Arbeitsrecht für Anfänger – Einführung und Grundlagen des Arbeitsrechts

Die Grundlagen der nachfolgenden Ausführungen entstanden während des Referendariats des Verfassers und waren ursprünglich dazu gedacht, die Grundzüge des Arbeitsrechts wiederholen zu können. Die Ausarbeitung beruht auf dem Lehrbuch von Prof. Dr. Junker.

Das Skript richtet sich an jedermann, der sich mit dem Arbeitsrecht beschäftigen will oder muss. Der Verfasser erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Richtigkeit. Die vom Verfasser erarbeiteten Erklärungen müssen nicht unbedingt vom Leser geteilt werden. Der Leser soll aber in die Lage versetzt werden, selbständig Lösungen vor allem auf Basis der gesetzlichen Regelungen, aber ggf. auch der zitierten Rechtsprechung und Literaturmeinungen zu entwickeln.

Die Grundlagen des Zivilrechts werden vorausgesetzt. Der Verfasser ist über jegliche Art von konstruktiver Kritik dankbar. Da sich die Ausführungen an Einsteiger in das Rechtsgebiet richten, wird auf die Darstellung von Meinungsstreitigkeiten grundsätzlich eher verzichtet, hingegen wird versucht, die gesetzlichen Strukturen, welche für das Verständnis der Regelungen hilfreich sind, herauszuarbeiten.

Inhaltsverzeichnis 

1. Grundlagen des Arbeitsrechts

Arbeitsrecht ist sehr alt, hatte seine Wurzeln im antiken Sklaventum, war im römischen Recht ein Unterfall der locatio conductio und fand schon in der Bibel Erwähnung.1

Der Begriff Arbeitsrecht lässt sich in zwei Merkmale unterteilen: Recht der Arbeit. Auf der Grundlage dieser Unterteilung fragt es sich weiter: Was ist Arbeit?

So erscheint ein Begriffsverständnis von Arbeit als rein physikalische Arbeit zu eng und gleichzeitig zu weit. Ein derartiges Begriffsverständnis spart geistige Arbeit aus und erfasst gleichzeitig aber auch die nicht menschliche Arbeit, z. B. eines Produktionsroboters.

Aus der Perspektive der Ökonomie ist Arbeit eher gleichzusetzen mit einem Produktionsfaktor, das heißt, körperliche oder geistige Tätigkeit eines Menschen in Ausübung eines Berufs, also die Erwerbstätigkeit einer natürlichen Person.

Neben dem Begriff der Arbeit findet sich in der Rechtsordnung vielfach auch der Begriff der Erwerbstätigkeit. Die Erwerbstätigkeit lässt sich weiter folgendermaßen unterteilen und Abgrenzen:

  • öffentlich-rechtlich ⟺ privatrechtlich
  • gesellschaftsrechtliche ⟺ einzel-dienstvertraglich
  • selbstständig ⟺ unselbstständig

2. Gegenstand des Arbeitsrechts

Gegenstand des Arbeitsrechts ist ein aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Form eines Dienstvertrags i. S. d. § 611 Abs. 1 BGB unselbstständige, das heißt, in persönlicher Abhängigkeit des Dienstnehmers, erbrachte Tätigkeit. Mit anderen Worten: Arbeit umfasst alle Dienstleistungen i. S. d. § 611 Abs. 1 BGB, die auf privatrechtlicher Basis in persönlicher Abhängigkeit zu erbringen sind.

Das (materielle) Arbeitsrecht ist dabei sowohl im BGB, als auch weiteren zahlreichen Einzelgesetzen geregelt (z. B. TzBfG, MiLoG, etc.). Das heißt, es gibt kein einheitliches Arbeitsgesetzbuch.

2.1. Teilgebiete des Arbeitsrechts

Individuelles Arbeitsrecht Kollektives Arbeitsrecht Arbeitsgerichtsbarkeit
Arbeitsrecht ist zunächst Arbeitsvertragsrecht, § 611a BGB Hintergrund: Machtungleichgewicht zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmers Enge Verzahnung mit dem materiellen Arbeitsrecht
Überlagerung durch das öffentlich-rechtliche Arbeitsschutzrecht Tarifverträge, Arbeitskämpfe, Koalitionen (Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände) Hauptgegenstand: Kündigungsschutzprozesse

Arbeitsrecht ist deshalb zusammengefasst die Gesamtheit der Normen über Arbeitsverträge und Arbeitsschutz, über Koalitionen, Tarifverträge, Arbeitskämpfe, Betriebsverfassung und Unternehmensmitbestimmung sowie über das arbeitsgerichtliche Verfahren.

2.2. Merkmale des Arbeitsverhältnisses

Ausgangspunkt für das Arbeitsverhältnis – anders und in Abgrenzung zu dem Arbeitsvertrag – ist der jeweilige Lebenssachverhalt. Für das Arbeitsverhältnis bzw. den jeweiligen Lebenssachverhalt sind abstrakt drei Merkmale kennzeichnend:

Es handelt sich bei dem Arbeitsverhältnis um ein Dauerschuldverhältnis, da die Arbeitsleistung wiederholt erbracht wird.

