Human Rights Watch: Kinderrechte

Inhalt abgleichen
Letztes Update: vor 3 Jahre 39 Wochen

Burkina Faso: Islamisten greifen Schulen an

Mi, 27.05.2020 - 21:40
Aufklappen

Schülerinnen und Schüler sitzen zu fünft an einem Tisch für zwei in völlig überfüllten Klasse mit bis zu 125 Schülern in einer Grundschule in Kaya. Dort leben Zehntausende Binnenvertriebene der Region Centre-Nord, Burkina Faso, 29. Januar 2020

© 2020 Lauren Seibert/Human Rights Watch

(New York) – Die seit 2017 zunehmenden Angriffe islamistischer Gruppen auf Lehrer, Schüler und Schulen in Burkina Faso haben katastrophale Folgen für den Zugang von Kindern zu Bildung, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht.

In dem 102-seitigen Bericht „‚Their War Against Education‘: Armed Group Attacks on Teachers, Students, and Schools in Burkina Faso“ werden für den Zeitraum von 2017 bis 2020 zahlreiche bewaffnete Überfälle durch islamistische Gruppierung auf Bildungseinrichtungen in sechs der insgesamt 13 Regionen des Landes dokumentiert. Lehrkräfte wurden geschlagen, bedroht, entführt und ermordet und Schüler eingeschüchtert. Eltern wagten aufgrund von Drohungen nicht länger, ihre Kinder zur Schule zu schicken, und viele Schulgebäude wurden beschädigt, geplündert und zerstört.

Mai 26, 2020 Report “Their War Against Education”

Armed Group Attacks on Teachers, Students, and Schools in Burkina Faso

„Bewaffnete islamistische Gruppen, die in Burkina Faso Lehrer, Schüler und Schulen angreifen, begehen nicht nur Kriegsverbrechen. Sie machen damit auch jahrelange Fortschritte zunichte, die beim Zugang von Kindern zu Bildung erreicht worden sind“, sagt Lauren Seibert, Autorin des Berichts und Kinderrechtsexpertin von Human Rights Watch. „Die Burkinabè-Regierung sollte diese Angriffe untersuchen, sicherstellen, dass die Kinder wieder zur Schule können, und dem betroffenen Lehrpersonal entsprechende Unterstützung zukommen lassen.“

Von Dezember 2019 bis April 2020 sprach Human Rights Watch mit mehr als 170 Personen, darunter 74 Lehrkräften, 35 aktuellen und ehemaligen Schülern sowie anderen Zeugen der Angriffe, Eltern der Schüler, Familienmitgliedern der Opfer, lokalen Führungspersönlichkeiten, Mitarbeitern von Hilfsorganisationen, Fachleuten und Regierungsbeamten.

Mit Al-Qaida und dem Islamischen Staat verbündete Islamisten begannen im Jahr 2017, Lehrkräfte und Schulen in Burkina Faso anzugreifen, und beriefen sich dabei auf ihren Widerstand gegen eine „französische“ – also westlich geprägte, säkulare – Bildung und staatliche Institutionen. Seitdem haben die Angriffe jedes Jahr an Intensität gewonnen.

Human Rights Watch dokumentierte insgesamt 126 Angriffe und Drohungen durch Bewaffnete gegen Lehrkräfte, Schüler und Schulen, mehr als die Hälfte davon allein 2019. In den Medien und darüber hinaus wurden weitere Vorfälle erwähnt, weshalb von einer noch höheren Dunkelziffer auszugehen ist.

Bei den dokumentierten Vorfällen wurden mindestens 12 Lehrkräfte ermordet und weitere 17 überfallen oder entführt, viele weitere wurden zwangsweise festgehalten und bedroht. Lehrkräfte und Schulleiter beschrieben, mit verbundenen Augen angekettet oder angebunden und schließlich geschlagen worden zu sein. Ihre Habseligkeiten seien gestohlen oder verbrannt worden. Unter den Toten befinden sich fünf Lehrkräfte, die an einer Grundschule erschossen wurden. Eine Lehrkraft und ein Schulleiter fand man zu Hause erschossen. Vier Lehrkräfte und Schulleiter wurden erst entführt und dann ermordet, zwei von ihnen enthauptet. Ein ehrenamtlich tätiger Lehrer im Ruhestand wurde niedergeschossen, als er Kinder unterrichtete.

Launch Gallery

Obgleich die islamistischen Gruppierungen ihre Gewalt bislang nicht gegen Kinder an Schulen zu richten scheinen, verbreiteten sie unter Schülern und Lehrkräften durchaus Angst und Schrecken, indem sie häufig in die Luft schossen. „Ich hatte wirklich Angst. Ich dachte, sie kamen, um uns zu töten“, erinnert sich ein Schüler. Im Jahr 2018 starb ein 14-jähriges Mädchen an einem Querschläger. Und als im Januar 2020 eine Bombe unter einem Bus detonierte, gehörten zu den 14 Toten auch sieben Schüler, die gerade aus den Ferien zurückkehrten.

In mindestens 84 der dokumentierten Fälle beschädigten oder plünderten Bewaffnete die Schule. Darunter fallen auch das Niederbrennen von Schulinfrastruktur und Lernmaterialien, das Zünden von Sprengkörpern, das Abgeben von Schüssen auf dem Schulgelände und die Plünderung von Vorräten aus den Schulkantinen.

Bereits vor den im Zuge der Covid-19-Pandemie von der Burkinabè-Regierung erlassenen landesweiten Schulschließungen Mitte März hatten etwa 2.500 Schulen aufgrund von Angriffen oder der verbreiteten Unsicherheit geschlossen, womit 350.000 Schüler/-innen der Zugang zu Bildung verwehrt blieb.

„Alle Schulen hier sind [wegen der Angriffe und der Unsicherheit] geschlossen“, sagte eine Lehrkraft im Dorf Namssiguia, in der Region Centre-Nord, im Februar. „Wir beten dafür, dass die Situation sich verbessert und die Kinder wieder in die Schule können, denn sie leiden sehr darunter.“

Die Anwendung von Gewalt durch bewaffnete islamistische Gruppen in Burkina Faso – und durch Selbstverteidigungsmilizen und Sicherheitskräfte der Regierung, die sich dagegen wehren – hat seit dem Auftauchen der bewaffneten islamistischen Burkinabè-Gruppe Ansaroul Islam im Jahr 2016 stetig zugenommen. Ein Anstieg in der Zahl der Angriffe in 2019 setzte sich auch in diesem Jahr fort. In der Folge wurden mehr als 830.000 Menschen von ihrem Zuhause vertrieben.

In der Zeit zwischen Mitte 2017 und Mitte 2019 erlebten die Länder in der zentralen Sahelzone, Burkina Faso, Mali und Niger, einen Anstieg an Schulschließungen um das Sechsfache aufgrund von Angriffen und der verbreiteten Unsicherheit. Bis Anfang 2020 hatte Burkina Faso mehr Schulschließungen zu verzeichnen als Mali (1.261) und Niger (354) zusammengenommen.

Ein weiteres Risiko für die Schulinfrastruktur entsteht aus der Nutzung von Schulen für militärische Zwecke, etwa in Form der Umwandlung von Schulen in Militärbasen. Human Rights Watch dokumentierte zehn Fälle, in denen Burkinabè-Sicherheitskräfte Schulen als Stützpunkt nutzten, sowie sechs Fälle, in denen Bildungseinrichtungen durch bewaffnete islamistische Gruppen in Beschlag genommen wurden. Ebenso kam es bei vier Schulen während oder nach der Übernahme durch das Burkinabè-Militär zu islamistischen Angriffen.

Für Schüler und Lehrkräfte haben die Angriffe weitreichende Folgen, einschließlich Fällen von Trauma und psychischen Erkrankungen, Schulabbrüchen, Gefahren für Kinder auf dem Weg zur neuen Schule und, im Fall von Kindern, die nicht zur Schule gehen dürfen, vermehrt Kinderarbeit und für Mädchen die Gefahr von Kinderehen.

Im Jahr 2017 unterzeichnete Burkina Faso die „Safe Schools Declaration“, eine politische Vereinbarung, nach der sich Staaten verpflichten, Angriffen auf Schüler, Lehrkräfte und Schulen vorzubeugen und auf diese zu reagieren. Die Regierung hat seitdem zahlreiche positive Maßnahmen ergriffen, darunter die Wiedereröffnung geschlossener Schulen, den Einsatz von Lehrkräften an anderen Orten und die Schaffung einer nationalen Strategie und einer Dienststelle zum Thema Bildung in Notlagen. Als Teil ihrer Covid-19-Bildungsoffensive erweiterte die Regierung erst kürzlich ihre Programme für das Fernstudium, die zuvor auf bestimmte Konfliktregionen beschränkt waren, auf landesweit ausgestrahlte Fernseh- und Radiosender.

Die Regierung sollte jedoch dringend alle Maßnahmen ergreifen, die wegen der Angriffe auf die Bildung erforderlich sind. Sie sollte sicherstellen, dass Betroffene schnell psychosozial und finanziell unterstützt werden, die Unterstützung von überfüllten „Gastschulen“ ausdehnen, vertriebene Schüler aufnehmen, Programme ausweiten, mit denen mehr Kinder in Konfliktregionen „Bildung in Notlagen“ erhalten können, die Sicherheit an Schulen in Konfliktregionen verbessern und die militärische Nutzung von Schulen einschränken. Es sollte untersucht werden, ob es sich bei den Angriffen um Kriegsverbrechen handelt und die Verantwortlichen müssen entsprechend strafrechtlich verfolgt werden.

Geberländer sollten es in Betracht ziehen, Programme zur „Bildung in Notlagen“ sowie Rehabilitationsmaßnahmen für Betroffene zu unterstützen, einschließlich psychosozialer Unterstützung für Lehrkräfte und Schüler, die Angriffen ausgesetzt waren.

„Der brutale Angriff auf die Bildung durch bewaffnete islamistische Gruppierungen in Burkina Faso hat Lehrkräften ihr Leben, ihren Lebensunterhalt und ihre körperliche und geistige Gesundheit gekostet und Hunderttausenden von Kindern ihre Zukunft geraubt“, so Seibert. „Diese Angriffe müssen aufhören.“

Kategorien: Menschenrechte

Griechenland: Flüchtlingskinder freilassen

Mi, 27.05.2020 - 21:40

Aufklappen

Ein Kind hält sich an einem Zaun fest, während griechische Polizisten ein Flüchtlingscamp bewachen.

© 2016 Reuters/Marko Djurica  (Athens) – Griechenlands Premierminister Kyriakos Mitsotakis soll Hunderte unbegleitete Flüchtlingskinder freilassen, die unter unhygienischen Bedingungen in griechischen Haftzentren und Polizeiwachen festgehalten werden, so Human Rights Watch heute angesichts des Starts einer Kampagne zur Befreiung der Kinder. Dadurch könnten die Kinder besser vor einer COVID-19-Infektion geschützt werden.

Die am 14. April 2020 beginnende Kampagne #FreeTheKids ruft dazu auf, Druck auf Premierminister Mitsotakis aufzubauen, um eine sofortige Freilassung der inhaftierten unbegleiteten Flüchtlingskinder und ihre Verlegung in sichere und kindgerechte Einrichtungen zu erreichen. Human Rights Watch initiiert diese Kampagne nach jahrelanger Recherche- und Lobbyarbeit zur Praxis der griechischen Behörden, Kinder einzusperren, die sich ohne Eltern oder Verwandte in Griechenland aufhalten. Human Rights Watch hat immer wieder an griechische Regierungen appelliert, diese schweren Menschenrechtsverletzungen zu unterbinden.

„Es war schon immer falsch, diese Kinder in schmutzigen Gewahrsamszellen festzuhalten, doch jetzt können sie auch noch an COVID-19 erkranken“, so Eva Cossé, Griechenland-Expertin bei Human Rights Watch. „Die griechische Regierung trägt die Pflicht, diese menschenrechtswidrige Praxis zu beenden und dafür zu sorgen, dass schutzbedürftige Kinder die Zuwendung und Sicherheit erhalten, die sie benötigen.“

Laut dem Nationalen Zentrum für Soziale Solidarität, einer Regierungsbehörde, befanden sich am 31. März 331 Kinder im Gewahrsam der Polizei und warteten auf ihre Verlegung in eine Unterkunft – ein erheblicher Anstieg gegenüber Januar, als die Zahl noch bei 180 lag.

Infektionskrankheiten wie COVID-19 sind eine ernste Gefahr für die Bewohner geschlossener Einrichtungen wie Gefängnissen und Einwanderungshaftzentren. Diese bieten erfahrungsgemäß selbst unter Normalbedingungen keine angemessene Gesundheitsversorgung. In vielen Haftzentren sind selbst einfache Maßnahmen zur Verhütung eines COVID-19-Ausbruchs aufgrund von Überbelegung, Gemeinschaftstoiletten und schlechter Hygiene kaum umsetzbar.

Die griechischen Behörden beschreiben die Inhaftierung unbegleiteter Kinder als eine vorübergehende Schutzmaßnahme, die im besten Interesse der Kinder liege. In der Praxis wirkt die Inhaftierung jedoch alles andere als schützend. Nach griechischem Recht müssen unbegleitete Kinder in eine sichere Unterkunft gebracht werden. In Griechenland herrscht jedoch ein chronischer Mangel an Plätzen in geeigneten Einrichtungen, etwa Heimen für unbegleitete Kinder.

Wie die Recherchen von Human Rights Watch gezeigt haben, werden Kinder infolgedessen willkürlicher und lang andauernder Haft, menschenunwürdiger Behandlung sowie unhygienischen und herabwürdigenden Haftbedingungen unterworfen. Es kommt auch zur Inhaftierung mit Erwachsenen und zu Misshandlungen durch die Polizei. Die Haft verursacht bei den Kindern schwere langfristige Folgeschäden wie Entwicklungsstörungen, Angstzustände, Depressionen, posttraumatisches Stresssyndrom und Gedächtnisverlust. Die betroffenen Kinder haben meist keine Möglichkeit, medizinische Behandlung, psychologische Beratung oder juristische Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Nur die wenigsten von ihnen wissen, warum und für wie lange sie inhaftiert sind.

Im Jahr 2019 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Griechenland in zwei Fällen wegen der menschenrechtswidrigen Inhaftierung unbegleiteter Kinder. Die Richter urteilten, die Inhaftierung der Kinder verletze ihr Recht auf Freiheit und die Bedingungen ihrer Haft stellten eine herabwürdigende Behandlung dar.

Am 24. November 2019 präsentierte der griechische Premierminister den Plan „Kein Kind alleine“, mit dem unbegleitete Kinder besser geschützt werden sollen, etwa durch die Schaffung zusätzlicher Heime. Die Initiative setzt dem System der „Schutzhaft“ jedoch kein Ende und setzt Kinder weiterhin der Gefahr einer folgenschweren Inhaftierung aus.

Griechenland muss seinen Verpflichtungen im Bereich der Menschenrechte auch während der COVID-19-Pandemie nachkommen und zusätzliche Plätze in offenen, kindgerechten Einrichtungen schaffen, um die derzeit inhaftierten Kinder unterzubringen. Dazu gehören auch Hotels, Pflegefamilien sowie Privatwohnungen im Rahmen des Programms Unterstütztes Unabhängiges Wohnen für Jugendliche im Alter von 16 bis 18 Jahren.

