis der Lohnsumme der Berufsgenossenschaft zu der Lohnsumme aller beteiligten Berufsgenossenschaften. (2) Die Beiträge der Mitglieder einer Berufsgenossenschaft für deren Anteil an der gemeinsamen Last (§ 1) werden ausschließlich nach dem Entgelt der Versicherten in den Unternehmen umgelegt. (3) Bei der Regelung nach Absatz 1 und 2 bleibt eine Jahreslohnsumme bis 30000 Deutsche Mark je Mitglied außer Ansatz.
§ 3
Die Bergbau-Berufsgenossenschaft teilt die jährliche Gesamtsumme der in § 1 bezeichneten Rentenlast bis zum 31. März des folgenden Jahres dem Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften e.V. mit. Dieser verteilt die Summe nach § 2 Abs. 1. Die Berufsgenossenschaften sind berechtigt, durch den Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften e. V. die Unterlagen der Bergbau-Berufsgenossenschaften über die übernommene Rentenlast zu prüfen.
Artikel 4 § 16
(1) Artikel 1, 2 und 4 treten mit Wirkung vom 1. Juli 1963, Artikel 3 mit Wirkung vom 1. Januar 1963 in Kraft. Änderungen in der Zuständigkeit der gewerblichen und der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften einerseits sowie der Eigenunfallversicherungsträger andererseits treten mit dem 1. April 1964 in Kraft.
2.
Im Ausgangsverfahren klagt ein Unternehmen der Nahrungsmittelindustrie vor dem Sozialgericht Duisburg gegen die Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gaststätten mit dem Antrag, den Beitragsbescheid, mit dem die Beklagte die Klägerin gemäß Art. 3 §§ 1, 2 und Art. 4 § 16 Abs. 1 UVNG zur Zahlung des auf sie im Jahre 1963 entfallenden Anteils an der Alt-Rentenlast der Bergbau-Berufsgenossenschaft (3 825,30 DM) aufgefordert hatte, für nichtig zu erklären.
3.
Durch Beschluß vom 29. Oktober 1964 hat das Sozialgericht Duisburg das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob Art. 3 §§ 1, 2 und Art. 4 § 16 Abs. 1 UVNG mit den Art. 3, 14, 20 und 24 GG vereinbar seien. Das vorlegende Gericht hält diese für seine Entscheidung erheblichen gesetzlichen Vorschriften aus folgenden Gründen für verfassungswidrig:
Die Verteilung der Alt-Rentenlast der Bergbau-Berufsgenossenschaft auf die Mitglieder der anderen Berufsgenossenschaften sei keine sozialversicherungsrechtliche Regelung. Zum Bild der Sozialversicherung gehöre, daß der Beitragsleistung eine (mögliche) Gegenleistung gegenüberstehe. Daran fehle es hier. In Wirklichkeit stelle die Regelung des Art. 3 UVNG eine Subventionierung des Bergbaus zu Lasten der übrigen gewerblichen Wirtschaft dar. Es handle sich also um eine wirtschaftsrechtliche Regelung, für die eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes nicht etwa nach Art. 74 Nr. 12 GG, sondern allenfalls nach Art. 74 Nr. 11 GG bestehe. Durch den "Vertrag über die Gründung einer Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl" (EGKS-Vertrag) vom 18. April 1951 habe sich die Bundesrepublik Deutschland aber verpflichtet, dem Bergbau keinerlei Subventionen zu gewähren. Da Art. 3 UVNG dieser Verpflichtung widerspreche, verstoße er gegen Art. 24 Abs. 1 GG und gegen das Rechtsstaatsprinzip.
Art. 3 §§ 1 und 2 UVNG verstoße in mehrfacher Hinsicht auch gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Der Gleichheitssatz sei schon insofern verletzt, als allein die gewerblichen Berufsgenossenschaften und die See-Berufsgenossenschaft, nicht aber Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand und der Landwirtschaft für die Alt-Rentenlast aufkommen müßten. Für diese Differenzierung gebe es keinen einleuchtenden Grund. -- Ein weiterer Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liege darin, daß die Beiträge nach der Höhe der Lohnsumme berechnet würden und daß ein "Freibetrag" von 30000 DM vorgesehen sei. Bei der den gewerblichen Berufsgenossenschaften zugemuteten Hilfsaktion müsse gerechterweise die Leistungsfähigkeit der Hilfspflichtigen berücksichtigt werden. Die Höhe der Lohnsumme sage jedoch über die Ertragslage und damit über die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens nichts aus. -- Willkürlich sei zudem, daß alle Bergbauunternehmen von Beiträgen zur Rentenaltlast befreit seien, ohne Rücksicht darauf, ob sie die anteilige Last aufbringen könnten oder nicht. Eine generelle Notlage bestehe im Bergbau nicht. Viele Bergbauunternehmen erzielten noch gute Gewinne. Solange aber innerhalb der Bergbau-Berufsgenossenschaft nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft seien, gebe es keine Rechtfertigung dafür, unter Durchbrechung des Systems der Berufsgenossenschaften langwierige Lasten des Bergbaus auf andere Gewerbezweige abzuwälzen.
Überdies setze Art. 4 § 16 Abs. 1 UVNG den Art. 3 UVNG rückwirkend zum 1. Januar 1963 in Kraft. Diese Rückwirkung sei weder voraussehbar noch durch zwingende Gründe des gemeinen Wohls gerechtfertigt gewesen. Sie verstoße gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes und damit gegen das Rechtsstaatsprinzip.
II.
1.
Für die im Ausgangsverfahren beigeladene Bergbau-Berufsgenossenschaft hat sich Prof. Dr. N. als Verfahrensbevollmächtigter wie folgt geäußert:
Sowohl die Entstehung der in Art. 3 UVNG bezeichneten Rentenansprüche wie auch die Aufbringung der Mittel durch die Organisation der sozialen Unfallversicherung fielen unter den Begriff der Sozialversicherung i. S. des Art. 74 Nr. 12 GG. Das Eintreten einer Berufsgenossenschaft für eine andere sei seit jeher in den §§ 715 a RVO a. F. und 738 RVO n. F. für Notfälle vorgesehen, ohne daß der helfenden Berufsgenossenschaft eine andere Gegenleistung gewährt werde als die Aussicht, in eigener Notlage ebenfalls in den Genuß der Unterstützung durch andere Berufsgenossenschaften zu kommen.
