BVerfGE 29, 402; NJW 1971, 319; DVBl 1971, 140; DB 1971, 25; DÖV 1971, 93; BStBl II 1971, 39
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BVerfGE 29, 402 (402):
Der Konjunkturzuschlag ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
Beschluß
des Ersten Senats vom 15. Dezember 1970
- 1 BvR 559, 571, 586/70 -
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerden 1. des Herrn Rechtsnawalts Dr. Claus S...; 2. des Herrn Hans H...; 3. der Frau Carin W... gegen § 1 Abs. 1 und 2 des Gesetzes über die Erhebung eines rückzahlbaren Konjunkturzuschlags zur Einkommensteuer und Körperschaftssteuer vom 23. Juli 1970 (BGBl. I S. 1125).
Entscheidungsformel:
Die Verfassungsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Gründe:
A. - I.
Der vor der Aufwertung der Deutschen Mark im Oktober 1969 durch eine ungezügelte Nachfrageentwicklung in Gang gekommene Preisauftrieb hatte zu Kostensteigerungen geführt, die wiederum neue Preiserhöhungen mit sich brachten.
Da zusätzlich zu den bisher auch von der Bundesbank zur Stabilisierung schon beschlossenen Maßnahmen weitere Dämpfungsmaßnahmen für erforderlich gehalten wurden, beschloß entsprechend einem Initiativantrag der Fraktionen der SPD und FDP der Bundestag das "Gesetz über die Erhebung eines rückzahlbaren Konjunkturzuschlags zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer" (im folgenden: KonjZG), das nach Zustimmung des Bundesrats am 23. Juli 1970 (BGBl. I S. 1125) verkündet wurde. Das Gesetz hat, soweit für die vorliegenden Verfassungsbeschwerden von Bedeutung, folgenden Wortlaut:
§ 1 Konjunkturzuschlag zur veranlagten Einkommensteuer, zur Körperschaftsteuer und zur Lohnsteuer
(1) Unbeschränkt Steuerpflichtige, die zur Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer veranlagt werden, haben zu den Vorauszahlun
BVerfGE 29, 402 (403):
gen (§ 35 des Einkommensteuergesetzes, § 20 des Körperschaftsteuergesetzes), die in der Zeit nach dem 31. Juli 1970 und vor dem 1. Juli 1971 erstmals fällig werden, einen nach Freigabe (§ 3) rückzahlbaren Zuschlag in Höhe von 10 vom Hundert (Konjunkturzuschlag) zu entrichten, falls die betreffenden Vorauszahlungen jeweils mehr als 300 Deutsche Mark betragen.
(2) Unbeschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer haben bei jeder Lohnzahlung in der Zeit nach dem 31. Juli 1970 und vor dem 1. Juli 1971 einen nach Freigabe (§ 3) rückzahlbaren Konjunkturzuschlag in Höhe von 10 vom Hundert der nach § 41 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes maßgebenden Lohnsteuer zu entrichten. Satz 1 gilt nicht
1. für Arbeitnehmer, bei denen die vom Arbeitslohn einzubehaltende Lohnsteuer in dem jeweiligen Lohnzahlungszeitraum
a) bei monatlicher Lohnzahlung jeweils weniger als 100,10 Deutsche Mark,
b) bei wöchentlicher Lohnzahlung jeweils weniger als 23,11 Deutsche Mark,
c) bei täglicher Lohnzahlung jeweils weniger als 3,85 Deutsche Mark
beträgt; bei anderen als den in den Buchstaben a bis c bezeichneten Lohnzahlungszeiträumen ist die auf einen Wochen- oder Tagesbetrag umgerechnete Lohnsteuer maßgebend ...
2. ...
(3) Durch Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates kann bestimmt werden, daß der Konjunkturzuschlag verringert oder der Zeitraum für die Entrichtung des Konjunkturzuschlags verkürzt wird.
(4) Der Konjunkturzuschlag ist bei den Veranlagungen zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer nicht auf die Steuerschuld anzurechnen. Beim Lohnsteuer-Jahresausgleich bleibt der Konjunkturzuschlag unberücksichtigt.
(5) Das Finanzamt hat den Konjunkturzuschlag besonders zu erfassen. Der Konjunkturzuschlag ist unverzüglich Sonderkonten der Länder bei der Deutschen Bundesbank zuzuführen. Diese hat den Konjunkturzuschlag bis zum Zeitpunkt der Freigabe (§ 3) stillzulegen.