Die griechische Regierung sollte die Kapazitäten in Heimen zur längerfristigen Unterbringung ausbauen und ein funktionierendes und umfassendes System zur Pflegeunterbringungen schaffen, welches auch griechischen Kindern zugute kommen würde. Das griechische Recht und seine Rechtspraxis sollten angepasst werden, um sie mit internationalen Normen und Standards in Einklang zu bringen. Dazu muss klargestellt werden, dass die Inhaftierung von Kindern aus Gründen, die mit ihrem Aufenthaltsstatus zusammenhängen, eine Verletzung ihrer Rechte darstellt und niemals im Interesse des Kindes liegt. Dies gilt insbesondere für unbegleitete Kinder.

Kategorien: Menschenrechte

Ägypten: Sicherheitskräfte verschleppen und foltern Kinder

Mi, 27.05.2020 - 21:40

März 23, 2020 Video Egypt: Security Forces Disappear, Torture Children

EU, US Should Stop Security Support Until Abuse Ends

(Washington) – Ägyptens Polizei, der Inlandsgeheimdienst und das Militär haben Kinder von gerade einmal 12 Jahren willkürlich inhaftiert, verschleppt und gefoltert. Staatsanwälte und Richter haben die Vergehen absichtlich ignoriert, so Human Rights Watch und die Menschenrechtsorganisation Belady: Insel der Menschlichkeit in einem heute veröffentlichten Bericht.

Der 43-seitige Bericht „‘No One Cared He Was A Child’: Egyptian Security Forces’ Abuse of Children in Detention“ dokumentiert Menschenrechtsverletzungen gegen 20 Kinder im Alter von 12 bis 17 Jahren, nachdem sie festgenommen worden waren. 

März 23, 2020 Report “No One Cared He Was A Child”

Egyptian Security Forces’ Abuse of Children in Detention

Ägyptens Verbündete, insbesondere die USA, Frankreich und andere EU-Staaten, sollten ihre Hilfen an die ägyptischen Sicherheitskräfte stoppen, messbare Maßnahmen zur Beendigung der Verbrechen ergreifen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen.

„Die erschütternden Berichte dieser Kinder und ihrer Familien zeigen, für welch schwere Verbrechen Ägyptens Unterdrückungsapparat verantwortlich ist“, so Aya Hijazi, Ko-Direktor von Belady. „Das Leid der inhaftierten Kinder macht deutlich, dass sich die ägyptischen Behörden verhalten, als stünden sie über dem Gesetz.“

Fünfzehn der 20 Kinder gaben an, sie seien während der Untersuchungshaft gefoltert worden, typischerweise während des Verhörs und der Isolationshaft. Ein weiteres Kind wurde vom Wachpersonal brutal verprügelt. Sieben Kinder sagten, Sicherheitsbeamte hätten sie mit Stromschlägen etwa aus Elektroschockpistolen gefoltert.

Ein Junge, der im Alter von 16 Jahren festgenommen wurde, befürchtete, er werde aufgrund der Misshandlungen, die ägyptische Sicherheitsbeamte ihn während der Haft zugefügt hatten, „niemals heiraten oder Kinder haben können“.

In zwei Fällen erklärten Kinder, die Sicherheitsbeamten hätten ihnen die Arme hinter dem Rücken gefesselt und sie daran aufgehängt. Dadurch seien ihre Schultergelenke ausgekugelt worden. Einer der Jungen, damals 14 Jahre alt, sagte, ein Zellengenosse, der Arzt war, habe seine Schultergelenke anschließend wieder einrenken müssen.

Witness: Beaten, Electrocuted, Tortured – Life for Boys in Egypt’s Prisons

Hamza spent his 15th birthday standing on his toes with sharp nails under his heels. Read his and other stories.

Read their stories

Ägyptens Sicherheitskräfte unter der Regierung von Präsident Abdel Fattah al-Sisi begehen immer schamloser Menschenrechtsverletzungen an Kindern und Erwachsenen. Für einen Großteil der in dem Bericht dokumentierten Verbrechen sind Beamte des Inlandsgeheimdienstes verantwortlich, der dem Innenministerium untersteht. In einigen Fällen waren jedoch auch Polizisten und Armeeoffiziere beteiligt.

Human Rights Watch und Belady konnten die Aussagen der Kinder, ihrer Familien und ihrer Anwälte anhand von Gerichtsdokumenten, Anfragen bei Behörden, medizinischer Akten und Videos bestätigen.

„Die Kinder erzählen uns, wie man sie dem Waterboarding unterzog und mit Stromschlägen an Zunge und Genitalien traktierte“, so Bill Van Esveld, Associate Director in der Kinderrechtsabteilung von Human Rights Watch. „Regierungen sollen diesem Grauen endlich ein Ende setzen, ihre Unterstützung für Ägyptens Sicherheitsdienste beenden und alle zukünftigen Abkommen davon abhängig machen, ob es echte Reformen gibt.“

Sicherheitsbeamte haben Kinder verschleppt und bis zu 13 Monate lang festgehalten. Sie weigerten sich, die verzweifelten Angehörigen über den Verbleib ihrer Kinder zu informieren oder zu bestätigen, dass diese inhaftiert waren. Belal B. war 17 Jahre alt, als Beamte der Nationalen Sicherheitsbehörde ihn verhafteten und in einer Polizeiwache in Kairo in Einzelhaft sperrten. „Ich wusste nichts über meine Eltern und sie wussten nichts über mich“, so der Junge. Die Beamten hätten ihn drei Tage lang an einen Stuhl gefesselt, was extrem schmerzhaft gewesen sei.

Ein Kind wurde, ein Verstoß gegen internationales Recht, zum Tode verurteilt. Drei Kinder wurden in Einzelhaft untergebracht, drei weiteren wurde mehr als ein Jahr lang jeglicher Besuch durch Angehörige verweigert. Kinder wurden gemeinsam mit Erwachsenen in derart überfüllten Zellen inhaftiert, dass sie in Schichten schlafen mussten. Nahrung und medizinische Versorgung waren vollkommen unausreichend.

Die Berichte der Kinder über Folter und andere Menschenrechtsverletzungen sind bezeichnend für die brutalen Methoden der Sicherheitsbehörden. Human Rights Watch, Belady und andere Organisationen haben Vergehen gegen Kinder und Erwachsene dokumentiert, die seit 2014 in Hunderten Fällen wegen mutmaßlicher politischer oder sicherheitsrelevanter Straftaten inhaftiert wurden.

Das ägyptische Recht verpflichtet die Sicherheitsbehörden, Häftlinge innerhalb von 24 Stunden nach der Festnahme einem Staatsanwalt vorzuführen. Wenn Kinder für längere Zeit verschleppt wurden, vertuschten die Staatsanwälte dies jedoch, indem sie falsche Angaben über den Zeitpunkt der Festnahme machten.

Die Behörden verfügten in keinem einzigen Fall über eine gültige Rechtsgrundlage für die Verhaftung der Kinder und konnten keine schriftlichen Haftbefehle vorlegen. Ein Junge wurde 30 Monate lang ohne Gerichtsverfahren festgehalten, obwohl das ägyptische Recht hier eine Obergrenze von zwei Jahren vorschreibt. Der Junge wurde wegen Teilnahme an einer Demonstration angeklagt, zu deren Zeitpunkt er sich in Haft befand. Ferner verweigerten die Behörden ihm die Teilnahme an Schulprüfungen, was ihm jegliche Chance auf eine bessere Zukunft nahm.

Die ägyptische Strafjustiz leitete keine ernsthaften Untersuchungen ein, um den Folter- und Misshandlungsvorwürfen der Kinder nachzugehen. In einem Fall aus dem Bericht drohte der Staatsanwalt sogar, falls der betroffene Junge kein Geständnis ablege, werde er ihn „zurück zu dem Beamten“ schicken, der ihn gefoltert hatte.

Die Behörden klagten zwei Kinder wegen mutmaßlicher Straftaten wie der Beschädigung der Fassade eines Hotels vor Militärgerichten an. Kinder sollen niemals gemeinsam mit Erwachsenen vor gewöhnlichen Gerichten angeklagt werden und schon gar nicht vor Militärgerichten, welche den Zugang zu Verfahrensrechten einschränken.

Ägypten soll die Bestimmungen seines eigenen „Kindergesetzes“ von 1996 sowie der 2008 hinzugefügten Zusatzartikel durchsetzen, welche besondere Schutzmechanismen für Kinder vorsehen. Zu diesen gehören Alternativen zur Haft sowie Strafen für Beamte, die Kinder zusammen mit Erwachsenen einsperren.

Ägypten soll ein Schlupfloch im Kindergesetz schließen, welches es Staatsanwälten erlaubt, Kinder, die mutmaßlich gemeinsam mit einem Erwachsenen eine Straftat begangen haben, vor Strafgerichte zu stellen. Dies nutzten Staatsanwälte, um Kinder zusammen mit Erwachsenen vor Anti-Terror-Tribunale zu stellen. Die Behörden sollten die Inhaftierung von Kindern nur als äußerstes Mittel nutzen und auch dann so kurz wie möglich halten.

Ägypten soll uneingeschränkt mit den Experten der Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union gegen Folter, willkürliche Inhaftierung und Verschwindenlassen kooperieren. Die ägyptische Regierung soll sie zu Besuchen einladen und sich verpflichten, ihre Missionen zuverlässig vor Repressalien zu schützen.

„Ägyptens Strafjustizsystem versagt, wenn es um den Schutz von Kindern geht. Dies kann zu dauerhaften Schäden im Rechtssystem führen“, so Hijazi. „Die routinemäßigen Inhaftierungen und Misshandlungen müssen ein Ende haben, nicht nur im Interesse der Kinder, sondern auch der ägyptischen Gesellschaft.“

Kategorien: Menschenrechte

Konzerne in die Verantwortung nehmen: Neue Impulse für Menschenrechtsverpflichtungen von Unternehmen

Mi, 27.05.2020 - 21:40

Im Neuen Jahr sollten Sie besonders auf eine wichtige Entwicklung achten: In immer mehr Ländern könnte es nationale Gesetze geben, die die Verantwortung von Unternehmen gegenüber Arbeitern, Gemeinden und der Umwelt einfordern.

Millionen Erwachsene und Kinder auf der ganzen Welt werden als Arbeiter Opfer von Menschenrechtsverletzungen. Sie beschaffen die Rohstoffe, schuften auf den Bauernhöfen und stellen Produkte für den globalen Markt her. Sie sind das letzte Glied in der globalen Lieferketten für sämtliche Produkte, angefangen bei alltäglichen Gütern wie Gemüse und Meeresfrüchten bis hin zu Luxusartikeln wie Schmuck und Designerkleidung, die weltweit in den Verkaufsregalen landen.

„Ruth“, 13 Jahre alt, ist eine von ihnen. Wir trafen sie während unserer Recherchen auf den Philippinen bei der Goldverarbeitung in der Nähe einer Mine. Dort mischte sie mit bloßen Händen giftiges Quecksilber in zermahlenes Golderz. Sie erzählte uns, dass sie seit ihrem 9. Lebensjahr arbeitet. Die Schule hatte sie vorher abgebrochen. Häufig bekommt sie kein Geld von dem Mann, der ihr die Säcke mit Golderz zur Verarbeitung gibt.  

Es ist ein gefährliches Leben auf der untersten Stufe dieser globalen Leiter. Im Jahr 2013 starben über 1.100 Arbeiterinnen und Arbeiter und 2.000 wurden verletzt, als das Rana Plaza Fabrikgebäude in Dhaka, Bangladesch zusammenbrach. In dem Gebäude waren fünf Textilfabriken untergebracht. Seitdem gab es einige Fortschritte bei der Sicherheit in den Fabriken in Bangladesch, nachhaltige Reformen gab es jedoch weder dort noch in anderen Ländern. Um mit den Erwartungen der Verbraucher Schritt zu halten, müssen Frauen weiterhin eine ganze Reihe von Arbeiterrechtsverletzungen in Bangladesch und anderen Ländern ertragen. Im Januar 2019 brach der Tailings-Staudamm von Brumadinho in Brasilien. Mindestens 250 Menschen – die meisten davon Arbeiter – kamen hierbei ums Leben und eine Welle von Giftschlamm wurde losgetreten. Der Damm hatte Abfälle aus einem Bergwerk gesammelt, in dem Eisenerz gefördert wird. Dieses wird weltweit im Bauwesen, im Maschinenbau, in der Automobilindustrie und in anderen Industriezweigen verwendet.

Multinationale Unternehmen, einige der reichsten und mächtigsten Akteure der Welt - 69 der 100 reichsten Akteure der Welt sind Unternehmen und keine Länder - haben sich häufig ihrer Verantwortung entzogen, wenn Arbeiter, umliegende Gemeinden oder die Umwelt durch sie zu Schaden gekommen sind. Regierungen wiederum, die in Verbindung mit mächtigen Unternehmen stehen, haben oftmals die Aktivitäten von Unternehmen nicht angemessen reguliert. Oder sie haben bestehende Schutzmaßnahmen für Arbeiter, Verbraucher und die Umwelt nicht durchgesetzt oder sogar abgeschafft.

Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte sind freiwillige Richtlinien für die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht von Unternehmen. Diese Richtlinien sind jedoch nicht rechtlich durchsetzbar. Von der Industrie vorangetriebene freiwillige Standards und Zertifizierungssysteme, die in den letzten Jahren zugenommen haben, können nützlich sein, reichen aber nicht aus: Viele Unternehmen werden nur dann handeln, wenn sie gesetzlich dazu verpflichtet sind. Diese Standards decken zudem wichtige Menschenrechts- und Umweltfragen in den Lieferketten der Unternehmen nicht ab, und die Systeme zur Überwachung der Einhaltung der Standards können nicht alle Probleme identifizieren und beheben. Sowohl das Rana Plaza Fabrikgebäude als auch der Staudamm von Brumadinho waren nur wenige Monate vor der jeweiligen Katastrophe von Wirtschaftsprüfern im Auftrag der Unternehmen inspiziert worden.

Die Ära, in der freiwillige Initiativen die einzige Möglichkeit waren, Unternehmen zur Achtung der Menschenrechte zu bewegen, weicht nun langsam der Erkenntnis, dass neue, rechtlich durchsetzbare Gesetze notwendig sind. Obwohl die Debatten je nach Land unterschiedlich geführt werden, ist die allgemeine Tendenz vielversprechend für die Arbeiter und Gemeinden, die Teil der Lieferketten multinationaler Unternehmen sind. Die Gesetzgeber erkennen zunehmend an, dass Unternehmen die Menschenrechte - einschließlich der Freiheit von unsicheren Arbeitsbedingungen, Zwangsarbeit und Lohndiebstahl - respektieren müssen, und schaffen entsprechende Gesetze, die sie dazu verpflichten.

