RG, 21.03.1919 - VII 382/18
Unterliegt ein Schreiben, in welchem der Verkauf beweglicher Sachen unter Angabe der hierüber durch Fernspruch getroffenen Vereinbarungen bestätigt wird, dem Stempel aus der Tarifst. 32 Abs. 5 des preuß. Stempelsteuergesetzes vom 30. Juni 1909?
Tatbestand
Die Klägerin vereinbarte mit dem Proviantamt in G. mittels Fernspruchs den Verkauf von Früchten an dieses. Sie richtete hierauf an das Festungsmagazin in G. ein Schreiben, in welchem sie den Verkauf unter der Angabe der einzelnen Fruchtarten, ihrer Mengen und der Preise bestätigte. Der für dieses Schreiben erforderte und gezahlte Stempel wird mit der Klage zurückverlangt.
In den Vorinstanzen wurde die Klage abgewiesen. Auf die Revision wurde in der Hauptsache nach dem Klagantrage erkannt.
Gründe
"Die zu entscheidende Streitfrage ist, ob auf das im Tatbestande erwähnte Schreiben der Klägerin Abs. 5 der von den Kauf- und Tauschverträgen handelnden Tarifst. 32 des Stempelgesetzes vom 30. Juni 1909 zur Anwendung kommt. Nach dieser Gesetzesbestimmung unterliegen einem Stempel vom 1/8 v. H.:
"Beurkundungen von Veräußerungen beweglicher Sachen auch dann, wenn sie nur von einem der Vertragschließenden im Sinne des zweiten Absatzes des § 1 des Gesetzes unterzeichnet und dem anderen Vertragschließenden ausgehändigt sind. Ausgenommen sind Aufzeichnungen, welche im Handelsverkehr über Bestellungen gemacht und entgegengenommen werden (sogenannte Kommissionsnoten)."
Das Berufungsgericht hat in Übereinstimmung mit dem ersten Richter die Frage zuungunsten der Klägerin bejaht. Es führt aus, daß das Schreiben der Klägerin die Erfordernisse der Bestimmung des Abs. 5 enthalte. Es sei aus ihm der wesentliche Inhalt des Vertrags zu entnehmen. Weitere als die im Schreiben wiedergegebenen Vertragsbedingungen seien nicht vereinbart. Durch das Schreiben habe eine Beweisurkunde über den telephonisch erfolgten Geschäftsabschluß zur Vermeidung von Mißverständnissen geschaffen werden sollen. Es handle sich weder um eine historische Erwähnung des abgeschlossenen Geschäfts noch sei als Zweck des Schreibens die Erlangung von Verladungspapieren anzusehen. Das Schreiben habe vielmehr der allgemein bestehenden kaufmännischen Verkehrssitte Rechnung tragen und das abgeschlossene Geschäft im Interesse der Rechtssicherheit noch einmal festlegen sollen. Da hier nur das Bestätigungsschreiben einer Partei vorliege, komme die Stempelfreiheit der sog. Korrespondenzverträge - § 1 Abs. 3 des Gesetzes - nicht in Frage. Wohl aber stelle dieses Schreiben eine einseitige Beurkundung im Sinne des Abs. 5 der Tarifstelle dar, denn es gehöre nicht zum Wesen der Vertragsurkunde, daß die Unterzeichnung durch den anderen Teil nach der Gestalt der Urkunde notwendig oder mit ihrer Fassung vereinbar sei. Wenn auch bei der Gesetzesvorschrift nach ihrer Entstehungsgeschichte in der Hauptsache an die Möbelleihverträge gedacht sei, schließe doch die Fassung des Gesetzes seine Anwendung auf andere Urkunden und auf in Briefen erfolgte Beurkundungen nicht aus. Der Hinweis der Klägerin auf die Stempelfreiheit der Kommissionsnoten sei verfehlt, Bestätigungsschreiben seien nicht als solche Noten anzusehen.