Die Altlastregelung sei mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Die Begünstigung der Bergbau-Berufsgenossenschaft zu Lasten der anderen gewerblichen Berufsgenossenschaften beruhe auf sachlich gerechtfertigten Gründen. Der Bergbau befinde sich gegenüber den übrigen Gewerbebetrieben in einer besonderen Lage, da seine Aufwendungen für Unfallrenten unverhältnismäßig viel höher seien als die der anderen Unternehmen. Dies sei insbesondere auf die größere Unfallgefahr im Bergbau, die Ausweitung der Anerkennung von Berufskrankheiten, die gesetzlichen Rentenerhöhungen sowie den Rückgang der beitragspflichtigen Mitglieder der Bergbau-Berufsgenossenschaft durch Zechenstillegungen zurückzuführen. Die in Art. 3 UVNG liegende Durchbrechung der Regel, daß die Unternehmer nur für die Unfallfälle innerhalb ihrer eigenen Berufsgenossenschaft und nicht für andere solidarisch hafteten, bedeute keine gleichheitswidrige Abweichung von einer durch den Gesetzgeber selbst gewählten Sachgesetzlichkeit. Schon nach der Reichsversicherungsordnung sei die Trennung der Berufsgenossenschaften und die Alleinbelastung jeder Berufsgenossenschaft mit den Unfällen ihres Bereichs nicht strikt durchgeführt, sondern nur so lange und so weit vorgesehen, als die einzelnen Berufsgenossenschaften für die Versorgung der in ihrem Bereich verunglückten Arbeitnehmer hinreichend leistungsfähig seien. Der Gesetzgeber sei sogar befugt, die berufsgenossenschaftliche Gliederung der Unfallversicherung ganz abzuschaffen und in einer Einheitsversicherung den notwendigen Ausgleich der Belastungen herbeizuführen. Demgegenüber sei die durch Art. 3 UVNG getroffene Lösung als der geringere Eingriff vorzuziehen. -- Art. 3 UVNG verstoße auch nicht deshalb gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, weil er zur Mittragung der Bergbau-Altlast nur die gewerblichen Berufsgenossenschaften und die See-Berufsgenossenschaft, nicht aber die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften und die übrigen Träger der Unfallversicherung verpflichte. Die gewerblichen Berufsgenossenschaften stünden der Bergbau-Berufsgenossenschaft näher als andere, da die Bergbau-Berufsgenossenschaft selbst zur Gruppe der gewerblichen Berufsgenossenschaften gehöre. Sie seien ihr auch deshalb verbunden, weil die vom Bergbau abwandernden Arbeitskräfte vor allem die Lücken in anderen Zweigen der gewerblichen Wirtschaft auffüllten. Die Land Wirtschaft dagegen werde vom Staat subventioniert; die Auferlegung neuer Leistungen wäre hier widersinnig gewesen. Daß die Länder, Gemeinden und deren Verbände als Träger der sozialen Unfallversicherung von der Regelung des Art. 3 UVNG ausgenommen seien, sei in ihren besonderen Aufgaben und in ihrer gegenüber den gewerblichen Berufsgenossenschaften verschiedenen finanziellen Struktur begründet. -- Der Gleichheitssatz sei ebenfalls nicht dadurch verletzt, daß Art. 3 § 2 UVNG die Höhe des Beitrages für die Altlastumlage an die Lohnsumme knüpfe und dabei eine Lohnsumme bis zu jährlich 30000 DM je Mitglied außer Ansatz lasse. Die Lohnsumme sei die hergebrachte Bezugsgröße für die Mitgliedsbeiträge bei den meisten Berufsgenossenschaften. Eine bessere Bemessungsgrundlage sei bisher nicht gefunden worden. Durch den "Freibetrag" von 30000 DM Jahreslohnsumme sollten die kleineren mittelständischen Betriebe entlastet werden, die es in der Regel schwer hätten, sich gegenüber den Mittel- und Großunternehmen zu behaupten. -- Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz liege schließlich auch nicht darin, daß die Verteilung der Bergbau-Altlast allen Bergbau-Unternehmen in Form verminderter Sozialversicherungsbeiträge zugute komme, obwohl nicht alle Bergbau-Betriebe so notleidend seien, daß sie ihre Beiträge nicht allein aufbringen könnten. Der übermäßigen Höhe der Unfallversicherungslasten des Bergbaus habe der Gesetzgeber nur durch eine generelle Regelung abhelfen können.
Auch die Eigentumsgarantie werde durch Art. 3 UVNG nicht berührt. Art. 14 GG schütze nicht das Vermögen als solches gegen die Auferlegung von Geldleistungspflichten.
Ebensowenig lasse sich eine Unwirksamkeit des Art. 3 UVNG aus Art. 24 Abs. 1 GG herleiten. Die Regelung des Art. 3 UVNG verstoße gar nicht gegen das Subventionsverbot des Art. 4 Buchst. c des EGKS-Vertrages. In Art. 68 § 1 des Vertrages sei nämlich bestimmt, daß die in den einzelnen Mitgliedstaaten angewandten Formen der Festsetzung von Löhnen und Sozialleistungen durch die Anwendung des Vertrages nicht berührt würden. Die Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl habe Regelungen von der Art des Art. 3 UVNG ausdrücklich gebilligt.
Die Rückwirkungsanordnung des Art. 4 § 16 Abs. 1 UVNG sei ebenfalls verfassungsmäßig. Die Altlastumlage für das Kalenderjahr 1963 beziehe sich nicht auf einen bei Erlaß des Gesetzes -- am 30. April 1963 -- "abgeschlossenen" Tatbestand. In der Unfallversicherung werde der Gesamtbedarf stets jahresweise, und zwar erst am Ende des betreffenden Kalenderjahres, endgültig festgestellt und umgelegt. Solange das Jahr laufe, sei der Tatbestand noch nicht abgeschlossen, ja nicht einmal mit Sicherheit überschaubar. Ein schutzwürdiges Vertrauen des Bürgers sei daher durch Art. 4 § 16 Abs. 1 UVNG nicht verletzt worden.
Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat sich namens der Bundesregierung dieser Äußerung angeschlossen.
2.
Das Bundessozialgericht hat eine Äußerung seines nach der Geschäftsverteilung im Fall einer Revisionseinlegung zuständigen Zweiten Senats vorgelegt. Der Senat hält Art. 3 §§ 1, 2 und Art. 4 § 16 Abs. 1 UVNG aus Erwägungen, die mit den vorstehenden im wesentlichen übereinstimmen, für verfassungsrechtlich einwandfrei.
3.
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens macht unter Berufung auf ein von ihr vorgelegtes Rechtsgutachten von Prof. Dr. F. im wesentlichen geltend:
Motiv und Sinn der Regelung des Art. 3 UVNG sei nicht, einem Versagen der Sozialversicherung im Bereich des Bergbaus abzuhelfen, sondern den aus vielen Gründen finanziell bedrängten Bergbau zu unterstützen. Diese Hilfsaktion für den Bergbau unterscheide sich von den normalen öffentlichen Subventionen nur insofern, als die dem Bergbau zugewandten Mittel nicht vom Staat, sondern aufgrund gesetzlicher Anordnung von Dritten stammen. Art. 3 UVNG bewirke deshalb eine "direkte Umverteilung". Diese Maßnahme zugunsten des Bergbaus beruhe aber nicht auf einer "sachgerechten Verknüpfung zwischen den Vergünstigungen und Belastungen"; denn die gewerbliche Wirtschaft sei keineswegs in spezieller Weise der Nutznießer des Bergbaus. Wenn überhaupt von einer Nutznießerschaft die Rede sein solle, dann könne sie nicht nur für die gewerbliche Wirtschaft, nicht einmal für die gesamte Wirtschaft, sondern nur für jedermann angenommen werden. Allerdings sei die Befugnis des Bundes, eine Regelung mit dem Ziel der Befreiung des Bergbaus von der Alt-Rentenlast zu treffen, unbezweifelbar. In der Durchführung dieser Absicht sei der Gesetzgeber jedoch rechtsstaatlich gebunden. Der Entschluß, der Bergbau-Berufsgenossenschaft die Alt-Rentenlast abzunehmen, habe nur im öffentlichen Interesse gefaßt werden können und die Alt-Rentenlast zu einer dem Bund zufallenden öffentlichen Last gemacht. Hierfür hätten die finanziellen Mittel mit den dem Rechtsstaat zustehenden Möglichkeiten der Selbstfinanzierung (durch Steuern, Zölle, Anleihen usw.) bereitgestellt werden müssen. Eine direkte Umverteilung außerhalb des Haushaltsplans sei unzulässig; sie verstoße gegen das Prinzip des Art. 110 GG.
Die direkte Umverteilung sei auch mit dem Sinn des Art. 14 GG nicht zu vereinbaren. Zwar könne Geld wegen der Entschädigungspflicht nicht enteignet werden; in der Enteignung von Geld hebe sich die Enteignung selbst auf. Verbiete es sich dementsprechend, die direkte Umverteilung trotz enteignungsgleicher Grundsituation als Enteignung aufzufassen, so folge daraus aber nicht, daß dem Staat der ungehinderte Zugriff auf das Vermögen des Einzelnen im Wege der direkten Umverteilung offenstehe. Es ergebe sich vielmehr der entgegengesetzte Schluß: da Art. 14 GG den Zugriff nicht gestatte, sei er schlechterdings unzulässig.
B.
Artikel 3 §§ 1 und 2 sowie Artikel 4 § 16 Absatz 1 UVNG sind mit dem Grundgesetz vereinbar.
I.
Der Bundesgesetzgeber war zu der von ihm getroffenen Regelung befugt.
1.
Der Entwurf des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes, den die CDU/CSU-Fraktion 1962 dem Bundestag vorgelegt hatte, sah noch keine Bestimmungen über die Entlastung der Bergbau-Berufsgenossenschaft vor (BT-Drucks. IV/120). Erst der Sozialpolitische Ausschuß des Bundestages beschloß, einem Antrag der Fraktion der CDU/CSU entsprechend, gegen die Stimmen der der SPD angehörenden Mitglieder in das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz eine Bestimmung dahingehend aufzunehmen, daß die Rentenlast aus den vor dem 1. Januar 1953 eingetretenen Unfällen nicht mehr von jeder Berufsgenossenschaft selbst, sondern jeweils von mehreren, zu Gruppen zusammengefaßten Berufsgenossenschaften gemeinsam getragen werden sollte.
Zur Erläuterung dieses Vorschlags heißt es in dem Schriftlichen Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (BT-Drucks. IV/120 S. 30 ff.):
"Schon seit mehreren Jahren klagen schrumpfende Gewerbezweige darüber, daß die Lasten, die aus Zeiten mit höheren Beschäftigungszahlen herrühren, unverhältnismäßig hoch seien. Wenn das zur Zeit auch den Steinkohlen-Bergbau in besonderem Maße betrifft, so ist doch darüber hinaus nicht an der Tatsache vorbeizugehen, daß nach fast 80jährigem Bestehen der Unfallversicherung eine Reihe von Gewerbezweigen verschwunden ist, daß eine Reihe neuer Gewerbezweige entstanden ist und daß andere Gewerbezweige zurückgegangen sind und wieder andere an Bedeutung gewonnen haben. ... Es soll daher zwischen den Berufsgenossenschaften eine gemeinsame Rentenlast aus Arbeitsunfällen, die vor dem 1.1.1953 eingetreten sind, gebildet werden und diese Rentenlast unter den Berufsgenossenschaften umverteilt werden ..."