In den letzten Jahren haben Frankreich, die Niederlande, Australien und Großbritannien Gesetze gegen Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen verabschiedet. Einige der bestehenden Gesetze sind jedoch zahnlose Tiger. Australien und Großbritannien beispielsweise verlangen von den Unternehmen lediglich, ihre Lieferketten transparent zu gestalten und alle Maßnahmen zu melden, die sie zur Bekämpfung von Problemen wie Zwangs- oder Kinderarbeit ergreifen. Die Unternehmen sind jedoch nicht dazu verpflichtet, diesen Problemen vorzubeugen oder sie zu beheben. Darüber hinaus sind keine Strafen für Unternehmen vorgesehen, die sich nicht an das Gesetz halten.

Das französische Gesetz von 2017 ist die derzeit umfassendste und strengste Regelung. Sie verpflichtet Unternehmen dazu, die negativen Auswirkungen ihrer Lieferketten sowohl auf die Menschenrechte als auch auf die Umwelt zu identifizieren und zu vermeiden. Das Gesetz gilt auch für die Unternehmen, die von der Regierung kontrolliert werden und mit denen die Regierung zusammenarbeitet. Unternehmen in Frankreich haben 2018 die ersten „Sorgfaltspläne“ nach diesem Gesetz veröffentlicht. Die Nichteinhaltung kann rechtliche Schritte nach sich ziehen. Die erste Klage nach dem Gesetz zur Sorgfaltspflicht wurde im Oktober 2019 eingereicht. Gesetze wie das in Frankreich, das Handlungsaufforderungen an Unternehmen beinhaltet ebenso wie Konsequenzen, wenn diesen Aufforderungen nicht nachgekommen wird, und die Möglichkeit für Arbeitnehmer, Unternehmen zur Rechenschaft zu ziehen, öffnen die Tür für einen stärkeren Schutz von Arbeitern auf der ganzen Welt.

Das Jahr 2020 verspricht weitere Fortschritte für mehr Menschen. Die Parlamente in Deutschland, der Schweiz, Dänemark, Kanada, Norwegen, Finnland und Österreich erwägen Gesetze, die den Umgang von Unternehmen mit den Menschenrechten bei ihren weltweiten Aktivitäten verändern würden. Sie gehen über reine Transparenz und Berichterstattung hinaus und verlangen, dass Menschenrechtsrisiken in den Lieferketten von Unternehmen identifiziert und Maßnahmen zu ihrer Vermeidung ergriffen werden.

In einer damit verbundenen Entwicklung prüft die Internationale Arbeitsorganisation, ob ein neues, verbindliches globales Übereinkommen über „menschenwürdige Arbeit in globalen Lieferketten“ erforderlich ist. Um diese Frage zu klären, wird die Organisation im Jahr 2020 ein Treffen mit Regierungs-, Gewerkschafts- und Arbeitgebervertretern abhalten.

Durch eine strengere Regulierung von Lieferketten werden die Staaten eine neue internationale Erwartungshaltung für ein verantwortungsbewusstes Verhalten der Unternehmen schaffen. Zudem werden dadurch die Menschenrechte von Millionen von Arbeitern, wie für Ruth, besser geschützt, die in den Minen, Fabriken und auf den Feldern ums Überleben kämpfen.

Kategorien: Menschenrechte

Juliane Kippenberg

Mi, 27.05.2020 - 21:40

Juliane Kippenberg is an associate director in the Children's Rights Division of Human Rights Watch. She began working at Human Rights Watch in 1999. For more than 17 years, she has carried out human rights research on a wide range of issues. One of her areas of expertise is child labor in artisanal gold mining and the responsibility of companies.  She has also conducted extensive research and advocacy on sexual violence in the armed conflict in the Democratic Republic of Congo and on the child's right to health care. From 1999 to 2005, Kippenberg led a project for the protection and capacity building of Central African nongovernmental organizations. Prior to joining Human Rights Watch, she worked as campaigner at the International Secretariat of Amnesty International. She holds a master's degree in understanding and securing human rights from the University of London, and graduate degrees in African history and French from the University of Hamburg, Germany.

Kategorien: Menschenrechte

Gelegenheit jetzt nutzen

Mi, 27.05.2020 - 21:40
Aufklappen

Arbeiterinnen in der Snowtex-Textilfabrik in Dhamrai, bei Dhaka, Bangladesh, 19. April 2018 © 2019 AP Photo/A.M. Ahad.

© 2019 AP Photo/A.M. Ahad

Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette können nur dann wirksam gestoppt werden, wenn die genaue Herkunft der Produkte bekannt ist. Eine Koalition von 64 NGOs und Gewerkschaften in Deutschland – darunter Human Rights Watch – hat heute eine Kampagne für ein Lieferkettengesetz gestartet. Die Bundesregierung soll bis 2020 einen Gesetzentwurf vorlegen, durch den deutsche Unternehmen zu Schutzmechanismen gegen Menschenrechtsverletzungen in ihren Lieferketten verpflichtet werden.

Am 11. September 2012 brach in der Textilfabrik von Ali Enterprises in Pakistan ein Feuer aus, bei dem 255 Arbeiterinnen und Arbeiter getötet sowie 57 verletzt wurden. In der Fabrik wurde Kleidung für KiK, einem bekannten deutschen Textildiscounter, produziert. Arbeitsrechtsorganisationen haben KiK dazu gebracht, Entschädigung für die Opfer der Brandkatastrophe zu zahlen. Doch die einzelnen Glieder seiner Lieferkette hat das Unternehmen immer noch nicht offengelegt. Ähnliche Tragödien in der globalen Lieferkette anderer deutscher Firmen, die zu Menschenrechtsverletzungen oder Umweltkatastrophen geführt haben, kommen immer wieder an die Öffentlichkeit.

Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um ein wirksames Gesetz einzufordern. Die Regierungskoalition hat sich bereits in ihrem Koalitionsvertrag dazu bekannt, ein Lieferkettengesetz in Betracht zu ziehen. Die nächsten Bundestagswahlen finden im September 2021 statt. Das bedeutet, dass ein entsprechender Entwurf möglichst bald vorgelegt werden muss. Durch die Kampagne sollen Abgeordnete für ein Gesetz gewonnen sowie die Öffentlichkeit mobilisiert werden, eine Petition an Angela Merkel zu unterzeichnen.

Kampagne für ein Lieferkettengesetz Lesen Sie hier mehr

Dies wird nicht einfach sein. CDU und SPD haben schon mit sich gerungen, als es darum ging, sich auf den Nationalen Aktionsplan zu einigen, um Menschenrechte in der Lieferkette von Unternehmen besser zu schützen und einen entsprechen Mechanismus zur Überprüfung zu implementieren. Ein Gesetz ist jetzt ganz wichtig, um deutsche Unternehmen zu verpflichten, die Lieferketten einer der größten Exportnation der Welt zu schützen.

Ein deutsches Gesetz hätte auch Signalwirkung für die Europäische Union. In der zweiten Hälfte des Jahres 2020 übernimmt Deutschland die EU-Präsidentschaft. Dann ist die Bundesregierung in einer ausgezeichneten Lage, auch in Europa den Weg dafür zu ebnen, dass die Sorgfaltspflicht verbindlich wird. Dadurch würden Unternehmen in vielen weiteren Ländern dazu verpflichtet, die Menschenrechte täglich in ihren Geschäftspraktiken zu achten.

Kategorien: Menschenrechte

Sambia: Bleibelastung gefährdet Kinder

Mi, 27.05.2020 - 21:40
Aufklappen

„Drei Mädchen spielen Isolo auf dem Boden in der bleivergifteten in der Gemeinde Wabya in Kabwe. Der Boden ist die Hauptquelle für die Aufnahme von Blei in Kabwe.“

© 2018 Zama Neff/Human Rights Watch  

(Johannesburg) – Die Bleibelastung im Umfeld einer ehemaligen Blei- und Zink-Mine in Sambia beeinträchtigt die Gesundheit von Kindern massiv, so Human Rights Watch heute. Die sambische Regierung soll das Gebiet unverzüglich säubern und gewährleisten, dass alle Personen mit Bleivergiftung angemessen versorgt werden.

August 23, 2019 Report “We Have to Be Worried”

The Impact of Lead Contamination on Children’s Rights in Kabwe, Zambia

Der 88-seitige Bericht „‘We Have to Be Worried’: The Impact of Lead Contamination on Children’s Rights in Kabwe, Zambia“ untersucht die Auswirkungen der Bleibelastung in Kabwe, einer Provinzhauptstadt, auf das Recht von Kindern auf Gesundheit, eine gesunde Umwelt, Bildung und Spiel. 25 Jahre nach Schließung der örtlichen Mine sind die Kinder der umliegenden Gemeinden noch immer einer hohen Belastung durch giftiges Blei im Boden und im Staub in ihren Häusern, Hinterhöfen, Schulen, Spielplätzen und anderen öffentlichen Orten ausgesetzt. Die Maßnahmen, die die sambische Regierung gegen die Umwelt- und Gesundheitsschäden durch die weit verbreitete Bleibelastung ergriffen hat, reichen bislang nicht aus. Für Eltern ist es schwierig, ihre Kinder zu schützen.

„Die Mine in Kabwe hat auf Kosten der Kinder aus den umliegenden Gemeinden Profit gemacht. Generationen wachsen inmitten von giftigem Blei auf“, so Joanne Naples-Mitchell, Expertin für Kinderrechte bei Human Rights Watch und Autorin des Berichts. „Die sambische Regierung hat seit der Schließung der Mine im Jahr 1994 zwar eine Reihe von Versuchen unternommen, das Gebiet zu säubern. Aber für das tatsächliche Ausmaß des Problems hat sie noch keine Lösung gefunden.“

Related Content

Human Rights Watch befragte mehr als 100 Anwohner der Gemeinden im Umkreis der ehemaligen Mine, darunter auch die Eltern und Sorgeberechtigten von 60 Kindern, die seit dem Ende des letzten Säuberungsprojektes der Regierung getestet wurden und erhöhte Bleiwerte aufweisen. Die staatlichen Gesundheitseinrichtungen in Kabwe verfügen derzeit nicht über die erforderlichen Medikamente, um Chelat-Therapien zur Behandlung von Bleivergiftungen durchzuführen. Auch Test-Sets zur Feststellung von Bleivergiftungen sind nicht vorrätig. Zudem gibt es keine Datenbank, um zu dokumentieren, wenn Kinder an hohen Bleiwerten sterben oder ins Krankenhaus kommen. Zudem gibt es überall in Sambia Probleme in der Beschulung von Kindern mit Behinderungen und Lernbeeinträchtigungen. In Kabwe wird bei der Überprüfung auf Behinderungen nicht einmal ermittelt, ob Blei die Ursache sein könnte.

Human Rights Watch stand während seiner Recherchen im Austausch mit der sambischen Regierung, unter anderem mit dem Ministerium für Minen und Mineralentwicklung, und lud die Regierung ein, an der Pressekonferenz zur Veröffentlichung des Berichts teilzunehmen. Am 12. August 2019 verbot der Staatssekretär des Ministeriums für Minen Human Rights Watch schriftlich, den Bericht bei einer Veranstaltung in Lusaka zu veröffentlichen. Statt sich mit den substantiellen Ergebnissen des Berichts auseinander zu setzen, griff das Ministerium ihn als „Versuch, die Regierung zu diskreditieren“ an.

„Die einzige Gefahr für die Regierung geht davon aus, dass sie versucht, unsere Erkenntnisse zu unterdrücken – das schadet ihrer Glaubwürdigkeit“, so Naples-Mitchell. „Statt ihre Kritiker zu attackieren, soll die Regierung einen handfesten Plan vorstellen, um ihrer Verantwortung für die Menschen in Kabwe gerecht zu werden.“

Für Kinder ist eine hohe Bleibelastung besonders gefährlich, weil sie beim Spielen eher Staub und Dreck verschlucken. Zudem entwickeln sich ihre Körper und Gehirne noch. Insgesamt nehmen sie mindestens viermal so viel Blei auf als Erwachsene. Hohe Bleiwerte können Lernbeeinträchtigungen und Behinderungen verursachen, außerdem Verhaltensauffälligkeiten, Wachstumsstörungen, Anämie sowie Schäden des Gehirns, der Leber, der Niere, des Nervensystems und des Magens. In schweren Fällen können Betroffene ins Koma fallen, Krampfanfälle erleiden oder sogar sterben. Auch erhöht Blei das Risiko einer Fehlgeburt und wird über die Plazenta und die Muttermilch an das Kind weitergegeben.

„Ich habe noch kein Treffen zum Thema Bleivergiftung erlebt, kein einziges“, berichtet ein Krankenhausmitarbeiter aus der betroffenen Region. „Es ist ein Problem, dass die Fälle nicht dokumentiert werden. Sie fehlen in unseren Unterlagen. Es gibt sie einfach nicht.“

Im Zeitraum 2003 bis 2011 finanzierte die Weltbank ein Projekt der sambischen Regierung, das die betroffenen Gemeinden in Kabwe von Blei säubern und Tests und Behandlung für Kinder gewährleisten sollte.

Aber bis heute leben etwa 76.000 Menschen in Gebieten mit hoher Bleibelastung. In einer Studie aus dem Jahr 2018 schätzen Wissenschaftler, dass mehr als 95 Prozent der Kinder in den Gemeinden im Umkreis der Bleimine erhöhte Bleiwerte haben und dass mehr als die Hälfte von ihnen medizinisch behandelt werden muss.

Human Rights Watch stellte fest, dass die Müllhalden der ehemaligen Mine noch immer existieren. Umliegende Wohngebiete sind daher mit gesundheitsgefährdendem Bleistaub belastet. Die Regierung hat den Müll weder entfernt noch die Müllhalden versiegelt, zwei Verfahren, die an Orten weltweit zum Einsatz kommen, um kontaminierte Gebiete zu säubern.

Zusätzliche Gesundheitsgefahren gehen davon aus, dass bis heute in kleinerem Maßstab Blei abgebaut wird. Zudem sind die Pläne von Privatunternehmen, den mineralischen Abfall zu verarbeiten, risikoreich, wenn sie nicht engmaschig reguliert und überwacht werden.

Im Dezember 2016 begann die Regierung ein fünfjähriges, von der Weltbank finanziertes Projekt zur Säuberung bleibelasteter Gemeinden sowie zur Untersuchung und Behandlung der Anwohner. Regierungsangehörigen und Weltbanksprechern zufolge plante die Regierung, im Laufe des Jahres 2019 mit der Sanierung und den Gesundheitsmaßnahmen zu beginnen. In einem Brief an Human Rights Watch von Juli 2019 deutet die Regierung allerdings an, dass sie nicht über die erforderlichen Ressourcen verfügt, um die Bleibelastung in ihrem gesamten Ausmaß zu beheben.

Das Projekt umfasst Pläne, unter der Aufsicht des Amtsarztes von Kabwe mindestens 10.000 Kinder, schwangere Frauen und andere Personen zu testen und zu behandeln. Angesichts der Einwohnerzahl des belasteten Gebiets ist zu befürchten, dass das Projekt nicht alle betroffenen Kinder und Erwachsene erreichen wird.

