RG, 27.04.1880 - IVa 229/79

Daten
Fall: 
Regress des Bürgen ohne Klagenzession
Fundstellen: 
RGZ 1, 344
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
27.04.1880
Aktenzeichen: 
IVa 229/79
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Kreisgericht Bergen o./R.
  • Appellationsgericht Greifswald

Regreß des Bürgen gegen den Hauptschuldner auch ohne Klagencession abseiten des bezahlten Gläubigers. - Kann der debitor cessus, welcher nach der Certioration auf Grund einer vor derselben übernommenen Bürgschaft einen Gläubiger des Cedenten bezahlt hat, gegen den Cessionar mit der ihm durch die Zahlung erwachsenen Forderung an den Cedenten kompensieren?

Tatbestand

Die Klägerin klagte eine ihr von ihrem Ehemanne cedierte Forderung an den Beklagten ein. Die Cession war am 16. September 1876 geschehen und dem Beklagten drei Tage später angezeigt. Der Beklagte erhob folgenden Kompensationseinwand. Er behauptete, der Ehemann der Klägerin habe dem Kaufmanne M. ein Darlehen verschuldet, und der Bruder des Beklagten habe für diese Schuld auf Höhe von 500 Thlr. die Bürgschaft übernommen; für diese Bürgschaftsschuld seines Bruders habe sich der Beklagte dem Darlehensgläubiger M. gegenüber vor der Cession der eingeklagten Forderung weiter verbürgt und letztere bei der Insolvenz des klägerischen Ehemannes und nach der Konkurseröffnung über das Vermögen des Hauptbürgen, nämlich im Mai 1877, an M. zum verbürgten Betrage mit Zinsen bezahlt. Den Betrag der ihm dadurch gegen den Ehemann der Klägerin erwachsenen Forderung stelle er zur Kompensation.

Die Klägerin bestritt, daß der Beklagte durch die Zahlung an den Kaufmann M. einen Anspruch an ihren Ehemann erworben habe, zumal eine Klagecession nicht behauptet sei; sie leugnete auch event. die Kompensabilität.

Der erste Richter verwarf den Einwand, weil dem Beklagten schwerlich darum zu thun gewesen sei, bei der Zahlung an M. die Geschäfte des Ehemannes der Klägerin zu führen, zu welchem er in keinem Bürgschaftsverhältnisse gestanden; die Bezahlung fremder Schulden enthalte nicht unbedingt eine nützliche Verwendung. Der Appellationsrichter bestätigte die Entscheidung unter Billigung der dafür angegebenen Gründe. Auf die Nichtigkeitsbeschwerde des Beklagten ist zwar das zweite Urteil vernichtet, in der Sache selbst jedoch die Entscheidung aufrecht erhalten.

Gründe

In den Gründen wird zunächst ausgeführt, die Entscheidung sei nicht klar begründet; sie enthalte nicht die Feststellung, daß Beklagter die Nachbürgschaft in rem suam oder donandi causa übernommen habe. Dann heißt es:

"Die Frage, ob dem Bürgen ein Regreß gegen den Hauptschuldner zusteht, ist nach dem zwischen ihnen obwaltenden Rechtsverhältnis zu beurteilen. Als Regel gilt, daß der Bürge das dem Gläubiger Gezahlte auch ohne Cession der Klage von dem Hauptschuldner nach den Grundsätzen des Auftrages oder der Geschäftsführung ersetzt verlangen kann, §. 6 Inst. de fidejussoribus 3.20; 1. 43 D. de neg. gest. 3.5.

Eine Ausnahme tritt nur dann ein, wenn der Bürge die Bürgschaft in seinem eigenen Interesse als fidejussor in rem suam oder donandi animo übernommen hat. Daß der Regreßanspruch des Bürgen nach diesen Grundsätzen zu beurteilen ist, nehmen Doktrin und Praxis fast ohne Ausnahme an. Vgl. Windscheid, Pand. Bd. II §. 481; Arndts, Pand. §. 356; Sintenis, Pand. §. 129; Stobbe, deutsches Privatrecht Bd. NI h. 192; Seufferts Archiv Bd. XXII Nr. 237 (München), Bd. XVII Nr. 40 (Rostock).

Dieselben Rechte, welche der Bürge durch die Zahlung gegen den Hauptschuldner erlangt, erwirbt auch der Nachbürge, wenn er durch Befriedigung des Gläubigers den Hauptschuldner befreit.

Da nun im vorliegenden Falle der Appellationsrichter nicht festgestellt hat, daß Beklagter donandi causa oder in rem suam für den Ehemann der Klägerin intercediert hat, so verletzt er durch Versagung des Regresses aus dem Grunde, weil die Bezahlung der Schuld an M. kein utiliter gestum für den Hauptschuldner enthalte, den in der Nichtigkeitsbeschwerde formulierten Rechtsgrundsatz. Es unterliegt deshalb die Entscheidung über diesen Kompensationseinwand der Vernichtung.

Bei freier Beurteilung muß jedoch das zweite Erkenntnis aufrecht erhalten werden.

Nach gemeinem Recht ist es Regel, daß der debiter cessus gegen den Cessionar mit Forderungen an den Cedenten kompensieren darf, sofern ihm diese Forderungen bei der Certioration zustanden, und, wenn die cedierte Forderung fällig ist, damals ebenfalls fällig waren. Vgl. Krug, Kompens.S.170 ff.; Dernburg, Kompens. S. 386; Seuffert's Archiv Bd. II Nr. 279 (Lübeck), Bd. VI Nr. 177 (Stuttgart), Bd. XII Nr. 18 (Cassel), Bd. XIII Nr. 91 (Celle), Bd. XIV Nr. 22 (Jena); Fenner und Mecke Bd. IV S. 32.

Im vorliegenden Falle hat der Ehemann der Klägerin dieser die Baugelderforderung am 16. September 1876 cediert. Beklagter ist von der Cession binnen wenigen Tagen benachrichtigt. Die Zahlung an M. aber hat er Trinitatis 1877 geleistet. Nach obiger Regel würde Beklagter nur dann zur Kompensation berechtigt sein, wenn ihm vor Empfang der Denunziation die zur Aufrechnung gebrachte Forderung an den klägerischen Ehemann bereits zustand. Er vermeint dies, weil er die Nachbürgschaft, durch welche er zur Zahlung verpflichtet wurde, schon vor der Denunziation übernommen hatte. Jedoch mit Unrecht. Die gemeinrechtliche Praxis versagt sogar dem Hauptbürgen, welcher erst nach der Denunziation zahlt, die Aufrechnung ( Seuffert's Archiv Bd. II Nr. 279 [Lübeck], Bd. XIII Nr. 91 [Celle]), weil er durch Übernahme der Bürgschaft zwar einen Anspruch auf Kaution oder Liberation gegen den Hauptschuldner, nicht aber auf Zahlung erwirbt; 1.45 §. 2 Dig. mandati D. 17,1; Girtanner, Bürgschaft S. 529. Im vorliegenden Falle aber war nicht die Nachbürgschaft des Beklagten für seinen Bruder, sondern nur die Zahlung an M. ein utiliter gestum für den Ehemann der Klägerin; zur Zeit der Zahlung aber war die Klageforderung aus dessen Vermögen durch die Cession bereits ausgeschieden."