BGHSt 16, 184; JZ 1962, 99; MDR 1961, 1033; NJW 1961, 1936
Titel zum Volltext
Daten
- LG Köln, 18.10.1960
Rechtsnormen
Seitennummerierung nach:
Seiten:
BGHSt 16, 184 (184):
Eine Wahlfeststellung zwischen (schwerem) Diebstahl, Hehlerei (in der Begehungsform des Ansichbringens) und Unterschlagung ist zulässig.
StPO § 267 Abs. 1; StGB §§ 242, 243, 246, 259
2. Strafsenat
Urteil
vom 26. Juli 1961 g.Sch.
- 2 StR 190/61 -
I. Landgericht Köln
Gründe:
Die Strafkammer hat den Angeklagten als gefährlichen Gewohnheitsverbrecher auf wahldeutiger Grundlage wegen Unterschlagung zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt, ihm die bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von fünf Jahren aberkannt und seine Sicherungsverwahrung angeordnet.
1. Die Revision des Angeklagten behauptet, das angefochtene Urteil enthalte Verstöße gegen den Grundsatz "in dubio pro reo" und gegen die Denkgesetze.
Solche Verstöße sind jedoch nicht zu erkennen.
Die Strafkammer hat festgestellt:
Am Abend des 1. Januar 1960 - und zwar nach 19 Uhr - wurden in K. aus drei nebeneinander liegenden Kellerräumen ein Fahrrad, mehrere Flaschen Wein und ein Sack entwendet. Der Raum, in dem das Fahrrad stand, war nicht verschlossen. In die Räume, in der sich der Sack und die mit Wein gefüllten Flaschen befanden, gelangte der Täter durch Aufbrechen der Vorhängeschlösser an den Zugangstüren. Kurz vor 24 Uhr wurde der Angeklagte etwa 600 m vom Tatort entfernt mit der Diebesbeute gesehen. Er schob das gestohlene Fahrrad, auf dessen Gepäckträger er den entwendeten Sack und in ihm vier Flaschen des weggenommenen Weins hatte.
BGHSt 16, 184 (185):
Die Strafkammer ist davon überzeugt, daß der Angeklagte auf strafbare Weise in den Besitz des Diebesguts kam, glaubt aber, daß folgende drei Möglichkeiten des Erwerbs in Betracht kommen:
a) Der Angeklagte führte den Diebstahl selbst aus.
b) Er traf bei einem Gastwirtschaftsbummel den Dieb und erwarb von ihm die Diebesbeute, wobei sich dem Angeklagten nach den Umständen die strafbare Herkunft des Erworbenen zwingend aufdrängen mußte.
c) Der Angeklagte fand die vom verfolgten Dieb zurückgelassene Beute und eignete sie sich zu.
Andere Möglichkeiten - Bestehlen des Diebes, Bergen des Diebesguts im Interesse des Täters, Inbesitznahme der Diebesbeute, um sie zum Fundamt zu bringen - hat die Strafkammer auf Grund ihrer Würdigung der Persönlichkeit des Angeklagten und bestimmter Umstände für ausgeschlossen erachtet.
Die Feststellungen des Landgerichts sind nicht zu beanstanden. Sie verstoßen weder gegen die Denkgesetze noch gegen den Grundsatz "in dubio pro reo". Was diesen Grundsatz anbelangt, so verkennt die Revision, daß bei einer Wahlfeststellung nur ein Sachverhalt für erwiesen angesehen wird, der mehrere Möglichkeiten des tatsächlichen Geschehensablaufs und damit der strafrechtlichen Beurteilung enthält. Mit dem Ausspielen einer Möglichkeit gegen die andere kann ein Verstoß gegen den Grundsatz "in dubio pro reo" nicht begründet werden. Soweit die Revision auf Möglichkeiten hinweist, die nach den Feststellungen der Strafkammer nicht in Betracht kommen, unternimmt sie den unbeachtlichen Versuch, die Beweiswürdigung der Strafkammer durch ihre eigene zu ersetzen.
2. Die Strafkammer hat den Angeklagten des schweren Diebstahls im Rückfall oder der Hehlerei oder der Unterschlagung für schuldig befunden.