Das Arbeitsverhältnis dient der Sicherung der Existenzgrundlage des Arbeitnehmers.

Das Arbeitsverhältnis ist gleichzeitig geprägt durch ein Machtgefälle zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

2.2.1. Dauerschuldverhältnis

Entscheidendes Kriterium für das Vorliegen eines Dauerschuldverhältnisses ist der Zeitfaktor: Es müssen arbeitstäglich wiederkehrende Leistungen für den Arbeitgeber erbracht werden. Dauerschuldverhältnisse werden regelmäßig durch Kündigung beendet. Eine Rückabwicklung eines Dauerschuldverhältnisses ist regelmäßig schwierig, insbesondere auch, falls das Arbeitsverhältnis angefochten wird. In dem Fall sähe sich der Arbeitnehmer mit der Rückabwicklung nach §§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, 818 Abs. 2 BGB konfrontiert. Um derartige Komplikationen zu vermeiden, greift die hier Lehre vom fehlerhaften Arbeitsverhältnis, wonach das Arbeitsverhältnis anders als § 142 Abs. 1 BGB, ex nunc nichtig ist und für die Vergangenheit als wirksam behandelt wird.2

Aus dem Dauerschuldverhältnis folgt das Erwachsen fortlaufender einzelner Rechte, Pflichten und Rechtspositionen, bspw. das Bedürfnis nach Urlaub. Da der Arbeitnehmer durch den Arbeitsvertrag an dessen Tätigkeit gebunden ist, folgt hieraus auch eine gewisse Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers. Dies wird weiter durch § 613 S. 1 BGB unterstrichen, wonach im die Arbeitsleistung grundsätzlich höchstpersönlich von dem Arbeitnehmer zu erbringen ist. Ob dies jedoch der Fall sein muss, richtet sich nach dem jeweiligen Dienst- bzw. Arbeitsvertrag.3

Außerdem kommt bei dem Dauerschuldverhältnis auch die soziale Dimension von Arbeit zum Ausdruck. Dies spiegelt sich beispielsweise wieder im öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutz, aber auch in Form von netten Arbeitskollegen.

2.2.2. Existenzgrundlage

Das Arbeitsverhältnis ist für den Arbeitnehmer vor allem von hoher wirtschaftlicher Bedeutung, da er mit der Vergütung seinen Lebensunterhalt bestreiten muss. Für eine angemessene Vergütung sorgen z. B. Tarifverträge. Dass es sich bei dem Arbeitsverhältnis um die Existenzgrundlage des Arbeitnehmers handelt und die Arbeitsleitung wiederholt und dauerhaft zu erbringen ist, kommt auch aus den Regelungen zum Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz zum Ausdruck.4

2.2.3. Machtungleichgewicht

Das Arbeitsverhältnis ist vor allem durch ein Unterordnungsverhältnis auf Seiten des Arbeitnehmers geprägt, da der Arbeitgeber in aller Regel wirtschaftlich stärker ist. Dies kommt konkret durch mehrere Punkte zum Ausdruck: So ist der Abschluss des Arbeitsvertrags durch vom Arbeitgeber vorformulierte Vertragstexte ("arbeitsvertragliche Einheitsregelungen") die Regel. Insofern verbleibt wenig Verhandlungsspielraum auf der Seite des Arbeitnehmers. Auch der Inhalt des Arbeitsverhältnisses und dessen wesentliche Ausgestaltung wird durch Weisungen des Arbeitgebers bestimmt (s. § 106 GewO). Auch einem entsprechenden Wissensvorsprung des Arbeitgebers bezwecken die Regelungen des Nachweisgesetzes entgegenzuwirken.

2.3. Rechtliche Rahmenbedingungen

Besondere Hervorhebung für das Arbeitsrecht verdienen die folgenden drei übergeordneten Rahmenbedingungen:

2.3.1. Marktwirtschaft

Im Rahmen einer Marktwirtschaft richten sich Wirtschaftsprozesse grundsätzlich nach Angebot und Nachfrage. Dass sich das Wirtschaftssystem in Deutschland nach den Grundsätzen der Marktwirtschaft ausrichtet, ist im Grundgesetz nicht zwingend vorgegeben, aber kommt jedenfalls mittelbar durch Art. 14 GG zum Ausdruck (vgl. das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb).

Aus der Wechselbeziehung von Arbeitsrecht und Marktwirtschaft folgt, dass es keine gesetzlichen Einstellungsansprüche gibt und keinen absoluten Entlassungsschutz. Andererseits ist auch an den momentan in den Medien omnipräsenten Fachkräftemangel zu denken.