(6) Der Anspruch auf Rückzahlung des Konjunkturzuschlags ist bis zum Zeitpunkt der Freigabe nicht übertragbar.
BVerfGE 29, 402 (404):
§ 3 Freigabe des Konjunkturzuschlags
(1) Der Zeitpunkt der Freigabe der entrichteten und einbehaltenen Konjunkturzuschläge wird durch eine Rechtsverordnung bestimmt, die von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates zu erlassen ist. Die Freigabe gilt auch ohne Erlaß einer Rechtsverordnung spätestens als am 31. März 1973 erfolgt.
(2) bis (4) ...
II.
Die Beschwerdeführer sind unbeschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer. Ihnen wurden bei den Gehaltszahlungen in der Zeit nach dem 31. Juli 1970 Konjunkturzuschläge auf Grund des § 1 Abs. 2 des Gesetzes abgezogen. Da der Beschwerdeführer zu 1) auch zur Einkommensteuer veranlagt wird, muß er außerdem nach § 1 Abs. 1 KonjZG Konjunkturzuschläge zu den Einkommensteuer-Vorauszahlungen entrichten.
Mit ihren Verfassungsbeschwerden rügen die Beschwerdeführer, daß § 1 Abs. 1 und Abs. 2 KonjZG gegen Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen. Nach Ansicht der Beschwerdeführer verletzen die angegriffenen Vorschriften Art. 2 Abs. 1 GG, weil dem Bund für die Einführung eines Konjunkturzuschlags die Gesetzgebungskompetenz fehle. Die zurückzuzahlenden Zuschläge seien keine Steuern im Sinne des Art. 105 GG. Es handle sich nicht um "staatliche Einkünfte", sondern ausschließlich um ein staatliches Mittel zur Lenkung des privaten Verbrauchs. Konjunkturelle Maßnahmen dieser Art seien nach der Neufassung des Art. 109 GG durch das Fünfzehnte Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 8. Juni 1967 (BGBl. I S. 581) nicht mehr zulässig. Art. 109 GG in seiner jetzigen Fassung schließe andere als die dort genannten gesetzgeberischen Maßnahmen zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts aus. Abgesehen hiervon sei die Einführung eines Konjunkturzuschlags schlechthin ungeeignet, das angestrebte Ziel - nämlich die Dämpfung der Nachfrage - zu erreichen.
BVerfGE 29, 402 (405):
Die Regelung des Konjunkturzuschlags in § 1 Abs. 1 und Abs. 2 des Gesetzes verletze außerdem Art. 3 Abs. 1 GG. Da der Zuschlag eine gewisse Mindesthöhe an Lohnsteuerabzügen und Einkommensteuer-Vorauszahlungen voraussetze (Sozialklausel), würde nicht einmal die Hälfte aller Steuerpflichtigen betroffen. Eine erzwungene Einschränkung des privaten Verbrauchs müsse aber die Allgemeinheit gleichmäßig treffen. Willkürlich sei insbesondere, daß gewisse Personenkreise (wie z.B. Abgeordnete), denen bei der Einkommensteuer Vergünstigungen eingeräumt würden, deswegen auch bei der Berechnung des Konjunkturzuschlags Vorteile genössen.
Die Beschwerdeführer zu 2) und 3) halten eine Verletzung des Gleichheitssatzes auch noch aus anderen Gründen für gegeben und tragen hierzu vor:
Während die Konjunkturzuschläge zu den Einkommensteuer- Vorauszahlungen in der Regel von den Einkommen aus dem Jahr 1968 ausgingen, würden bei den an die Lohnsteuer anknüpfenden Zuschlägen die derzeitigen Einkommensverhältnisse zugrunde gelegt. Weiter würden die von der Lohnsteuer zu erhebenden Zuschläge nach Steuerbeträgen bemessen, die sich nach Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs in vielen Fällen verminderten, ohne daß der infolgedessen zuviel entrichtete Konjunkturzuschlag im Rahmen des Ausgleichs zurückerstattet würde. Selbst die Lohnsteuerpflichtigen würden untereinander nicht gleich behandelt. Wer sich auf der Lohnsteuerkarte am Jahresanfang Freibeträge habe eintragen lassen, sei schlechter gestellt als derjenige, für den ein Freibetrag erst nach Inkrafttreten des Konjunkturzuschlagsgesetzes gewährt werde; denn die "Massierung" des Freibetrags auf die letzten Monate des Jahres habe einen niedrigeren Steuerbetrag und damit auch einen entsprechend niedrigeren Konjunkturzuschlag zur Folge. Schließlich unterlägen auch kapitalertragsteuerpflichtige Einkünfte nicht dem Konjunkturzuschlag, während alle anderen Einkünfte aus Kapitalvermögen, insbesondere Zinsen aus Sparguthaben, zuschlagpflichtig seien. Ungleiche Auswirkungen des Gesetzes ergäben sich
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auch daraus, daß die Freibeträge unter Umständen zweimal gewährt würden, wenn jemand außer lohnsteuerpflichtigen Einkünften noch andere der Einkommensteuer unterliegende Einkünfte habe.
