RG, 14.05.1884 - I 121/84

Daten
Fall: 
Leichtes Verschulden bei Seeversicherung
Fundstellen: 
RGZ 14, 119
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
14.05.1884
Aktenzeichen: 
I 121/84
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Hamburg, Kammer für Handelssachen
  • OLG Hamburg

Genügt bei der Seeversicherung ein leichtes Verschulden des Versicherten, um den Versicherer von der Verbindlichkeit zum Ersatze des dadurch verursachten Schadens zu befreien, insbesondere insoweit der Schiffer selbst der Versicherte ist?

Tatbestand

Das Berufungsurteil wurde, unter Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, aufgehoben aus folgenden Gründen:

Gründe

"Es handelt sich, nach eingetretenem Totalverluste des von den Beklagten zu 30000 M versicherten Schiffes "Helene", um den Ersatz derjenigen fünf Achtel desselben, für welche der Schiffer, Kapitän H., selbst Mitrheder, und für welche daher die Versicherung von der Klägerin in seinem Auftrage und für seine Rechnung genommen war. Das Landgericht hat die Klagansprüche insoweit deswegen abgewiesen, weil jener Totalverlust in einem eigenen Verschulden des Versicherten, des Kapitän H., seinen Grund gehabt habe. Das Berufungsgericht hat dagegen, ohne in betreff dieses Thatumstandes erschöpfende Feststellungen gemacht zu haben, die Beklagten auch zum Ersatze der fraglichen fünf Achtel für verpflichtet erklärt. Zu Anfang der Entscheidungsgründe ist zwar gesagt, der den Beklagten obliegende Beweis, daß der Schade in einem Verschulden des Versicherten sich gründe, sei nicht erbracht worden; aus der weiteren Begründung erhellt aber alsbald, daß nur gemeint ist, es sei kein Verschulden von der besonderen Art nachgewiesen, wie nach der Auffassung des Oberlandesgerichtes hier erforderlich wäre. Welcher Art dieses Verschulden gewesen sein müßte, ist in den Entscheidungsgründen nicht völlig klar entwickelt; gegen den Schluß derselben hin tritt indessen immer deutlicher eine Art der Begründung hervor, welche zur Voraussetzung hat, daß nur ein grobes Verschulden des Versicherten den Anspruch gegen den Versicherer ausschließen würde. Mag nun die zu Grunde liegende Unterscheidung gedacht sein, wie sie will: keinesfalls konnte einer Auffassung des §. 70 Nr. 4 der allgemeinen Seeversicherungsbedingungen von 1867, bezw. des Art. 825 Nr. 4 H.G.B., aus welchem jene Bestimmung wörtlich entnommen ist, beigetreten werden, wonach dem Satze gegenüber, daß der vom Versicherten selbst verschuldete Schade vom Versicherer nicht ersetzt zu werden brauche, irgend eine Unterscheidung statuiert würde. Nicht nur giebt der Wortlaut der in Rede stehenden Bestimmung zu einer solchen Unterscheidung nicht die mindeste Veranlassung, sondern es ist auch von jeher als ein Fundamentalsatz des Versicherungsrechtes angesehen worden, daß dem Versicherer nur der für den Versicherten zufällige Schade zur Last falle, und daß daher jeder durch Verschulden des letztern verursachte Schade nicht zu ersetzen sei.1

Auch in dem früheren Plane hamburgischer Seeversicherungen von 1853 §. 38 Abs. 3 und in den Versicherungsbedingungen der bremischen Seeversicherungsgesellschaften von 1854 §. 58 (ähnlich wiederholt in den Bedingungen von 1875 §. 56) fand sich von einer Unterscheidung, wie der hier fraglichen, keine Spur.2

Auch ist nicht bekannt, daß der Ausdruck "Verschulden" in Art. 825 Nr. 4 H.G.B. bisher jemals anders als von jedem Verschulden verstanden worden wäre.3

