BVerfGE 29, 413; DB 1971, 192
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BVerfGE 29, 413 (413):
1. Nicht mehr bestehende Körperschaften im Sinne des Art. 135 Abs. 2 und 5 GG sind nicht nur solche Organisationen, die bei Inkrafttreten des Grundgesetzes bereits gesetzlich aufgelöst worden waren, sondern auch solche, deren öffentlich-rechtliche Funktionen mit dem Bestand der nationalsozialistischen Staats- und Wirtschaftsordnung eng verknüpft waren und daher mit deren Zusammenbruch auch ohne besonderen Auflösungsakt entfielen.
2. Die für die Regelung der Reichsverbindlichkeiten aus Art. 134 GG zu entnehmenden Grundsätze (vgl. BVerfG 15, 126 [140 ff.])
BVerfGE 29, 413 (414):
gelten für die Regelung von Verbindlichkeiten nicht mehr bestehender Körperschaften auf Grund des Art. 135 Abs. 5 GG jedenfalls dann entsprechend, wenn diese Verbindlichkeiten aus Hoheitsakten herrühren, welche diese Körperschaften im Auftrag des nationalsozialistischen Staates und zur unmittelbaren Erfüllung nationalsozialistischer Staats- und Wirtschaftsziele vorgenommen haben.
Es verstößt weder gegen Art. 14 GG noch gegen Art. 3 Abs. 1 GG, daß Entschädigungsansprüche gegen den Reichsnährstand oder seine Zusammenschlüsse wegen einer Betriebsstillegung nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 4 des Reichsnährstands-Abwicklungsgesetzes nur in beschränktem Umfang geltend gemacht werden können.
Beschluß
des Ersten Senats vom 15. Dezember 1970
- 1 BvR 208/65 -
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Kaufmanns Georg L ... - Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Dres. Eduard Oehl, Rudolf Nörr, Alfred Stiefenhofer, Friedrich Zimmermann, München 22, Königinstraße 25 - gegen das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 8. März 1965 - III ZR 90/64 -.
Entscheidungsformel:
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
A.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Anwendung des Reichsnährstands-Abwicklungsgesetzes, soweit danach Ansprüche auf Entschädigung wegen der Stillegung eines Betriebes durch den Reichsnährstand oder seine Zusammenschlüsse nur beschränkt geltend gemacht werden können.
I.
§ 3 des Gesetzes über den vorläufigen Aufbau des Reichsnährstandes und Maßnahmen zur Markt- und Preisregelung landwirtschaftlicher Erzeugnisse vom 13. September 1933 (RGBl. I
BVerfGE 29, 413 (415):
S. 626) ermächtigte den Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft,
"zur Regelung der Erzeugung, des Absatzes sowie der Preise und Preisspannen von landwirtschaftlichen Erzeugnissen Gruppen und Angehörige des Reichsnährstandes und sonstige Unternehmen und Einrichtungen, die landwirtschaftliche Erzeugnisse herstellen oder vertreiben, zusammenzuschließen . . ., wenn der Zusammenschluß . . . unter Würdigung der Belange der Gesamtwirtschaft und des Gemeinwohls geboten erscheint".
Auf Grund dieser Ermächtigung wurden für den Bereich der Milchwirtschaft regionale Milchwirtschaftsverbände gebildet und in der Hauptvereinigung der deutschen Milchwirtschaft zusammengeschlossen. Die entsprechende Verordnung über den Zusammenschluß der deutschen Milchwirtschaft vom 17. April 1936 (RGBl. I S. 374) bestimmte in § 4:
(1) Den Zusammenschlüssen obliegt die Aufgabe, die Marktordnung auf dem Gebiet der Milchwirtschaft durchzuführen und die Versorgung der Verbraucher sicherzustellen. Bei Durchführung der Marktordnung ist nach Gesetz und Satzung unter Berücksichtigung der Belange des Gemeinwohls und der Gesamtwirtschaft zu verfahren. (2) Zur Erfüllung ihrer Aufgabe können die Zusammenschlüsse unter Beachtung des Milchgesetzes und der dazu erlassenen Ausführungsbestimmungen insbesondere 1. bis 3.... 4. den Arbeitsumfang und Ausnutzungsgrad der Betriebe der Verarbeitergruppe festsetzen, Mindestumsatzmengen für Betriebe der Verteilergruppe bestimmen sowie volkswirtschaftlich unnötige Betriebe dieser Gruppen dauernd oder vorübergehend stillegen, 5. bis 7. ...
Die Entschädigung für marktordnende Eingriffe war in § 5 der Verordnung wie folgt geregelt:
(1) Für Fälle, in denen eine auf Grund dieser Verordnung getroffene Maßnahme eine schwere wirtschaftliche Schädigung eines Mitgliedsbetriebs zur Folge hat, ist in den Satzungen die Gewährung einer angemessenen Entschädigung vorzusehen... (2) Eine schwere wirtschaftliche Schädigung liegt in der Regel dann vor, wenn ein Betrieb stillgelegt oder seine Fortführung unmöglich gemacht oder gefährdet wird. (3)...
BVerfGE 29, 413 (416):
(4) Für Streitigkeiten über Voraussetzungen und Umfang der Entschädigung ist die Anrufung eines Schiedsgerichts vorzusehen.
Nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes wurden der Reichsnährstand und seine Zusammenschlüsse in der amerikanischen und britischen Besatzungszone durch das Gesetz über die Auflösung des Reichsnährstandes im Vereinigten Wirtschaftsgebiet vom 21. Januar 1948 (WiGBl. S. 21) aufgelöst und zur Abwicklung Treuhänder bestellt. Eine gleichartige Regelung traf in der französischen Besatzungszone das Land Rheinland- Pfalz durch das Gesetz vom 15. Juli 1949 (GVBl. S. 280). Im damaligen Land Baden übertrug eine auf Art. 15 der Militärregierungsverordnung Nr. 217 gestützte Landesverordnung das Vermögen des Reichsnährstands auf das Land (Verordnung vom 16. Mai 1950 - GVBl. S. 263 -). Nur im damaligen Land Württemberg- Hohenzollern und im Land Berlin wurde keine besondere Regelung getroffen.
II.
1. Die Verbindlichkeiten des Deutschen Reiches und Preußens gegenüber inländischen Gläubigern wurden, soweit sie nicht schon durch Spezialgesetze erfaßt waren, im Gesetz zur allgemeinen Regelung durch den Krieg und den Zusammenbruch des Deutschen Reiches entstandener Schäden (Allgemeines Kriegsfolgengesetz) vom 5. November 1957 (BGBl. I S. 1747) - im folgenden: AKG - geregelt, das am 1. Januar 1958 in Kraft trat. Hierin ist bestimmt:
§ 3
(1) Einer besonderen gesetzlichen Regelung bleiben vorbehalten 1. bis 2.... 3. Ansprüche gegen andere als die in § 1 Abs. 1 genannten nicht mehr bestehende öffentliche Rechtsträger 4. bis-5....