Die Revision erachtet die Klägerin durch diese Entscheidung für beschwert, sie rügt Verletzung der Tarifst. 32 Abs. 5, des § 1 Abs. 3 StempStG. und Verstoß gegen § 139 ZPO. Der Rüge, daß die zuerst erwähnte Gesetzesvorschrift durch unrichtige Anwendung verletzt ist. war der Erfolg nicht zu versagen.
Dem Berufungsgericht ist darin beizutreten, daß das Schreiben der Klägerin als sog. Bestätigungsschreiben zu beurteilen ist. Nach kaufmännischer Verkehrssitte will die Klägerin den Abschluß des durch Fernsprecher vereinbarten Vertrags über die von ihr verkauften Früchte zur Beseitigung von Mißverständnissen schriftlich wiedergeben. Es trifft auch zu, daß das Schreiben eine Wiedergabe aller für den Abschluß des Kaufgeschäfts wesentlichen Vereinbarungen enthält und daß die Annahme einer nur historischen Erwähnung des Geschäfts (§ 3 Abs. 3 des Gesetzes) ebenso wie die Behauptung der Klägerin, sie habe durch das Schreiben nur die Verfrachtungspapiere erlangen wollen, als mit dem Inhalte des Briefes im Widerspruche stehend abzulehnen sind. Nicht zu folgen aber ist dem Berufungsgericht in seiner Auffassung, daß das Bestätigungsschreiben eines Vertragsteils über den mündlich erfolgten Verkauf beweglicher Sachen ebenfalls als Beurkundung des Veräußerungsgeschäfts im Sinne des Abs. 5 rechtlich zu beurteilen ist. Die Entstehungsgeschichte der Bestimmung wie die den Gesetzesworten zu gebende Auslegung stehen dieser Beurteilung entgegen.
Tarifst. 32 benennt Verträge als Gegenstand der Besteuerung. Grundsätzlich ist deshalb die Besteuerung an die dem § 1 entsprechende Beurkundung der Willenserklärungen beider Teile geknüpft. Von diesem Grundsatze macht Abs. 9 eine Ausnahme. Veranlaßt wurde die Ausnahmebestimmung nach der Begründung zur Gesetzesnovelle durch die Erfahrung, daß bei der Veräußerung beweglicher Sachen der Stempel der Staatskasse vielfach dadurch entzogen werde, daß die Vertragsurkunde nicht von beiden Vertragschließenden, sondern nur von einem Teile, gewöhnlich dem Käufer, unterschriftlich vollzogen und dann dem anderen Teile ausgehändigt werde. Solche Ersparung des gesetzlichen Stempels komme ganz besonders zahlreich auf dem Gebiete des Möbelhandels durch die Benutzung der formularmäßig abgefaßten sog. Möbelleihverträge vor. Nach dem Vorschlage des Entwurfs sollten deshalb auch die einseitig unterzeichneten Vertragsurkunden ebenso wie die zweiseitigen versteuert werden, wenn sie der anderen Vertragspartei, die nicht unterzeichnet hat, ausgehändigt sind (vgl. Drucksachen des preuß. Abgeordnetenhauses Nr. 209 D S. 3832).
In der Kommission wurde nach dem Berichte 560 A, die Bestimmung aufrecht erhalten. Es wurde für billig erachtet, den Umsatz beweglicher Sachen so weit als möglich zur Besteuerung heranzuziehen. Von dem Willen der Beteiligten hänge es ab, ob sie schriftliche Verträge darüber errichten wollten. Wenn sie letzteres täten, dann entspräche es der Billigkeit, einseitige Schriftstücke, durch welche genau dasselbe erreicht würde wie durch perfekte schriftliche Verträge, der Steuer zu unterwerfen. In der Hauptsache würden dadurch die Möbelleihverträge getroffen, aber auch wohl andere Verträge.