Die sambische Regierung soll einen langfristigen und umfassenden Plan entwickeln, um den Folgen der Bleibelastung zu begegnen. Sie soll gewährleisten, dass Bleirückstände entweder langfristig verschlossen oder entfernt werden. Zudem soll sie die Bleibelastung in ihrem gesamten Ausmaß beheben, auch in Wohnhäusern, Schulen, Krankenhäusern und Straßen.

In der ersten Runde von Tests und Behandlungen im neuen Projekt sollen diejenigen Vorrang erhalten, die besonders stark von Bleivergiftungen gefährdet sind, insbesondere Kinder bis zum Alter von fünf Jahren sowie schwangere und stillende Frauen. Das Ziel muss allerdings sein, alle Kinder und Erwachsene in Kabwe zu untersuchen und zu behandeln. Alle Behandlungsmaßnahmen, vor allem die Chelat-Therapie, müssen mit der Säuberung der Wohnumgebung der Patienten einher gehen. Ansonsten sind sie nach der Behandlung erneut Blei ausgesetzt.

Darüber hinaus soll sich die Regierung intensiver mit Behinderungen und Lernbeeinträchtigungen auf Grund von Bleibelastung befassen, denn es ist sehr wahrscheinlich, dass Kinder in Kabwe davon betroffen sind. Schulen sollen gewährleisten, dass sie angemessen auf die Bedürfnisse der vielen Kinder mit Lernbehinderungen oder -schwierigkeiten eingehen, die mutmaßlich auf Bleivergiftungen zurückgehen. Die Kinder haben ein Recht darauf, angemessen untergebracht und individuell unterstützt zu werden.

Wenn der Bleiabbau in kleinerem Umfang fortgesetzt werden soll, soll die Regierung gewährleisten, dass alle Vorhaben lizensiert sind, regelmäßig überprüft werden und in Einklang mit Bergbaurichtlinien und Gesetzen ausgeführt werden. Die Regierung soll alle zukünftigen Projekte zur Abfallverwertung auf ihre möglichen Folgen für Menschenrechte und Umwelt hin überprüfen.

„Tausende Kinder in Kabwe leiden unter Bleivergiftungen, weil sie in kontaminierten Gemeinden aufgewachsen sind“, so Naples-Mitchell. „Die Regierung muss sich um eine langfristige Lösung kümmern, den Kindern von Kabwe eine bessere Zukunft ermöglichen und die Umgebung vom Blei säubern.“

Kategorien: Menschenrechte

Irak: Mutmaßliche minderjährige ISIS-Mitglieder willkürlich verhaftet und gefoltert

Mi, 27.05.2020 - 21:40
Aufklappen

Teenagers in einer Gefängniszelle einer Strafanstalt für Frauen und Kinder in Dohuk, Nord-Irak.

© 2017 Azad Lashkari/Reuters

(Genf) – Die Behörden des Iraks und der kurdischen Regionalregierung haben Hunderte Kinder wegen mutmaßlicher Verbindungen zum Islamischen Staat (auch bekannt als ISIS) des Terrorismus‘ angeklagt, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Die Strafverfolgung basiert häufig auf fragwürdigen Anschuldigungen und unter Folter erzwungenen Geständnissen.

Der 53-seitige Bericht „'Everyone Must Confess': Abuses against Children Suspected of ISIS Affiliation in Iraq“ zeigt, dass die irakischen Behörden und die der Regionalregierung häufig Kinder festnehmen und Verfahren gegen sie anstrengen, wenn auch nur lose Verbindungen zu ISIS angenommen werden. Sie werden dann mit Folter zu Geständnissen gezwungen und in schnellen, unfairen Verfahren zu Haftstrafen verurteilt. Unter dem Völkerrecht gelten Kinder, die von bewaffneten Streitkräften rekrutiert werden, primär als Opfer, die resozialisiert und in die Gesellschaft reintegriert werden sollten.

März 6, 2019 Report “Everyone Must Confess”

Abuses against Children Suspected of ISIS Affiliation in Iraq

„Kinder, denen Verbindungen zu ISIS vorgeworfen werden, werden inhaftiert, oft gefoltert und verurteilt, ohne dass berücksichtigt wird, ob und wie stark sie tatsächlich an Aktivitäten dieser Gruppe beteiligt waren“, so Jo Becker, Advocacy Direktorin der Abteilung für Kinderrechte bei Human Rights Watch. „Dieser pauschale, auf Strafe basierende Ansatz hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun und wird für viele der Kinder lebenslang negative Folgen haben.“

März 5, 2019 Video ISIS Child Suspects Arbitrarily Arrested, Tortured in Iraq

Children involved in armed conflict are entitled to rehabilitation and reintegration, not torture and prison.

Irakische Kinder, die wegen mutmaßlicher Verbindungen zu ISIS verhaftet wurden, berichteten, dass sie nach ihrer Entlassung Angst davor haben, nach Hause zu gehen. Denn ihre Verhaftung brandmarke sie automatisch als ISIS-Mitglieder und setzt sie der Gefahr aus, Racheakten zum Opfer zu fallen. Kinder, die in der Autonomen Region Kurdistan festgenommen wurden, befürchten eine neuerliche Verhaftung, wenn sie in von Bagdad kontrollierte Gebiete zurückkehren. Wegen ihrer Stigmatisierung könnten sie dauerhaft von ihrer Familie und ihrer Gemeinschaft getrennt bleiben.

Die irakischen Behörden und die der Regionalregierung wenden zutiefst problematische Überprüfungsmethoden an, die häufig dazu führen, dass Kinder inhaftiert und verurteilt werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob und in welchem Ausmaß sie überhaupt an Aktivitäten von ISIS beteiligt waren. Ein 17-jähriger Inhaftierter sagte beispielsweise, er habe in einem Restaurant in Mosul gearbeitet, in dem ISIS-Mitglieder bedient wurden. Er glaubt, dass sein Name auf einer Fahndungsliste steht, weil ISIS seine Daten aufgenommen hat, um ihn zu bezahlen.

Andere Minderjährige sind im Gefängnis, weil sie den gleichen Namen haben wie ein mutmaßliches ISIS-Mitglied. In vielen Fällen zeigen Nachbarn Personen wegen Verbindungen zu ISIS an, selbst wenn sie nur wenige oder gar keine Beweise vorlegen können, oder auf Grund von persönlichen Streitereien.

Human Rights Watch schätzt, dass die irakischen Behörden und die der Regionalregierung zum Jahresende 2018 etwa 1.500 Kinder wegen angeblicher Verbindungen zu ISIS festhielten. Angaben der irakischen Behörden zufolge wurden mindestens 185 ausländische Kinder des Terrorismus schuldig gesprochen und zu Haftstrafen verurteilt.

Im November 2018 befragte Human Rights Watch 29 Personen, die in der Autonomen Region Kurdistan als Minderjährige wegen des Vorwurfs inhaftiert wurden, sie unterhielten Verbindungen zu ISIS. Zudem wurden acht weitere Kinder befragt, die von den irakischen Behörden als mutmaßliche ISIS-Mitglieder verhaftet wurden, sowie Kinderschutzexperten, Anwälte vor Ort und andere Rechtsexperten. Im Jahr 2017 besuchte Human Rights Watch mehre Hafteinrichtungen in von Bagdad kontrollierten Gebieten, in den Kinder wegen mutmaßlicher Verbindungen zu ISIS inhaftiert waren.

Von den Kindern, die einräumten, Verbindungen zu ISIS unterhalten zu haben, sagten die meisten, sie hätten sich der Gruppe aus wirtschaftlicher Not angeschlossen, weil ihre Freunde oder ihre Familie sie unter Druck setzten oder weil sie vor familiären Problemen fliehen oder ihren sozialen Status verbessern wollten. Andere stritten ab, irgendetwas mit ISIS zu tun zu haben. Manche sagten, dass sie Familienangehörige hätten, die ISIS-Mitglieder seien. Die Frage, ob sie selbst für ISIS aktiv gewesen waren, ließ sich nicht unabhängig überprüfen.

Sobald ein Kind inhaftiert wird, foltern es die Sicherheitskräfte oft, bis es gesteht. 19 der 29 Jungen und jungen Männer, die in der Autonomen Region Kurdistan inhaftiert waren, gaben an, dass sie gefoltert wurden. Sie wurden unter anderem mit Plastikleitungen, Stromkabeln oder Stangen geschlagen, erhielten Stromschläge oder wurden in sogenannte Stress-Positionen gezwungen. Zu einem 17-jährigen Jungen sagten die Personen, die ihn befragten: „Du musst sagen, dass du zu ISIS gehörst. Auch wenn du das nicht tust, musst du es sagen.“

Ein anderer 17-Jähriger, der von irakischen Sicherheitskräften festgenommen wurde, sagt, dass er geschlagen und mehrfach zehn Minuten lang an seinen hinter dem Rücken gefesselten Händen aufgehängt wurde. Die Sicherheitskräfte sagten ihm, wenn er vor dem Richter abstreiten würde, dass er gestanden hätte, würde er weiter gefoltert werden.

Mehrere Kinder, die in der Autonomen Region Kurdistan in Haft sind, berichteten, dass sie dem Richter gegenüber sagten, dass ihre Geständnisse unter Folter erzwungen worden seien, aber das der Richter sie scheinbar ignorierte. Die Gesetze des Iraks und der Autonomen Region Kurdistan schreiben vor, dass die Behörden wegen Straftaten angeklagten Personen ermöglichen müssen, anwaltlichen Beistand einzuholen. Dennoch sagten die meisten befragten Jungen, dass sie nicht wissen, ob sie einen Anwalt hatten, und dass ihre Anhörungen und Prozesse nicht länger als fünf bis zehn Minuten dauerten.

Im föderalen Irak werden Kinder oft gemeinsam mit Erwachsenen in massiv überfüllten Gefängnissen und unter unhygienischen Bedingungen festgehalten, wo sie keinen Zugang zu Bildung und Resozialisierung und keinen Kontakt zu ihren Familien haben. Kinder, die in der Besserungsanstalt für Frauen und Kinder in Erbil inhaftiert sind, schildern bessere Bedingungen, etwa gutes Essen und eine von Erwachsenen getrennte Unterbringung. Dennoch erhalten Kinder, die wegen mutmaßlicher Verbindungen zu ISIS inhaftiert sind, keine Bildung, werden bis zu 48 Stunden am Stück in ihren Zellen verwahrt und dürfen während der Untersuchungshaft ihre Familien nicht anrufen. Einige berichteten davon, dass sie bei angeblichem Fehlverhalten vom Wachpersonal geschlagen werden.

Die irakische Regierung und die kurdische Regionalregierung sollen ihre Anti-Terror-Gesetze ändern, so dass Kinder nicht mehr länger nur auf Grund von einer ISIS-Mitgliedschaft inhaftiert und verurteilt werden dürfen. Damit würden sie anerkennen, dass das Völkerrecht es verbietet, Kinder für bewaffnete Gruppen zu rekrutieren. Sie sollen alle Kinder aus der Haft entlassen, die keine weiteren Verbrechen begangen haben, und ihre Resozialisierung und Reintegration gewährleisten. Kinder, die mutmaßlich andere Gewalttaten begangen haben, sollten in Einklang mit den internationalen Standards des Jugendstrafrechts behandelt werden. Zudem sollen die Behörden alle Formen von Folter beenden, die Verantwortliche ermitteln und zur Verantwortung ziehen.

„Dass der Irak und die kurdische Regionalregierung so hart mit Kindern umgehen, sieht eher nach blinder Rache als nach Gerechtigkeit für die Verbrechen von ISIS aus“, so Becker. „Kinder, die an bewaffneten Konflikten beteiligt waren, haben ein Recht auf Resozialisierung und Reintegration, nicht auf Folter und Gefängnis.“

Kategorien: Menschenrechte

Eine glänzende Gelegenheit für den Goldsektor

Mi, 27.05.2020 - 21:40
Aufklappen

A boy and a girl work in a small gold mine in Amansie West district, Ghana.

© 2016 Juliane Kippenberg for Human Rights Watch

In den nächsten Wochen kommt auf den Ständerat eine große Entscheidung zu: Sollen Schweizer Unternehmen dazu verpflichtet werden, eine menschenrechtliche Sorgfaltsprüfungspflicht für ihr globales Handeln einzuführen?

Schweizer Geschäfte und Unternehmen beziehen ihre Rohstoffe und Produkte oft aus weit entfernten Ländern und gehen damit erhebliche Risiken für den Schutz der Menschenrechte ein. Ein Beispiel dafür ist die Lieferkette für Gold: regelmäßig werden Menschenrechtsverletzungen im Goldsektor aufgedeckt. Ein Bericht der Schweizer Regierung zum Thema hat kürzlich bestätigt, dass der Goldsektor erhebliche Risiken darstellt.

Während meinen Nachforschungen in Ghana, Mali, Tansania und den Philippinen habe ich mit eigenen Augen gesehen wie Kinder und Jugendliche in kleinen, informellen Minen unter gefährlichsten Bedingungen Gold schürfen. Sie arbeiten in oder nahe einsturzgefährdeten Schächten, graben unter Wasser in Flussbetten nach Gold-Erz und benutzen giftiges Quecksilber, um das Rohgold aus dem Erz zu gewinnen. Manche tragen gesundheitliche Schäden davon; einige sind sogar bei Minenunfällen gestorben. In Eritrea und Papua-Neuguinea hat Human Rights Watch dokumentiert, wie industrielle Goldminen Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen wie Zwangsarbeit und Vergewaltigung tragen.

Damit Unternehmen nicht zu Menschenrechtsverletzungen beitragen, sollten sie Sorgfaltsprüfungen durchführen—das heißt, Menschenrechtsrisiken in der Lieferkette prüfen und Maßnahmen ergreifen, um diesen Risiken entgegenzuwirken. Wir haben kürzlich die menschenrechtlichen Sorgfaltsprüfungen von 13 großen Juwelieren untersucht, unter anderem Rolex, Chopard und Harry Winston, das der Schweizer Firma Swatch gehört. Es hat sich herausgestellt, dass die meisten Firmen nicht genug tun, um transparent zu sein, die Lieferkette vollständig zu kennen und Menschenrechtsrisiken zu erfassen. Rolex macht gar keine Informationen über seine Lieferkette öffentlich, und Harry Winston macht nur sehr wenig über seine Sorgfaltsprüfungen publik. Während Chopard sehr viel transparenter in Bezug auf seine Goldlieferkette, ist Chopards Diamantenlieferkette ebenfalls undurchsichtig.  

Es gibt zahlreiche freiwillige Standards und Zertifizierungssystem, um Menschenrechte in Lieferketten besser zu schützen, insbesondere durch freiwillige Standards und Zertifizierungen. Aber die Umsetzung dieser Standards hängt komplett vom Willen einzelner Unternehmen ab. Dazu entsprechen Standards oft auch nicht den internationalen Normen für verantwortliche Lieferketten, wie sie die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und—für die Minerallieferkette—die Richtlinie der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) einfordern.