2.3.2. Berufsfreiheit (Art. 12 GG)

Die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) bezieht sich sowohl auf den Arbeitnehmer als auch auf den Arbeitgeber und hat somit auch den Schutz der unternehmerischen Freiheit zum Gegenstand. Da der Schutzbereich der Berufsfreiheit denkbar weit auszulegen ist, sind verfassungsrechtlich sowohl die Gründung eines Unternehmens, dessen Führung, aber natürlich auch die Tätigkeiten eines Klein- oder Mittelbetriebes sowie Tätigkeit eines Großunternehmers hiervon abgedeckt.

Da, wie erwähnt, zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ein Machtgefälle besteht, gebietet sich stets eine grundrechtskonforme Auslegung von arbeitgeberseitigen Kündigungen.

2.3.3. Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG)

Das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) dient als Korrektiv und somit als Ausschluss ungehemmter Marktwirtschaft, indem es, bezogen auf das Arbeitsrecht, zum Ausdruck bringt, dass es keine rücksichtslose Verwertung von Produktionskapital geben darf.

Aus der Perspektive des Arbeitsschutzes dient das Sozialstaatsprinzip der Verhinderung eines "zu wenig" an Schutzvorschriften (Untermaßverbot).

Aus verfassungsrechtlicher Perspektive ist das Sozialstaatsprinzip auch der Anknüpfungspunkt für das gesamte Sozialversicherungsrecht (SGB III, SGB V, SGB VI und SGB VII).

2.4. Ebenen des Interessenausgleichs

Abstrakt formuliert ist ein Arbeitsverhältnis daher geprägt von mehreren Spannungsverhältnissen: Auf der Seite des Arbeitgebers besteht das Interesse, möglichst optimale Arbeitsergebnisse mit möglichst wenig Kapital- und Mitteleinsatz zu erzielen, um den unternehmerischen Gewinn zu steigern. Auf der Seite des Arbeitnehmers besteht das Interesse, angemessen für die erbrachte Tätigkeit entlohnt zu werden und möglichst hohe Schutzstandards zu erhalten. Der Gesetzgeber versucht diesen Interessenausgleich auf verschiedenen Ebenen zu lösen.

2.4.1. Vertragsfreiheit und Gesetzesrecht

Ausdruck der Privatautonomie ist die Vertragsfreiheit. Diese lässt sich unterteilen in die vertragliche Abschlussfreiheit („Ob“ des Zustandekommens eines Vertrags) und die Gestaltungsfreiheit („Wie“ der inhaltlichen Beschaffenheit eines Vertrags).

Schranken der Vertragsfreiheit sind staatliche Regelungen, um einen angemessenen Grundrechtsschutz zu sichern. So gibt es einfachgesetzliche Schutzvorschriften, wie z. B. den § 12 EFZG, der vertraglich nicht umgangen werden kann. Soweit keine einfachgesetzlichen Regelungen existieren, werden diese durch Richterrecht ausgefüllt. Aus der Perspektive betrachtet ist Arbeitsrecht auch Arbeitnehmerschutzrecht, da es ein Kontrollsystem ggü. der Vertragsfreiheit geben muss.

2.4.2. Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie

Häufig sind weitere Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge geregelt. Das Mittel für bessere Arbeitsbedingungen ist der Arbeitskampf in Form von Streiks (s. z. B. der GDL-Streik Anfang des Jahres 2024).

Die Koalitionsfreiheit und die Tarifautonomie sind verfassungsrechtlich durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt. Der Schutz der Koalitionsfreiheit umfasst die folgenden drei Punkte:

Positive / negative Koalitonsfreiheit Industrieverbandsprinzip Tarifbezug des Arbeitskampfes
Geschützt ist sowohl das Recht, einer Gewerkschaft beizutreten als auch ihr fern zu bleiben Hierbei handelt es sich um ein vorherrschendes Organisationsprinzip. Bsp.: Tarifverträge der chemischen Industrie gelten für alle Beschäftigten eines Chemieunternehmens, auch wenn es sich um einen Werbegrafiker im Unternehmen handelt Das bedeutet, der nicht gewerkschaftliche geführte Arbeitskampf / Streik ist verboten

2.4.3. Betriebs- und Unternehmensverfassung

Modernes Arbeitsrecht beschränkt sich nicht lediglich auf den Arbeitnehmerschutz, sondern ist auch Organisationsrecht, das Mitbestimmungsrechte der Betroffenen schafft. Wichtigstes Organ der arbeitnehmerschaftlichen Mitbestimmung ist der Betriebsrat (oder auch Personalrat im öffentlichen Dienst). Das Betriebsverfassungsrecht sieht verschiedene Formen der Mitbestimmung von Arbeitnehmern vor:

  • Erzwingbare Mitbestimmung, § 87 BetrVG
  • Freiwillige Mitbestimmung, § 88 BetrVG
  • Personelle Mitbestimmung, §§ 92 - 105 BetrVG
  • Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten, §§ 106 - 113 BetrVG

3. Europäisches Arbeitsrecht

Auf das deutsche Arbeitsrecht wirken mehrere trans- und internationale Regelwerke ein. Diese seien in aller Kürze wie folgt wiedergegeben:

