Art. 2 GG

BVerfG, 25.02.1975 - 1 BvF 1/74, 1 BvF 2/74, 1 BvF 3/74, 1 BvF 4/74, 1 BvF 5/74, 1 BvF 6/74

1. Das sich im Mutterleib entwickelnde Leben steht als selbständiges Rechtsgut unter dem Schutz der Verfassung (Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 1 Abs. 1 GG). Die Schutzpflicht des Staates verbietet nicht nur unmittelbare staatliche Eingriffe in das sich entwickelnde Leben, sondern gebietet dem Staat auch, sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen.
2. Die Verpflichtung des Staates, das sich entwickelnde Leben in Schutz zu nehmen, besteht auch gegenüber der Mutter.
3. Der Lebensschutz der Leibesfrucht genießt grundsätzlich für die gesamte Dauer der Schwangerschaft Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren und darf nicht für eine bestimmte Frist in Frage gestellt werden.
4. Der Gesetzgeber kann die grundgesetzlich gebotene rechtliche Mitbilligung des Schwangerschaftsabbruchs auch auf andere Weise zum Ausdruck bringen als mit dem Mittel der Strafdrohung. Entscheidend ist, ob die Gesamtheit der dem Schutz des ungeborenen Lebens dienenden Maßnahmen einen der Bedeutung des zu sichernden Rechtsgutes entsprechenden tatsächlichen Schutz gewährleistet. Im äußersten Falle, wenn der von der Verfassung gebotene Schutz auf keine andere Weise erreicht werden kann, ist der Gesetzgeber verpflichtet, zur Sicherung des sich entwickelnden Lebens das Mittel des Strafrechts einzusetzen.
5. Eine Fortsetzung der Schwangerschaft ist unzumutbar, wenn der Abbruch erforderlich ist, um von der Schwangeren eine Gefahr für ihr Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihres Gesundheitszustandes abzuwenden. Darüber hinaus steht es dem Gesetzgeber frei, andere außergewöhnliche Belastungen für die Schwangere, die ähnlich schwer wiegen, als unzumutbar zu werten und in diesen Fällen den Schwangerschaftsabbruch straffrei zu lassen.
6. Das Fünfte Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 18. Juni 1974 (BGBl. I S. 1297) ist der verfassungsrechtlichen Verpflichtung, das werdende Leben zu schützen, nicht in dem gebotenen Umfang gerecht geworden.

BVerfG, 15.01.1975 - 2 BvR 65/74

Es ist mit dem Grundgesetz vereinbar, daß § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO dem Tierarzt im Strafverfahren kein berufsbezogenes Zeugnisverweigerungsrecht einräumt.

BVerfG, 08.10.1974 - 2 BvR 747/73

1. Der Ausschluß eines Rechtsbeistandes des Zeugen von der Zeugenvernehmung verstößt im allgemeinen gegen das im Rechtsstaatsprinzip enthaltene Prinzip enthaltene Recht auf ein faires Verfahren. Er ist nur dann mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar, wenn er unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebots zur Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen, wirksamen Rechtspflege erforderlich ist.
2. Ist der Zeuge dazu berechtigt, einen Rechtsanwalt seiner Wahl als Rechtsbeistand hinzuzuziehen, kann dieser nur auf Grund gesetzlicher Regelung von der Vernehmung zurückgewiesen werden. Die Nichtöffentlichkeit des Verfahrens steht seiner Anwesenheit nicht entgegen.

BVerfG, 12.12.1973 - 2 BvR 558/73

Die nicht nur kurzfristige Überlastung eines Landgerichts mit Schwurgerichtssachen ist im Lichte des Grundrechts der persönlichen Freiheit kein "wichtiger Grund", der gemäß § 121 Abs. 1 StPO die Fortdauer der Untersuchungshaft für einen längeren Zeitraum rechtfertigt, als er nach Eröffnung des Hauptverfahrens zur ordnungsgemäßen Vorbereitung der Hauptverhandlung erforderlich ist. Damit ist nicht ausgeschlossen, daß im Einzelfall andere "wichtige Gründe" vorliegen können, die die Fortdauer der Haft rechtfertigen.

BVerfG, 30.05.1973 - 2 BvL 4/73

Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

BVerfG, 11.04.1973 - 2 BvR 701/72

Der die Briefkontrolle bei Untersuchungsgefangenen ausübende Richter muß berücksichtigen, daß dem freien brieflichen Kontakt mit dem Ehegatten im Hinblick auf das verfassungskräftige Gebot der Achtung der Intimsphäre besondere Bedeutung zukommt. Mit der besonderen Bedeutung der Meinungsäußerungsfreiheit im Bereich der ehelichen Privatsphäre ist es in der Regel nicht vereinbar, den Brief eines Untersuchungsgefangenen an seine Ehefrau wegen einer darin enthaltenen unsachlichen Kritik an dem gegen ihn anhängigen Strafverfahren und den in diesem Verfahren tätigen Richtern anzuhalten.

BVerfG, 19.07.1972 - 2 BvL 7/71

Über die Regelung des § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO hinaus kann im Einzelfall ausnahmsweise und unter ganz besonders strengen Voraussetzungen eine Begrenzung des Zeugniszwangs unmittelbar aus der Verfassung folgen.