danke-sagen-unterstützen

BVerfG, 27.03.1974 - 2 BvR 38/74

Daten
Fall: 
Haftbefehl in Berlin
Fundstellen: 
BVerfGE 37, 57; NJW 1974, 893; BayVBl 1974, 528; DÖV 1974, 309; DVBl 1974, 414; EuGRZ 1974, 116; JuS 1974, 532; JZ 1974, 545; MDR 1974, 644
Gericht: 
Bundesverfassungsgericht
Datum: 
27.03.1974
Aktenzeichen: 
2 BvR 38/74
Entscheidungstyp: 
Beschluss
Inhaltsverzeichnis 

Beschluß

des Zweiten Senats vom 27. März 1974 gemäß § 24 BVerfGG
- 2 BvR 38/74 -
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Fräulein Ingrid Gerda B..., geboren am 24. März 1956, ..., z.Z. in der Vollzugsanstalt für Frauen, Berlin 21, ..., gesetzlicher Vertreter: Frau Gerda K..., - Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Gerd Joachim Ross, Berlin 19, Alte Allee 9-11 - gegen a) den Beschluß des Kammergerichts in Berlin vom 21. Dezember 1973 - RHE AR 347/73 - 3 Ws 132/73 -, b) ihre beabsichtigte Zulieferung an die Strafbefolgungsbehörden der Deutschen Demokratischen Republik, c) das Gesetz über die innerdeutsche Rechts- und Amtshilfe in Strafsachen vom 2. Mai 1953 (BGBl. I S. 161, GVBl. Berlin S. 293) in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 19. Dezember 1964 (BGBl. I S. 1067, GVBl. Berlin 1965 S. 175) und Antrag auf Erfaß einer einstweiligen Anordnung.

Entscheidungsformel:
Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.

Gründe

I.

Die Beschwerdeführerin ist 1956 in Ostberlin geboren. Die im selben Jahr geschiedenen Eltern lebten dort zunächst noch zusammen. 1957 zog die Mutter mit dem Kind nach Westberlin. 1959 nahm der Vater es gegen ihren Willen zu sich nach Ostberlin. Im Oktober 1972 gelang es dem jetzigen Ehemann der wiederverheirateten Mutter, die Beschwerdeführerin unter Außerachtlassung der entgegenstehenden Vorschriften der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) wieder nach Westberlin zu holen, wo sie bei ihrer Mutter und ihrem Stiefvater Aufnahme fand.

Im Mai 1973 richtete der Generalstaatsanwalt der DDR an den Generalstaatsanwalt bei dem Kammergericht das Ersuchen, die Beschwerdeführerin den Strafverfolgungsbehörden der DDR zu überstellen; beigefügt war ein Haftbefehl des Kreisgerichts Königs Wusterhausen vom 4. Mai 1973, wonach die Beschwerdeführerin dringend verdächtig ist, im Juli 1972 bei Senzig/Kreis Königs Wusterhausen ihren Vater getötet zu haben.

Der Generalstaatsanwalt bei dem Kammergericht prüfte das Ersuchen nach Maßgabe des Gesetzes über die innerdeutsche Rechts- und Amtshilfe in Strafsachen (Rechtshilfegesetz) vom 2. Mai 1953 (BGBl. I S. 161, GVBl. Berlin S. 293) in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 19. Dezember 1964 (BGBl. I S. 1067, GVBl. Berlin 1965 S. 175). Mit Verfügung vom 26. Juni 1973 genehmigte er die erbetene Zulieferung. Der Antrag der Beschwerdeführerin auf gerichtliche Entscheidung hatte keinen Erfolg. Das Kammergericht verwarf ihn durch Beschluß vom 10. August 1973. Hiergegen hat die Beschwerdeführerin die Europäische Kommission für Menschenrechte angerufen; deren Entscheidung ist noch nicht ergangen.