Recht des Europarats Primärrecht der Europäischen Union
Europäische Sozialcharta – nur in ausgewählten Punkten für Mitgliedsstaaten verbindlich, nie für Bürger Europäische Menschenrechtskonvention – Durchsetzung durch Individualbeschwerde vor dem EGMR Charta der Grundrechte der EU EUV und vor allem der AEUV mit den Art. 151 - 161 AEUV
Sekundärrecht der EU (Art. 288 AEUV) mit seinen zahlreichen Verordnungen und Richtlinien

4. Grundgesetz und Arbeitsrecht

Das Grundgesetz adressiert vor allem den Staat. Die Grundrechte haben jedoch überragend wichtige Bedeutung und somit für die Auslegung jeder Rechtsnorm Relevanz (grundrechtskonforme Gesetzesauslegung). Insbesondere durch einfachgesetzliche Generalklauseln (z. B. § 242 BGB) entfalten die Grundrechte ihre Drittwirkung.

4.1. Grundrechte im Arbeitsverhältnis

Art. 1 Abs. 3 GG bestimmt die Grundrechtsbindung von Gesetzgebung, Exekutive und Rechtsprechung. Im Arbeitsrecht stellen sich daher Fragen nach dem Geltungsvorrang der Grundrechte und deren Drittwirkung.

Das klassische und ursprüngliche Grundrechtsverständnis ist, dass diese Abwehrrechte gegen den Staat sind. Aber aus den Grundrechten ergibt sich noch mehr, nämlich einerseits (staatliche) Schutzpflichten zum Schutz der Grundrechtsträger und andererseits eine objektive Werteordnung.5 Die Grundrechte haben damit, wie erwähnt, Einfluss auf die Generalklauseln des Zivilrechts wie z. B. den §§ 134, 138, 242 BGB.

Bei der Drittwirkung wird unterschieden zwischen

Unmittelbare Drittwirkung Mittelbarer Drittwirkung
Koalitionsfreiheit, Art. 9 Abs. 3 GG Einfluss der Grundrechte über die Generalklauseln des BGB wie z.B. §§ 134, 138, 242 BGB
Ansonsten nicht, da sich auch der Arbeitgeber auf Grundrechte berufen können muss Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe muss grundrechtskonform gedeckt sein

4.2. Gleichheitsrechte

Gleichheitsgrundrechte erscheinen im Arbeitsrecht als unmittelbare Ge- und Verbote gegenüber dem Gesetzgeber und in ihrer mittelbaren Drittwirkung im Arbeitsverhältnis.

4.2.1. Besondere Gleichheitssätze: Art. 3 Abs. 2, Abs. 3 GG

Die besonderen Gleichheitssätze sind vor dem allgemeinen Gleichheitssatz in Art. 3 Abs. 1 GG zu prüfen, da sie spezieller sind.

Aus dem besonderen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG folgt ein Differenzierungsverbot.
Dieses bindet Gesetzgeber unmittelbar (Art. 1 Abs. 3 GG). Hingegen entfaltet es nur eine mittelbare Bindung gegenüber den Tarifparteien. Die einfachgesetzliche Ausprägung des besonderen Gleichheitssatzes ist § 75 Abs. 1 BetrVG. Im Individualarbeitsverhältnis entfaltet dieser besondere Gleichheitssatz mittelbare Drittwirkung über Generalklauseln, z. B. §§ 315, 242 BGB.

Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG hat als besonderer Gleichheitssatz im Arbeitsrecht aus einfachrechtlicher Perspektive keine große praktische Bedeutung, da bereits zahlreiche einfachgesetzliche Vorschriften zum Schutz schwerbehinderter Menschen existieren.

Art. 3 Abs. 2 S. 1 GG behandelt als besonderer Gleichheitssatz die Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Dieser besondere Gleichheitssatz ist zwar als eigenständiges Grundrecht anzusehen, hat gleichwohl aber Überschneidungen mit Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG. Eine Unterscheidung kann wie folgt vorgenommen werden: Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG erfasst als Abwehrrecht unmittelbare Diskriminierungen, Art. 3 Abs. 2 S. 1 GG bietet hingegen auch Schutz gegen mittelbare Diskriminierungen.

4.2.2. Allgemeiner Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz

Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) bindet den Gesetzgeber gem. Art. 1 Abs. 3 GG auch unmittelbar und wird ergänzt durch den diesem sehr ähnlichen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Dieser „stellt eine weitere Möglichkeit dar, Ansprüche zugunsten der Arbeitnehmer zu begründen; seine Existenz ist durch das speziellere Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz nicht beeinträchtigt worden, was § 2 Abs. 3 AGG explizit klarstellt.“6

Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet es dem Arbeitgeber, den Arbeitnehmer ohne sachlichen Grund von Begünstigungen auszunehmen oder ihm Belastungen aufzuerlegen. Das heißt, der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz wirkt nur anspruchsbegründend und gilt nur im betrieblichen und / oder unternehmerischen Bereich.