Ein Beispiel im Goldsektor ist der Verhaltenskodex des internationalen Juweliersverbands Responsible Jewellery Council. Dieser fällt hinter internationale Menschenrechtsstandards für Lieferketten zurück, und bei der Zertifizierung wird meist nicht die Lieferkette nachverfolgt—so können mögliche Menschenrechtsprobleme bei der Förderung oder Weiterverarbeitung von Gold nicht ausgeschlossen werden. Die OECD hat letztes Jahr eine detaillierte Studie veröffentlicht, die zeigt, wie die Standards des RJC und anderen Industrieverbänden der Minerallieferkette hinter der internationalen Richtlinie zurückbleiben und ausreichend in die Praxis umgesetzt werden.

Nun besteht für die Schweiz die Möglichkeit, Firmen aller Sektoren für ihr Handeln in die Verantwortung zu nehmen. Im Juni 2018 hat der Nationalrat beschlossen, dass Großunternehmen internationale, durch die Schweiz ratifizierte Menschenrechts- und Umweltverträge auch im Ausland respektieren sollen. Hierzu müssen Unternehmen eine Sorgfaltsprüfung im Bereich der Menschenrechte durchführen. In besonders schwerwiegenden Fällen können Konzerne auch für Tochterunternehmen haften. Der Beschluss erfolgte als Reaktion auf die Konzernverantwortungsinitiative der Zivilgesellschaft, in Form eines Gegenvorschlags. Darin wurden wichtige Elemente der Konzernverantwortungsinitiative aufgenommen. Er geht allerdings insbesondere in Fragen der Konzernhaftung weniger weit als die ursprünglichen Forderungen.

Im Februar wird nun die Rechtskommission des Ständerats über die Initiative und den Gegenvorschlag beraten. Die Kommission sollte diese außergewöhnliche Gelegenheit nutzen um ein wirksames Gesetz für verbindliche Regeln zum Schutz von Menschenrechten und Umwelt durch Unternehmen im Einklang mit den einschlägigen internationalen Standards zu verabschieden.  

Die Verabschiedung eines solchen Kompromiss-Gesetzes wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Andernfalls liegt es in der Hand der Stimmbevölkerung mittels der Konzernverantwortungsinitiative einen Wandel herbeizuführen. Solange Regierungen es den Unternehmen überlassen, freiwillig Schritte zu ergreifen, wird eine systematische Sorgfaltsprüfung der Unternehmen die Ausnahme bleiben.

Kategorien: Menschenrechte

Wie steht es mit den Menschenrechten?

Mi, 27.05.2020 - 21:40

Aufklappen

“Geschenke (Symbolbild)”

George Dolgikh/Pexels

Auch dies Jahr drängen sich die Kunden beim Weihnachtseinkauf wieder in den Innenstädten durch die Geschäfte. Schmuck ist und bleibt dabei ein beliebtes Weihnachtsgeschenk und macht einen wichtigen Teil des Umsatzes in der Branche aus.

Die wenigsten denken beim Kauf eines Schmuckstücks zu Weihnachten wohl an Menschenrechte. Wenn sie es tun, dann erinnern sie sich, dass es doch jetzt Zertifikate und Kontrollen gibt, damit Minengewinne nicht an Kriegsherren gehen. Und doch – Menschenrechtsverletzungen sind in manchen Gold- und Diamantenminen an der Tagesordnung. Kinder verunglücken immer wieder bei der Schwerstarbeit in kleinen Gold- und Diamantenminen. Anwohner von Minen erleben, wie industrielle Minen Wasserläufe mit giftigen Chemikalien verseuchen. Und Zivilisten leiden massiv, wenn bewaffnete Gruppen sich am Abbau von Diamanten oder Gold bereichern.

Viele Juweliere sagen, sie haben hohe ethische Standards in ihren Lieferketten. Aber was genau sind diese Standards, und wie werden sie in die Praxis umgesetzt? Um dies herauszufinden, haben wir bei Human Rights Watch letztes Jahr eine Untersuchung über die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht von 13 führenden Schmuck- und Uhrenherstellern begonnen. Auch Christ, einer der größten deutschen Juweliere, war dabei und enttäuschte mit mangelnder Transparenz und unzureichender Prüfung von Menschenrechtsrisiken. Die Webseite hatte schlicht überhaupt keine Informationen zu Unternehmensverantwortung.

Umso ermutigender, dass Christ kürzlich einen wichtigen Schritt hin zu mehr Transparenz getan hat. Seit kurzem macht Christ seine Anforderungen an Lieferanten öffentlich. Diese sind nun Teil einer neuen Internetseite mit dem Titel „Unsere Verantwortung“ und beeinhalten zum Beispiel das Verbot von Kinder-und Zwangsarbeit sowie zahlreiche arbeitsrechtliche und Umweltstandards.

Transparenz ist nötig. Mit öffentlichen Erklärungen und Berichten legen Firmen Rechenschaft ab und erkennen an, dass sie Verantwortung tragen. So verlangen es auch die internationalen Normen und der Aktionsplan der Bundesregierung zu Menschenrechten in Lieferketten. Nur wenn Unternehmen über ihre Anstrengungen öffentlich Bericht erstatten, können ihre Worte an ihrem Handeln gemessen werden – zum Beispiel von Verbrauchern, Arbeitnehmern in Lieferketten oder einer interessierten Öffentlichkeit. Einige der von uns untersuchten Firmen, wie zum Beispiel Pandora und Tiffany, legen daher bereits jährlich einen detaillierten Bericht ab über ihre Bemühungen, Menschenrechte in Lieferketten zu schützen.

Auch bei Christ ist nun ein erster wichtiger Schritt in Richtung Transparenz getan. So können sich die Verbraucher selbst ein Urteil bilden und Fragen stellen. Ein Nachhaltigkeitsbericht wäre ein guter nächster Schritt—auch, um zu erklären, warum Christ nun einen zweiten, zusätzlichen „Code of Conduct“ eingeführt hat auch und woher Christs Gold und Diamanten kommen.

Schmuck verbraucht die Hälfte des Goldes und mehr als die Hälfte der Diamanten weltweit. Der Abbau dieser Mineralien ist nur dann legitim, wenn er nicht zu Menschenrechts-verletzungen und Umweltzerstörung führt. Wer diese Weihnachten Schmuck kauft, bei welchem Juwelier auch immer, sollte Juweliere an ihre Verantwortung erinnern und dazu auffordern, transparenter zu werden werden.

 

Kategorien: Menschenrechte

EU: Schüler mit Behinderungen an Europäischen Schulen mit Barrieren konfrontiert

Mi, 27.05.2020 - 21:40

Aufklappen

Ein 13-jähriger Junge mit einer Lernbehinderung macht Hausaufgaben. Er musste eine Europäische Schule verlassen. Die Schule hatte erklärt, sie könne ihn nicht angemessen unterstützen.

© 2018 Lea Labaki/Human Rights Watch (Brüssel) – Die Europäischen Schulen, ein Netzwerk aus 13 von den EU-Staaten gegründeten Schulen, tun nicht genug, um den Bedürfnissen von Kindern mit Behinderungen gerecht zu werden, so Human Rights Watch und das European Disability Forum in einem heute veröffentlichten Bericht. Die Schulen werden hauptsächlich von Kindern besucht, deren Eltern bei der Europäischen Union arbeiten.

Der 22-seitige Bericht „‘Sink or Swim’: Barriers for Children with Disabilities in the European School System“ kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Europäischen Schulen zwar zunehmend um Inklusion bemühen. Kinder mit Behinderungen sind aber noch immer mit Problemen konfrontiert. Sie werden abgelehnt, dazu gedrängt, die Schule zu wechseln, oder werden nicht angemessen unterstützt, damit sie in einem inklusiven Umfeld lernen und sich weiterentwickeln können.

„Wie können die EU-Institutionen behaupten, für Inklusion und Vielfalt einzustehen, wenn sie den Bedürfnissen der Kinder ihrer eigenen Mitarbeiter nicht gerecht werden?“, fragt Lea Labaki, Mitarbeiterin der Abteilung für die Rechte von Menschen mit Behinderungen bei Human Rights Watch. „Das System der Europäischen Schulen steht im Zentrum des europäischen Projekts – und bietet Kindern mit Behinderungen nicht die umfassend inklusive Bildung, die ihnen zusteht.“

Beim nächsten halbjährigen Treffen des Vorstands der Europäischen Schulen vom 4. bis 7. Dezember 2018 steht auch eine Diskussionen über einen internen Bericht über inklusive Bildung und eine Evaluierung der Bildungsförderung auf der Tagesordnung. Der Vorstand soll bei dieser Gelegenheit konkrete Maßnahmen entwickeln, um die Inklusion von Kindern mit Behinderungen in den Europäischen Schulen voranzubringen.

Human Rights Watch hat die Fälle von zwölf Kindern und einem jungen Erwachsenen mit unterschiedlichen Behinderungen dokumentiert, die auf die vier Europäischen Schulen in Brüssel und eine in Luxemburg gingen oder denen der Besuch einer dieser Schulen in den letzten fünf Jahren verweigert wurde. Zudem wurden 27 Personen befragt, darunter Kinder, Eltern, Schulleiter, Koordinatoren von Unterstützungsmaßnahmen, Experten für inklusive Bildung, das Büro des Europäischen Bürgerbeauftragten, Mitarbeiter der mit Personalfragen und Sicherheit befassten Generaldirektion der Europäischen Kommission und den stellvertretenden Generalsekretär der Europäischen Schulen.

„Zwar hat es im Laufe der Zeit ein paar Verbesserungen gegeben, aber das Schicksal der Schüler mit Behinderungen ist noch immer besorgniserregend“, so Yannis Vardakastanis, Präsident des European Disability Forum. „Wir wollen, dass die Europäischen Schulen ein Leuchtturm für ganz Europa werden, sich in jeglicher Hinsicht für Vielfalt einsetzen und gewährleisten, dass inklusive Bildung allen Schülern mit Behinderungen offen steht.“

Die EU und ihre 28 Mitgliedstaaten haben die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ratifiziert, die das Recht von Kindern mit Behinderungen auf inklusive Bildung garantiert.

Trotz der Verpflichtungen, die die Staaten unter dieser Konvention haben, lassen die Europäischen Schulen zu, dass Kinder mit Behinderungen ausgeschlossen werden. In ihrer Richtlinie über Bildungsförderung ist festgehalten, dass die „Europäischen Schulen kein vollumfänglich inklusives Bildungssystem anbieten… [D]ie Schule hat das Recht, festzustellen, dass sie nicht in der Lage ist, den Bedürfnissen des Schülers gerecht zu werden.“

Neun befragte Eltern schilderten, dass sie sich unter Druck gesetzt fühlten, ihr Kind von der Schule zu nehmen. Einige berichteten zudem, dass sie sich durch Schulmitarbeiter belästigt fühlten, die sie wiederholt anriefen, um sich über das Verhalten oder die schulischen Leistungen ihres Kindes zu beschweren.

„Louise“, ein 15-jähriges Mädchen mit Legasthenie, verließ eine Europäische Schule, nachdem sie Jahre lang darum gekämpft hatte, dass auf ihre Lernbeeinträchtigung Rücksicht genommen wird, zum Beispiel, indem ihr Recht anerkannt wird, Fotos von der Tafel zu machen. „Die Schule war wie ein Ameisenhaufen. Jedes Jahr haben sie die besten ausgesiebt, um nur die Elite zu behalten“, sagt sie. „Bei denjenigen von uns, an denen irgendetwas 'defizitär' war, haben sie alles getan, um uns loszuwerden. Sie wollten, dass wir uns so schlecht fühlen, dass wir freiwillig gehen.“

Unter der UN-Konvention haben Kinder mit Behinderungen das Recht auf individualisierte Unterstützungsmaßnahmen und ein vernünftiges Maß an Entgegenkommen in der Schule. Dazu zählen angepasste Lehrmethoden, Materialien und Programme, Unterstützungstechnologien und alternative Prüfungsformate. Eltern zufolge erhalten Kinder solche Unterstützung nicht systematisch, sondern nur, wenn die jeweiligen Schulmitarbeiter dazu bereit sind.

Zudem bieten die Europäischen Schulen nur einen einzigen Lehrplan an, der zum Europäischen Abitur führt und der nicht an die unterschiedlichen Bedürfnisse, Stärken, Herausforderungen und Lernstile von Kindern mit Behinderungen angepasst werden kann. In einem Fall sagte der Schulleiter den Eltern eines Jungen mit Lernbeeinträchtigung, dass er in die Sekundarstufe versetzen werden könne, dort aber nie mithalten können werde und die Schule ihm „nur eine Art Tagesbetreuung“ anbieten könne.

Die 13 Europäischen Schulen in Belgien, Luxemburg, Deutschland, Spanien, den Niederlanden und Italien unterrichten 27.000 Kinder in 20 EU-Sprachen. Zwar gibt es keine Angaben zur Zahl der Schüler mit Behinderungen, aber knapp vier Prozent erhalten intensive Unterstützung „wegen besonderer Bildungsbedürfnisse“ und darunter sind viele Kinder mit Behinderungen.

Die Europäischen Institutionen gewähren Mitarbeitern einen Zuschuss, um Kinder mit Behinderungen auf eine private Schule zu schicken, bei denen jährlich Schulgebühren von bis zu 50.000 € fällig sind. Allein die Europäische Kommission finanziert derzeit den Schulbesuch von schätzungsweise 70 Kindern mit einem Gesamtbudget in Höhe von über 1,5 Millionen €, eine nicht zu unterschätzende Aufwendung von EU-Mitteln.

Die meisten der befragten Eltern sagten, dass einige Lehrer und Assistenten ihre Kinder mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützten und dass sich die grundsätzliche Einstellung in eine gute Richtung entwickele.

Damit solche positiven Erfahrungen der Normalfall werden, soll der Vorstand eine Richtlinie über inklusive Bildung verabschieden, Weiterbildungsmaßnahmen für Lehrer entwickeln und den Lehrplan flexibler gestalten. Die Europäische Kommission, die mehr als die Hälfte des Budgets der Europäischen Schulen zur Verfügung stellt, soll diesen Prozess vorantreiben und gewährleisten, dass ihre Gelder zu einem inklusiven System beitragen.

„Auch wenn die Mitarbeiter der Europäischen Schulen Anpassungen vornehmen, sollte es nicht von ihrem guten Willen abhängen, ob die Bedürfnisse von Kindern mit Behinderungen berücksichtigt werden“, so Labaki. „Die Europäischen Schulen sollen sich in ihren Richtlinien und ihrer Praxis zu inklusiver Bildung verpflichten und dafür angemessen Ressourcen zur Verfügung stellen.“

Kategorien: Menschenrechte

Griechenland: Asylsuchende Kinder erhalten keine Schulbildung

Mi, 27.05.2020 - 21:40
Juli 18, 2018 Video Greece: Asylum-Seeking Kids Should Be In School

Greece is denying thousands of asylum-seeking children their right to an education because of a European Union-backed migration policy that traps them on the Aegean islands.

(Athen) – Griechenland verweigert Tausenden von asylsuchenden Kindern ihr Recht auf Bildung. Der Grund dafür ist eine von der Europäischen Union unterstützte Migrationspolitik, durch die sie auf den ägäischen Inseln festsitzen, so Human Rights Watch heute.