Im weiteren Verlauf der Behandlung des Gesetzentwurfs legten die CDU/CSU- und die FDP-Fraktion, einer Anregung des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften e. V. folgend, den später Gesetz gewordenen Änderungsantrag vor, nach dem nur die Alt-Rentenlast der Bergbau-Berufsgenossenschaft der Gesamtheit der gewerblichen Berufsgenossenschaften sowie der See-Berufsgenossenschaft auferlegt werden sollte. Bei der Begründung des Antrags äußerte der Abg. Stingl (CDU/CSU), daß aus dem Wesen der Unfallversicherung, die die Haftung des Unternehmers durch eine Solidargemeinschaft der Unternehmer ablöse, sich auch diese Regelung ergebe. Es handle sich nicht um eine Verpflichtung der Allgemeinheit und des Staates, sondern es sei "ein Problem der Unfallversicherung und der Solidargemeinschaft der Unternehmer untereinander, diese Last erträglich zu machen" (IV. Deutscher Bundestag, 62. Sitzung am 6. März 1963, Sitzungsbericht S. 2857).
Der Abg. Börner (SPD) lehnte den Änderungsvorschlag ab. Er vertrat die Ansicht:
Mit dem Antrag werde "die Axt an die Wurzel des berufsgenossenschaftlichen Prinzips gelegt". Hier werde "letztlich die Last eines Wirtschaftszweiges auf andere Wirtschaftszweige delegiert..., die mit dem Berufsrisiko dieses Wirtschaftszweiges überhaupt nichts zu tun" hätten. Der Änderungsantrag bedeute, daß sich der Unfallversicherungsbeitrag in bestimmten Wirtschaftszweigen verdoppele oder verdreifache. Damit entfalle für die Unternehmer der Anreiz, Maßnahmen zur Unfallverhütung zu treffen. Man könne dem Bergbau "nicht mit sozialpolitischer Flickschusterei helfen", sondern müsse eine vernünftige Energiepolitik treiben (aaO S. 2858 f.).
Der Abg. Balke (CDU/CSU) führte dazu aus:
Es gehe um die Ablösung der Rentenaltlast in einem Wirtschaftszweig, der nicht mehr in der Lage sei, diese aus seinen Erträgen zu decken. Man stehe nun vor der Frage: "Soll man das über die Betroffenen lösen, in diesem Falle über die gewerblichen Berufsgenossenschaften ..., oder soll man es... durch eine allgemeine staatliche Belastung, die also den einzelnen Staatsbürger trifft, machen? Auf jeden Fall würde ja auch bei Ihrem Vorschlag die Belastung von der Wirtschaft aufzubringen sein. Ob sie das nun über ein bekanntes System der Sozialversicherung aufbringt oder aufgrund eines neuen Gesetzes mit der Verteilung einer solchen Last auf alle Schultern - es bleibt immer die Aufgabe, diese Summe aus dem Sozialprodukt zu decken..." Der vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften gewiesene Weg sei zwar keine ideale, aber die zweckmäßigste Lösung. Sie müsse allerdings auf den vorliegenden Ausnahmefall beschränkt bleiben. "Diese Methode darf nicht später wiederholt werden. Es geht nur um die Ablösung der Altlast für einen notleidenden Gewerbezweig" (aaO S. 2863).
2.
Wie sich aus der Entstehungsgeschichte des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes ergibt, hatte sich hinsichtlich der in der Unfallversicherung beabsichtigten Änderungen eine Wandlung vollzogen. Der Vorschlag des Sozialausschusses des Bundestages zielte auf eine erste Neuordnung im System der Unfallversicherung ab, indem er die gewerblichen Berufsgenossenschaften zu 6 Gruppen zusammenfaßte, innerhalb deren die Rentenalt] äst gemeinsam getragen werden sollte. Die spätere -- zum Gesetz gewordene -- Vorlage hatte nur noch eine Entlastung der Bergbau-Berufsgenossenschaft zum Gegenstand.
Ob die getroffene Regelung noch in den Rahmen des Art. 74 Nr. 12 (Sozialversicherung) fällt und die Gesetzgebungsbefugnis des Bundesgesetzgebers aus dieser Verfassungsnorm hergeleitet werden kann, bedarf keiner Entscheidung. Art. 3 UVNG müßte, wenn nicht dem Sozialversicherungsrecht, dem Recht der Wirtschaft zugeordnet werden. Der Bundesgesetzgeber wäre dann jedenfalls nach Art. 74 Nr. 11 zuständig. Auch unter dieser Voraussetzung ist er zu einer Umverteilung von Belastungen der Wirtschaft in der durch Art. 3 UVNG unternommenen Art und Weise befugt.
Das System der Unfallversicherung gehört seit der Schaffung der Sozialversicherungsgesetze des Kaiserreichs, zusammengefaßt in der Reichsversicherungsordnung vom 19. Juli 1911 (RGBl. S. 509), zum festen Bestand der deutschen Rechtsordnung. Seine Besonderheit liegt darin, daß es eine Zwangsgemeinschaft der "Unternehmer" begründet, die ohne Ansehen der individuellen Verantwortlichkeit solidarisch für die Folgen der von den Versicherten erlittenen Berufsunfälle aufkommt. Zwar ist die Unfallversicherung seit ihrer Einführung berufsgenossenschaftlich gegliedert; grundsätzlich bringt jeder Gewerbezweig, der eine Berufsgenossenschaft bildet, die Mittel für die in seinem Bereich entstehenden Unfallversicherungslasten selbst auf. Wegen der in den einzelnen Gewerbezweigen sehr verschiedenen Unfallgefahr liegt dieses berufsgenossenschaftliche Prinzip besonders nahe. Die gesetzliche Regelung der Unfallversicherung ist aber niemals von einer unabänderlichen Autarkie der bestehenden Berufsgenossenschaften ausgegangen. Die sachliche Zuständigkeit der Berufsgenossenschaften nach Art und Gegenstand der Unternehmen kann durch Rechtsverordnung geändert werden (§ 646 Abs. 2 RVO). Eine Berufsgenossenschaft kann geteilt, mehrere Berufsgenossenschaften können vereinigt, neue Berufsgenossenschaften gebildet werden. Die Berufsgenossenschaften können vereinbaren, ihre Entschädigungslast gemeinsam zu tragen; eine Gemeinlast oder eine gegenseitige Unterstützung der Berufsgenossenschaften kann auch durch Rechtsverordnung angeordnet werden (§§ 737 f. RVO n. F.; §§ 714, 715 a RVO a. F.). All diese Möglichkeiten zeigen, daß der Wirtschaftsbereich, innerhalb dessen die aus Arbeitsunfällen erwachsenden Lasten gedeckt werden, schon nach der herkömmlichen Struktur der Unfallversicherung keineswegs ein für allemal festgelegt ist, sondern ausgeweitet und eingeengt werden kann. Ein Risikoausgleich über die Grenzen einer Berufsgenossenschaft hinaus ist der Unfallversicherung demnach keineswegs fremd. Ordnet der Gesetzgeber einen solchen Ausgleich an, so ist er an die Voraussetzungen, die die Reichsversicherungsordnung etwa in § 739 -- dafür aufstellt, naturgemäß nicht gebunden, vorausgesetzt, daß die "wesentlichen Strukturelemente" (BVerfGE 11, 105 [112]) gewahrt bleiben.