Hinsichtlich dessen Rechtsnatur handelt es sich um eine gewohnheitsrechtliche Umsetzung von Art. 3 Abs. 1 GG.7

Prüfungsschema: 
1. Der Arbeitgeber muss eine abstrakt-generelle Regel aufstellen 
2. Ungleichbehandlung einer oder mehrerer Personen, die unter die Regel fallen (z. B. Ausnahmetatbestand von o. g. Regel) 
3. Es darf keinen sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung geben 
   ▪ spezielles Diskriminierungsverbot, z. B. § 1 AGG: dessen Differenzierungskriterien sind zu prüfen 
   ▪ ansonsten: Beruht die Ungleichbehandlung auf sachfremden Gründen (Willkür)?
4. Rechtsfolge: 
   ▪ in negativer Richtung: Ungleichbehandlung ist unzulässig 
   ▪ in positiver Richtung: Benachteiligten steht Anspruch auf gleiche Leistung zu.

4.3. Freiheitsrechte

Die Freiheitsgrundrechte in Art. 1 bis 19 GG beeinflussen die Lösung zahlreicher Fragen des Arbeitsrechts. Nachfolgende Grundrechte sind im Arbeitsrecht von besonderer Bedeutung.

4.3.1. Berufsfreiheit – Art. 12 GG

Bei der Berufsfreiheit handelt es sich um das für das Arbeitsrecht naheliegendste Grundrecht. Eine Konkretisierung der Schranken der grundrechtlichen Gewährleistung des Art. 12 Abs. 1 GG findet durch die sog. Dreistufenlehre des Bundesverfassungsgerichts statt, bei der es sich um eine spezielle Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes handelt.

4.3.2. Gewissensfreiheit – Art. 4 GG

Die Gewissensfreiheit (Art. 4 GG) ist in der Praxis häufig mit der folgenden Fragestellung verknüpft: Ist die Arbeitsverweigerung bei einer Arbeit, die der Arbeitnehmer mit seinem Gewissen oder Glauben nicht vereinbaren kann gerechtfertigt? Denkbare Normative Anknüpfungspunkte für die Fallprüfung sind folgendermaßen:

Grundsätzlich besteht das Weisungsrecht des Arbeitgebers nach § 106 GewO. Dessen Ausübung könnte dem Arbeitgeber aber unzumutbar gem. § 275 Abs. 3 BGB sein, wenn es ihn in einen Gewissenskonflikt birgt.8 Eine Prüfungsübersicht kann wie folgt sein:

  • Schutzbereich der Gewissensfreiheit
    • Sittliche, an den Kategorien von Gut und Böse orientierte Entscheidung, die der Einzelne in einer bestimmten Lage für sich bindend empfindet
    • Gewissensentscheidung unterliegt keiner obj. Kontrolle
  • Vornahme einer Interessenabwägung
    • Vorhersehbarkeit des Gewissenskonflikts?
    • Betriebliche Erfordernisse – ggf. bestehen andere Beschäftigungsmöglichkeiten?
    • Wie hoch ist eine etwaige Wiederholungswahrscheinlichkeit?

4.3.3. Meinungsfreiheit – Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG

Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG prägt zusammen mit § 242 BGB den Inhalt des Arbeitsverhältnisses:9 Der Arbeitnehmer hat ggü. dem Arbeitgeber gewisse Treuepflichten zu erfüllen (Einzelausprägungen sind: Wahrung der Interessen des Arbeitgebers, Schadensabwendungspflicht, Verschwiegenheitspflicht, Wettbewerbsverbot, etc.). Auf der anderen Seite steht die Pflicht zur (gegenseitigen) Rücksichtnahme, § 241 Abs. 2 BGB. Hieraus folgt eine gewisse Schutz- und Fürsorgepflicht des Arbeitgebers (z. B. auch eine gewisse Belehrungspflicht10).

Zusammengefasst folgt aus der Meinungsfreiheit für das Arbeitsrecht das Folgende:

  • Unwahre Behauptungen genießen keinen Schutz durch die Meinungsfreiheit. Bei der Vermengung von Tatsachen und Werturteilen ist hingegen der Schutzbereich der Meinungsfreiheit eröffnet.
  • Die vertragliche Rücksichtnahmepflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) und / oder das Recht der persönlichen Ehre (Art. 5 Abs. 2 HS. 2 GG) beschränken die Meinungsfreiheit.
  • Im Rahmen der Interessenabwägung fällt die Richtigkeit des Tatsachengehalts, der dem Werturteil zu Grunde liegt, ins Gewicht.

5. Rechtsquellen

Die im Arbeitsrecht zu berücksichtigende Normenhierarchie ist wie folgt:

  1. Recht der EU
  2. Grundgesetz
  3. (Zwingendes) Gesetzesrecht
  4. (Zwingende) Tarifvertragsnormen, § 4 I 1 TVG
  5. (Zwingende) Betriebsvereinbarungsnormen, § 77 IV BetrVG
  6. Arbeitsvertragliche Regelungen
  7. (Dispositive) Betriebsvereinbarungs-, Tarifvertrags- und Gesetzesnormen
  8. Weisungsrecht des Arbeitgebers (§ 106 GewO).