BVerfGE 29, 413 (417):
(2) Auf Grund der in Absatz 1 bezeichneten Tatbestände können Leistungen vom Bund oder einem anderen öffentlichen Rechtsträger bis zum Inkrafttreten der vorbehaltenen gesetzlichen Regelung nicht verlangt werden.
Als Beispiel der danach von der Regelung des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes ausgenommenen Gegenstände bezeichnete die Begründung des dem Gesetz zugrunde liegenden Regierungsentwurfs u. a. die Verbindlichkeiten des Reichsnährstands (vgl. BTDrucks. II/1659 S. 40).
2. Zur Regelung dieser Verbindlichkeiten erging das Gesetz über die Abwicklung des Reichsnährstands und seiner Zusammenschlüsse (Reichsnährstands-Abwicklungsgesetz) vom 23. Februar 1961 (BGBl. I S. 119) - im folgenden: RNAbwG -. § 1 des Gesetzes bestimmt in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 28. August 1964 (BGBl. I S. 709):
§ 1
Der Reichsnährstand sowie die auf Grund des § 3 des Gesetzes über den vorläufigen Aufbau des Reichsnährstandes und Maßnahmen zur Markt- und Preisregelung für landwirtschaftliche Erzeugnisse vom 13. September 1933 (Reichsgesetzbl. I S. 626) errichteten Zusammenschlüsse mit Sitz im Geltungsbereich dieses Gesetzes (Zusammenschlüsse), insbesondere die in der Anlage genannten Hauptvereinigungen und deren Wirtschaftsverbände, sind aufgelöst. Sie werden nach diesem Gesetz abgewickelt. Bis zur Beendigung der Abwicklung gelten sie als öffentliche Rechtsträger für Zwecke der Abwicklung und insoweit als fortbestehend, als sie Schuldner von Steuern, Beiträgen und Gebühren sind.
In der erwähnten Anlage ist auch die Hauptvereinigung der Deutschen Milch-, Eier- und Fettwirtschaft aufgeführt. Die Zusammenschlüsse werden getrennt abgewickelt; hierbei sind die Vorschriften über die Abwicklung des Reichsnährstands entsprechend anzuwenden (§ 19 i.V.m. §§ 12 bis 17). Danach ist zunächst das Vermögen, das als Verwaltungsvermögen nach Art. 135 Abs. 2 GG auf ein Land oder einen anderen öffentlich-rechtlichen Funktionsnachfolger übergegangen ist, herauszugeben und das sogenannte "Altvermögen", das dem Reichsnährstand 1933/
BVerfGE 29, 413 (418):
34 durch die zwangsweise Ein- und Angliederung anderer Organisationen zugeflossen war, den entsprechenden Nachfolgeorganisationen zurückzuerstatten. Aus dem verbleibenden Vermögen sind die Gläubiger ganz oder - falls das Vermögen nicht ausreicht - anteilig zu befriedigen; im letzten Fall "erlischt" "der Teil der Ansprüche, der aus dem Vermögen nicht erfüllt werden kann" (§ 16 Abs. 3). Der sich nach dieser Abwicklung etwa noch ergebende Überschuß steht zu zwei Dritteln dem Bund, zu einem Drittel den Ländern zu (§ 17).
Gemäß § 6 RNAbwG können Ansprüche gegen den Reichsnährstand und seine Zusammenschlüsse nur nach diesem Gesetz geltend gemacht werden. Hiernach werden Ansprüche natürlicher Personen grundsätzlich berücksichtigt, wenn sie form- und fristgerecht angemeldet sind und der Berechtigte bestimmte persönliche Voraussetzungen erfüllt (§§ 7, 8, 10). Eine Ausnahme gilt jedoch nach der folgenden Vorschrift:
§ 9
(1) Folgende Ansprüche können nicht geltend gemacht werden: 1. bis 3.... 4. Ansprüche auf Entschädigung, die aus der Einschränkung oder Stillegung von Betrieben oder aus ähnlichen wirtschaftlichen Nachteilen hergeleitet werden, die auf Grund von hoheitlichen Maßnahmen des Reichsnährstands oder der Zusammenschlüsse entstanden sind; dies gilt nicht, wenn die Entschädigung schriftlich durch zuständige Stellen des Reichsnährstands oder der Zusammenschlüsse unanfechtbar festgesetzt oder dem Grunde nach zuerkannt ist; 5. bis 7.... (2)... (3)... (4) Die Absätze 1 und 3 gelten nicht für Ansprüche, für die bis zum 31. Dezember 1957 ein rechtskräftiges Urteil oder ein anderer nicht nur vorläufig vollstreckbarer Titel vorlag.
III.
1. Der Beschwerdeführer war vor dem Kriege in Bayern Inhaber eines Rahmverarbeitungsbetriebes und Großhändler mit
BVerfGE 29, 413 (419):
Milcherzeugnissen. Durch Anordnung vom 31. Mai 1938 legte der Milchwirtschaftsverband Bayern diese Betriebe still; hierfür wurde dem Beschwerdeführer eine Entschädigung in Höhe von 2000 RM angeboten. Nach längeren Verhandlungen wurde die Betriebsstillegung aufgehoben, soweit sie den Großhandel betraf, und die Entschädigung von der Hauptvereinigung der deutschen Milch- und Fettwirtschaft auf 10 000 RM festgesetzt. Hiervon erhielt der Beschwerdeführer 8000 RM, die restlichen 2000 RM wurden als Kostenpauschale zurückbehalten für den Fall, daß der Beschwerdeführer das Schiedsgericht anrufen würde. Der Beschwerdeführer leitete jedoch kein schiedsgerichtliches Verfahren ein.
2. Nachdem Anträge auf Wiedergutmachung erfolglos geblieben waren, erhob der Beschwerdeführer im Jahre 1955 vor dem Landgericht München I Klage gegen den Landestreuhänder für das Vermögen des ehemaligen Reichsnährstandes in Bayern auf Zahlung einer weiteren Entschädigung, und zwar zunächst in Höhe eines Teilbetrages von 6100 DM. Das Landgericht erklärte den Anspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt. Auf die Berufung des Beklagten änderte das Oberlandesgericht München im Hinblick auf das inzwischen in Kraft getretene Allgemeine Kriegsfolgengesetz durch Urteil vom 22. April 1959 die Entscheidung der Vorinstanz u. a. wie folgt ab:
"Es wird festgestellt, daß dem Kläger wegen der vom Milchwirtschaftsverband Bayern am 31.5. 1938 verfügten Schließung seines Rahmverarbeitungsbetriebes in Nürnberg gegen den ehemaligen Reichsnährstand und dessen Unterorganisationen, nämlich die Hauptvereinigung der Deutschen Milchwirtschaft und den Milchwirtschaftsverband Bayern - später umbenannt in "Hauptvereinigung der Deutschen Milch- und Fettwirtschaft" und "Milch- und Fettwirtschaftsverband Bayern" - ein Anspruch auf Ergänzung der Enteignungsentschädigung zugestanden hat."