Eine unvermeidliche und immanente Auswirkung dieses Systems besteht darin, daß jede Unterstützungsaktion für eine Berufsgenossenschaft gleichzeitig dem betreffenden Wirtschaftszweig zugute kommt. Sie wirkt nicht nur im unfallversicherungsrechtlichen, sondern auch im wirtschaftlichen Bereich. Die Auswirkung unfallversicherungsrechtlicher Maßnahmen auf die wirtschaftliche Lage eines Gewerbezweiges führt jedoch nicht dazu, daß solche Maßnahmen notwendigerweise zu einer öffentlichen Angelegenheit werden, deren Lasten nur die Allgemeinheit treffen und die deshalb nur mit öffentlichen Mitteln durchgeführt werden darf. Selbstverständlich kann der Staat mit unmittelbaren Zuwendungen (z.B. Subventionen) helfen, wie es durch § 723 Abs. 2 RVO geschehen ist. Dem Gesetzgeber ist es aber im Hinblick auf die dem Unfallversicherungswesen eigene Solidarität der Unternehmer auch nicht verwehrt, die wirtschaftliche Stützung eines Gewerbezweigs durch eine Umverteilung innerhalb der Berufsgenossenschaften herbeizuführen. Der Charakter der dem einzelnen Mitglied einer Berufsgenossenschaft dadurch erwachsenden zusätzlichen Leistungen an seine Berufsgenossenschaft ändert sich nicht; sie bleiben Beiträge im Rahmen der Unfallversicherung.
Unter diesen Umständen kann die Frage, ob eine "direkte Umverteilung" (s. oben A II 31) nur auf dem Wege über die gemäß Art. 110 GG im Haushalt ausgewiesenen Mittel zulässig ist, auf sich beruhen. Die Zulässigkeit der Regelung des Art. 3 UVNG bestimmt sich ausschließlich nach den -- auch von dem vorlegenden Gericht angeführten -- grundgesetzlichen Normen, insbesondere dem Gleichheitsprinzip.
II.
Art. 3 UVNG ist mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.
Das Sozialgericht geht mit Recht davon aus, daß der Gesetzgeber bei der Regelung der Verhältnisse von Körperschaften des öffentlichen Rechts an den Gleichheitssatz gebunden ist. Zwar können sich Körperschaften des öffentlichen Rechts im Bereich ihrer öffentlichen Aufgaben nicht auf Art. 3 Abs. 1 GG als Grundrecht berufen (BVerfGE 21, 362 [369]). In Art. 3 Abs. 1 GG kommt jedoch zugleich ein allgemeiner Rechtsgrundsatz zum Ausdruck, der bereits aus dem Wesen des Rechtsstaats, dem Prinzip der allgemeinen Gerechtigkeit folgt; insofern beansprucht der Gleichheitssatz auch Geltung für die Beziehungen innerhalb des hoheitlichen Staatsaufbaus (BVerfGE 21, 362 [372]). Im übrigen muß die Regelung des Art. 3 UVNG den Anforderungen des Gleichheitssatzes schon deshalb genügen, weil sie sich auf die -- grundrechtsfähigen -- Mitglieder der Berufsgenossenschaften auswirkt.
Nach der feststehenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegt ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nur dann vor, wenn der Gesetzgeber versäumt, tatsächliche Gleichheiten oder Ungleichheiten der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, daß sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise beachtet werden müssen. Der Gesetzgeber hat hiernach weitgehende Gestaltungsfreiheit. Es ist nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts zu prüfen, ob er jeweils die gerechteste und zweckmäßigste Regelung getroffen hat, sondern lediglich, ob jene äußersten Grenzen gewahrt sind (BVerfGE 14, 221 [238]).
1.
Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz wird darin gesehen, daß Art. 3 UVNG einseitig die Bergbau-Berufsgenossenschaft und damit den Bergbau begünstige, obwohl auch andere Gewerbezweige in Schwierigkeiten seien. Diese bevorzugte Behandlung der Bergbau-Berufsgenossenschaft rechtfertigt sich indessen aus der Situation zur Zeit des Erlasses des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes. Sie ergibt sich aus der Darstellung von Watermann (vgl. Der Kompaß, Zeitschrift für Sozialversicherung im Bergbau, 75 [1965] S. 130 f.), die für das Jahr 1962 folgendes Bild bietet:
"Obwohl zur Bergbau-Berufsgenossenschaft 1962 nur 3,0% der von den gewerblichen Berufsgenossenschaften insgesamt versicherten Arbeitnehmer gehörten, entfielen 1962 auf die Bergbau-Berufsgenossenschaft 32,5% der Gesamtausgaben. Die restlichen 67,5% der Aufwendungen verteilten sich auf die übrigen 35 Berufgenossenschaften. Aus diesem Mißverhältnis erklärt sich die hohe Belastung des Bergbaues mit der Umlage der Bergbau-Berufsgenossenschaft: 12,44 DM auf je 100 DM Lohnsumme, während im gleichen Jahr 1962 die Umlage bei den übrigen Berufsgenossenschaften im Durchschnitt nur 1,06 DM je 100 DM Lohnsumme ausmachte. Die auf 100 DM Entgelt errechnete Belastung des Bergbaues lag im Jahre
1926 um rd. das 2 1/2fache, 1930 um rd. das 3 1/2fache, 1935 um rd. das 4 1/2fache, 1950 um rd. das 6 1/2fache, 1955 um rd. das 8fache, 1960 um rd. das 11fache, 1962 um rd. das 12fache
über der durchschnittlichen Belastung der übrigen gewerblichen Wirtschaft."