Die Beschwerdeführerin befindet sich in Westberlin in Untersuchungshaft. Grundlage hierfür ist der Haftbefehl des Kreisgerichts Königs Wusterhausen. Den Antrag der Beschwerdeführerin, diesen Haftbefehl aufzuheben und außer Vollzug zu setzen, wies das Kammergericht mit Beschluß vom 21. Dezember 1973 zurück. In den Gründen führte es aus, die Untersuchungshaft müsse fortdauern. Die Beschwerdeführerin sei des Mordes dringend verdächtig. Haftentlassung sei nicht deshalb geboten, weil die Beschwerdeführerin bei der Europäischen Kommission für Menschenrechte eine "nach Ansicht der Bundesregierung unbegründete Individualbeschwerde" eingelegt habe.

II.

Mit der am 18. Januar 1974 erhobenen Verfassungsbeschwerde will die Beschwerdeführerin festgestellt wissen, daß ihre Zulieferung an die Behörden der DDR und der Vollzug des dort erlassenen Haftbefehls in Westberlin verfassungswidrig sind, weil diese Maßnahmen jedenfalls seit Abschluß des Vertrages vom 21. Dezember 1972 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Grundlagen der Beziehungen (Grundlagenvertrag) - BGBl. 1973 II S. 421 - in dem Rechtshilfegesetz keine verfassungsmäßige Grundlage mehr fänden. Hilfsweise begehrt sie die Feststellung, daß die Bundesregierung verpflichtet sei, geeignete Maßnahmen zu treffen, um die Zulieferung zu unterbinden und den Freiheitsentzug zu beenden.

Sie hält die Verfassungsbeschwerde für zulässig, da sich diese nicht gegen einen Hoheitsakt des Landes Berlin, sondern gegen einen Akt der öffentlichen Gewalt des Bundes richte. Das gelte deshalb, weil die Bundesregierung im Verfahren vor der Menschenrechtskommission amtlich erklärt habe, das Rechtshilfegesetz sei verfassungskonform und die Zulieferung nicht grundrechtswidrig. Diese Erklärung habe in die angegriffene Entscheidung des Kammergerichts vom 21. Dezember 1973 hineingewirkt, wie der Umstand beweise, daß deren Begründung auf die Rechtsauffassung der Bundesregierung Bezug nehme. Die Beschwerdeführerin rügt Verletzung der Art. 1 bis 16 Abs. 2, 101 Abs. 1 Satz 2, 103 und 104 GG. Sie trägt vor, daß sie mit der Zulieferung an die Behörden der DDR ihrer Grundrechte verlustig gehen würde, insbesondere ihrem gesetzlichen Richter entzogen wäre und ein auf rechtsstaatlichen Grundsätzen beruhendes Strafverfahren nicht erwarten könnte. Sie vertritt die Auffassung, daß Art. 16 Abs. 2 GG in entsprechender Anwendung die Zulieferung verbiete. Das Rechtshilfegesetz sei jedenfalls mit dem Abschluß des Grundlagenvertrages verfassungswidrig, zumindest gegenstandslos geworden. Der Haftbefehl eines Gerichtes der DDR dürfe nicht mehr, wie es das Rechtshilfegesetz erlaube, in die Bundesrepublik Deutschland hineinwirken, nachdem sich die vertragschließenden Parteien im Grundlagenvertrag auf den Grundsatz geeinigt hätten, daß die Hoheitsgewalt jedes der beiden Staaten sich auf sein Staatsgebiet beschränke.

Die Beschwerdeführerin beantragt den Erlaß einer einstweiligen Anordnung, wonach der Vollzug der Zulieferungsgenehmigung bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde ausgesetzt, hilfsweise die Bundesregierung verpflichtet wird, dafür Sorge zu tragen, daß eine vorherige Zulieferung unterbleibt.

III.

Die Verfassungsbeschwerde ist zu verwerfen.

1.