BVerfGE 29, 413 (420):
In den Entscheidungsgründen führte es aus: Die Klage sei nur zulässig, soweit der Beschwerdeführer die Feststellung begehre, gegen den früheren Reichsnährstand und seine Unterorganisationen habe ihm ein Anspruch zugestanden. Insoweit stehe der Klagestop des § 3 Abs. 2 AKG nicht entgegen, wie in BGHZ 29, 28 [32 f.] entschieden worden sei. In diesem Umfang sei die Klage auch begründet. Die Betriebsschließung sei eine entschädigungspflichtige Enteignung gewesen. Hierfür habe dem Beschwerdeführer nach den Verordnungen vom 17. April 1936 und vom 29. Juli 1938 sowie nach Art. 153 der Weimarer Verfassung vom 11. August 1919, Art. 159 der Bayerischen Verfassung vom 2. Dezember 1946 und Art. 14 GG eine angemessene Entschädigung zugestanden. Bei der Größe und dem Umfang des Betriebes liege es auf der Hand, daß die festgesetzte Entschädigung nicht annähernd angemessen gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe auf weitere Entschädigungsleistungen weder verzichtet noch seinen Anspruch verwirkt. Die Anrufung des Schiedsgerichts sei nicht fristgebunden gewesen.
Dieses Urteil ist rechtskräftig geworden.
3. Nach Inkrafttreten des Reichsnährstands-Abwicklungsgesetzes klagte der Beschwerdeführer vor dem Landgericht Bonn gegen den Beauftragten für das im Bundesgebiet belegene Vermögen der Zusammenschlüsse (vgl. § 2 Abs. RNAbwG) auf Zahlung einer zusätzlichen Enteignungsentschädigung in Höhe von 7000 DM. Das Landgericht gab der Klage lediglich in Höhe von 200 DM statt; im übrigen wies es sie unter Berufung auf § 9 Abs. 1 Nr. 4 RNAbwG ab.
Die hiergegen eingelegte Sprungrevision wies der Bundesgerichtshof durch das angefochtene Urteil mit folgender Begründung zurück: Gegen § 9 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 4 RNAbwG bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken, auch soweit danach die Geltendmachung von Ansprüchen ausgeschlossen werde. Das Gesetz halte sich insoweit im Rahmen der dem Gesetzgeber in Art. 135a GG gegebenen Ermächtigung.
BVerfGE 29, 413 (421):
§ 9 Abs. 4 RNAbwG greife nicht zugunsten des Beschwerdeführers ein, weil das Urteil des Oberlandesgerichts München erst nach dem in der Vorschrift genannten Stichtag rechtskräftig geworden sei.
Gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 4 RNAbwG könne der Beschwerdeführer einen Anspruch nur in Höhe der festgesetzten Entschädigung geltend machen, soweit diese bisher nicht gezahlt worden sei; der einbehaltene Betrag von 2000 RM müsse im Verhältnis 10:1 umgestellt werden. Die Festsetzung der Entschädigung, die zugleich ein Anerkenntnis der Entschädigungspflicht dem Grunde nach enthalte, sei unanfechtbar geworden, weil der Beschwerdeführer das Schiedsgericht nicht angerufen habe. Die nach den damals geltenden Bestimmungen hierfür vorgesehene Jahresfrist sei spätestens Ende 1939 oder Anfang 1940 abgelaufen gewesen. Diese Unanfechtbarkeit der Festsetzung schließe alle weiteren Entschädigungsansprüche aus.
IV.
1. Mit der Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Bundesgerichtshofs rügt der Beschwerdeführer Verletzung der Art. 14, 3 Abs. 1, 20 und 101 GG. Er trägt vor:
Art. 14 GG sei verletzt, weil die Entscheidung die rechtswidrige entschädigungslose Enteignung durch den Milchwirtschaftsverband Bayern bestätige. Die Enteignungsentschädigung sei nicht nach dem in Art. 14 Abs. 3 GG vorgeschriebenen Grundsätzen festgesetzt worden, jedenfalls habe das Verfahren, namentlich der Ausschluß des ordentlichen Rechtsweges und einer Prüfung durch unabhängige Richter sowohl dem damaligen wie dem heutigen Recht widersprochen. Es sei daher verfassungswidrig, wenn § 9 Abs. 1 Nr. 4 RNAbwG die früheren Entschädigungsfestsetzungen für maßgebend erkläre. Zudem habe er das Schiedsgericht seinerzeit nicht angerufen, weil er politische Repressalien befürchtet habe. Hervorzuheben sei, daß nach Mitteilung des zuständigen Beauftragten das Vermögen der Hauptvereinigung ausreiche, um seine Forderung zum größten Teil zu erfüllen. Bei
BVerfGE 29, 413 (422):
Ausschluß seines Anspruches werde ein nicht unwesentlicher Liquidationsüberschuß entstehen, der dann entgegen dem Sinn des Gesetzes dem Bund zufließen würde.
Selbst bei Zugrundelegung der genannten Vorschriften des Reichsnährstands-Abwicklungsgesetzes liege ein Eingriff in sein Grundrecht aus Art. 14 GG vor, weil das angefochtene Urteil ihm entschädigungslos die eigentumsähnliche Rechtsstellung entzogen habe, die ihm kraft der rechtskräftigen Feststellung seines Entschädigungsanspruches durch das Urteil des Oberlandesgerichts München zugestanden hätte. Diese Rechtsposition sei auch durch § 9 Abs. 1 Nr. 4 RNAbwG nicht berührt worden, da es nach dieser Vorschrift auf die Unanfechtbarkeit der Entschädigungsfestsetzung und den damit verbundenen Ausschluß weiterer Ansprüche nach altem Recht ankomme. Diese Rechtsfrage habe das Urteil des Oberlandesgerichts München bereits rechtskräftig mit Bindung für alle Gerichte zu seinen Gunsten entschieden. Die Abweichung des Bundesgerichtshofs von diesem rechtskräftigen Urteil verstoße auch gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG).