Richterrecht bildet keine Rechtsquelle, es entfaltet aber eine faktische Bindung.

5.1. Zwingende gesetzliche Bestimmungen

Im Arbeitsrecht dominiert das formelle Gesetz. Hierbei gibt es Unterschiede hinsichtlich dessen Anwendungsbereich: So gibt es Gesetze, die alle Arbeitnehmer erfassen (z. B. BGB), aber auch Arbeitsgesetze, die nur für besonders schutzbedürftige Arbeitnehmer gelten (z. B. MuSchG).

Die formellen für das Arbeitsrecht relevanten Gesetze können auch nach deren Wirkung unterschieden werden. So existieren zwingende Gesetze. Diese dominieren im Arbeitsrecht, da sie zum Schutz des Arbeitnehmers da sind. Es wird dabei weiter unterschieden in einseitig zwingende Gesetze zu Gunsten des Arbeitnehmers (Normalfall, siehe z. B. § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG), beidseitig zwingende Gesetze (z. B. § 6 Abs. 1 MuSchG) sowie dispositive Gesetze (z. B. §§ 613, 614, 616 BGB).

Gewohnheitsrecht ist als auch als Rechtsquelle zu verstehen, dessen normative Entstehungsvoraussetzungen jedoch streng zu bewerten sind. So erfordert Gewohnheitsrecht eine lang andauernde und ständig, gleichmäßige und allgemein tatsächliche Ausübung sowie die allgemeine Überzeugung der beteiligten Rechtskreise mit der tatsächlichen Ausübung geltendes Recht zu befolgen.11

5.2. Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen

Der Oberbegriff von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen ist Kollektivvereinbarung. Der Tarifvertrag und die Betriebsvereinbarung definieren sich jeweils wie folgt:

Bei einem Tarifvertrag handelt es sich um einen schriftlichen Vertrag zwischen Arbeitgeberverband und Gewerkschaft, der im normativen Teil die Ordnung des Abschlusses und die Ordnung der Bedingungen von Arbeitsverhältnissen regeln kann. Er ist die wichtigste Anspruchsgrundlage im Arbeitsverhältnis

Bei einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung handelt es sich um einen schriftlichen Vertrag zwischen Betriebs- oder Personalrat und Arbeitgeber. Die Betriebsvereinbarung erstreckt sich auf Gegenstände, in denen ein Beteiligungsrecht des Betriebsrats besteht. Gem. § 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG gelten Betriebsvereinbarungen wir Rechtsnormen eines Tarifvertrags (§ 4 Abs. 1 TVG), das heißt, unmittelbar und zwingend.

5.3. Gesamtzusage und betriebliche Übung

Bei einer Gesamtzusage handelt es sich um eine an alle Arbeitnehmer des Betriebs (oder einen nach abstrakten Merkmalen bestimmten Teil von ihnen) in allgemeiner Form gerichtete ausdrückliche Willenserklärung des Arbeitgebers, die einen Vorteil verspricht. Bei diesem Vorteil handelt es sich i. d. R. um eine zusätzliche Arbeitgeberleistung, z. B. eine Sonderzuwendung (Weihnachtsgratifikation) oder ein betriebliches Ruhegeld (Betriebsrente).12 Die Gesamtzusage ist ein Angebot, sie löst Rechtsfolgen nur aus, wenn der Arbeitnehmer ausdrücklich, stillschweigend oder gem. § 151 S. 1 BGB die Annahme erklärt.

Eine betriebliche Übung ist eine regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers, aus denen die Arbeitnehmer schließen dürfen, dass ihnen eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer gewährt werden soll. Das Verhalten wird als Vertragsangebot des Arbeitgebers bewertet, das die Arbeitnehmer in der Regel gem. § 151 S. 1 BGB annehmen.13 Nach der Rechtsprechung ist eine dreimalige vorbehaltslose Zahlung einer Arbeitgeberleistung i. d. R. einen Rechtsanspruch der Arbeitnehmer auf künftige Weitergewährung begründen.14 Gegenstand einer betrieblichen Übung können z. B. sein: Zulagen und Gratifikationen und alles, was in Arbeitsbedingungen regelbar ist. Beachte: Durch eine gegenläufige betriebliche Übung wird die ursprüngliche betriebliche Übung nicht automatisch hinfällig, vgl. § 308 Nr. 5 BGB.15

6. AGB-Kontrolle von Arbeitsbedingungen

Das Rechtsinstitut der AGB-Kontrolle hat im Arbeitsrecht eine überragend wichtige Bedeutung. Arbeitsverträge unterliegen grundsätzlich dem vollen Kontrollregime von allgemeinen Geschäftsbedingungen, da es sich in der Regel um vom Arbeitgeber vorformulierte Vertragsbedingungen handelt.