Der Beschwerdeführer zu 2) vertritt schließlich die Auffassung, daß die zeitweilige Einbehaltung von Teilen des Einkommens eine entschädigungslose Enteignung und damit einen Verstoß gegen Art. 14 GG darstelle. Da die Rückerstattung der einbehaltenen Zuschläge nur zum Nennwert erfolge, blieben die Zinsverluste und der Kaufkraftschwund unberücksichtigt.
III.
Der Bundesminister für Wirtschaft, der sich namens der Bundesregierung geäußert hat, hält die Verfassungsbeschwerden für unbegründet.
1. Der Bundesgesetzgeber sei für den Erlaß des Gesetzes zuständig gewesen. Währungs- und konjunkturpolitische Maßnahmen wie der Konjunkturzuschlag, die im Interesse der Sicherung der Währung zur Stillegung von Kaufkraft führen sollten, gehörten zum "Währungs- und Geldwesen" im Sinne des Art. 73 Nr. 4 GG. Sie fielen aber auch unter den Begriff des "Rechts der Wirtschaft" (Art. 74 Nr. 11 GG). Art. 105 Abs. 2 GG komme als Kompetenzgrundlage nicht in Betracht, da der Konjunkturzuschlag keine Steuer sei.
2. Das Konjunkturzuschlagsgesetz verletze das Grundrecht der Beschwerdeführer aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht. Regelungen, die Steuerbeträge zur Bemessungsgrundlage hätten, müßten praktikabel sein. Bei dem Konjunkturzuschlagsgesetz sei es darauf angekommen, mit verhältnismäßig geringem Verwaltungsaufwand möglichst schnell die konjunkturpolitisch erwünschten Ziele zu erreichen. Die Dringlichkeit der zu treffenden Maßnahmen habe Regelungen, die erst nach einer erheblichen Anlaufzeit hätten wirksam werden können, nicht zugelassen. Gewisse ungleichmäßig wirkende Belastungen hätten deshalb hingenommen werden müssen. Sie seien um so eher erträglich, als es sich um zeitlich
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begrenzte Maßnahmen handle und den Betroffenen nur unerhebliche wirtschaftliche Nachteile erwüchsen.
B.
Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfassungsbeschwerden sind zulässig, aber nicht begründet.
I.
Die Beschwerdeführer sind durch die von ihnen angegriffenen Normen selbst, gegenwärtig und unmittelbar rechtlich betroffen (vgl. BVerfGE 16, 147 [158 f.]).
Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts läßt zwar eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen ein Gesetz dann nicht zu, wenn zu seiner Durchführung noch ein besonderer Vollziehungsakt der Verwaltung erforderlich ist. Dem liegt der Gedanke zugrunde, daß in einem solchen Fall erst durch einen besonderen Willensakt der öffentlichen Gewalt in die Rechtssphäre des Bürgers eingegriffen wird und dem Bürger gegen diesen Akt der Rechtsweg offensteht, der ihm auch die Nachprüfung der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes ermöglicht.
Der Konjunkturzuschlag bedarf indessen keiner besonderen Festsetzung. Das Konjunkturzuschlagsgesetz setzt zu seiner Durchführung weder rechtsnotwendig noch nach der tatsächlichen Verwaltungspraxis einen besonderen, vom Willen der vollziehenden Gewalt beeinflußten Vollziehungsakt voraus (vgl. BVerfGE 14, 25 [28]).
Der Konjunkturzuschlag zu den Einkommensteuer-Vorauszahlungen ist ohne besondere Aufforderung oder Festsetzung mit den am 10. September und 10. Dezember 1970, 10. März und 10. Juni 1971 fälligen Vorauszahlungen zu entrichten (vgl. auch Koch, DStR 1970, S. 519 [522]). Die für die Zahlungspflicht maßgebende Vorschrift des § 1 Abs. 1 KonjZG enthält somit einen gesetzlichen Leistungsbefehl, der keiner besonderen Vollziehung durch eine Behörde bedarf.