Bei der Beratung im Plenum wurden Bedenken gegen die Bestimmung geltend gemacht, da die einseitig ausgestellten Schriftstücke nicht den Vertrag ersetzten, sondern nur Beweismittel seien. Die Bestimmung wurde aber in der zweiten und in der dritten Lesung angenommen, nachdem der Regierungsvertreter erklärt hatte, daß Verstempelung nur zu verlangen sei, wenn die Essentialien des Geschäfts aus der Urkunde hervorgingen. In der dritten Lesung wurden dann die Kommissionsnoten auf Antrag des Abgeordneten Waldstein und Genossen, um eine übermäßige Belastung des Handelsverkehrs zu vermeiden, von der Verstempelung ausgeschlossen (vgl. Stenograph. Bericht über die Verhandlungen des Abgeordnetenhauses 21. Legislaturperiode IV. Session 1908/1909 S. 7049. 7212).
In dem Berichte der Finanzkommission (Herrenhaus Nr. 138) heißt es, daß in der Hauptsache durch die Bestimmung die Möbelleihverträge getroffen werden sollen.
Aus dieser Entstehungsgeschichte kommt als erheblich zunächst in Betracht, daß die briefliche Bestätigung eines mündlich oder telephonisch abgeschlossenen Veräußerungsgeschäfts, obschon die kaufmännische Gepflogenheit solcher Bestätigungen allgemein bekannt ist, von keiner Seite erwähnt worden ist. Immer ist nur von Vertragsurkunden, deren einseitiger Vollziehung zum Zwecke der Stempelersparung entgegengetreten werden soll, die Rede. Wenn nun auch die dem Gesetze selbst gegebene Fassung entscheidend ist, läßt sich doch immerhin aus dem erwähnten Umstande ein Anhalt dafür entnehmen, was mit den Gesetzesworten "Beurkundungen von Veräußerungen" gemeint ist. Bei den Möbelleihverträgen, deren einseitige Unterzeichnung den Anstoß zu der Gesetzesbestimmung gegeben hat, werden im Regelfalle formularmäßige Vertragsurkunden verwendet. Auf diese Verträge ist nun allerdings die Gesetzesbestimmung nicht beschränkt und hat auf sie nicht beschränkt werden sollen. Ihr unterliegen die Beurkundungen über die Veräußerung beweglicher Sachen jeder Art. Immer aber hat man bei den Beratungen an Beurkundungen in förmlichen Verträgen gedacht. Vertragsurkunden, die an sich der Vollziehung durch die beiden Vertragsteile bedürfen, bei denen aber als dem Beweiszwecke genügend zur Stempelersparung nur eine einseitige Unterzeichnung erfolgt, sollen durch die Gesetzesbestimmung getroffen werden. Einer darin liegenden Umgehung des Gesetzes soll entgegengetreten und deshalb sollen solche Urkunden, wenn sie dem anderen Teile ausgehändigt sind, stempelrechtlich wie beiderseits vollzogene Verträge behandelt werden. Ist dies aber das mit der Gesetzesbestimmung verfolgte Ziel, so findet darin nicht nur die Nichterwähnung der Bestätigungsschreiben ihre Erklärung, sondern es ergibt sich daraus auch die Folgerung, daß die Bestätigungsschreiben nicht unter die Gesetzesbestimmung fallen, daß bei ihnen die Voraussetzungen nicht vorliegen, die für die Stempelpflicht nach Abs. 3 für die Beurkundung des Geschäfts erforderlich sind:
Bei einer mündlich oder telephonisch vereinbarten Veräußerung beweglicher Sachen ist das keiner Formvorschrift unterliegende Rechtsgeschäft an sich schon durch die erfolgte Einigung abgeschlossen. Die schriftliche Bestätigung soll nur, wie das Berufungsgericht auch von dem Schreiben der Klägerin annimmt, die bei einem solchen Abschlusse leicht vorkommenden Mißverständnisse und Unklarheiten beseitigen, deshalb das Vereinbarte schriftlich wiederholen und es der Nachprüfung des anderen Vertragsteils unterbreiten. Ein solches Schreiben bringt aber nur die Auffassung des Absenders über den Vertragsinhalt zum Ausdrucke und kann naturgemäß auch nur seine Unterschrift tragen. Auch wenn es das Geschäft in allen seinen wesentlichen Vereinbarungen wiedergibt, stellt es noch keine Vertragsurkunde dar, sondern spricht nur den Willen einer Vertragspartei aus, den Vertragsabschluß so, wie sie ihn darstellt, für sich gelten zu lassen. Wesentlich anders ist die Niederschrift des Vertragsinhalts, die schon nach dem Willen beider Teile dazu bestimmt ist, das Geschäft bindend zu beurkunden. Sie soll als Vertragsurkunde gelten und hätte als solche der Vollziehung durch beide Teile bedurft. Aber auch wenn die Niederschrift nur von einem Vertragsteil unterzeichnet wurde und ihr auch eine nur die einseitige Vollziehung vorsehende Fassung gegeben ist, bleibt doch ein, wenn auch stempelrechtlich als Vertrag nicht zu erfassender, förmlicher Kaufabschluß beurkundet.