Soweit die Beschwerdeführerin begehrt, daß ihre Zulieferung an die Strafverfolgungsbehörden der DDR und der Vollzug des dort erlassenen Haftbefehls in Westberlin durch das Bundesverfassungsgericht verhindert werden, gilt ihre Verfassungsbeschwerde ersichtlich Maßnahmen von Berliner Behörden oder Gerichten, also Akten der öffentlichen Gewalt des Landes Berlin. Solche Entscheidungen unterliegen aber derzeit nicht der verfassungsgerichtlichen Kontrolle, weil die Ausübung der Gerichtsbarkeit des Bundesverfassungsgerichts insoweit durch den in Nr. 4 des Genehmigungsschreibens der Militärgouverneure zum Grundgesetz vom 12. Mai 1949 (VOBl. BZ S. 416) enthaltenen Berlinvorbehalt beschränkt wird. Mit Rücksicht auf die Sonderstellung Berlins ist dieser Vorbehalt trotz Beendigung des Besatzungsregimes durch den Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten vom 26. Mai 1952/23. Oktober 1954 aufrechterhalten geblieben (vgl. Art. 2 Satz 1 des Vertrages und das durch den Briefwechsel X vom 23. Oktober 1954 bestätigte Schreiben Nr. 1 der drei Hohen Kommissare an den Bundeskanzler vom 26. Mai 1952 - BGBl. 1955 II S. 301, 306, 495, 498, 500). Dem hat das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung Rechnung getragen (vgl. BVerfGE 1, 70; 7, 1; 7, 190; 7, 192; 10, 229; 19, 323; 19, 377; 20, 257; 20, 271).

Der angegriffene Beschluß des Kammergerichts vom 21. Dezember 1973, der sich als Hoheitsakt des Landes Berlin darstellt, läßt sich entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin der öffentlichen Gewalt des Bundes nicht deswegen zurechnen, weil er in den Gründen auf eine Rechtsauffassung Bezug nimmt, die die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme gegenüber der Europäischen Kommission für Menschenrechte vertreten hat; denn dieser Umstand ändert nichts daran, daß die Entscheidung von einem unabhängigen Berliner Gericht in eigener Verantwortung getroffen worden ist.

Richtete sich die Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen die Stellungnahme der Bundesregierung, so wäre sie schon deshalb unzulässig, weil eine Meinungsäußerung zur Rechtslage kein Akt der öffentlichen Gewalt im Sinne des § 90 Abs. 1 BVerfGG ist (vgl. BVerfGE 3, 162 [172]; 29, 304 [309]).

2.

Soweit die Beschwerdeführerin unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit des Grundlagenvertrags (BVerfGE 36, 1) die Feststellung beantragt, daß die Bundesregierung verpflichtet sei, geeignete Maßnahmen gegen die Zulieferung und die Haftfortdauer zu treffen, ist ihr Begehren unzulässig. Unabhängig davon, ob diesem Antrag sonstige Zulässigkeitsbedenken entgegenstehen, ist er jedenfalls auf ein Handeln gerichtet, mit dem sich die Bundesregierung über die Zulieferungsverfügung des Generalstaatsanwalts und die Beschlüsse des Kammergerichts in dieser Sache hinwegsetzen müßte. Dies aber wäre ein unstatthafter Eingriff in die den Justizorganen obliegende Rechtspflege, zu dem das Bundesverfassungsgericht die Bundesregierung nicht veranlassen darf.

3.

Soweit sich die Verfassungsbeschwerde mittelbar gegen das der Entscheidung des Kammergerichts vom 21. Dezember 1973 zugrundeliegende Rechtshilfegesetz wendet, ist sie zulässig.