Der allgemeine Gleichheitssatz sei verletzt, weil § 9 Abs. 4 RNAbwG nicht alle rechtskräftig festgestellten Ansprüche begünstige. Es sei willkürlich, diejenigen, die erst nach dem 31. Dezember 1957 ein rechtskräftiges Urteil erstritten hätten, zu benachteiligen. Stichtagsregelungen müßten aus in der Sache begründeten Differenzierungen gerechtfertigt sein; sie könnten etwa an eine Willensentscheidung des Betroffenen, z. B. die Rechtshängigkeit eines Anspruches, anknüpfen. Auf den Zeitpunkt einer gerichtlichen Entscheidung hätten aber weder die Prozeßbeteiligten noch die bei der Entscheidung maßgeblichen Sachumstände einen letztlich entscheidenden Einfluß.
Ein Verstoß gegen Art. 101 GG liege vor, weil die Schiedsgerichte des ehemaligen Reichsnährstands Ausnahmegerichte gewesen seien. Auf die Entscheidung eines solchen Schiedsgerichts könne die Ablehnung eines weiteren Entschädigungsanspruches nicht gestützt werden.
BVerfGE 29, 413 (423):
2. Für die Bundesregierung hat sich der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten geäußert. Er hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet.
Wenn im Verhältnis zur allgemeinen Regelung der Reichsverbindlichkeiten im Reichsnährstands-Abwicklungsgesetz eine Sonderregelung getroffen sei, so rechtfertige sich dies daraus, daß beim Zusammenbruch das aus den Beiträgen der Zwangsmitglieder angesammelte Vermögen des Reichsnährstands und seiner Zusammenschlüsse noch vorhanden gewesen sei und die Herausgabe des "Verwaltungsvermögens" sowie die Rückerstattung des "Altvermögens" einer Regelung bedurft hätten. Abgesehen von den beiden genannten Komplexen folgte die Abwicklung im wesentlichen vereins- und gesellschaftsrechtlichen Liquidationsvorschriften. Die davon abweichende Verteilung etwaiger Überschüsse an Bund und Länder entspreche der Aufschlüsselung der Versorgungslasten zwischen den Gebietskörperschaften (§ 18 RNAbwG). Müßten diese Lasten allein aus dem Vermögen des Reichsnährstands aufgebracht werden, so würde für dieses eine der Konkurslage des Reichs ähnliche Situation entstehen.
Die Vorschrift des § 9RNAbwG sei im Gesetzgebungsverfahren nicht weiter erörtert worden. Der grundsätzliche Ausschluß von Ansprüchen aus Betriebsstillegungen in § 9 Abs. 1 Nr. 4 beruhe offensichtlich auf Gründen der Rechtssicherheit. Da die Betriebsstillegungen bereits bald nach Errichtung des Reichsnährstands stattgefunden hätten, habe der Gesetzgeber davon ausgehen dürfen, daß die entsprechenden Entschädigungsfälle zum allergrößten Teil schon vor 1945 vollständig erledigt gewesen wären. So habe es sich auch beim Beschwerdeführer verhalten. Im übrigen hätten sie von dem Betroffenen noch bis zum Inkrafttreten des Reichsnährstands-Abwicklungsgesetzes zum Abschluß gebracht werden können. In den wenigen Fällen, in denen die Beteiligten dies unterlassen hätten, seien die Ansprüche verwirkt.
Die Bestimmung des Stichtags in der begünstigenden Sonderregelung des § 9 Abs. 4 RNAbwG knüpfe sachgerecht an das In
BVerfGE 29, 413 (424):
krafttreten des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes, besonders an den in § 3 Abs. 2 AKG angeordneten Klagestop an.
Das finanzielle Ergebnis der Abwicklung des Vermögens des Reichsnährstands und seiner Zusammenschlüsse stehe noch nicht fest; mit größeren Überschüssen könne jedenfalls nicht gerechnet werden.
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.
Das angefochtene Urteil ist auf § 9 Abs. 1 Nr. 4 in Verbindung mit Abs. 4 RNAbwG gestützt. Nach Ansicht des Beschwerdeführers verletzt entweder die Auslegung dieser Vorschriften durch den Bundesgerichtshof oder die gesetzliche Regelung selbst seine Grundrechte. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Anwendung der genannten Vorschriften in der Auslegung des Bundesgerichtshofs ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Ob vom Blickpunkt des einfachen Rechts auch eine andere Auslegung möglich wäre und den Vorzug verdiente, hat das Bundesverfassungsgericht nicht zu prüfen (vgl. BVerfGE 18, 85 [92 f.]; 21, 209 [216]).
I.
Das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 14 GG ist nicht verletzt.
1. Die Ansicht der Verfassungsbeschwerde, schon die rechtskräftige Feststellung im Urteil des Oberlandesgerichts München vom 22. April 1959 habe den geltend gemachten Entschädigungsanspruch derart gesichert, daß er ohne Verstoß gegen diese Verfassungsvorschrift nicht mehr beeinträchtigt werden konnte, geht fehl. Denn das Urteil des Oberlandesgerichts München stellt nicht fest, daß dem Beschwerdeführer ein zusätzlicher Entschädigungsanspruch gegen die Bundesrepublik Deutschland oder gegen einen anderen zur Verfügung über das Vermögen des Reichsnährstands und seiner Zusammenschlüsse berechtigten funktionsfähigen öffentlich-rechtlichen Rechtsträger zusteht. Es beschränkt sich vielmehr wegen der Regelung in § 3 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 AKG ausdrücklich auf die Feststellung, daß dem Beschwerdeführer ein
BVerfGE 29, 413 (425):
Anspruch gegen den Reichsnährstand und seine Unterorganisationen zugestanden hat . Hiermit soll also nur die Rechtslage nach altem Recht festgestellt werden, als diese Organisationen noch als Körperschaften mit öffentlich-rechtlichen Funktionen bestanden. Schon nach dem Inhalt des Urteils kann daher bei der Abwicklung für den Entschädigungsanspruch kein stärkerer Bestandsschutz verlangt werden, als er gleichartigen Ansprüchen gegen eine Reichsnährstandsorganisation allgemein zukommt.