Der 51-seitige Bericht „‘Without Education They Lose Their Future’: Denial of Education to Child Asylum Seekers on the Greek Islands“ zeigt, dass weniger als 15 Prozent der mehr als 3.000 schulpflichtigen Kinder auf den Inseln zum Ende des Schuljahres 2017-2018 in einer öffentlichen Schule angemeldet waren und dass in den von der Regierung verwalteten Camps auf den Inseln nur etwa 100 Kinder, alle im Vorschulalter, Zugang zu formaler Bildung hatten. Den asylsuchenden Kindern auf den Inseln werden die Bildungsmöglichkeiten auf dem Festland verwehrt. Die meisten derjenigen, die zur Schule gehen konnten, durften die von der Regierung geführten Lager verlassen. Sie wurden dann in Unterkünften untergebracht, die von den lokalen Behörden und Freiwilligen betreut werden.

„Griechenland soll seine Politik aufgeben, Asylsuchende und ihren Familien auf den Inseln festzusetzen, da sich die Regierung seit zwei Jahren als unfähig erwiesen hat, diesen Kinder dort eine Schulbildung zu ermöglichen“, so Bill Van Esveld, Kinderrechtsexperte von Human Rights Watch. „Kinder auf den Inseln zu lassen, wo sie nicht zur Schule gehen können, schadet ihnen und verstößt zudem gegen griechisches Recht.“

Human Rights Watch führte Interviews mit 107 schulpflichtigen Kindern von Asylsuchenden und Migranten auf den Inseln und befragte Beamte des Bildungsministeriums, UN-Mitarbeiter und lokale Hilfsgruppen. Zudem wurde die entsprechende Gesetzgebung geprüft.

Die griechische Regierung verfolgt eine von der EU unterstützte Politik, Asylsuchende, die auf dem Seeweg aus der Türkei ankommen, auf den Inseln festzuhalten, bis über ihre Asylanträge entschieden wurde. Die Regierung behauptet, dies sei nach dem Migrationsabkommen zwischen der EU und der Türkei vom März 2016 notwendig. Der Prozess soll schnell vonstattengehen, und besonders schutzbedürftige Menschen sollen hiervon ausgenommen werden. Human Rights Watch sprach jedoch mit Familien, die bis zu elf Monate in den Lagern festsaßen, oft wegen langer Wartezeiten auf ihre Asylanhörungen oder weil sie gegen ihre Ablehnung Widerspruch eingelegt hatten.

Zwar hat die Regierung seit November mehr als 10.000 Asylbewerber auf das Festland überführt, sie weigert sich jedoch, die Eindämmungspolitik zu beenden. Das höchste Gericht Griechenlands hat die Vorgehensweise für Neuankömmlinge im April 2018 abgelehnt. Anstatt dieses Urteil umzusetzen, erließ die Regierung jedoch eine Verwaltungsentscheidung und verabschiedete ein Gesetz zur Wiedereinführung der Politik.

Nach griechischem Recht ist der Unterricht für Kinder im Alter von 5 bis 15 Jahren kostenlos und obligatorisch. Dies gilt auch für asylsuchende Kinder. Das Völkerrecht garantiert allen Kindern das gleiche Recht auf Primär- und Sekundarschulbildung, frei von Diskriminierung. Kinder in Camps auf dem griechischen Festland, die nicht unter die Eindämmungspolitik fallen, konnten sich für eine formale Schulbildung anmelden.

Nach Angaben der Generaldirektion Humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz der Europäischen Kommission (ECHO), ist „Bildung entscheidend“ für Mädchen und Jungen, die von Krisen betroffen sind. Demnach könne Bildung ihnen ein Gefühl von Normalität und Sicherheit zurückgeben und wichtige Lebenskompetenzen vermitteln. Bildung sei eine der bestmöglichen Investitionen in ihre langfristige Zukunft und in den Frieden, die Stabilität und das Wirtschaftswachstum ihrer Heimatländer.

Ein 12-jähriges Mädchen aus Afghanistan, das seit sechs Monaten in einem von der Regierung geführten Lager auf den Inseln ausharrte, sagte, sie sei sieben Jahre lang zur Schule gegangen, bevor sie vor dem Konflikt geflohen sei. Ihr Wunsch sei es, wieder eine Schule zu besuchen. „Ohne Schulbildung haben wir keine Zukunft, und wir werden nicht erfolgreich sein, weil wir keine Bildung erhalten und keine anderen Sprachen sprechen können“, sagte sie.

Mehrere nichtstaatliche Gruppen bieten Kindern, die auf den Inseln Asyl suchen, eine nicht formale Bildung an. Aber die Mitarbeiter sagten, dies sei kein Ersatz für eine reguläre Schulbildung. Eine dieser provisorischen Schulen darf einen einzigen Container im staatlichen Lager Moria auf Lesbos in Teilzeit nutzen. Dies bedeutet, dass die Kinder nur 1,5 Stunden am Tag unterrichtet werden können. „Sie tun ihr Bestes und wir sind dankbar dafür, aber es ist keine richtige Schule“, sagte ein Vater.

Andere bieten den Transport zu externen Schulen an, können aber keine Kinder mitnehmen, die zu jung sind, um allein dorthin zu fahren. Einige Schüler, die außerhalb der von der Regierung geführten Lager leben, erhalten eine nicht formale Schulbildung und werden zudem von Freiwilligen oder nichtstaatlichen Gruppen unterstützt, um sich in öffentlichen Schulen anzumelden. So halfen Freiwillige einem 13-jährigen kurdischen Jungen, der im Flüchtlingscamp Pikpa auf Lesbos lebt, dem jetzt die Schließung droht, sich in einer öffentlichen Schule anzumelden, wo er bereits am Unterricht auf Griechisch teilnehmen kann.

Eltern und Lehrer sagten, dass die Routine des Schulbesuchs Asyl suchenden Kindern helfen könne, sich von traumatischen Erfahrungen in ihren Heimatländern und während ihrer Flucht zu erholen. Aber der fehlende Zugang zu Schulbildung, verbunden mit Lücken in der psychologischen Betreuung, verschärft den Stress und die Angst, die durch den monatelangen Aufenthalt in den unsicheren, überfüllten Lagern entstehen. Ein 17-jähriges Mädchen, das in Marokko vergewaltigt worden war, sagte, dass die Verhältnisse im Lager von Samos „mich daran erinnern, was ich durchgemacht habe. Ich hatte gehofft, in Sicherheit zu sein.“

Das griechische Ministerium für Migrationspolitik, das für die Eindämmungspolitik und die Camps auf den Inseln verantwortlich ist, beantwortete keine Fragen von Human Rights Watch zur Schulbildung von Kindern von Asylsuchenden und Migranten auf den Inseln. Mehrere Bildungsanbieter sagten, dass es keine ausreichende Transparent gebe, welche Rolle das Migrationsministerium bei Bildungsfragen auf den Inseln spiele. Ein Ausschuss des Bildungsministeriums für Flüchtlingsbildung berichtete 2017, dass das Migrationsministerium einige Pläne zur Verbesserung des Zugangs zu Bildung auf den Inseln blockiert habe.

Das Bildungsministerium hat zwei Schlüsselprogramme eingerichtet, um asylsuchenden Kindern in ganz Griechenland zu helfen, die kein Griechisch sprechen und die vielleicht schon seit Jahren keine Schule mehr besucht haben, damit diese sich in die formalen Bildungsstrukturen integrieren und erfolgreich sein können. Beide Programme schließen jedoch die meisten Kinder in staatlich geführten Lagern auf den Inseln aus.

Im Jahr 2018 eröffnete das Ministerium in einigen Lagern auf den Inseln Vorschulen, und im Mai konnten sich 32 Kinder in einem Lager einer lokalen Gemeinde auf Lesbos in Grundschulen anmelden, obwohl das Schuljahr bereits im Juni endete. Das Ministerium teilte mit, dass im Schuljahr 2017-2018 mehr als 1.100 asylsuchende Kinder in Schulen auf den Inseln angemeldet waren. Viele darunter verließen die Inseln offenbar noch vor Ende des Jahres.

Ein im Juni verabschiedetes Gesetz schafft mehr Klarheit über das Recht der Asylsuchenden auf Bildung, und am 9. Juli teilte das Bildungsministerium Human Rights Watch mit, dass es im Schuljahr 2018-2019 15 zusätzliche Klassen für asylsuchende Kinder auf den Inseln eröffnen wolle. Dies wäre ein positiver Schritt, wenn er, anders als in den Vorjahren angekündigt, auch fristgerecht umgesetzt wird. Jedoch könnten auch dann die meisten schulpflichtigen Kinder von Asylsuchenden und Migranten auf den Inseln nicht zur Schule gehen, es sei denn, die Anzahl der Kinder ginge zurück.

„Griechenland hat weniger als zwei Monate Zeit, um sicherzustellen, dass Kinder, die auf der Reise ihr Leben riskiert haben, zu Beginn des Schuljahres zur Schule gehen können - eine Frist, die bislang nie eingehalten wurde“, so Van Esveld. „Die Europäische Union soll Griechenland ermutigen, dass den Kindern ihr Recht auf Bildung gewährt wird. Die Eindämmungspolitik soll beendet und asylsuchenden Kinder und ihren Familien ermöglicht werden, die Inseln zu verlassen. Nur so können sie die Ausbildung und die Leistungen erhalten, die sie benötigen.“

Kategorien: Menschenrechte

Juweliere, übernehmt Verantwortung!

Mi, 27.05.2020 - 21:40
Aufklappen

Ein Junge und ein Mädchen arbeiten in einer kleinen Mine im Distrikt Amansie West, Ghana.

© 2016 Juliane Kippenberg für Human Rights Watch.   Diese Woche beginnt die Baselworld, eine der gößten Schmuck-und Uhrenmessen weltweit. Besucher werden viel über neues Design bei Uhren und Schmuck erfahren. Aber wieviel wird über die menschenrechtlichen Bedingungen zu erfahren sein, unter denen Gold und andere Rohstoffe für Schmuck und Uhren gefördert wurden?   Beim Abbau von Gold kommt es immer wieder zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen. Für Human Rights Watch haben meine Kollegen und ich Mißstände in Goldminen in den Philippinen, Papua Neu Guinea Ghana, Mali, Nigeria, Tansania, Uganda und Eritrea dokumentiert.   Wir haben genauer untersucht, was Juweliere und Uhrenfirmen tun, um sicherzustellen, dass sie nicht zu Menschenrechtsverletzungen in ihren Gold- und Diamantenlieferketten beitragen. Dazu haben wir 13 führende Schmuck- und Uhrenhersteller unter die Lupe genommen; gemeinsam haben die Firmen einen Jahresumsatz von 30 Milliarden Dollar. Unter ihnen sind auch Bulgari, Chopard, Harry Winston und Rolex.   Bei unserer Untersuchung stellte sich heraus, dass die meisten Firmen nicht wissen, woher ihr Gold und ihre Diamanten kommen, und daß sie menschenrechtliche Risiken nicht ausreichend prüfen. Zudem veröffentlichen Schmuck-und Uhrenhersteller—auch Bulgari, Chopard und Harry Winston—meist nur wenige allgemeine Informationen über ihre Lieferketten und Menschenrechtsrisiken. Einige Unternehmen, wie zum Beispiel Rolex, veröffentlichen sogar überhaupt keine Informationen über ihre Lieferketten und die damit verbundene Unternehmensverantwortung.   Als wir mit den 13 Unternehmen vor mehr als einem Jahr in Kontakt traten, wiesen viele auf ihre Zertifizierung durch den Responsible Jewellery Council (RJC) hin. Für die Firmen war dies ein Beleg dafür, daß sie verantwortlich handeln. Der RJC ist ein industrienaher Verband mit mehr als 1.000 Mitgliedern, der Mitglieder für die Umsetzung seines „Code of Practices“-Standards zertifiziert. Der Standard ist allgemein und unpräzise, und verlangt von den Firmen nicht, dass sie ihre Lieferkette kennen. Die Einhaltung wird unzureichend überprüft und der Prozeß der Zertifizierung ist undurchsichtig. Der Standard fällt selbst hinter die von der OECD entwickelten Richtlinien zurück.   Alle Schmuck-und Uhrenhersteller haben eine Verantwortung für ihre Lieferketten. Konsumenten drängen zunehmend daraufhin, dass Firmen diese Verantwortung wahrnehmen. Und nicht nur das—internationale Normen über die „Sorgfaltspflicht“ machen klar, dass Firmen die Risiken für Menschenrechtsverletzungen in ihren Lieferketten detailliert untersuchen und gegebenenfalls darauf reagieren sollten. Auch Juweliere und Uhrenhersteller sollten daher ihre Wertschöpfungskette kennen und Zulieferer darauf verpflichten, ihnen schriftliche Informationen über alle Schritte bis zurück zur Mine zu geben. Im Interesse der Transparenz sollten die Unternehmen außerdem öffentlich darlegen, welche Maßnahmen der Sorgfaltspflicht sie ergreifen. Vermehrt wird in der Schweiz und anderswo darauf gedrängt, daß eine solche Sorgfaltspflicht in Lieferketten für Unternehmen rechtlich bindend wird. Denn freiwillige Standards nicht aus, um die Großzahl der Unternehmen zum Handeln zu bewegen.   Einige wenige Firmen gehen dennoch mit gutem Beispiel voran.  Aus den von uns untersuchten Unternehmen sticht Tiffany and Co. heraus, weil es sein Gold bis zur Mine zurückverfolgen kann und die menschenrechtlichen Auswirkungen seiner Geschäftsaktivitäten umfassend prüft. Une eine wachsende Zahl von Schmuckherstellern– insbesondere kleine Juweliere - bemüht sich darum, Gold aus kleinen Minen zu beziehen, in denen die Menschenrechte gewahrt werden. Ein Beispiel hierfür ist der “Fairmined”-Standard, der Minen zur Einhaltung klar festgelegter arbeitsrechtlicher Standards für die Zertifizierung verpflichtet und diese regelmäßig prüft. Interessanterweise bezieht auch Chopard einen kleinen Teil seines Goldes aus diesen Minen—ein Schritt in die richtige Richtung. Es ist aber enttäuschend, daß Chopard über die Lieferkette für den weitaus größeren Teil seines Goldes bis jetzt keine Auskunft gibt.   Es wird Zeit, daß alle Juweliere und Uhrenhersteller auf der Baselworld offenlegen, woher ihr Gold kommt und was sie für den Schutz der Menschenrechte in ihren Lieferketten tun.
Kategorien: Menschenrechte

Valentinstag: Schmutzige Schmuck-Lieferketten

Mi, 27.05.2020 - 21:40
Aufklappen

Ein Mädchen arbeitet in einer kleinen Diamantenmine in Sosso Nakombo in der Zentralafrikanischen Republik nahe der Grenze zu Kamerun, August 2015. 

© Marcus Bleasdale für Human Rights Watch, 2015.

(London) – Schmuck- und Uhrenhersteller müssen mehr tun, um zu gewährleisten, dass es in ihren Lieferketten nicht zu Menschenrechtsverletzungen kommt, so Human Rights Watch in einem heute kurz vor dem Valentinstag veröffentlichten Bericht. 29 Zivilgesellschaftliche Gruppen und Gewerkschaften riefen die Schmuckindustrie gemeinsam dazu auf, ihr Beschaffungswesen zu verbessern.