a) Die Jurisdiktion des Bundesverfassungsgerichts erstreckt sich auf den räumlichen Geltungsbereich des Grundgesetzes. Berlin ist ein Land der Bundesrepublik Deutschland (BVerfGE 36, 1 [17, 32 f.]; ständige Rechtsprechung). Das Grundgesetz gilt in und für Berlin, soweit nicht aus der Besatzungszeit stammende und noch heute aufrechterhaltene Vorbehalte der Drei Mächte seine Anwendung sowie die Ausübung der Jurisdiktion des Bundesverfassungsgerichts beschränken (vgl. BVerfGE 7, 1 [7, 10]). Aus dem Berlin-Vorbehalt der westlichen Alliierten folgt kein generelles Verbot jeder Tätigkeit des Bundesverfassungsgerichts in allen Berlin unmittelbar oder mittelbar berührenden Sachen (BVerfGE 19, 377 [384 f.]). Insbesondere unterliegen die im Land Berlin geltenden Gesetze des Bundes uneingeschränkt der Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts. Diese Gesetze dürfen auf Verlangen der Alliierten in Berlin zwar erst nach einem formalen Übernahmeakt angewendet werden, durch den das Abgeordnetenhaus dem vom Bundesgesetzgeber gesetzten Recht in Berlin Geltung verschafft. Hierdurch wird jedoch ihre Qualität als Bundesrecht nicht in Frage gestellt (BVerfGE 19, 377 [388 f.]).

Das von der Beschwerdeführerin beanstandete Rechtshilfegesetz ist am 12. Mai 1953, das Änderungsgesetz am 15. Januar 1965 nach Berlin übernommen worden. Demgemäß gilt das Rechtshilfegesetz als Bundesrecht in Berlin, so daß es der verfassungsgerichtlichen Prüfung uneingeschränkt unterliegt.

b) Die mittelbar gegen das Rechtshilfegesetz gerichteten Angriffe der Beschwerdeführerin sind auch nicht deswegen unzulässig, weil die Entscheidung des Kammergerichts vom 21. Dezember 1973, die das von der Beschwerdeführerin beanstandete Gesetz anwendet, der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen ist.

Außer im Wege einer unmittelbar gegen eine Norm gerichteten Verfassungsbeschwerde kann ein Beschwerdeführer die verfassungsrechtliche Nachprüfung eines Gesetzes auch mit einer Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung erreichen, die eine nach seiner Ansicht verfassungswidrige Norm gegen ihn anwendet. In diesen Fällen prüft das Bundesverfassungsgericht die dem Rechtsanwendungsakt zugrundeliegende Vorschrift auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz, wenn die Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung zulässig ist, insbesondere unter Beachtung der Vorschriften über Frist, Form und Rechtswegerschöpfung erhoben worden ist. Erweist sich die Rüge als begründet, so hebt das Bundesverfassungsgericht die angegriffene Entscheidung auf und erklärt zugleich das verfassungswidrige Gesetz, auf dem sie beruht, für nichtig (§ 95 Abs. 3 BVerfGG). Insoweit bietet eine Verfassungsbeschwerde in einer vergleichbaren "Berliner Sache", in der ein nach Ansicht des Beschwerdeführers verfassungswidriges Bundesgesetz gegen ihn angewendet worden ist, lediglich die Besonderheit, daß anders als sonst der volle Rechtsschutz insofern versagt bleiben muß, als das Bundesverfassungsgericht den Berliner Rechtsanwendungsakt als solchen infolge des Berlin-Vorbehalts der Drei Mächte nicht nachprüfen, insbesondere nicht aufheben darf. Diese Verkürzung seines Rechtsschutzes muß der Betroffene wegen der Sonderstellung des Landes Berlin in der Bundesrepublik Deutschland zur Zeit hinnehmen, nicht aber darüber hinaus auch noch die Verweigerung verfassungsgerichtlicher Nachprüfung des gegen ihn angewendeten Gesetzes.

aa) Der Berlin-Vorbehalt steht der Möglichkeit, ein Bundesgesetz "aus Anlaß" seiner Anwendung durch ein Berliner Gericht verfassungsgerichtlich zu prüfen, nicht im Wege; denn hiermit ist eine verfassungsgerichtliche Kontrolle der Berliner Entscheidung nicht verbunden.

bb) Es besteht kein zwingender Grund, für eine Verfassungsbeschwerde, mit der ein Beschwerdeführer die Kontrolle eines Bundesgesetzes erstrebt, das ein Berliner Gericht gegen ihn angewendet hat, andere Zulässigkeitsvoraussetzungen als die zu fordern, die sonst bei einer Beschwerde gegen einen Rechtsanwendungsakt vorliegen müssen. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, wenn sie, den Berlin-Vorbehalt hinweggedacht, den vom Gesetz geforderten Zulässigkeitsvoraussetzungen genügt.