2. Es verstößt nicht gegen Art. 14 GG, daß Entschädigungsansprüche gegen den Reichsnährstand oder seine Zusammenschlüsse wegen einer Betriebsstillegung nach der gesetzlichen Regelung nur in beschränktem Umfang erfüllt werden. Für die Verbindlichkeiten des Deutschen Reiches hat das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß der Bundesgesetzgeber durch Art. 134 GG befugt war, alle zur Bereinigung des Staatsbankrotts und der Sanierung der staatlichen Finanzen erforderlichen Regelungen zu treffen, und daß er hierbei auch die Erfüllung dieser Verbindlichkeiten ganz oder teilweise ohne Verstoß gegen Art. 14 GG verweigern durfte (vgl. BVerfGE 15, 126 [140 ff.]; 19, 150 [163]; 23, 153 [166]). Nach diesen Entscheidungen kann der Schutz des Art. 14 GG überhaupt erst wirksam werden, wenn und soweit die gesetzliche Regelung die Leistungspflicht der Bundesrepublik Deutschland oder eines anderen funktionsfähigen öffentlichen Rechtsträgers begründet hat. Der Wertgedanke der Verfassungsvorschrift verlangt lediglich, daß die genannten Forderungen nach "Maßgabe des Möglichen" berücksichtigt werden; im übrigen ist der Maßstab für die gesetzliche Ausgestaltung nach Art und Höhe nicht dem Art. 14 GG, sondern dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) zu entnehmen. Diese Grundsätze gelten für die bezeichneten Ansprüche gegen Reichsnährstandsorganisationen entsprechend.
a) Die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers zur Regelung der Verbindlichkeiten des Reichsnährstands und seiner Zusammenschlüsse ergibt sich aus Art. 135 Abs. 5 GG. Nicht mehr bestehende Körperschaften im Sinne des Art. 135 Abs. 2 und 5 GG
BVerfGE 29, 413 (426):
sind auch die genannten Organisationen, ob wohl sie bei Inkrafttreten des Grundgesetzes nicht in allen Teilen des Bundesgebietes aufgelöst worden waren. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, daß die Übergangsvorschriften des XI. Abschnitts des Grundgesetzes alle verschiedenen Aspekte bedenken, die der Zusammenbruch des Reiches für die staatliche Neuordnung hatte (BVerfGE 15, 126 [136]). Dazu gehört auch die Abwicklung derjenigen Körperschaften des öffentlichen Rechts, deren öffentlichrechtliche Funktionen mit dem Bestande der nationalsozialistischen Staats- und Wirtschaftsordnung eng verknüpft waren und daher mit deren Zusammenbruch entfielen. Die Neuordnung des Staatswesens und der Finanzwirtschaft, der die Übergangsvorschriften dienen sollen, verlangte eine personelle und finanzielle Abwicklung dieser Körperschaften ohne Rücksicht darauf, ob ihre rechtliche Existenz durch einen besonderen Auflösungsakt formell beendigt war oder nicht.
Die Reichsnährstandsorganisationen waren mit der nationalsozialistischen Staatsorganisation eng verknüpft. Tatsächlich sind die öffentlich-rechtlichen Funktionen und Befugnisse des Reichsnährstands und seiner Zusammenschlüsse nach dem Zusammenbruch des Reiches im ganzen Bundesgebiet nicht mehr ausgeübt worden (vgl. Begründung zum Regierungsentwurf des Reichsnährstands-Abwicklungsgesetzes, BT Drucks. III/1253 S. 12; Niederschrift der 210. Sitzung des Rechtsausschusses des Bundesrates vom 9. April 1959, S. 23).
b) Die vom Bundesverfassungsgericht zu Art. 134 GG entwickelten Grundsätze gelten für die Regelung von Verbindlichkeiten nicht mehr bestehender Körperschaften auf Grund des Art. 135 Abs. 5 GG jedenfalls dann entsprechend, wenn diese Verbindlichkeiten aus Hoheitsakten herrühren, welche diese Körperschaften im Auftrag des nationalsozialistischen Staates und zur unmittelbaren Erfüllung der nationalsozialistischen Staats- und Wirtschaftsziele vorgenommen haben. Diese Voraussetzung ist bei den Betriebsstillegungen durch die Zusammenschlüsse des Reichsnährstands erfüllt.
BVerfGE 29, 413 (427):
In der nationalsozialistischen Herrschaftsordnung wurden vielfach staatliche Aufgaben aus der unmittelbaren Staatsverwaltung ausgegliedert und auf besondere Rechtsträger in der Form öffentlich-rechtlicher Körperschaften und Anstalten übertragen. Dieser Vorgang diente nicht einer Distanzierung des Staates oder einer Verstärkung der Selbstverwaltung, sondern bezweckte und erreichte umgekehrt eine immer stärkere staatliche Durchdringung der jeweiligen Lebensbereiche. Die Abhängigkeit dieser Organisationen von der staatlichen Führung beruhte nicht allein darauf, daß ihre Leitungsorgane autoritär bestellt und politisch auf die nationalsozialistischen Ziele ausgerichtet wurden; vielmehr wurden auch rechtlich die bisherigen Unterschiede zwischen der unmittelbaren und mittelbaren Staatsverwaltung verwischt, besonders durch Ausdehnung und Verstärkung der Staatsaufsicht und durch Übertragung der Vorschriften für den öffentlichen Dienst und des staatlichen Haushaltsrechts (vgl. Werner Weber, Juristen-Jahrbuch, Bd. 8, 1967/68, S. 144 ff.). Insgesamt bildeten diese Organisationen trotz ihrer formellen rechtlichen Selbständigkeit tatsächlich einen Teil der zentral gelenkten Reichsexekutive. Die von ihnen durch die Erfüllung staatlicher Aufgaben begründeten Verbindlichkeiten unterscheiden sich daher ihrem Wesen nach nicht von den aus Hoheitsakten der Staatsverwaltung entstandenen, unmittelbar gegen das Deutsche Reich gerichteten Forderungen und gehören ebenso wie diese zu dem großen Komplex der von dem früheren Regime hinterlassenen Schulden, deren vollständige Erfüllung der Bundesrepublik angesichts der Konkurssituation des Reiches unmöglich war (vgl. hierzu BVerfGE 15, 126 [135 ff., 140 ff.]). Aus den gleichen Erwägungen, wie sie für Art. 134 GG gelten, darf daher auch im Rahmen der gesetzlichen Regelung auf Grund des Art. 135 Abs. 5 GG die Erfüllung der genannten Verbindlichkeiten gegen nicht mehr bestehende Körperschaften des öffentlichen Rechts beschränkt oder ganz versagt werden; Art. 135 a Nr. 1 GG hat insoweit nur die Bedeutung einer Legalinterpretation (vgl. BVerfGE 15, 126 [144]).