Diese Erwägungen führen dazu, daß als Beurkundungen über Veräußerungen nur Urkunden im engeren Sinne anzusehen sind, förmliche Vertragsurkunden. Dafür spricht auch der im Gesetze gebrauchte Ausdruck "ausgehändigt sind". Der unterzeichnende Vertragsteil übergibt zum Zeichen des Vertragsabschlusses dem anderen Teile oder übermittelt ihm auf andere Weise das von ihm vollzogene Schriftstück. Das ist, da die Niederschrift die Willenseinigung beider Teile wiedergibt, mehr und anderes als die Übersendung eines die nur einseitige Auffassung des Briefschreibers enthaltenden Bestätigungsschreibens über einen mündlichen oder telephonischen Kaufabschluß. Das über die Stempelfreiheit der sog. Korrespondenzverträge im § 1 Abs. 3 des Ges. Bestimmte wird durch die hier auszulegende Gesetzesstelle nicht berührt, ihr Ziel, der Umgehung des Gesetzes entgegenzutreten, bewegt sich auf einem von diesen Verträgen völlig verschiedenen Gebiete, überdies handelt es sich hier auch nicht um einen Briefwechsel, sondern zu beurteilen ist nur das Schreiben der Klägerin. Wird man nach dem Ausgeführten sagen müssen, daß der neu eingefügte Abs. 5 der Tarifst. 32 den Abs. 3 des § 1 des Ges. über diese Korrespondenzverträge unberührt läßt, so kann erst recht nicht von Besteuerung eines nur von der einen Seite verfaßten und der anderen übermittelten Schreibens die Rede sein.
Anzuführen ist auch noch, daß bei der Auslegung, nur förmliche Urkunden über Veräußerungsgeschäfte sollten bei einseitiger Unterzeichnung dem Vertragsstempel unterliegen, die für sog. Kommissionsnoten gemachte Ausnahme den Grund des Gesetzgebers erkennen läßt. Kommissionsnoten konnten als förmliche Urkunden angesehen und der Bestimmung unterstellt werden. Das sollte im Interesse der Belästigung des Handelsverkehrs vermieden werden. Bestätigungsschreiben besonders auszunehmen, lag kein Anlaß vor, weil sie, wie ausgeführt, schon an sich nicht unter die Bestimmung fallen und diese bei der ihr gegebenen Auslegung eine Erschwerung des kaufmännischen Verkehrs auch nicht zur Folge hat. Bei Unterstellung der Bestätigungsschreiben unter die Vorschrift des Abs. 5 würde der Handelsverkehr aber mindestens ebenso wie durch eine Verstempelung der Kommissionsnote belastet werden, und eine Belästigung des Verkehrs sollte durch die Bestimmung nicht herbeigeführt werden.
Hiernach ist das Schreiben der Klägerin der erforderten Stempelabgabe nicht unterworfen. Der rechtzeitig erhobene Rückforderungsanspruch der Klägerin ist in der Hauptsache begründet." ...