cc) Auch wenn das Bundesverfassungsgericht den Berliner Rechtsanwendungsakt nicht aufheben kann, behält die Verfassungsbeschwerde gegen das durch ihn angewendete Bundesgesetz ihren Sinn, den Bürger vor einer Verletzung seiner Grundrechte durch die öffentliche Gewalt zu schützen. Zunächst kann auf diese Weise dem rechtlichen Interesse des durch den Berlin-Vorbehalt der Drei Mächte Betroffenen soweit wie möglich entsprochen werden. Darüber hinaus besteht auch bei Berliner Entscheidungen, die auf einem verfassungswidrigen Bundesgesetz beruhen, in gleicher Weise wie sonst ein öffentliches Interesse an der Nichtigerklärung der Norm, dem gemäß § 95 Abs. 3 BVerfGG Rechnung zu tragen ist, um für alle von der verfassungswidrigen Norm betroffenen Bürger und die mit der Anwendung dieser Norm befaßten Staatsorgane die rechtliche Lage klarzustellen.

4.

Die Angriffe, die die Beschwerdeführerin in der Sache gegen das Rechtshilfegesetz richtet, sind offensichtlich unbegründet.

Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 1973 - 2 BvF 1/73 - ist klargestellt, daß die Deutsche Demokratische Republik im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland auch nach Abschluß des Grundlagenvertrages nicht als Ausland angesehen und behandelt werden darf; sie ist ein "anderer Teil Deutschlands", ihre Gerichte sind deutsche Gerichte (vgl. BVerfGE 36, 1 [17, 29 f.]). Aus diesem Urteil und dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Mai 1960 (BVerfGE 11, 150 [160 f.]), auf den es ausdrücklich Bezug nimmt (BVerfGE 36, 1 [30]), ergibt sich, daß gegen das Rechtshilfegesetz grundsätzliche Bedenken nicht bestehen.

Das Rechtshilfegesetz berücksichtigt, daß Gesetzgebung und Rechtsprechung in der Deutschen Demokratischen Republik andere Wege als in der Bundesrepublik Deutschland gegangen sind. Sie beruhen auf politischen und weltanschaulichen Grundlagen, die zu der verfassungsmäßigen Ordnung des Grundgesetzes, die alle staatliche Gewalt mit unmittelbarer Wirkung an die Grundrechte bindet, weithin in Widerspruch stehen. Diese Verschiedenheit zwischen beiden Rechtsordnungen legt der innerdeutschen Rechts- und Amtshilfe besonders in Strafsachen von Verfassungs wegen Beschränkungen auf, denen das Rechtshilfegesetz in seinem § 2 Rechnung trägt. Daher darf Rechts- oder Amtshilfe nur geleistet werden, wenn ihre Gewährung dem Zweck eines Bundesgesetzes nicht widerspricht. Sie ist ferner nur dann zulässig, wenn keine Bedenken gegen die Annahme bestehen, daß von ihr nur in Einklang mit rechtsstaatlichen Grundsätzen Gebrauch gemacht wird und nicht anzunehmen ist, daß dem Betroffenen aus der Gewährung von Rechts- oder Amtshilfe erhebliche mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht zu vereinbarende Nachteile erwachsen.