Diese Zahlen zeigen, daß sich die Bergbau-Berufsgenossenschaft bei Einführung des Art. 3 UVNG in einer Ausnahmesituation befand; es bestand einwachsendes krasses Mißverhältnis zwischen der Belastung der Bergbau-Berufsgenossenschaft und der der anderen Berufsgenossenschaften. Das Eingreifen des Gesetzgebers beruhte unter diesen Umständen auf gewichtigen, die tatsächliche Ungleichheit berücksichtigenden Erwägungen. Die Art und Weise, in der der Gesetzgeber die Verhältnisse regelte, hält sich in den Grenzen der ihm zukommenden Gestaltungsfreiheit.
Art. 3 UVNG führte keine Nivellierung der Lasten innerhalb der Berufsgenossenschaften herbei. Nach einem von der Hauptverwaltung der Bergbau-Berufsgenossenschaft am 20. Mai 1965 erstatteten, von keiner Seite in Zweifel gezogenen Bericht über "Höhe und Entwicklung der Belastung der Bergbau-Berufsgenossenschaft im Vergleich mit anderen gewerblichen Berufgenossenschaften vor und nach der Entlastung gemäß Art. 3 UVNG" blieb die Bergbau-Berufsgenossenschaft auch nach der Neuordnung die am stärksten belastete Berufgenossenschaft.
"Bezogen auf 100 DM Entgelt verringerte sich die Umlage der Bergbau-Berufsgenossenschaft als Folge der Entlastung für das Jahr 1963 von 12,55 DM auf 6,88 DM... Die Bergbau-Berufsgenossenschaft (bleibt) auch mit dem durch die Entlastung verringerten 100 DM-Satz von 6,88 DM die bei weitem am stärksten belastete Berufsgenossenschaft... Erst mit einem 100 DM-Satz von 3,19 DM folgt ihr die nächste Berufsgenossenschaft. Mehrere Berufsgenossenschaften haben auch nach der Übernahme von Teilen der Rentenaltlast der Bergbau-Berufsgenossenschaft Umlageanteile von unter 1 DM. Bei Außerachtlassung der Entlastung hätten alle gewerblichen Berufsgenossenschaften zusammen mit Ausnahme der Bergbau-Berufgenossenschaft im Durchschnitt eine Belastung von 1,15DM je 100 DM Entgelt gehabt. Dieser Betrag erhöhte sich infolge der Bestimmungen des Art. 3 UVNG um 0,21 DM auf nunmehr 1,36 DM. Gleichzeitig senkte sich die Belastung der Bergbau-Berufsgenossenschaft von 12,55 DM auf 6,88 DM. Mit diesem reduzierten Betrage bleibt die Bergbau-Berufsgenossenschaft auch nach der Entlastung um mehr als das Fünffache stärker belastet, als es die übrigen gewerblichen Berufsgenossenschaften im Durchschnitt sind. Das weitere Absinken der Belegschaftszahlen des Bergbaues in den letzten Jahren einerseits und die mit dem zwangsläufigen Abbau der Rentenaltlast verbundene Verringerung der Entlastung andererseits werden wahrscheinlich dazu führen, daß sich das Belastungsverhältnis zwischen dem Bergbau und der übrigen gewerblichen Wirtschaft in den nächsten Jahren erneut zuungunsten des Bergbaues verändern wird" (aaO S. 16 ff.).
Von einem willkürlichen Eingriff in bestehende Rechtsverhältnisse kann deshalb keine Rede sein.
2.
Eine gleichheitswidrige Differenzierung sieht das vorlegende Gericht darin, daß nach Art. 3 UVNG nur die gewerblichen Berufsgenossenschaften einschließlich der See-Berufsgenossenschaft, nicht aber die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften und die Träger der Unfallversicherung der öffentlichen Hand an der Aufbringung der Bergbau-Altlast beteiligt sind. Für diese Differenzierung gibt es jedoch sachlich einleuchtende Gründe.
Der Gesetzgeber hat sich entschlossen, den wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Bergbaus auch dadurch zu steuern, daß er die Unfallversicherungs-Lasten dieses Wirtschaftszweiges in gewissem Umfang anderen Wirtschaftszweigen auferlegt; dies bedeutet eine Hilfe innerhalb der Wirtschaft aus eigener Kraft. Landwirtschaft und Gartenbau werden schon selbst vom Bund auf mannigfache Weise nach dem "Grünen Plan" finanziell unterstützt. Wenn der Gesetzgeber die Lage dieser Wirtschaftszweige so einschätzt, daß er sie von einer Beteiligung an der Unterstützungsaktion freistellt, so liegt dies auf der Linie zu dem erstrebten Ziel und beruht auf sachlich noch vertretbaren Gründen.
Entsprechende Erwägungen führten auch zur Freistellung der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände. Schon die verschiedene Struktur dieser Unfallversicherungsträger verglichen mit den übrigen (einerseits auf Finanzierung angewiesene Genossenschaften, andererseits im finanzwirtschaftlichen Verbund mit dem Bund stehende Länder, Gemeinden und deren Verbände) läßt eine abweichende Behandlung als nicht sachwidrig erscheinen. Hinzu kommt noch, daß sie nicht nur Versicherungsträger für Unfälle in ihren Unternehmen, sondern darüber hinaus für Unfälle bestimmter Art sind, deren Entschädigung aus besonderen öffentlichen Interessen notwendig ist, so z.B. Unfälle in Betrieben der Feuerwehren und Betrieben zur Hilfeleistung bei Unglücksfällen, Unfälle bei Rettung aus Lebensgefahr, Hilfeleistung bei sonstigen Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not und beim Blutspenden.
Das Bundesverfassungsgericht hat bereits bei der Prüfung des Fremdrentengesetzes in seiner Entscheidung vom 24. Juli 1962 (BVerfGE 14, 221 ff.) entsprechende Gesichtspunkte dargelegt (aaO 238 ff.). Sie gelten auch hier. Wenn der Gesetzgeber unter diesen Umständen zur Finanzierung der Bergbau-Altlast nur die gewerblichen Berufsgenossenschaften verpflichtet hat, denen die Bergbau-Berufsgenossenschaft selbst angehört, so liegt darin keine willkürliche Ungleichbehandlung von im wesentlichen gleichen Sachverhalten.
