RG, 21.03.1919 - III 388/18

Daten
Fall: 
Formbestimmung eines Mietvertrags
Fundstellen: 
RGZ 95, 175
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
21.03.1919
Aktenzeichen: 
III 388/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Leipzig
  • OLG Dresden

1. Schließt die Bestimmung eines Mietvertrags, daß Abänderungen und Zusätze zur Rechtswirksamkeit der schriftlichen Abfassung und der Unterschrift beider Teile bedürfen, die Gültigkeit einer mündlichen Abrede unter allen Umständen aus?
2. Bedeutung der Zusicherung völliger Brauereifreiheit der vermieteten Gastwirtschaft.

Tatbestand

Durch schriftlichen Vertrag vom 5. September 1915 vermietete der Beklagte die in seinem Hause Brüderstraße 11 betriebene Schankwirtschaft auf mehrere Jahre an den Kläger und dessen Ehefrau, und zwar nach der Behauptung des Klägers mit der mündlichen Zusicherung "völliger Brauereifreiheit". Wie der Kläger weiter vorträgt, nahm gleich nach Eröffnung seines Wirtschaftsbetriebs die U.sche Brauerei ihm gegenüber auf Grund angeblich zwischen ihr und dem Beklagten getroffener Vereinbarungen die Schankwirtschaft als zu ihrem Absatzgebiete gehörig in Anspruch und veranlaßte alle, mit ihr zu einem Ringe vereinigten Brauereien, dem Kläger die Lieferung von Bier zu verweigern. Deshalb verlangte er im vorliegenden Rechtsstreite unter anderem die Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 5800 M.

Das Landgericht wies die Klage ab. Das Oberlandesgericht erklärte den Anspruch des Klägers auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung der Brauereifreiheitszusicherung dem Grunde nach für berechtigt. Die Revision wurde zurückgewiesen.

Gründe

... "Nach der unangefochtenen Feststellung des Oberlandesgerichts hat der Beklagte bei den Vertragsverhandlungen dem Kläger mündlich zugesichert, daß die Schankwirtschaft "völlig brauereifrei" sei. Im § 15 des Mietvertrags ist freilich die Bestimmung enthalten, daß Abänderungen und Zusätze zur Rechtswirksamkeit der schriftlichen Abfassung und der Unterschrift beider Teile bedürfen. Diese können aber eine solche Vertragsklausel für den Einzelfall außer Kraft setzen, und das geschieht, wenn sie darüber einig sind, daß für ihre vertraglichen Beziehungen neben dem Urkundeninhalt auch eine bestimmte mündliche Abrede maßgebend sein soll. Daß die Parteien das bezüglich der obigen Zusicherung übereinstimmend gewollt und zum Ausdrucke gebracht haben, ist vom Berufungsrichter in tatsächlicher Würdigung der Beweisaufnahme für dargetan erachtet worden. Ihre Rechtsgültigkeit ist daher nicht zu beanstanden.

Zutreffend hat das Oberlandesgericht in der Zusicherung der Brauereifreiheit die einer Eigenschaft erblickt. Denn unter den Begriff einer Eigenschaft fallen nach der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts (vgl. z. B. RGZ. Bd. 61 S. 86) auch solche tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse von einer gewissen Dauer, welche infolge ihrer Verbindung mit oder ihrer sonstigen Beziehungen zu einer Sache nach der Verkehrsauffassung wertbildend oder werterhöhend zu wirken pflegen. Der Berufungsrichter hat nun eingehend erörtert, daß und weshalb der Kläger, wie auch jeder andere Gastwirt es in seiner Lage getan hatte, ein großes Gewicht darauf legte, hinsichtlich des Bierbezugs an keine Brauerei gebunden zu sein und in seinen Räumen ungehindert das Bier verschänken zu können, das ihm für seinen Betrieb am vorteilhaftesten schien. Er hat weiter erwogen, daß der Kläger der Firma U. gegenüber eine vertragliche Bierbezugsverpflichtung nicht hatte, daß eine solche ihm auch vom Beklagten nicht auferlegt und im Rechtswege daher nicht erzwingbar war. Dagegen bestand die Möglichkeit, daß die Firma U., welche den früheren Inhabern der Gastwirtschaft Bier geliefert hatte, diesen Umstand und ihre bisherigen Beziehungen zu dem Beklagten, wie es denn auch tatsächlich der Fall gewesen ist, dazu benutzen würde, eine wirtschaftliche Waffe gegen den Kläger zu schmieden, um, gestützt auf ihre Zugehörigkeit zum Brauereiringe, ihn zu zwingen, wie seine Vorgänger Bier von ihr zu entnehmen. Deshalb gelangt der Berufungsrichter in durchaus schlüssiger Weise zu dem Ergebnis, daß die Zusicherung der Brauereifreiheit, wenn ihr überhaupt eine praktische Bedeutung beiwohnen sollte, nur den Sinn und Zweck haben konnte und hatte, dem Beklagten die Verpflichtung aufzuerlegen, dafür einzustehen, daß keine Brauerei, insbesondere nicht die Firma U., auf den Kläger in seiner Eigenschaft als Mieter der Gastwirtschaft einen wirtschaftlichen Zwang ausüben würde, um ihn in seiner Bewegungsfreiheit hinsichtlich der Wahl der Bierbezugsquelle zu beschränken. ...

Unstreitig hat die U.sche Brauerei unter Berufung darauf, daß sie gegen den Beklagten einen vertraglichen Anspruch habe, die Bierlieferung für die Gastwirtschaft übertragen zu erhalten, andere Ringbrauereien veranlaßt, dem Kläger Bier zu verweigern. Das genügt, um Schadensersatzansprüche des Klägers gegen den Beklagten aus den §§ 537 Abs. 2, 538 BGB. auszulösen, ohne daß es darauf ankommt, ob der Rechtsstandpunkt der Firma U., den sie dem Beklagten gegenüber einnahm, gerechtfertigt war oder nicht."