Der 99-seitige Bericht „The Hidden Cost of Jewelry: Human Rights in Supply Chains and the Responsibility of Jewelry Companies“ untersucht die Gold- und Diamantenbeschaffung von 13 führenden Schmuck- und Uhrenherstellern, die gemeinsam einen Jahresumsatz von 30 Milliarden US$ generieren – etwa zehn Prozent der weltweiten Schmuckverkäufe.

Der Bericht geht auch auf die menschenrechtswidrigen Bedingungen ein, unter denen Edelminerale und -metalle zum Teil gefördert werden. Kinder werden verletzt oder sterben bei Schwerstarbeit in kleinen Gold- und Diamantenminen. Kommunen sind von Gesundheits- und Umweltproblemen betroffen, weil Minen Wasserläufe mit giftigen Chemikalien verseuchen. Und Zivilisten leiden massiv, wenn bewaffnete Gruppen sich am Abbau bereichern.

„Viele Schmuckhersteller können mehr tun, um zu prüfen, ob ihr Gold oder ihre Diamanten mit Kinderarbeit oder anderen Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang stehen“, so Juliane Kippenberg, stellvertretende Leiterin der Abteilung Kinderrechte bei Human Rights Watch. „Wenn man zum diesjährigen Valentinstag ein Schmuckstück für seine Lieben kauft, sollte man den Juwelier danach fragen, was er über dessen Herkunft weiß.“

Februar 8, 2018 Video The Hidden Cost of Jewelry

Jewelry and watch companies need to do more to ensure that their supply chains are free of human rights abuse.

Human Rights Watch hat umfassende Untersuchungen in zahlreichen Ländern durchgeführt, in denen die Lieferketten von menschenrechtswidrigen Praktiken durchzogen sind, insbesondere von Kinderarbeit. In einem Bericht über die Situation auf den Philippinen aus dem Jahr 2015 schildert ein 16-jähriger Junge, wie er auf der Suche nach Gold nur mit einem Luftschlauch tauchen geht und jedes Mal riskiert, zu ertrinken.

Edelminerale und -steine werden in Dutzenden Ländern überall auf der Welt gefördert und dann in der Regel verkauft, exportiert und in anderen Ländern weiterverbreitet. Zwar sind die Lieferketten zum Teil lang und komplex, aber nichtsdestotrotz tragen Juweliere und Uhrmacher die Verantwortung dafür, zu gewährleisten, dass sie an keinem Punkt entlang dieser Ketten zu Menschenrechtsverletzungen beitragen.

Der Bericht kommt zu dem Ergebnis, dass die meisten der 13 Schmuckhersteller internationale Standards für verantwortungsvolle Beschaffung nicht einhalten. Unter den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte sind Unternehmen dazu verpflichtet, Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die als „menschenrechtliche Sorgfaltspflicht“ bezeichnet werden. Diese beinhaltet, dass Unternehmen Auswirkungen ihrer Geschäftsaktivitäten auf die Menschenrechte in ihrer gesamten Lieferkette identifizieren, verhindern, angehen und über sie Rechenschaft ablegen. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat mit den „OECD-Leitsätzen für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht zur Förderung verantwortungsvoller Lieferketten für Minerale aus Konflikt- und Hochrisikogebieten“ die wichtigsten Standards für die Sorgfaltspflicht in der Mineralförderung entwickelt.

Die Praktiken der 13 untersuchten Schmuckhersteller unterscheiden sich deutlich voneinander. Während einige Unternehmen wichtige Maßnahmen ergriffen haben, um den menschenrechtliche Risiken in den Gold- und Diamanten-Lieferketten zu begegnen, verlassen sich andere blind auf die Versprechen ihrer Zulieferer. Die Mehrzahl der Hersteller können die Herkunft ihres Goldes und ihrer Diamanten nicht vollständig nachvollziehen und prüfen menschenrechtliche Risiken nicht ausreichend. Zudem veröffentlichen die meisten Unternehmen weder ausführlichere Berichte darüber, wie sie zur verantwortungsvollen Mineralförderung beitragen, noch die Namen ihrer Zulieferer.

Zehn der Hersteller antworteten auf Informationsanfragen: Boodles, Bulgari, Cartier, Chopard, Christ, Harry Winston, Pandora, Signet (das Elternunternehmen von Kay Jewelers, Zales, Ernest Jones und H. Samuel), Tanishq und Tiffany. Drei reagierten nicht: Kalyan, Rolex und TBZ. Auf Grundlage öffentlich zugänglicher und von den Unternehmen zur Verfügung gestellter Informationen bewertet der Bericht die Marken anhand von speziellen Kriterien für verantwortungsvolle Beschaffung, darunter Maßnahmen zur Einschätzung und zum Umgang mit menschenrechtlichen Risiken, transparente Lieferketten und öffentlich zugängliche Berichte über die Aktivitäten des Unternehmens.

Keiner der 13 Hersteller erhielt das Siegel „exzellent“. Tiffany and Co. wurde wegen bedeutender Schritte hin zu verantwortungsvoller Beschaffung als „überzeugend“ eingestuft und vier weitere Unternehmen, Bulgari, Cartier, Pandora und Signet als „angemessen“, da sie einige wichtige Schritte hin zu verantwortungsvoller Beschaffung unternommen haben.

Vier Hersteller – Boodles, Chopard, Christ und Harry Winston – erwiesen sich als „schlecht“, da sie nur wenig für verantwortungsvolle Beschaffung tun. Tanishq wurde als „sehr schlecht“ bewertet, weil nichts darauf hindeutet, dass das Unternehmen sich um verantwortungsvolle Beschaffung bemüht. Die drei Unternehmen, die nicht auf die Anfrage antworteten, wurden nicht gewertet, da sie keine Informationen über ihre Beschaffungsgrundsätze und -praktiken preisgaben.

Darüber hinaus stellt der Bericht fest, dass bestehende Initiativen für verantwortungsvolle Beschaffung wie der Kimberley-Prozess für Diamanten und eine Zertifizierung durch den Responsible Jewellery Council nicht ausreichen, um mit großer Sicherheit davon ausgehen zu können, dass Diamanten oder Gold nicht unter Verletzung von Menschenrechten gefördert wurden. Der Kimberley-Prozess konzentriert sich ausschließlich auf Diamanten, die mit Rebellengruppen in Verbindung stehen, bezieht sich nur auf Rohdiamanten und benennt die Verantwortung von Unternehmen nicht.

Der Responsible Jewellery Council, eine industrienahe Gruppe mit mehr als 1.000 Mitgliedern, hat problematische Standards, Steuerungs- und Zertifizierungssysteme. Der Council sollte seine Standards und Überprüfungspraktiken stärken, um die Messlatte für verantwortungsvolle Beschaffungspraktiken höher zu setzen.

„Zu viele Hersteller verweisen auf ihre Mitgliedschaft im Responsible Jewellery Council als alleinigen Beweis dafür, dass sie Minerale verantwortungsvoll fördern. Aber das reicht nicht, um saubere Lieferketten zu gewährleisten“, sagt Kippenberg.

Während die Praktiken vieler Schmuckhersteller internationalen Standards nicht genügen, gehen einige mit gutem Beispiel voran, dem andere folgen können. Aus den untersuchten Unternehmen sticht Tiffany and Co. heraus, weil es sein Gold bis zur Mine zurückverfolgen kann und die menschenrechtlichen Auswirkungen seiner Geschäftsaktivitäten umfassend prüft. Cartier kauft den gesamten Ertrag einer „Modell“-Goldmine in Honduras. Das Schweizer Schmuckunternehmen Chopard hat mit Kleinstminen-Kooperativen in Lateinamerika an der Verbesserung der Arbeitsbedingungen gearbeitet und bezieht sein Rohmaterial von diesen. Pandora tut sich dadurch hervor, dass es die in seinen Prüfungen identifizierten Menschenrechtsrisiken offen legt.

Eine wachsende Zahl kleiner Schmuckhersteller bemüht sich darum, Gold aus kleinen Minen zu beziehen, in denen die Menschenrechte gewahrt werden, und arbeitet dabei oft mit Nichtregierungsorganisationen zusammen.

„Es macht Mut zu sehen, dass einige Schmuckhersteller, große wie kleine, Schritte in die richtige Richtung machen“, so Kippenberg. „Sie beweisen, dass Veränderung möglich ist.“

Zwei der untersuchten Unternehmen haben zwischenzeitlich zugesagt, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um ihre Praktiken zu verbessern. Der britische Hersteller Boodles hat begonnen, sich mit seinen Diamanten-Lieferanten über die Frage der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht auszutauschen und eine erste Überprüfung für verantwortungsvolle Beschaffung eingeleitet. Das Unternehmen sagte zu, einen umfassenden Verhaltenskodex für seine Gold- und Diamantenlieferanten zu entwickeln und zu veröffentlichen. Zudem will es ab dem Jahr 2019 Berichte über seine Umsetzung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht veröffentlichen und genauere menschenrechtliche Risikoprüfungen durchführen. Der deutsche Schmuckhersteller Christ sagte zu, im Laufe des Jahres 2018 seinen Verhaltenskodex für Lieferanten und andere Informationen über die Umsetzung seiner menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht zu veröffentlichen.

Aufklappen

Human Rights Watch überprüfte 13 Unternehmen anhand von sieben Kriterien für verantwortungsvolle Beschaffung auf Grundlage öffentlich verfügbarer und auf Anfrage übermittelter Informationen.

Alle Schmuckhersteller müssen starke menschenrechtliche Sicherheitsvorkehrungen treffen und öffentlich über ihre Aktivitäten berichten – das fordern zivilgesellschaftliche Gruppen und Gewerkschaften in einem gemeinsamen Aufruf. Auch Human Rights Watch initiierte eine Kampagne, #BehindTheBling, um Druck auf Schmuckhersteller aufzubauen.

Wenn sie Schmuck kaufen, sollten Kunden nachfragen, woher dieser kommen und wie die Weiterverkäufer prüfen, ob in den Herkunftsminen die Menschenrechte eingehalten werden. Kleine Minen haben besonders großes Potential, sich positiv auf ihre Nachbarkommunen auszuwirken.

„Immer mehr Kunden wollen sicher gehen, dass der Schmuck, den sie kaufen, nicht zu Menschenrechtsverletzungen beigetragen hat“, so Kippenberg. „Schmuckhersteller sind es ihren Kunden und den von ihren Aktivitäten betroffenen Kommunen schuldig, ihre Rohmaterialien wirklich verantwortungsvoll zu fördern und eine öffentliche Prüfung ihrer Aktivitäten zuzulassen.“

Kategorien: Menschenrechte

Irak: Fehler und Probleme bei Verfahren gegen mutmaßliche ISIS-Mitglieder

Mi, 27.05.2020 - 21:40

(Bagdad) – Die irakische Regierung und die Regionalregierung von Kurdistan führen Tausende Verfahren gegen mutmaßliche Mitglieder des Islamischen Staates, ohne systematisch den unter irakischem Recht und Völkerrecht schwersten Verbrechen Vorrang einzuräumen, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Das planlose Vorgehen und die grassierenden Verfahrensfehler können dazu führen, dass schwerste Menschenrechtsverletzungen während der ISIS-Besatzung in einigen Teilen des Iraks nicht verfolgt werden.

Dezember 5, 2017 Report Flawed Justice

Accountability for ISIS Crimes in Iraq

Der 76-seitige Bericht „Flawed Justice: Accountability for ISIS Crimes in Iraq“ untersucht die Überprüfung, Inhaftierung, Ermittlung und strafrechtliche Verfolgung einiger der Tausenden mutmaßlichen Mitglieder des Islamischen Staates (auch bekannt als ISIS) im Irak. Dabei traten schwere juristische Probleme zutage, die die Bemühungen unterminieren können, ISIS-Mitglieder zur Verantwortung zu ziehen. Insbesondere hat der Irak keinerlei Strategie, um eine glaubwürdige Strafverfolgung der für die schwersten Verbrechen verantwortlichen Personen zu gewährleisten. Stattdessen werden unter Anti-Terror-Gesetzen sämtliche Personen verfolgt, die selbst minimalster Verbindungen zu ISIS verdächtig sind. Dieses Vorgehen droht, sowohl zukünftige, kommunale Aussöhnungs- und Wiedereingliederungsprozesse negativ zu beeinträchtigen, als auch die Gerichte und Gefängnisse jahrzehntelang zu überlasten.

„Die ISIS-Prozesse sind eine verpasste Chance, der Bevölkerung, der Welt und auch ISIS zu beweisen, dass der Irak ein Rechtsstaat ist, in dem Verfahrensgarantien und Gerechtigkeit herrschen, die Verantwortlichen für schwerste Verbrechen vor Gericht gebracht werden und allen von diesem Krieg betroffenen Gemeinschaften Aussöhnung ermöglicht wird“, so Sarah Leah Whitson, Leiterin der Abteilung Naher Osten von Human Rights Watch. „Der irakischen Justiz gelingt es nicht, zwischen der Schuld zu unterscheiden, die Ärzte auf sich geladen haben, wenn sie unter der Herrschaft von ISIS Leben retteten, und der, die die Verantwortlichen für Verbrechen gegen die Menschlichkeit trifft.“

Der Bericht wird mit Regierungsangehörigen in Erbil und Bagdad diskutiert werden. Er basiert auf Informationen, die im Zeitraum November 2016 bis Juli 2017 in Erbil, im Gouvernement Ninawa und in Bagdad gesammelt wurden. Dazu wurden Gefängnisse besucht, in denen Tausende mutmaßliche ISIS-Mitglieder inhaftiert sind, sowie Gerichte in Ninawa, Bagdad und Erbil, in denen Prozesse gegen solche Personen geführt wurden. Zudem wurden führende Beamte der irakischen Regierung und der Regionalregierung von Kurdistan befragt, sowie mindestens 100 Familien mutmaßlicher ISIS-Mitglieder, Dutzende Personen, die unter der Herrschaft von ISIS Opfer schwerster Verbrechen wurden oder Angehörige verloren haben, Vertreter internationaler Nichtregierungsorganisationen, die zum irakischen Justizsystem arbeiten, Anwälte und anderen Rechtsexperte.

Das zentrale Ergebnis des Berichts ist, dass die irakische Regierung und die Regionalregierung von Kurdistan der Strafverfolgung schwerster Menschenrechtsverbrechen und Anklagen, die das volle Spektrum der Verbrechen von ISIS abbilden, nicht systematisch Vorrang einräumen. Augenscheinlich ermitteln die Behörden unter Anti-Terror-Gesetzen gegen alle Verdächtigen, die sich in ihrem Gewahrsam befinden, und legen ihnen vorrangig eine ISIS-Mitgliedschaft zur Last, statt sich auf konkrete Handlungen und Verbrechen zu konzentrieren.