BVerfGE 29, 402 (408):
Die Beschwerdeführer sind jedoch auch insoweit unmittelbar betroffen, als es sich um die Erhebung des Konjunkturzuschlags zur Lohnsteuer handelt. Der Konjunkturzuschlag wird bei den Arbeitnehmern ebenso wie die Lohnsteuer (vgl. § 38 Abs. 1 EStG) durch Abzug vom Arbeitslohn erhoben (§ 2 Abs. 1 KonjZG). Der Arbeitgeber hat den einbehaltenen Konjunkturzuschlag zusammen mit der Lohnsteuer an das nach § 41 Abs. 1 EStG zuständige Finanzamt abzuführen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 KonjZG). Schuldner des Konjunkturzuschlags ist auch in diesem Abzugsverfahren der Arbeitnehmer (§ 2 Abs. 1 Satz 4 KonjZG i. V.m. § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG); den Arbeitgeber trifft lediglich eine Haftung für die Einbehaltung und Abführung des Konjunkturzuschlags.
II.
Die angefochtenen Vorschriften verstoßen nicht gegen Art. 2 Abs. 1 GG. Das Grundrecht des Bürgers, nur auf Grund solcher Vorschriften mit einem Nachteil belastet zu werden, die formell und materiell der Verfassung gemäß sind (vgl. BVerfGE 19, 253 [257]), wird nicht verletzt.
1. Es trifft nicht zu, daß es dem Bund an der Kompetenz zum Erlaß der angefochtenen Regelung gefehlt habe.
a) Die Gesetzgebungszuständigkeit für die Einführung des Konjunkturzuschlags läßt sich allerdings nicht auf die für die Steuergesetzgebung geltenden Kompetenznormen des Grundgesetzes (Art. 105 GG) stützen, denn der Konjunkturzuschlag stellt keine Steuer dar.
Steuern sind nach § 1 Abs. 1 Satz 1 der Reichsabgabenordnung "einmalige oder laufende Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einkünften allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft". In diesem Sinne wird der Begriff "Steuer" auch im Grundgesetz verwendet (vgl. BVerfGE 3, 407 [435]); er liegt deshalb auch den im Grundge
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setz enthaltenen Kompetenzvorschriften für die Gesetzgebung zugrunde (vgl. BVerfGE 7, 244 [251]).
Da das Aufkommen aus dem Konjunkturzuschlag an die Bundesbank abgeführt und bis zu seiner Rückerstattung an die Zuschlagpflichtigen dort stillgelegt wird (§ 1 Abs. 5 KonjZG), fehlt es an der für den Begriff der Steuer wesentlichen "Erzielung von Einkünften"; die Gelder fließen nicht in den Haushalt eines öffentlich-rechtlichen Gemeinwesens. Der Zuschlag wird auch nicht dadurch zu einer Steuer, daß die Finanzbehörden bei seiner Einziehung mitwirken. Auch im Gesetzgebungsverfahren ist man davon ausgegangen, daß der Konjunkturzuschlag keine Steuer ist (Sten. Ber. der 63. Sitzung des Bundestages vom 11. Juli 1970, 6. Wp., S. 3472).
b) Dagegen sind die Voraussetzungen für die Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 74 Nr. 11 GG gegeben. Art. 74 Nr. 11 räumt dem Bund die konkurrierende Gesetzgebung für "das Recht der Wirtschaft" ein. Der Begriff "Recht der Wirtschaft" ist in einem weiteren Sinn zu verstehen (BVerfGE 5, 25, [28 f.]). Er umfaßt nicht nur die Vorschriften, die sich in irgendeiner Form auf die Erzeugung, Herstellung und Verteilung von Gütern des wirtschaftlichen Bedarfs beziehen, sondern auch alle anderen das wirtschaftliche Leben und die wirtschaftliche Betätigung als solche regelnde Normen (BVerfGE 8, 143 [148 f.]; 28, 119 [146]). Er beschränkt sich nicht auf Regelungen, die sich nur an einzelne am wirtschaftlichen Leben unmittelbar beteiligte Gruppen wenden. Zum Recht der Wirtschaft gehören vielmehr auch gesetzgeberische Maßnahmen, die zur Lenkung der Konjunktur den privaten Verbrauch drosseln sollen. Daß der Bund nach Art. 74 Nr. 11 GG auch Gesetze erlassen kann, die ordnend und lenkend in das Wirtschaftsleben eingreifen, und daß er in diesem Zusammenhang auch Geldleistungen auferlegen kann, ist vom Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach ausgesprochen worden (vgl. BVerfGE 4, 7 [13]; 8, 274 [317]; 18, 315 [329]).