6.1. Vorliegen von AGB, § 305 Abs. 1 BGB

Es müssen die Voraussetzungen des § 305 Abs. 1 S. 1 BGB erfüllt sein. Das heißt, es müssen folgende drei Voraussetzungen vorliegen, damit von AGB gesprochen werden kann:

6.1.1. Vertragsbedingungen

Unter Vertragsbedingungen versteht man Regelungen, die den Inhalt der Arbeitsbedingungen gestalten sollen. Ob es sich dabei um vertragliche Haupt- oder Nebenleistungen handelt, ist gleichgültig. Nicht hierher gehören aber Personalfragebögen, die vor oder bei der Einstellung verwendet werden.

6.1.2. Gestellt

Die Vertragsbedingungen werden gestellt, wenn deren Verwender (im Normalfall also der Arbeitgeber) die Einbeziehung der Vertragsbedingungen in den Vertrag verlangt.

Das Merkmal entfällt nur, wenn die Vertragsbedingungen ausgehandelt werden (§ 305 Abs. 1 S 3 BGB), was beispielsweise bei Spitzenkräften vorkommen kann.

6.1.3. Vorformuliert

Die Vertragsbedingungen sind nicht nur vorformuliert, wenn der Arbeitgeber selbst deren mehrfache Verwendung plant, sondern auch schon dann, wenn er mehrmalig ein Formular benutzt, das ein anderer (z. B. der Arbeitgeberverband) für eine mehrfache Verwendung vorgesehen hat.

Beachte § 310 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 2 BGB: Der Kreis der einer AGB-Kontrolle unterliegenden Regelungsgegenstände vergrößert sich, wenn der Arbeitnehmer als Verbraucher (§ 13 BGB) anzusehen ist. Dann gilt:

  • Die Beweislast, dass der Arbeitgeber die AGBs nicht gestellt hat, liegt bei ihm und
  • eine richterliche Kontrolle findet auch nur bei einmaliger Verwendung statt.

6.2. Einbeziehung und Auslegung

6.2.1. Einbeziehung

Allgemeine Geschäftsbedingungen müssen grundsätzlich bei Vertragsschluss in diesen einbezogen werden. Die Spezialvorschriften in § 305 Abs. 2, Abs. 3 BGB sind auf Arbeitsverträge wegen § 310 Abs. 4 S. 2 BGB aber nicht anzuwenden. Das heißt, es bedarf im Arbeitsrecht keines ausdrücklichen Hinweises für die Einbeziehung allgemeiner Geschäftsbedingungen.

Jedoch tritt im Arbeitsrecht an die Stelle der § 305 Abs. 2, Abs. 3 BGB die Nachweispflicht nach § 2 NachwG. Das heißt, im Ergebnis finden die § 305 Abs. 2, Abs. 3 BGB faktisch erst nach Vertragsschluss über das Nachweisgesetz statt. Für die Einbeziehung einer Klausel in den Arbeitsvertrag genügt die Willensübereinstimmung der Arbeitsvertragsparteien, ergänzend gelten die §§ 305b, 305c Abs. 1 BGB.

6.2.2. Auslegung

Allgemeine Geschäftsbedingungen unterliegen wie jeder Rechtstext der Auslegung. Die Auslegung eines Rechtstextes richtet sich dabei nach folgenden Kriterien:

  • nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn
  • nach der Auffassungsgabe von verständigen und redlichen Vertragspartnern
  • wobei der Durchschnitt maßgeblich.

Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen gehen zu Lasten des Verwenders, § 305c Abs. 2 BGB. Ungeschriebene Voraussetzung ist hier jedoch, dass erhebliche Zweifel vorliegen müssen. Das heißt, um eine Mehrdeutigkeit zu begründen, muss die Klausel auf mindestens zwei unterschiedliche Weisen vertretbar auslegbar sein.16

6.3. Inhalts- und Transparenzkontrolle

6.3.1. Inhaltskontrolle der AGB: Prüfung nach §§ 307 - 309 BGB

Ausgangspunkt der AGB-Kontrolle ist § 307 Abs. 3 S. 1 BGB. Danach findet eine Inhaltskontrolle nur bei Vertragsbedingungen statt, die von Rechtsvorschriften abweichen oder sie ergänzen.

Das Bundesarbeitsgericht schränkt den Anwendungsbereich des § 307 Abs. 3 S. 1 BGB jedoch ein, indem es nicht nur Klauseln, die den Gesetzeswortlaut wiederholen, der Kontrollfreiheit entzieht, sondern auch Abreden über den unmittelbaren Gegenstand der Hauptleistung.