BVerfGE 29, 413 (428):
Wie sich aus den eingangs zitierten Rechtsvorschriften ergibt, waren die Betriebsstillegungen durch die Zusammenschlüsse gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 4 der Verordnung vom 17. April 1936 keine berufsständische Angelegenheit, sondern Maßnahmen der Marktordnung, die im Interesse der Gesamtwirtschaft und allgemeiner staatlicher Ziele, übrigens unter teilweiser Anknüpfung an frühere Regelungen (vgl. § 38 des Milchgesetzes vom 31. Juli 1930 - RGBl. I S. 421 -) errichtet wurde. Die Zusammenschlüsse erfüllten damit typisch staatliche Aufgaben, die entsprechend der nationalsozialistischen Wirtschaftsauffassung nach und nach von den unmittelbaren Staatsorganen auf die berufsständisch organisierten Körperschaften übertragen worden waren (vgl. Pfundtner- Neubert, Das neue Deutsche Reichsrecht, Einführung zur Verordnung über den Zusammenschluß der deutschen Milch- und Fettwirtschaft vom 29. Juli 1938, IIIb 22, S. 47 [neu]; Reischle- Saure, Der Reichsnährstand, 2. Aufl., 1934, S. 209).
Nach den vom Oberlandesgericht München getroffenen Feststellungen zum Sachverhalt, die nicht der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht unterliegen, ist die Betriebsstillegung im Falle des Beschwerdeführers nicht im Zuge einer politischen Verfolgung oder sonstigen Willkür- oder Unrechtsmaßnahme angeordnet worden, sondern hielt sich im Rahmen der marktordnenden Eingriffe. Hiervon ist offenbar auch das angefochtene Urteil ausgegangen.
c) Für die auf einer solchen Marktordnungsmaßnahme beruhende Entschädigungsforderung kann der Schutz des Art. 14 GG auch nicht mit der Begründung in Anspruch genommen werden, der Reichsnährstand und seine Zusammenschlüsse hätten sich im Hinblick auf ihr beim Zusammenbruch vorhandenes Vermögen nicht in einer "Konkurssituation" befunden. Zunächst liegt es nahe, daß sich auch bei diesen Sondervermögen ein Passivsaldo ergibt, wenn man die Versorgungslasten nach dem Gesetz zu Art. 131 GG für frühere Dienstangehörige einbezieht. Dies bedarf jedoch keiner weiteren Prüfung. Da diese Organisationen in dem hier maßgebenden Zusammenhang als Teile der Reichsexekutive
BVerfGE 29, 413 (429):
angesehen werden müssen, läßt sich die Frage der Konkurssituation nicht auf Grund einer isolierten Betrachtung ihrer Sondervermögen beurteilen; vielmehr kommt es auf die Gesamtmasse der Aktiva und Passiva des Reiches einschließlich der Sondervermögen unter Berücksichtigung der sich aus der Neuordnung ergebenden Verbindlichkeiten an. Zudem stammte ein wesentlicher Teil dieses Sondervermögens gerade aus der Erfüllung typisch staatlicher Aufgaben (vgl. etwa die im Zuge der Marktordnung erhobenen Abgaben).
d) Die beschränkte Erfüllung der genannten Ansprüche verletzte auch nicht die sich aus dem Wertgedanken des Art. 14 GG ergebende Pflicht des Gesetzgebers, die vorgefundenen Forderungen gegen die nicht mehr bestehenden Körperschaften des öffentlichen Rechts "nach Maßgabe des Möglichen" zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 23, 153 [166]; 24, 203 [214]). Wegen der Konkurssituation des Reiches stand es hiermit in Einklang, daß das Allgemeine Kriegsfolgengesetz für die Reichsverbindlichkeiten vom Grundsatz des "Erlöschens" ausgegangen ist und nur bei einzelnen Gruppen ausnahmsweise eine Befriedigung vorsieht. Demgegenüber hat das Reichsnährstands-Abwicklungsgesetz sogar eine für die Mehrzahl der Gläubiger günstigere Lösung gewählt, indem es grundsätzlich die Erfüllung der Verbindlichkeiten anordnet und nur bestimmte Forderungen davon ausnimmt. Es ist daher nur zu prüfen, ob diese Differenzierung, soweit es sich um die Forderungen aus Betriebsstillegungen handelt, mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar ist (vgl. BVerfGE 15, 126 [150]; 23, 153 [166]; 24, 203 [215]).
II.
Der allgemeine Gleichheitssatz ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur verletzt, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache sich ergebender oder sonst einleuchtender Grund für die betreffende Differenzierung nicht
BVerfGE 29, 413 (430):
finden läßt. Die hiernach dem Gesetzgeber allgemein zustehende Gestaltungsfreiheit geht besonders weit bei Regelungen, die zur Bereinigung der beim Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes vorhandenen Verbindlichkeiten der öffentlichen Hand und zur Beseitigung sonstiger Kriegsfolgelasten getroffen werden (vgl. BVerfGE 15, 167 [201]; 23, 153 [168]; 27, 253 [286]). Danach läßt sich die Anwendung des § 9 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 4 RNAbwG durch das angefochtene Urteil auch im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich nicht beanstanden.
1. Zunächst ist diese Verfassungsvorschrift nicht dadurch verletzt, daß das Gesetz in § 9 Abs. 1 Nr. 4 erster Halbsatz Ansprüche auf Entschädigung wegen der Stillegung von Betrieben durch hoheitliche Maßnahmen der Zusammenschlüsse von vornherein von der Erfüllung ausschließt, während alle übrigen - nicht in den Ausnahmekatalog des § 9 Abs. 1 RNAbwG fallenden - Ansprüche nach Maßgabe der §§ 12 bis 16 RNAbwG bei der Abwicklung berücksichtigt werden. Dabei ist von Bedeutung, daß die Ausnahme des § 9 Abs. 1 Nr. 4 RNAbwG sich nicht allein auf Betriebsstillegungen bezieht, sondern sämtliche Entschädigungsansprüche auf Grund ähnlicher hoheitlicher Maßnahmen des Reichsnährstands oder seiner Zusammenschlüsse umfaßt, und daß nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 und 5 RNAbwG das gleiche gilt für Ansprüche auf Ausgleichs- oder Stützungsbeträge, für deren Zahlung den Reichsnährstandsorganisationen Reichsmittel zur Verfügung zu stellen waren, oder die aus Maßnahmen entstanden sind, welche diese Organisationen zur Beseitigung eines kriegsbedingten Notstandes anstelle des Reiches getroffen haben. Im Gesetzgebungsverfahren wurde der Katalog der ausgeschlossenen Ansprüche insoweit damit begründet, es könnten solche Ansprüche nicht geltend gemacht werden, die entweder nur aus Reichsmitteln zu befriedigen gewesen wären oder die auf Grund solcher Maßnahmen entstanden seien, die der Reichsnährstand im Auftrag des Reiches getroffen hätte (vgl. den Schriftlichen Bericht des Bundestagsausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, BTDrucks. III/2254 S. 3).