3.
Das vorlegende Gericht hat einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz ferner darin erblickt, daß durch die -- den Bergbau begünstigende, die anderen Gewerbezweige belastende -- Regelung des Art. 3 UVNG auch solche Unternehmen des Bergbaus begünstigt würden, die durchaus in der Lage wären, den vollen Beitrag für die Bergbau-Berufsgenossenschaft zu zahlen, während manche Mitglieder der anderen gewerblichen Berufsgenossenschaften an der sie treffenden zusätzlichen Last schwer zu tragen hätten.
Wie das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung hervorgehoben hat, steht dem Gesetzgeber bei der Bestimmung des Personenkreises, für den die gesetzliche Regelung Anwendung finden soll, ein weiter Spielraum zur Verfügung, dessen Grenzen dadurch bestimmt werden, daß für die gesetzliche Maßnahme einleuchtende Gründe vorhanden sind (BVerfGE 11, 245 [253]; vgl. 9, 20 [32] und 17, 1 [23]). Ein solcher einleuchtender Grund liegt darin, daß eine Generalisierung notwendig war. Der Gesetzgeber, der im Hinblick auf die übermäßig hohen Beitragslasten der Mitglieder der Bergbau-Berufsgenossenschaft eine Änderung der Verteilung der Lasten für geboten halten durfte, konnte nicht die wirtschaftliche Lage jedes einzelnen Unternehmens berücksichtigen. Die Regelung hält sich daher ebenfalls in dieser Hinsicht noch im Rahmen der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit.
4.
Auch der vom Sozialgericht beanstandete Maßstab der Lohnsumme, nach dem die Bergbau-Altlast gemäß Art. 3 § 2 UVNG verteilt wird, verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz.
Die Berechnung nach der Lohnsumme ist in der Unfallversicherung herkömmlich. Sie benachteiligt zwar die lohnintensiven Betriebe; aber auch andere Maßstäbe sind für gewisse Betriebe günstig, für andere ungünstig (BVerfGE 11,105 [119 f.]). Der Maßstab der Lohnsumme mag unbefriedigend sein, er ist jedoch nicht sachfremd. Er hat den Vorzug, sicher und nicht manipulierbar zu sein. Er knüpft außerdem an ein seit langem bestehendes Erhebungssystem an, dessen Änderung mit einem erheblichen Verwaltungsaufwand verbunden wäre. Daß die Zugrundelegung der Lohnsummen bei der Berechnung der Beiträge zu großen, nicht mehr vertretbaren, nur durch die verwaltungstechnische Anknüpfung bedingten Unterschieden in der Belastung der einzelnen Betriebe führen würde, kann nach dem oben angeführten Zahlenmaterial nicht angenommen werden (vgl. dazu BVerfGE 11,105[119]).
Verfassungsrechtlich einwandfrei ist auch der in Art. 3 § 2 Abs. 3 UVNG vorgesehene "Freibetrag" einer Jahreslohnsumme bis 30 000 DM je Unternehmer. Der Abg. Stingl hat zur Rechtfertigung dieses "Freibetrages" den Gesichtspunkt der Ausscheidung von "Bagatellfällen" und des Mittelstandsschutzes genannt. Diese Gesichtspunkte sind nicht unsachlich. Zudem kommt der "Freibetrag" auch denjenigen Mitgliedern der Berufsgenossenschaft zugute, deren Lohnsumme über diesem Betrag liegt.
III.
Art. 3 UVNG verstößt auch nicht gegen andere Grundgesetznormen.
1.
Die Regelung ist mit Art. 2 Abs. 1 GG vereinbar.
Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet nicht nur natürlichen Personen, sondern auch Handelsgesellschaften und juristischen Personen des privaten Rechts eine allgemeine Handlungsfreiheit (BVerfGE 10, 89 [99]; 20, 323 [336]). Die durch Art. 3 UVNG bedingte Erhöhung der Unfallversicherungsumlage ist aber nicht von solchem Gewicht, daß die betroffenen Unternehmen in der Freiheit ihrer wirtschaftlichen Betätigung ernstlich beeinträchtigt werden.
2.
Art. 14 GG ist gleichfalls nicht verletzt.
Soweit die Berufsgenossenschaften durch Art. 3 UVNG belastet werden, kommt ein Verstoß gegen Art. 14 GG schon deshalb nicht in Betracht, weil Körperschaften des öffentlichen Rechts im Bereich ihrer öffentlichen Aufgaben den Schutz des Art. 14 GG nicht genießen (BVerfGE 21, 362 [369 ff.]).
Art. 3 UVNG verletzt aber auch insoweit die Eigentumsgarantie nicht, als er die Mitglieder der gewerblichen Berufsgenossenschaften betrifft.
Wie oben zu B I 21 ausgeführt, sind die ihnen auf erlegten Lasten als Beiträge im Rahmen der Unfallversicherung anzusehen. Die Auferlegung solcher Zwangsbeiträge enthalt aber keine Verletzung des Eigentums, es sei denn, daß die Beiträge jedes Maß übersteigen (BVerfGE 14, 221 [242]; 10, 354 [371]). Daß die durch Art. 3 UVNG bedingte Erhöhung der Beitragspflichten der Mitglieder der gewerblichen Berufsgenossenschaften nicht "jedes Maß übersteigt", ergibt sich aus den oben angeführten Zahlen.
3.
Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, daß Art. 3 UVNG gegen das Subventionsverbot des Art. 4 Buchst. c EGKS-Vertrag verstößt.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Anwendbarkeit des Art. 3 UVNG beeinträchtigt würde, wenn er mit Art. 4 Buchst. c EGKS-Vertrag tatsächlich unvereinbar wäre; denn Art. 3 UVNG ist vom Vertragsrecht her nicht zu beanstanden.
Art. 4 Buchst. c EGKS-Vertrag (BGBl. II 1952, S. 447 ff.) verbietet "von den Staaten bewilligte Subventionen oder Beihilfen oder von ihnen auferlegte Sonderlasten, in welcher Form dies auch immer geschieht". In Art. 68 § 1 heißt es aber:
Die in den einzelnen Mitgliedstaaten angewandten Formen der Festsetzung von Löhnen und Sozialleistungen in der Kohle- und Stahlindustrie werden, vorbehaltlich der nachfolgenden Bestimmungen, durch die Anwendung dieses Vertrages nicht berührt.