Das ist nicht zu beanstanden. Die von der Strafkammer zur Anwendung gebrachten rechtlichen Gesichtspunkte treffen zu, gegen die Zulässigkeit der Wahlfeststellung ergeben sich keine Bedenken.
a) Die Revision bringt vor, daß auch nach den Feststellungen der Strafkammer offen sei, auf welche Sachen der Täter ab
BGHSt 16, 184 (186):
zielte, als er in die Kellerräume eindrang. Das kann jedoch ebenso dahingestellt bleiben, wie die Frage, ob allein die Wegnahme der mit Wein gefüllten Flaschen als Mundraub anzusehen wäre. Auch wenn der Täter in die Kellerräume einbrach, um daraus Gegenstände der in § 370 Abs. 1 Nr. 5 StGB genannten Art zum alsbaldigen Verbrauch zu entwenden und erst nach dem Einbruch den Zueignungsvorsatz auf den Sack erstreckte, ist seine Tat als schwerer Diebstahl zu beurteilen. Es kann insoweit auf BGHSt 9, 253 verwiesen werden.
Die Annahme, daß der Angeklagte Unterschlagung begangen haben könnte, ist ebenfalls unbedenklich. Er führte nach der Gewahrsamserlangung das Fahrrad und die übrige Diebesbeute mit sich. Dieses Mitführen war nach den Feststellungen der Strafkammer Ausdruck und Betätigung seines Zueignungswillens. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Angeklagte bereits bei der Gewahrsamsbegründung Zueignungsabsicht hatte (vgl. RGSt 53, 302).
b) Die Verurteilung auf der wahldeutigen Grundlage "schwerer Diebstahl oder Unterschlagung oder Hehlerei (in der Form des Ansichbringens)" ist zulässig.
Eine Wahlfeststellung ist nicht notwendig auf zwei Möglichkeiten des tatsächlichen Herganges beschränkt. Wann und unter welchen Voraussetzungen sich die Wahldeutigkeit auf mehr als zwei Möglichkeiten erstrecken darf, kann nicht allgemein gesagt werden. Es ist eine Frage des Einzelfalles, ob die in Betracht kommenden Tatvorwürfe rechtsethisch und psychologisch gleichwertig sind und ob trotz ihrer Anzahl und Vielfalt die Sicherheit der Urteilsfindung gewährleistet bleibt. Schon das Reichsgericht hat nachdrücklich auf die bei einer Wahlfeststellung drohenden, mit der Zahl der sich anbietenden Möglichkeiten in der Regel zunehmenden Gefahren für diese Sicherheit der Urteilsfindung hingewiesen (RGSt 68, 257 [260]). Sie bestehen nur dort nicht, wo die Häufung der möglichen strafbaren Geschehensabläufe weniger durch die Lückenhaftigkeit der tatsächlichen Feststellungen als durch die enge Verwandtschaft und geringe Verschiedenheit der in Betracht kommenden Tatbestände bedingt wird.
BGHSt 16, 184 (187):
Im vorliegenden Falle ist die Sicherheit der Urteilsfindung nicht gefährdet. Die nach den Feststellungen der Strafkammer verbleibenden drei Möglichkeiten des strafbaren Erwerbs sind Ausprägungen ein und desselben, gegen fremdes Eigentum gerichteten Zueignungswillens, dessen Betätigung den eindeutig nachgewiesenen Kern des Geschehens darstellt. Dieser bleibt unberührt, gleichgültig wie und nach welchem Tatbestand der Zueignungswille betätigt worden ist.
Auch die Gerechtigkeit der Urteilswirkung wird im vorliegenden Falle durch die Zahl der möglichen Tatvorwürfe nicht in Frage gestellt. Sie sind rechtsethisch und psychologisch gleichwertig. Das ist, soweit es sich um (schweren) Diebstahl und Hehlerei handelt, bereits in einer Reihe von Entscheidungen dargelegt worden (RGSt 68, 257 [262]; BGHSt 1, 302; 11, 26; 15, 63; BGH NJW 1952, 114). Darauf kann verwiesen werden.
Die Zulässigkeit der Wahlfeststellung zwischen (schwerem) Diebstahl und Unterschlagung kann ebenfalls nicht zweifelhaft sein (so auch BayObLG NJW 1958, 560). Beide Tatbestände sind nahe miteinander verwandt; das geschützte Rechtsgut ist dasselbe und der Täterwille ist durch eine gleichgeartete, eigene Sachherrschaft erstrebende Mißachtung fremden Eigentums gekennzeichnet.
Das alles gilt aber auch für das Verhältnis zwischen Unterschlagung und Hehlerei in ihrer hier gegebenen Form des Ansichbringens. Ob Wahlfeststellung zwischen den sonstigen Begehungsformen der Hehlerei und Unterschlagung zulässig ist, bedarf nicht der Entscheidung.