Bei der Auslegung des Begriffs "rechtsstaatliche Grundsätze" im Sinne dieser Vorschrift ist zu berücksichtigen, daß das Grundgesetz eine wertgebundene Ordnung ist, die den Schutz von Freiheit und Menschenwürde als den obersten Zweck allen Rechts erkennt (BVerfGE 12, 45 [51]). Sie sieht in den Grundrechten auch objektive Normen, die ein Wertsystem statuieren, das als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts Geltung beansprucht (BVerfGE 21, 362 [372]). Für sie ist das Wesen des Rechtsstaates eng mit der Idee der Gerechtigkeit verknüpft (vgl. BVerfGE 21, 378 [388]). Verfassungsrechtliche Voraussetzung der Zulieferung eines Beschuldigten an Behörden der Deutschen Demokratischen Republik ist deshalb nicht nur, daß der Betroffene vor einen unbefangenen Richter gestellt wird, in einem fair geführten Verfahren rechtliches Gehör findet und sich sachlich verteidigen kann, sondern auch, daß das Verfahren nach Ziel und Zweck den Erfordernissen der Gerechtigkeit und Menschlichkeit Rechnung trägt. Die Verhängung einer grob ungerechten Strafe oder Maßnahme muß ebenso ausgeschlossen werden können wie ein Strafvollzug, der die Grundrechte des Verurteilten unberücksichtigt ließe. Es muß schließlich sichergestellt sein, daß der Verurteilte während des Strafvollzugs oder einer anderen Freiheitsentziehung angemessenen persönlichen Kontakt zu etwaigen Verwandten oder Freunden in der Bundesrepublik Deutschland unterhalten kann, ohne dadurch für sich oder seine Besucher Nachteile befürchten zu müssen. Sein Recht, im Anschluß an einen Freispruch oder an die Strafverbüßung in die Bundesrepublik Deutschland zurückzukehren, darf nicht verkürzt werden.

Das Rechtshilfegesetz ist im Blick auf die Grundrechte des Betroffenen insbesondere aus Art. 1 und 2 GG sowie auf den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit, die in die "einfachen Gesetze" hineinwirken, ferner dahin auszulegen, daß die Zulieferung für ein Strafverfahren in der Deutschen Demokratischen Republik auch dann nicht in Betracht kommt, wenn aus sachverständiger Sicht Grund zu der Annahme besteht, daß diese Maßnahme wegen der psychischen Verfassung des Betroffenen mit schwerwiegenden gesundheitlichen Schäden oder mit der Gefahr der Selbsttötung verbunden sein könnte.

Nur wenn es außerhalb jedes vernünftigen Zweifels steht, daß alle diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist eine Zulieferung mit dem ordre public der Bundesrepublik Deutschland zu vereinbaren.

Zweifel an einem rechtsstaatsmäßigen Gebrauch der Rechts- und Amtshilfe sind von vornherein nicht von der Hand zu weisen, wenn nach Lage des Falles nicht sicher ausgeschlossen werden kann, daß auch unausgesprochen politische Ziele für die Strafverfolgung in der Deutschen Demokratischen Republik maßgebend sind und der Betroffene als politisch Andersdenkender oder auch nur als vermeintlicher Gegner des herrschenden Regimes der Deutschen Demokratischen Republik aus diesem Grund ungerechtfertigte Nachteile erleiden könnte. Das wird nicht selten bei sogenannten Republikflüchtigen gelten.

Alle Deutschen im Sinne des Grundgesetzes (Art. 116), die sich im Schutzbereich der staatlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland einschließlich des Landes Berlin aufhalten, also nicht nur die Bürger der Bundesrepublik Deutschland, stehen unter dem Schutz des Grundgesetzes, wie ihn das Rechtshilfegesetz in der vorstehend beschriebenen Auslegung gewährleistet (BVerfGE 36, 1 [30 f.]).

IV.

Dem Bundesverfassungsgericht ist es durch den Berlin-Vorbehalt der Drei Mächte verwehrt, im vorliegenden Fall zu prüfen, ob die vom Kammergericht vertretene Auffassung dem Maßstab der verfassungskonformen Auslegung des Rechtshilfegesetzes genügt. Diesen Maßstab innerhalb der bestehenden verfahrensrechtlichen Möglichkeiten zur Geltung zu bringen, bleibt vielmehr den zuständigen Berliner Verfassungsorganen, Gerichten und Behörden überlassen.

V.

Mit der Verwerfung der Verfassungsbeschwerde erledigt sich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.

Seuffert v. Schlabrendorff Geiger Hirsch Rinck Rottmann Wand