c) Die Ansicht, daß nach der Neufassung des Art. 109 GG durch das Fünfzehnte Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes
BVerfGE 29, 402 (410):
vom 8. Juni 1967 (BGBl. I S. 581) gesetzliche Regelungen zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts nur noch auf diese Vorschrift gestützt werden können, ist unzutreffend. Art. 109 GG in seiner jetzigen Fassung weist dem Bund lediglich Gesetzgebungskompetenzen auf dem Gebiet des öffentlichen Haushaltsrechts zu; die Vorschrift schließt andere als haushaltsrechtliche Maßnahmen zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts nicht aus.
d) Ob sich die Erhebung eines Konjunkturzuschlags außerdem auf Art. 73 Nr. 4 GG stützen läßt, kann hier dahingestellt bleiben.
2. Die Rüge, der Konjunkturzuschlag sei für den vom Gesetz verfolgten Zweck schlechthin ungeeignet und verstoße deshalb gegen die verfassungsmäßige Ordnung, ist nicht begründet.
Der Gesetzgeber stand vor der Aufgabe, der auf dem Markt herrschenden Übernachfrage und den mit ihr verbundenen Preiserhöhungstendenzen rasch und wirksam entgegenzutreten. Zur Erfüllung dieser Aufgabe kam von vornherein nur eine beschränkte Zahl von gesetzlichen Maßnahmen in Betracht (vgl. Koch, DStR 1970, S. 519 ff.). Neben dem Vorschlag, Kaufkraft durch eine freiwillige , mit einem kapitalmarktgerechten Zinssatz ausgestattete Konjunkturanleihe abzuschöpfen, stand insbesondere die Erhöhung der Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, sei es durch ein Gesetz, sei es auf Grund des § 26 Nr. 3 b des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom 8. Juni 1967 (BGBl. I S. 582) durch Rechtsverordnung der Bundesregierung zur Erörterung. Obwohl nach Meinung der Bundesregierung die Voraussetzungen für die letztgenannte Maßnahme vorlagen, gab der Gesetzgeber im Hinblick auf inzwischen sichtbar gewordene Entspannungstendenzen in der Konjunkturentwicklung der Einführung eines rückzahlbaren Konjunkturzuschlags den Vorzug. Er hat damit eine Maßnahme gewählt, die gegenüber der Steuererhöhung einen milderen Eingriff darstellt und als solche verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Ob auch andere Maßnahmen zur Erreichung des vom
BVerfGE 29, 402 (411):
Gesetzgeber verfolgten Zieles möglich und besser geeignet gewesen wären, hat das Bundesverfassungsgericht nicht zu entscheiden. Jedenfalls kann - entgegen der Meinung der Beschwerdeführer - einer Maßnahme, die Kaufkraft im geschätzten Umfang von 5,2 Mrd. DM stillegen soll, nicht prinzipiell die Eignung zur Dämpfung der Gesamtnachfrage abgesprochen werden (vgl. BVerfG, Beschluß vom 7. Oktober 1970 - 1 BvR 622/70 - [= BVerfGE 29, 179]).
III.
Auch der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) ist nicht verletzt.
