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Unterschied des deutschen Rechts vom US-amerikanischen Recht

Das deutsche und das US-amerikanische Rechtssystem sind fundamental unterschiedlich, da sie auf verschiedenen historischen, kulturellen und philosophischen Grundlagen basieren. Diese Unterschiede betreffen sowohl die Struktur der Rechtssysteme als auch die Anwendung und Durchsetzung des Rechts. Der folgende Artikel untersucht die zentralen Differenzen in den Bereichen Rechtsquellen, Gerichtssystem, Prozessrecht und Rechtskultur.

1. Historische und philosophische Grundlagen

Das deutsche Recht basiert auf der Tradition des kontinentaleuropäischen Zivilrechts, das stark von römischem Recht und der Kodifikation im 19. Jahrhundert, insbesondere durch das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) von 1900, geprägt ist. Dieses System zeichnet sich durch umfassende Kodifikationen aus, die als zentrale Rechtsquellen dienen.

Das US-amerikanische Rechtssystem hingegen entstammt der Common-Law-Tradition, die ihren Ursprung in England hat. Common Law beruht auf Präzedenzfällen (Judikatur) und richterlicher Rechtsfindung. Die USA haben jedoch eine hybride Struktur entwickelt, in der sowohl Präzedenzfälle als auch kodifizierte Gesetze eine Rolle spielen.

2. Rechtsquellen

2.1. Deutschland

Das deutsche Rechtssystem ist stark kodifiziert. Zentrale Gesetze wie das Grundgesetz (GG), das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB), das Handelsgesetzbuch (HGB) und das Strafgesetzbuch (StGB) bilden die Grundlage des Rechts. Ergänzt werden diese durch spezielle Gesetze und Verordnungen. Richterliche Entscheidungen dienen vorrangig der Auslegung von Gesetzen und haben keine bindende Wirkung außerhalb des konkreten Falls.

2.2. USA

In den USA sind Präzedenzfälle eine zentrale Rechtsquelle. Die Entscheidungen höherer Gerichte (z. B. des Supreme Court) haben bindende Wirkung für untergeordnete Gerichte (Stare Decisis). Neben dem Fallrecht gibt es auch kodifiziertes Recht, insbesondere auf Bundesebene (z. B. das United States Code, U.S.C.) und auf Ebene der Bundesstaaten. Die Verfassung der Vereinigten Staaten von 1787 bildet die oberste Rechtsnorm und ist durch ihre vergleichsweise kurze und flexible Struktur stark auslegungsabhängig.

3. Gerichtssystem

3.1. Deutschland

Das deutsche Gerichtssystem ist stark differenziert und folgt dem Prinzip der Fachgerichtsbarkeit. Es gibt separate Gerichtszweige für Zivil- und Strafrecht, Arbeitsrecht, Sozialrecht, Verwaltungsrecht und Finanzrecht. Diese Gerichte sind in mehreren Instanzen organisiert, wobei die höchsten Gerichte – wie der Bundesgerichtshof (BGH) oder das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) – über die Auslegung und Einheitlichkeit des Rechts wachen.

3.2. USA

In den USA gibt es ein zweigliedriges Gerichtssystem, das sich aus Bundes- und Bundesstaatsgerichten zusammensetzt. Die Zuständigkeiten sind komplex und hängen von der Art des Falls und der betroffenen Rechtsordnung (Bundesrecht oder Bundesstaatenrecht) ab. Der Supreme Court der Vereinigten Staaten ist die höchste Instanz und entscheidet über Fälle von nationaler Bedeutung, insbesondere solche, die Verfassungsfragen betreffen.

Ein markanter Unterschied ist die starke Rolle von Geschworenengerichten in den USA, während in Deutschland Berufsrichter dominieren. In Deutschland kommen Laienrichter nur in wenigen Fällen, etwa im Strafrecht (Schöffengericht), zum Einsatz.

4. Prozessrecht

4.1. Zivilprozessrecht

Das deutsche Zivilprozessrecht ist durch das Prinzip der richterlichen Prozessleitung geprägt. Der Richter hat eine aktive Rolle und sorgt für die Strukturierung des Verfahrens sowie die Sachverhaltsaufklärung. Schriftliche Schriftsätze spielen eine zentrale Rolle, und mündliche Verhandlungen sind oft begrenzt.

Im US-amerikanischen Zivilprozessrecht stehen die Parteien im Mittelpunkt. Verfahren sind adversatorisch, das heißt, die Parteien tragen die Verantwortung für die Beweisführung und die Prozessführung. Die Rolle des Richters ist passiv und beschränkt sich auf die Sicherstellung eines fairen Verfahrens. Zudem spielen Geschworenengerichte im Zivilrecht eine wichtige Rolle, was das Verfahren tendenziell langwieriger und kostenintensiver macht.

4.2. Strafprozessrecht

Im deutschen Strafprozessrecht führt die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen, und der Prozess ist auf die Sachverhaltsaufklärung durch den Richter ausgerichtet. Es gibt keine Plea Bargains, und die Unschuldsvermutung ist strikt einzuhalten.

In den USA dominieren Plea Bargains: Der Großteil der Strafverfahren wird durch Vereinbarungen zwischen Anklage und Verteidigung abgeschlossen, ohne dass es zu einem vollständigen Prozess kommt. Die Geschworenen haben im Strafverfahren eine zentrale Rolle und entscheiden über Schuld oder Unschuld.

5. Rechtskultur

5.1. Rechtsverständnis

In Deutschland wird Recht als Ausdruck eines sozialen Konsenses betrachtet, der durch detaillierte Gesetze geregelt wird. Rechtsfragen werden oft abstrakt und systematisch behandelt, was eine starke Orientierung an der Dogmatik und Rechtswissenschaft mit sich bringt.

In den USA ist das Recht stärker pragmatisch geprägt. Es dient primär der Lösung konkreter gesellschaftlicher Konflikte, und Präzedenzfälle werden oft als flexible Instrumente betrachtet, um neue rechtliche Herausforderungen zu bewältigen. Die Justiz spielt eine zentrale Rolle in der gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzung, insbesondere durch die weitreichenden Kompetenzen des Supreme Court.

5.2. Zugang zum Recht

Der Zugang zum Recht unterscheidet sich erheblich. In Deutschland ermöglicht das System der Prozesskostenhilfe einkommensschwachen Personen den Zugang zur Justiz. In den USA sind hohe Prozesskosten und Anwaltsgebühren ein großes Hindernis, obwohl es auch dort Mechanismen wie Contingency Fees gibt, bei denen Anwälte nur im Erfolgsfall bezahlt werden.

5.3. Rechtsbildung

In Deutschland erfolgt die juristische Ausbildung stark wissenschaftlich und ist an der universitären Ausbildung sowie einem zweistufigen Staatsexamen orientiert. In den USA ist die juristische Ausbildung praxisorientierter und erfolgt nach einem allgemeinen Bachelorstudium im Rahmen eines dreijährigen Juris Doctor (J.D.)-Studiums.

6. Einfluss der Verfassung

Die US-Verfassung ist kurz und auf Prinzipien beschränkt, die durch die Rechtsprechung des Supreme Court konkretisiert werden. Ihre Auslegung ist häufig politisiert und spiegelt gesellschaftliche Debatten wider. Im Gegensatz dazu ist das deutsche Grundgesetz detaillierter und enthält sowohl Staatsorganisationsrecht als auch Grundrechte. Das Bundesverfassungsgericht hat eine zentrale, aber weniger politisierte Rolle als der Supreme Court.