Gegen mindestens 7.374 Personen wurden seit dem Jahr 2014 solche Anklagen erhoben, 92 wurden zum Tode verurteilt oder hingerichtet. Insgesamt befinden sich schätzungsweise 20.000 Personen wegen mutmaßlichen Verbindungen zu ISIS in Haft, eine Zahl, die auf Informationen von Regierungsangehörigen beruht.

Der Bericht weist auf mögliche verfahrensrechtliche Probleme bei der Überprüfung von Personen hin, die von ISIS kontrollierte Gebiete verlassen. Das betrifft beispielsweise die Art, wie Listen von Verdächtigen geprüft werden, die Sicherheitskräfte vor Ort erstellt haben. Personen, die fälschlicherweise als Verdächtige identifiziert werden, bleiben teilweise monatelang in Willkürhaft.

Darüber hinaus halten die irakischen Behörden mutmaßliche ISIS-Mitglieder in überfüllten Einrichtungen und zum Teil unter unmenschlichen Bedingungen fest. Minderjährige werden nicht getrennt von erwachsenen Häftlingen untergebracht. Zudem ignorieren Beamte das Recht auf ein faires Verfahren, auch die im irakischen Recht verbrieften Rechte darauf, innerhalb von 24 Stunden von einem Richter angehört zu werden, während Befragungen Zugang zu einem Anwalt zu haben, Familien über eine Inhaftierung zu informieren und Familienangehörigen zu gestatten, mit den Gefangenen zu kommunizieren. Einige Gefangenen warfen den Behörden außerdem Folter vor, um sie dazu zu zwingen, ihre angebliche ISIS-Mitgliedschaft zu gestehen.

Unter den übermäßig breiten Anti-Terror-Gesetzen, auf deren Grundlage die irakische Regierung und die Regionalregierung von Kurdistan mutmaßliche ISIS-Mitglieder verfolgen, können Richter Anklagen gegen Personen erheben, denen keine konkreten Verbrechen, sondern ausschließlich Verbindungen zu oder Unterstützung von ISIS vorgeworfen wird. Von solchen Anklagen sind auch Personen betroffen, die in von ISIS geführten Krankenhäusern gearbeitet haben, sowie Köche, die Essen für Kämpfer zubereitet haben. Auf Verstöße gegen die Anti-Terror-Gesetze stehen harte Strafen, darunter lebenslange Haft oder die Todesstrafe, auch für eine bloße ISIS-Mitgliedschaft.

„Gestern habe ich den Fall eines ISIS-Kochs bearbeitet, und ich habe empfohlen, ihn mit dem Tode zu bestrafen. Wie hätten die ISIS-Kämpfer Menschen hinrichten können, wenn sie nicht am Abend zuvor eine ordentliche Mahlzeit bekommen hätten?“, so ein führender Richter aus der Terrorismusbekämpfung.

Mutmaßliche ISIS-Mitglieder wegen Verstößen gegen Anti-Terror-Gesetze anzuklagen statt wegen konkreter Verbrechen unter dem Strafgesetzbuch ist aus beweistechnischer Sicht oft einfacher, insbesondere bei Verbrechen, die inmitten des chaotischen Kriegsgeschehens verübt wurden. Aber dieses Vorgehen erschwert es, den schwersten Verbrechen Vorrang einzuräumen, sie zu ahnden und ein umfassendes, rechtliches Bild der Gräueltaten zu zeichnen, die ISIS im Irak verübt hat. Zudem bemühen sich die Behörden nicht darum, den Opfern zu ermöglichen, an den Prozessen teilzunehmen, nicht einmal als Zeugen.

Wenn mutmaßliche ISIS-Mitglieder belegen können, dass sie der Organisation gegen ihren Willen beigetreten sind und an keinem Verbrechen beteiligt waren, haben sie unter Umständen das Recht darauf, nach ihrer Verurteilung entlassen zu werden. Das Gesetz über Generalamnestie vom August 2016 (Nr. 27/2016) sieht das vor, aber die Richter wenden es nicht konsequent an. Die Regionalregierung von Kurdistan hat kein Amnestiegesetz für mutmaßliche oder verurteilte ISIS-Mitglieder erlassen und hat dies Sprechern zufolge auch nicht geplant.

Die Behörden sollen der Strafverfolgung schwerster Verbrechen jeglicher Art Vorrang einräumen. Außerdem sollen sie für diejenigen Personen, deren einziges Vergehen ihre ISIS-Mitgliedschaft war, Alternativen zur Strafverfolgung ausloten, etwa die Teilnahme an landesweiten Wahrheitsfindungsprozessen.

Mindestens sollen sie die Verfahren gegen Personen fallen lassen, deren Tätigkeiten unter ISIS-Herrschaft zum Schutz der Menschenrechte von Zivilisten beitrugen, etwa Personen, die im Gesundheits- oder Sozialwesen arbeiteten. Insbesondere für Kinder sollen die Behörden Alternativen zu Inhaftierung und Strafverfolgung finden und Rehabilitierungs- und Wiedereingliederungsprogramme entwickeln, um ihre Rückkehr in die Gesellschaft zu unterstützen.

„Das irakische Amnestiegesetz ersetzt keine landesweite Strategie, die faire Verfahren gewährleistet und Alternativen zu einer Strafverfolgung von Personen entwickelt, die nicht an den Gewaltakten und schweren Verbrechen von ISIS beteiligt waren“, sagt Whitson. „Der Irak braucht genauso dringend einen Plan für Wahrheits- und Versöhnungsprozesse wie einen Plan dafür, wie die schlimmsten Verbrecher hinter Gitter gebracht werden sollen.“

Kategorien: Menschenrechte

Afghanistan: Mädchen kämpfen um Bildung

Mo, 25.05.2020 - 17:41
Oktober 17, 2017 Video Afghanistan: Girls Struggle for an Education

“By the time we walked to school, the school day would end.” – Najiba, 15, explaining why she and her eight siblings did not go to school in Daikundi, Mazar-i Sharif, July 2016.

(Kabul) – Die seit 2001 unternommenen Anstrengungen der afghanischen Regierung und der internationalen Geber, Mädchen den Zugang zu Bildung zu ermöglichen, haben in den letzten Jahren deutlich nachgelassen, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Sechzehn Jahre nachdem die Taliban durch eine US-geführte Militärintervention abgesetzt wurden, erhalten schätzungsweise zwei Drittel aller afghanischen Mädchen keine Schulbildung.

„Die afghanische Regierung und die Geber haben im Jahr 2001 großspurig versprochen, allen Mädchen eine Schulbildung zu geben. Doch Unsicherheit, Armut und Vertreibung zwingen heute viele Mädchen, der Schule fernzubleiben“, so Liesl Gerntholtz, Leiterin der Frauenrechtsabteilung von Human Rights Watch. „Die Regierung muss sich wieder darauf konzentrieren, allen Mädchen den Schulzugang zu ermöglichen, sonst könnten alle bisherigen Fortschritte verloren gehen.“

Der 132-seitige Bericht „I Won’t Be a Doctor, and One Day You’ll Be Sick: Girls’ Access to Education in Afghanistan” dokumentiert, wie sich im Zuge der Verschlechterung der Sicherheitslage viele internationale Geber von Afghanistan abwenden und so die Fortschritte beim Schulzugang für Mädchen zum Stillstand gekommen sind. Der Bericht stützt sich auf 249 Interviews, die in den Provinzen Kabul, Kandahar, Balkh und Nangarhar durchgeführt wurden. Befragt wurden vornehmlich Mädchen im Alter von 11 bis 18 Jahren, die ihre Schulbildung nicht abschließen konnten. The War for Girls' Education in Afghanistan

Families are fighting desperately to educate their daughters in the face of enormous obstacles. 

Special Feature

Das Thema Bildungschancen für Mädchen wird von den Gebern und der afghanischen Regierung häufig als Erfolgsgeschichte präsentiert. Tatsächlich gehen heute Millionen mehr Mädchen zur Schule als zur Zeit der Taliban. Doch das erklärte Ziel, alle Mädchen in die Schulen gehen zu lassen, ist noch weit von seiner Verwirklichung entfernt. Stattdessen sinkt der Anteil von Schülerinnen in einigen Landesteilen heute wieder. Nach Angaben der Regierung gehen 3,5 Millionen Kinder nicht zur Schule, 85 Prozent davon Mädchen. Nur 37 Prozent der weiblichen Jugendlichen können lesen und schreiben, gegenüber 66 Prozent bei ihren männlichen Altersgenossen.

Die afghanische Regierung betreibt weniger Schulen für Mädchen als für Jungen, sowohl Grundschulen als auch weiterführende Schulen. In der Hälfte der Provinzen sind weniger als 20 Prozent der Lehrkräfte weiblich – ein erhebliches Hindernis für die vielen Mädchen, deren Familien nicht zulassen, dass ihre Töchter von einem Mann unterrichtet werden, insbesondere im Jugendalter.

Viele Kinder leben zu weit von der nächstgelegenen Schule entfernt, was Mädchen in besonderem Maße trifft. Rund 41 Prozent der Schulen verfügen über keine festen Gebäude. Vielen Schulen fehlen Begrenzungsmauern, Wasseranschlüsse und Toiletten – auch dies betrifft Mädchen überproportional.

Die 15-jährige Kahater, die in der ländlichen Provinz Samangan aufgewachsen ist, sagte im Gespräch mit Human Rights Watch: „Es war sehr weit bis zur nächsten Mädchenschule – die war in einem anderen Dorf… Auf einem Esel oder Pferd würde man morgens bis mittags brauchen.“

Mädchen müssen zu Hause bleiben, weil in ihrem Umfeld diskriminierende Ansichten vorherrschen, die ihrer Erziehung keinen Wert bzw. keine Berechtigung zumessen. Ein Drittel aller Mädchen heiratet vor Erreichen des 18. Lebensjahrs. Sobald sie verlobt oder verheiratet sind, werden die Mädchen häufig gezwungen, die Schule abzubrechen.

Viele Familien kämpfen verzweifelt dafür, dass ihre Töchter trotz enormer Hindernisse eine Schulbildung erhalten. Sie verdienen Unterstützung. Human Rights Watch befragte Familien, die innerhalb einer Stadt oder innerhalb des Landes umgezogen waren, um eine Schule für ihre Töchter zu finden. Andere nahmen eine Trennung der Familie in Kauf, um den Mädchen den Schulbesuch zu ermöglichen. Manche Familien schickten ihre älteren Söhne auf die gefährliche Reise in den Iran, um dort illegal zu arbeiten und so die Schulgebühren für ihre jüngeren Schwestern zu bezahlen.

Nach afghanischem Recht ist die Schulbildung bis zur neunten Klasse verpflichtend. Dann sind die Kinder normalerweise etwa 14 Jahre alt. In der Praxis haben viele Kinder jedoch keinen Zugang zu einer Schulbildung bis zu dieser Stufe – oder überhaupt irgendeiner Schulbildung. Bürokratische Hürden und Korruption schaffen weitere Hindernisse, besonders für binnenvertriebene und sozial schwache Familien. Selbst wenn die Schulen gebührenfrei sind, entstehen durch den Schulbesuch der Kinder Kosten, so dass viele Familien es sich nicht leisten können, eines ihrer Kinder zur Schule zu schicken. Oft sorgen finanzielle Einschränkungen dafür, dass Söhne bevorzugt eingeschult werden. Etwa jedes vierte Kind in Afghanistan arbeitet, um seiner Familie trotz bitterer Armut ein Auskommen zu ermöglichen. Viele Mädchen weben, sticken, gehen betteln oder sammeln Müll, statt zur Schule zu gehen.

Die Taliban und andere aufständische Gruppen kontrollieren oder beanspruchen heute mehr als 40 Prozent der afghanischen Distrikte. Die Kämpfe zwischen Taliban und Regierungstruppen haben Tausende Familien gezwungen, ihre Häuser zurückzulassen. Mehr als eine Million Afghanen sind Binnenvertriebene. In vielen Gebieten, die unter der Kontrolle der Taliban stehen, ist der Schulbesuch für Mädchen verboten oder auf wenige Jahre begrenzt. In umkämpften Gebieten bedeutet der Schulbesuch ein erhöhtes Sicherheitsrisiko. Mit dem Konflikt einher geht Gesetzlosigkeit: So gibt es immer mehr Milizen und kriminelle Banden, und Mädchen sind von sexueller Belästigung, Entführungen, Säureangriffen sowie gezielten Angriffen auf ihre Schulbildung bedroht. In diesem Umfeld wird der Zugang zu Bildung zunehmend erschwert, was Mädchen überproportional trifft.

Internationale Geber haben in Kooperation mit der afghanischen Regierung innovative Modelle entwickelt, die es Mädchen erlauben sollen, trotz des eskalierenden Konflikts weiter zur Schule zu gehen. „Gemeinschaftsnahe Bildung“ besteht aus einem Netzwerk von Kursen, die oft in Privathäusern unterrichtet werden, was es vor allem Mädchen ermöglicht, auch fernab der staatlichen Schulen in ihrem sozialen Umfeld eine Schulbildung zu erhalten. Da diese speziellen Kurse jedoch ausschließlich von Gebern finanziert und von Nichtregierungsorganisationen umgesetzt werden, gibt es keine einheitliche Anbindung an das staatliche Schulsystem und der Unterricht findet wegen der unzuverlässigen Finanzierungszyklen der Nichtregierungsorganisationen nicht regelmäßig statt.

„Die Schulbildung vieler Mädchen könnte gerettet werden, indem man den gemeinschaftsnahen Unterricht in das staatliche Schulsystem integriert, nachhaltig finanziert und ihre Qualität kontrolliert“, so Gerntholtz.

Nach den internationalen Standards der UNESCO sollte die Regierung mindestens 15 bis 20 Prozent ihres Gesamtbudgets und 4 bis 6 Prozent des BIP für Bildung ausgeben. Die Vereinten Nationen fordern, dass die am wenigsten entwickelten Staaten, also auch Afghanistan, diese Spannen voll ausschöpfen oder sogar überschreiten.

Die afghanische Regierung sollte gemeinsam mit ihren internationalen Gebern den Schulzugang für Mädchen verbessern, indem sie Schulen und Schüler besser schützt sowie Bildungsmodelle, die Mädchen beim Lernen helfen, institutionalisiert und ausweitet. Sie sollten zudem konkrete Maßnahmen ergreifen, um Afghanistans internationale Verpflichtungen zu erfüllen und eine universelle, kostenlose, verpflichtende Grundschulbildung anzubieten sowie landesweit kostenlos eine weiterführende Schulbildung verfügbar zu machen. Sie sollten außerdem Angebote zur „fundamentalen Bildung“ für  Menschen, die keine Schulbildung erhalten haben oder die Grundschule nicht abschließen konnten, bewerben und ausbauen.

„Trotz der großen Probleme, mit denen Afghanistan konfrontiert ist, kann und sollte die Regierung darauf hinarbeiten, dass Mädchen und Jungen den gleichen Bildungszugang erhalten und die gemeinschaftsnahe Bildung ins staatliche Schulsystem integriert wird“, so Gerntholtz. „Die Geber sollen sich verpflichten, die Schulbildung für Mädchen langfristig zu unterstützen, und genau prüfen, wofür ihre Mittel eingesetzt werden.“

Kategorien: Menschenrechte