Die Bindung des Gesetzgebers an den Gleichheitssatz bedeutet, daß bei der Auswahl der Tatbestände, für die eine gesetzliche Regelung getroffen wird, sachgemäß, d. h. nach Gesichtspunkten, die sich aus der Art der zu regelnden Lebensverhältnisse ergeben, in diesem Sinne also nicht willkürlich verfahren wird, und zum anderen, daß die vom Gesetz erfaßten Tatbestände in sich gleichartig geregelt werden (BVerfGE 4, 219 [243]). Ob und in welchem Ausmaß der Gleichheitssatz bei der Ordnung bestimmter Materien dem Gesetzgeber Differenzierungen erlaubt, hängt wesentlich von der Natur des jeweils in Frage stehenden Sachbereichs ab (BVerfGE 6, 84 [91]; 25, 269 [292]). Auch bei der Prüfung, ob diesen Grundsätzen Rechnung getragen ist, fällt ins Gewicht, daß das an sich geeignete Mittel eines vorübergehenden, zurückzahlbaren Zuschlags von verhältnismäßig kurzer Laufzeit das mildere Mittel im Vergleich zu einer an sich zulässigen Steuererhöhung ist. Bei der Wahl der Bemessungsgrundlage für diesen Zuschlag mußte ein Verfahren entwickelt werden, das möglichst einfach und ohne unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand zu handhaben war. Hierbei boten sich die Vorauszahlungen zur Einkommen- und Körperschaftsteuer sowie die Lohnsteuerabzugsbeträge, die auf Grund langjähriger wirtschaftlicher Beobachtung und bewährter rechtlicher Regelung nach dem geltenden Einkommensteuerrecht ermittelt wurden, als zeitnahe Bemes
BVerfGE 29, 402 (412):
sungsgrundlage an. Um eine schnelle Kaufkraftabschöpfung zu gewährleisten und das Verfahren nicht unnötig zu komplizieren, mußten dabei gewisse, in ihrer Auswirkung jedoch nicht schwerwiegende Mängel dieser Bemessungsgrundlage in ihrer Anwendung auf die Einkommensteuer in Kauf genommen werden. Der zur Behebung dieser Mängel erforderliche Verwaltungsaufwand stünde in keinem angemessenen Verhältnis zu dem erreichbaren Ergebnis.
1. Aus diesen Gründen verstößt es nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, daß nicht alle als Kaufkraft wirksamen Einkünfte erfaßt werden (z. B. nicht Aufwandsentschädigungen, Diäten, Dividenden) und daß nicht an das endgültig festgestellte Einkommen angeknüpft wird, sondern an die vorläufig ermittelten Beträge (Einkommensteuer- Vorauszahlungen, Lohnsteuerabzüge), die höher oder geringer sein können als die endgültig ermittelte Steuer.
2. Ebensowenig können die im Konjunkturzuschlagsgesetz selbst vorgesehenen Differenzierungen im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung beanstandet werden.
a) Die Freistellung von zur Einkommensteuer veranlagten Steuerpflichtigen, deren Steuervorauszahlungen nicht mehr als jeweils 300 DM betragen (§ 1 Abs. 1 KonjZG), und von Lohnsteuerpflichtigen, bei denen die vom Arbeitslohn einzubehaltende Lohnsteuer in dem jeweiligen Lohnzahlungszeitraum die in § 1 Abs. 2 Nr. 1 a bis c KonjZG genannten Beträge nicht erreicht, stellt keine willkürliche Begünstigung gegenüber den übrigen Steuerpflichtigen dar. Sie rechtfertigt sich aus dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG, wonach die Steuerpolitik auf die Belange der schwächeren Schichten der Bevölkerung Rücksicht zu nehmen hat (vgl. BVerfGE 13, 331 [346 f.]). Dieser Rechtsgedanke kann auch einer Abgabe nichtsteuerlicher Art zugrunde gelegt werden.
b) Es verstößt endlich nicht gegen den Gleichheitssatz, daß nur unbeschränkt steuerpflichtige Personen der Konjunkturzuschlagspflicht unterliegen, während beschränkt Steuerpflichtige von der Konjunkturzuschlagspflicht befreit sind. Die unbeschränkte
BVerfGE 29, 402 (413):
Steuerpflicht knüpft an den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland an (vgl. § 1 Abs. 1 EStG); natürliche Personen, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, sind mit ihren inländischen Einkünften beschränkt steuerpflichtig (§ 1 Abs. 2 EStG). Als "Steuerausländer" spielen sie in der Regel nicht die gleiche Rolle am deutschen Markt wie der inländische Verbraucher.
IV.
Die zeitweilige Entziehung der von den Abgabepflichtigen zu leistenden Geldbeträge verstößt nicht gegen Art. 14 GG.
Art. 14 GG schützt grundsätzlich das Vermögen nicht gegen die Auferlegung von Geldleistungspflichten (BVerfGE 26, 327 [338]). Ein Verstoß gegen Art. 14 GG könnte allenfalls dann in Betracht kommen, wenn die Geldleistungspflichten den Pflichtigen übermäßig belasten und seine Vermögensverhältnisse grundlegend beeinträchtigen würden (BVerfGE 23, 288 [315]). Das ist bei dem Konjunkturzuschlag nicht der Fall.
Dr. Müller, Dr. Stein, Ritterspach, Dr. Haager, Rupp-v. Brünneck, Dr. Böhmer, Dr. Simon