Wenn bei der Feuerversicherung vielfach die Haftung für den nachteiligen Erfolg eines nur geringen Verschuldens des Versicherten dem Versicherer aufgebürdet worden ist, teils durch besondere Vertragsbestimmungen, teils durch neuere Gesetzgebungen, teils auch wohl mittels Rechtsdeduktionen auf dem Boden des gemeinen Rechtes (so vom Oberappellationsgerichte zu Lübeck in Kierulff, Sammlung Bd. 2 S. 258 flg. und in der Zeitschrift für Handelsrecht Bd. 19 S. 271 flg.), so hat man dies dabei doch stets als eine aus praktischen Gründen anzuerkennende Besonderheit gerade der Feuerversicherung angesehen, Ältere deutsche Gesetze wissen auch nicht einmal von dieser Besonderheit etwas. Das preußische Allgemeine Landrecht befreit den Versicherer von der Vergütung jedes Schadens, der durch ein auch nur "mäßiges" Versehen des Versicherten verursacht ist (A.L.R. II. 8 §§. 2119, 2120 verglichen mit I. 5 §. 278) und wendet dies in II. 8 §§. 2156. 2235 einfach auch auf die Feuerversicherung an. Das österreichische bürgerliche Gesetzbuch §. 1288 bezeichnet schlechtweg als Gegenstand des Versicherungsvertrages die Leistung der Gefahr des Schadens, welcher einen anderen ohne dessen Verschulden treffen könnte, wobei nach §. 1292 daselbst noch nicht einmal unmittelbar an die Seeversicherung gedacht ist.

Es mag noch daran erinnert werden, daß auch in dem Rechtsleben anderer Völker der Satz, daß jedenfalls bei der Seeversicherung der Versicherer für die Folgen irgend eines Verschuldens des Versicherten nicht einzustehen habe, soweit bekannt, nie bezweifelt worden ist. So ist z. B. der Art. 351 Code de commerce nie anders ausgelegt worden; ja in Frankreich wird sogar angenommen, daß abweichende Vertragsklauseln ungültig seien.4

Fremery, welcher bei der Feuerversicherung den Versicherer auch die Folgen geringer Versehen des Versicherten tragen läßt, findet (Etudes de droit commercial p. 342) hierin gerade einen wichtigen Unterschied zwischen Seeversicherung und Feuerversicherung.

Für das englische Recht geht aus Arnould, Marine Insurance (ed. 5) p. 718 flg., welchen das Oberlandesgericht als Autorität für seine Entscheidung angeführt hat, in Wirklichkeit vielmehr dieselbe Auffassung hervor. Denn nach diesem Schriftsteller befreit den Seeversicherer jede " negligence or defaut on the part of the assured or his agents". Wenn es weiterhin heißt, nicht " every mistake in judgment" auf seiten des Versicherten habe diese befreiende Wirkung, so wird dadurch jener Satz nicht wieder eingeschränkt; denn es folgt sofort die nähere Bestimmung dahin, daß der Versicherer hafte, wenn auf Seiten des Versicherten " with reasonable prudence and a bona fide desire to do the best for all concerned" gehandelt sei.

Es scheint bei der Entscheidung des Oberlandesgerichtes der Gedanke mitgewirkt zu haben, als sei es unbillig, daß der Versicherer dem Schiffer als Versichertem gegenüber, weil dieser zugleich nautischer Leiter ist, in gewissem Sinne günstiger gestellt sein sollte, als jedem anderen Versicherten gegenüber. Eine solche Betrachtung müßte aber für ganz abwegig erklärt werden. Es wäre, dabei übersehen, daß der Schiffer nach Art. 478 und Art. 479 Abs. 1 H.G.B. dem Rheder für jedes Verschulden schadensersatzpflichtig ist, und daß dieser Anspruch nach Art. 808 und Art. 826 H.G.B. (§§. 27 und 71 der allgemeinen Seeversicherungsbedingungen) mit der Bezahlung des Schadens gerade dann auf den Versicherer übergeht, wenn der Rheder nicht mit dem Schiffer identisch ist. In Wirklichkeit würde also gerade vom Standpunkte des Berufungsurteiles aus der Versicherer dem Schiffer als Versichertem gegenüber nachteiliger gestellt sein, als anderen Versicherten gegenüber." ...

  1. 1. Vgl. von älteren deutschen Schriftstellern: Benecke, Assekuranz- und Bodmereiwesen Bd. 3 S. 196; Pöhls, Handelsrecht Bd. 4. T. I S. 314 flg.; Heise, Handelsrecht, S. 432, sowie ferner Voigt im Neuen Archiv für Handelsrecht Bd. 4 S. 172 flg. Anm. 21.
  2. 2. Vgl. Entsch. des R.O.H.G.'s Bd. 24 S. 395.
  3. 3. Vgl. Fick in der Zeitschrift für Handelsrecht Bd. 20 S. 11 Anm. 2; Lewis, Seerecht Bd. 2 S. 288 flg.; Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 9 S. 120.
  4. 4. Vgl. Bédarride, Commentaire liv. 2 tom. 4 (éd 2) p. 59; Alauzet, Commentaire tom. 6 (éd. 3) p. 195.