BVerfGE 29, 413 (431):
2. Der grundsätzliche Ausschluß von Ansprüchen auf Entschädigung wegen Betriebsstillegung ist durch zwei die Gläubiger begünstigende Regelungen eingeschränkt:
a) nach § 9 Abs. 4 RNAbwG für Ansprüche, für die bis zum 31. Dezember 1957 ein rechtskräftiges Urteil oder ein anderer, nicht nur vorläufig vollstreckbarer Titel vorlag,
b) nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 zweiter Halbsatz RNAbwG für Ansprüche, die schriftlich durch zuständige Stellen des Reichsnährstands oder der Zusammenschlüsse unanfechtbar festgesetzt oder dem Grunde nach zuerkannt waren.
BVerfGE 29, 413 (432):
Der Beschwerdeführer erblickt eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG darin, daß die Abgrenzung der Begünstigung in beiden Vorschriften zu eng und willkürlich sei. Entgegen seiner Ansicht können jedoch die vom Gesetzgeber als maßgebend bezeichneten Kriterien nicht als sachwidrig angesehen werden.
a) Soweit Ansprüche bereits durch rechtskräftige Gerichtsentscheidungen fixiert waren, stand der Gesetzgeber vor der bei solchen Regelungen immer wieder auftauchenden Frage, welchem von zwei in gleicher Weise mit Verfassungsrang ausgestatteten Prinzipien er folgen sollte: Der Grundsatz der Gerechtigkeit im Einzelfall hätte gefordert, auch diese Ansprüche ausnahmslos von der Berücksichtigung auszuschließen. Ein solches Verfahren des Gesetzgebers hätte aber der Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen nachträglich den Bestandsschutz entzogen und damit den Grundsatz der Rechtssicherheit verletzt, der einen wesentlichen Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips bildet. Es war nicht willkürlich, wenn der Gesetzgeber in dieser Lage dem Prinzip der Rechtssicherheit den Vorrang gab (vgl. BVerfGE 19, 150 [166) mit weiteren Nachweisen), die Begünstigung jedoch auf die vor dem 1. Januar 1958 rechtskräftig zuerkannten Ansprüche beschränkte. An diesem Tage trat das Allgemeine Kriegsfolgengesetz in Kraft, das für die in Rede stehenden Ansprüche eine besondere gesetzliche Regelung ankündigte und sie zugleich mit Wirkung von seinem Inkrafttreten dem sogenannten Klagestop des § 3 Abs. 2 unterwarf.
Für die verfassungsrechtliche Prüfung des § 9 Abs. 4 RNAbwG bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob der bei Erlaß dieses Gesetzes noch unbefristete, später auf den 31. März 1968 befristete Klagestop verfassungsmäßig war und welche Wirkungen er gegebenenfalls hatte. Die Bestimmung des Stichtags in § 9 Abs. 4 RNAbwG läßt sich in jedem Fall damit rechtfertigen, daß nach dem Inkrafttreten des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes ergangene gerichtliche Urteile nicht den gleichen Vertrauensschutz verdienen wie früher ergangene Entscheidungen. Während bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes noch weitgehend Unsicherheit über die Rechtsfolgen des Zusammenbruchs für die Verbindlichkeiten
BVerfGE 29, 413 (433):
des Reichsnährstands bestand, waren die Gläubiger durch § 3 Abs. 1 Nr. 3 AKG eindeutig darauf hingewiesen, daß die Erfüllung ihrer Ansprüche von der künftigen gesetzlichen Regelung abhing. Da die gesetzliche Regelung der Reichsverbindlichkeiten von dem grundsätzlichen Erlöschen der Ansprüche ausging, war auch zu erwarten, daß die vorbehaltene Regelung ähnlichen Grundsätzen folgen werde; mindestens konnten die Gläubiger nicht mehr auf eine unbeschränkte Erfüllung ihrer Ansprüche vertrauen, soweit diese sich von den im Allgemeinen Kriegsfolgengesetz geregelten Ansprüchen ihrem Wesen nach nicht unterschieden. Ebensowenig konnten sie damit rechnen, daß Gerichtsentscheidungen zwischen dem Erlaß des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes und dem Erlaß der vorbehaltenen Regelung zu ihrer Bevorzugung gegenüber Gläubigern führen würden, die im übrigen in der gleichen Situation waren wie sie. Zudem war nach der dargestellten Entwicklung der Rechtsprechung aus den nach Inkrafttreten des Gesetzes ergangenen Entscheidungen regelmäßig für den Kläger ersichtlich, daß seine Klage nur für zulässig erachtet wurde, weil nach Ansicht des Gerichts der Gesetzgeber für die vorbehaltene Regelung weiterhin freie Hand behielt; im Falle des Beschwerdeführers ergibt sich dies aus der ausdrücklichen Bezugnahme des Urteils des Oberlandesgerichts München auf die erwähnte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 4. Dezember 1958 (BGHZ 29, 28). Solche ausdrücklich unter dem Vorbehalt der künftigen gesetzlichen Regelung ergangenen Gerichtsentscheidungen konnten für die Gläubiger somit keinen Vertrauenstatbestand begründen, der aus Gründen der Rechtssicherheit im Rahmen des § 9 Abs. 4 RNAbwG zwingend eine Berücksichtigung durch den Gesetzgeber verlangt hätte.
b) Ebenso lassen sich auch sachliche Gründe für die Regelung in § 9 Abs. 1 Nr. 4 zweiter Halbsatz RNAbwG finden. Insoweit handelt es sich ebenfalls um eine begünstigende Regelung, zu der der Gesetzgeber im Hinblick auf die ihm nach Art. 135 Abs. 5
BVerfGE 29, 413 (434):
GG zustehende Befugnis (oben B I 2) nicht verpflichtet war. Wenn er hierbei an die Entscheidungen anknüpfte, die nach den früheren Vorschriften von den damals zuständigen Stellen getroffen worden waren, so ist dies nicht willkürlich. Es besteht keine Pflicht der Bundesrepublik, derartige hoheitliche Eingriffe aus der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft und damit verbundene Entschädigungsregelungen unter heutigen Rechtsgrundsätzen zu überprüfen und gegebenenfalls neu zu treffen. Eine solche Wiederaufrollung der in der Vergangenheit abgeschlossenen Fälle wäre auch faktisch unmöglich und schließlich durch die "Konkurssituation" beim Zusammenbruch des Reiches ausgeschlossen. Die Anknüpfung an frühere Entschädigungsfestsetzungen oder -anerkennungen im Rahmen des § 9 Abs. 1 Nr. 4 RNAbwG dient zudem offenbar nur dem Vertrauensschutz. Der Gesetzgeber konnte davon ausgehen, daß die Verfahren über die Entschädigungen für Betriebsstillegungen und ähnliche marktordnende Maßnahmen zum größten Teil vor 1945 abgeschlossen waren und die Betroffenen die festgesetzte Entschädigung erhalten hatten, soweit nach den damaligen Regelungen und Rechtsvorstellungen eine Entschädigungspflicht bestand. Er wollte offenbar in den wenigen Fällen, in denen das Verfahren noch nicht abgeschlossen oder die festgesetzte Entschädigung noch nicht gezahlt worden war, die Betroffenen, die auf diese Leistung vertraut hatten, mit der Masse der bereits vorher abgefundenen Entschädigungsberechtigten gleichstellen. Dies kann nicht als sachwidrig bezeichnet werden (vgl. BVerfGE 27, 253 [287 ff.]).