Aus Art. 68 § 5 Abs. 2 EGKS-Vertrag ergibt sich, daß der Vertrag zu den Formen der Sozialleistungen im Sinne des § 1 auch die Vorschriften über die Finanzierung der Sozialversicherung rechnet und daß er von der Zulässigkeit einer Änderung dieser Vorschriften ausgeht. Staatliche Maßnahmen im Rahmen der Unfallversicherung berühren das Verbot des Art. 4 Buchst. c EGKS-Vertrag demnach nicht.
Dies wird auch durch Art. 2 Abs. 2 der Entscheidung der Hohen Behörde vom 17. Februar 1965 bestätigt (Amtsbl. der Europäischen Gemeinschaften 1965, S.480 [481,483]).In den der Entscheidung vorangestellten Erwägungen heißt es:
"Was... die anormalen Lasten des Steinkohlen-Bergbaus betrifft, die insbesondere auf den erheblichen Rückgang der Anzahl der beschäftigten Bergarbeiter zurückzuführen sind, so treten sie darin in Erscheinung, daß das Verhältnis der Lasten je beschäftigtem Bergarbeiter zu den Leistungen je Leistungsempfänger wesentlich größer geworden ist, als das entsprechende Verhältnis in anderen Industrien. Die Maßnahmen der Mitgliedstaaten, die dieses Verhältnis auf den für die übrigen Industrien geltenden Satz zurückführen, können also sicherlich als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar angesehen werden. Indem die nachstehende Entscheidung diesen Grundsatz aufstellt, soll sie wesentlich dazu beitragen, die Wettbewerbsbedingungen im Steinkohlen-Bergbau wieder auf normale Grundlagen zurückzuführen."
Die Entscheidung selbst lautet:
"Staatliche Maßnahmen zur Finanzierung der Sozialleistungen, die bewirken, daß für die Unternehmen des Steinkohlen-Bergbaus das Verhältnis der Lasten je beschäftigtem Bergarbeiter zu den Leistungen je Leistungsempfänger auf das Niveau des entsprechenden Verhältnisses in den anderen Industrien zurückgeht, sind als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar anzusehen."
Der deutsche Bergbau hatte auch nach dem Inkrafttreten des Art. 3 UVNG noch weit höhere Unfallversicherungslasten zu tragen als alle übrigen Gewerbezweige.
IV.
Nach Art. 4 § 16 Abs. 1 UVNG tritt Art. 3 bereits am 1. Januar 1963, also 4 Monate vor den übrigen Bestimmungen des Gesetzes (30. April 1963) in Kraft. Diese Rückwirkung ist nicht verfassungswidrig.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind belastende Gesetze, die sich echte Rückwirkung beilegen, regelmäßig "unvereinbar mit dem Gebot der Rechtsstaatlichkeit, zu dessen wesentlichen Elementen die Rechtssicherheit gehört, die ihrerseits für den Bürger in erster Linie Vertrauensschutz bedeutet" (BVerfGE 18, 429 [439]). Echte Rückwirkung liegt vor, wenn ein Gesetz "nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift" (BVerfGE 11, 139 [145 f.]). Art. 4 § 16 Abs. 1 UVNG ordnet eine solche echte Rückwirkung nicht an. Zwar ergibt sich aus Art. 4 § 16 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 UVNG, daß alle Zahlungen, die die Bergbau-Berufsgenossenschaft vom 1. Januar 1963 an aufgrund der alten Versicherungsfälle zu leisten hat, von der Gesamtheit der gewerblichen Berufsgenossenschaften und damit von deren Mitgliedern zu decken sind. Diese Deckung betrifft jedoch die Gesamtheit der im Lauf des Jahres anfallenden Zahlungen, deren Summe erst nach Ablauf des Jahres festgestellt wird. Deshalb regelt Art. 4 § 16 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 UVNG nicht nachträglich einen bereits in der Vergangenheit liegenden, abgeschlossenen Tatbestand, sondern einen Tatbestand, der zur Zeit der Verkündung des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes am 30. April 1967 noch in der Entwicklung begriffen war.
Aus dem Gebot der Rechtssicherheit und des daraus folgenden Vertrauensschutzes ergeben sich allerdings sachliche Grenzen auch für solche Gesetze, die ihre Wirkung auf Tatbestände erstrecken, deren Verwirklichung begonnen hat (BVerfGE 13, 274 [278]; 13, 279 [283]). Dadurch, daß Art. 3 UVNG mit Wirkung vom 1. Januar 1963 in Kraft getreten ist, kann jedoch ein schutzwürdiges Vertrauen der Betroffenen nicht verletzt worden sein. Das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz wurde bereits am 6. März 1963 vom Bundestag beschlossen; von diesem Zeitpunkt der Beschlußfassung im Bundestag an kommt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Vertrauen auf früheres Recht nicht mehr in Betracht (BVerfGE 14, 288 [298]). Eine falsche Vorstellung über die für 1963 zu entrichtenden Beiträge konnte also bei den Betroffenen nur während der ersten beiden Monate des Jahres bestehen. Der auf diese beiden Monate entfallende Umlagebetrag aus der Bergbau-Altlast war jedoch relativ gering. Hinzu kommt, daß die Berufsgenossenschaft und ihre Mitglieder niemals schon zu Beginn, sondern stets erst nach Ablauf des Geschäftsjahres die genaue Höhe des Jahresbedarfs und damit die Beitragshöhe erfahren. Der bloße Umstand, daß sie während der ersten beiden Monate des Jahres 1963 von der Altlast-Umlage noch nichts wußten, fällt demnach nicht ins Gewicht.
V.
Diese Entscheidung ist im Ergebnis mit 6 Stimmen gegen 1 Stimme ergangen.
(gez.) Seuffert Henneka Dr. Leibholz Geller Dr. Rupp Dr. Geiger ist krank und an der Unterschrift verhindert. Seuffert Dr. Kutscher