3. Der Beschwerdeführer sieht schließlich eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG darin, daß das angefochtene Urteil in Widerspruch zu dem rechtskräftigen Urteil des Oberlandesgerichts München die Festsetzung der Entschädigung durch die Hauptvereinigung der Deutschen Milch- und Fettwirtschaft für unanfechtbar im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 4 RNAbwG hält. Er fühlt sich hierdurch beeinträchtigt, weil bei Zugrundelegung des Urteils des Oberlandesgerichts München nur eine Anerkennung der Ent
BVerfGE 29, 413 (435):
schädigung dem Grunde nach vorliegen würde. In diesem Fall müßte die Höhe der Entschädigung vom Abwickler neu festgesetzt werden (vgl. Begründung zum Entwurf der Bundesregierung zu einem Reichsnährstands-Abwicklungsgesetz, BTDrucks. III/1253 S. 14]; der Beschwerdeführer hätte also mindestens die Chance einer höheren Befriedigung seines Anspruches.
Die Frage, welche der beiden Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Nr. 4 zweiter Halbsatz RNAbwG im Falle des Beschwerdeführers erfüllt sind, betrifft die Auslegung des einfachen Rechts und die für die Rechtsanwendung im Einzelfall erforderliche Feststellung des Tatbestandes, die grundsätzlich Sache der zuständigen Gerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen sind (BVerfGE 18, 85 [92 f.]). Das gleiche gilt auch für die weitere Rechtsfrage, ob und wieweit der Bundesgerichtshof und die Vorinstanz bei der Rechtsanwendung an die rechtskräftige Entscheidung des Oberlandesgerichts München gebunden waren. Allerdings setzt sich das Urteil des Bundesgerichtshofs nicht mit dieser Frage auseinander, obwohl nach der eigenen Rechtsprechung dieses Gerichts solche Feststellungsurteile gegen frühere Rechtsträger auch nach Erlaß des Klagestops weiter zulässig waren. Vom Standpunkt des Beschwerdeführers mag es auch als wenig verständlich erscheinen, daß solche von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zugelassenen, sich auf die Feststellung der Rechtslage nach früherem Recht beschränkenden Gerichtsentscheidungen im Rahmen des § 9 Abs. 1 Nr. 4 zweiter Halbsatz RNAbwG nicht wenigstens in gleicher Weise berücksichtigt werden wie Entscheidungen der nach dem früheren Recht zuständigen Stellen. Dennoch ist diese Rechtsanwendung nicht willkürlich. Auch wenn man mit dem Urteil des Oberlandesgerichts München annehmen wollte, daß die Festsetzung der Entschädigung an sich noch anfechtbar gewesen wäre, so kann doch kaum bezweifelt werden, daß - abgesehen von der Einbehaltung des Betrages von 2000 RM - das Verfahren nach den damaligen Regelungen und Rechtsvorstellungen als abgeschlossen zu betrachten war, nachdem der Beschwerdeführer ge
BVerfGE 29, 413 (436):
gen die bereits 1938 erfolgte Betriebsstillegung und Entschädigungsfestsetzung bis Kriegsende das Schiedsgericht nicht angerufen hatte.
Ferner gleicht die Position des Beschwerdeführers nur nach außen hin derjenigen, die ein durch § 9 Abs. 1 Nr. 4 zweiter Halbsatz RNAbwG bevorzugter Gläubiger erlangt hatte. Die Art des Zustandekommens ist verschieden. Der Beschwerdeführer leitet seine Rechtsstellung aus einer Entscheidung her, die erst ergangen ist, als der Reichsnährstand und seine Zusammenschlüsse bereits nicht mehr bestanden. Es ist nicht sachwidrig, bei der Vermögensabwicklung solchen Vorgängen, die erst nach dem wirtschaftlichen oder rechtlichen Existenzverlust des Rechtsträgers eingetreten sind, eine schwächere Wirkung beizumessen.
Schließlich hat das Urteil des Oberlandesgerichts, obwohl es nur die frühere - vor dem Zusammenbruch bestehende - Rechtslage feststellen will, seine Entscheidung, daß dem Beschwerdeführer ein weitergehender Entschädigungsanspruch zugestanden habe, auch aus Rechtsvorschriften hergeleitet, die entweder in der fraglichen Zeit noch gar nicht erlassen waren (Art. 159 Bay Verf. und Art. 14 GG) oder denen kein Verfassungsrang mehr zukam, der ihnen Vorrang vor den speziellen Entschädigungsregelungen für marktordnende Maßnahmen hätte verschaffen können (Art. 153 WRV; vgl. auch BVerfGE 2, 237 [248 ff.]). Damit hat das Oberlandesgericht aber das streitige Rechtsverhältnis nach heutigen Rechtsvorstellungen beurteilt, d. h. bei der Feststellung des Entschädigungsanspruches in Wirklichkeit der Entscheidung des Gesetzgebers über die Abwicklung vorgegriffen. Die Nichtbeachtung einer solchen Entscheidung im Rahmen des § 9 Abs. 1 Nr. 4 zweiter Halbsatz läßt sich daher mit den gleichen Erwägungen halten, die den Ausschluß der nach dem Stichtag ergangenen rechtskräftigen Entscheidungen in § 9 Abs. 4 RNAbwG zu stützen vermögen (B II 2a).
BVerfGE 29, 413 (437):
III.
Aus den gleichen Gründen, die einer verfassungsrechtlichen Beanstandung des angefochtenen Urteils im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 entgegenstehen, liegt auch eine Verletzung des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG nicht vor.
Art. 101 GG kommt als Prüfungsmaßstab nicht in Betracht. Der Beschwerdeführer hält diese Vorschrift für verletzt, weil die im Rahmen des § 9 Abs. 1 Nr. 4 RNAbwG maßgebenden Entscheidungen früherer Stellen nicht den Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren genügt hätten. Verfahren aus der Zeit vor der Geltung des Grundgesetzes sind jedoch nicht an Art. 101 GG zu messen.
Müller Stein Ritterspach Haager v. Brünneck Böhmer Simon