  • Keiner AGB-Kontrolle zugänglich sind daher:
    • Höhe der Vergütung, da dem Gericht keine Preisermittlung zusteht,17
    • Bei dem Verweis auf Dauer der Arbeitszeit im Arbeitsvertrag analog zu Beamten für Angestellte im öffentlichen Dienst18.
  • Einer AGB-Kontrolle zugänglich sind aber:
    • Sittenwidrigkeit wegen Lohnwuchers, § 138 BGB,19
    • Ausgleichsklauseln (nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestehen keine Ansprüche mehr), da Nebenabreden zur Hauptleistung,20
    • Klageverzicht (Verzicht auf Kündigungsschutzklage, § 4 S. 1 KschG)21.

Wichtigste AGB-Kontrollgegenstände sind in aller Kürze und stichworartig wiedergegeben:

  • Altersgrenze
  • Aufhebungsvertrag
  • Ausschlußklausel
  • Bezugnahmeklausel
  • Freiwilligkeitsvorbehalt
  • Klageverzicht
  • Rückzahlungsklausel
  • Schriftformklausel.
  • Stichtagsklausel
  • Teilbefristung
  • Überstundenabrede
  • Verfallklausel
  • Versetzungsklausel
  • Vertragsstrafe
  • Widerrufsvorbehalt

6.3.2. Transparenzkontrolle

Auch wenn eine Inhaltskontrolle wegen § 307 Abs. 3 S. 1 BGB nicht stattfindet, können Arbeitsvertragsklauseln nach § 307 Abs. 1 S. 1, S. 2 BGB unwirksam sein. Das ergibt sich aus § 307 Abs. 3 S. 2 BGB. Dann muss sich aber eine entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessene Benachteiligung daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist (Transparenzgebot). Aus § 307 Abs. 1 S. 2 BGB ergibt sich nicht nur ein Verschleierungs- und Täuschungsverbot, sondern auch ein Bestimmtheits- und Konkretisierungsgebot.

6.4. Rechtsfolgen der AGB-Kontrolle

Verläuft die AGB-Kontrolle positiv, das heißt, verstößt eine Vertragsklausel gegen §§ 307, 308, 309 BGB, ist die Klausel regelmäßig unwirksam (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB). Die Wirksamkeit des Arbeitsvertrags im Übrigen bleibt aber von der Unwirksamkeit der Klausel unberührt, § 306 Abs. 1 BGB. An die Stelle der unwirksamen Klausel tritt die gesetzliche Regelung, § 306 Abs. 2 BGB.

Eine Rückführung einer unwirksamen Klausel auf das gerade noch zulässige Maß (Geltungserhaltende Reduktion) lehnt die Rechtsprechung ab.22 Der Verwender soll das Risiko der Unwirksamkeit tragen. Dies ist lediglich dann ausnahmsweise denkbar, wenn es sich um eine teilbare Klausel handelt. Wenn der Klauselinhalt geteilt werden kann, kommt es zum Blue-Pencil-Test, bei dem der übrig bleibende Teil der Klausel wirksam bleibt (vgl. § 306 Abs. 1 BGB, „teilweise“).

Ein Prüfungsschema kann wie folgt sein:

1. Vorliegen von AGB (§ 305 I BGB) 
    ◦ Vertragsbedingungen = Regelungen, die den Vertragsinhalt gestalten 
    ◦ von einer Vertragspartei gestellt 
        ▪ Ausnahme: § 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB
    ◦ für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert 
        ▪ Ausnahme: § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB
2. Einbeziehung in den Vertrag 
    ◦ § 305 Abs. 2, Abs. 3 BGB im Arbeitsrecht nicht Anzuwenden wegen § 310 Abs. 4 S. 2 BGB 
    ◦ Vorrang der Individualabrede (§ 305 b BGB) 
    ◦ Keine überraschende Klausel (§ 305 c BGB)
3. Auslegung vor Inhaltskontrolle 
    ◦ Allgemeine Auslegungsregeln, §§ 133, 157 BGB - nach dem objektiven Empfängerhorizont 
    ◦ Unklarheitenregel, § 305c Abs. 2 BGB: Zweifel gehen zu Lasten des Verwenders
4. Inhaltskontrolle der AGB 
    ◦ Anwendbarkeit gem. §§ 307 Abs. 3, 310 Abs. 4 S. 3 BGB 
    ◦ Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit, § 309 BGB 
    ◦ Klauselverbote mit Wertungsmöglichkeit, § 308 BGB 
    ◦ Generalklausel des § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB (§ 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB)
5. Transparenzkontrolle (§ 307 Abs. 2 S. 2 BGB)

7. Normenkonkurrenzen im Arbeitsrecht

Auch im Arbeitsrecht gibt es viele verschiedene Gesetze, die sich bestimmten Normebenen zuordnen lassen. Deshalb stellt sich die Frage, wie mit ähnlichen Regelungen auf verschiedenen Ebenen umzugehen ist. Es kann folgendermaßen unterschieden werden:

In vertikaler Richtung existieren:

  • zwingende Gesetze
  • Tarifverträge
  • Betriebsvereinbarungen
  • Arbeitsvertrag.

Es besteht hier teilweise die Schwierigkeit der Bestimmung des Verhältnisses zueinander.

In horizontaler Ebene existieren vor allem konkurrierende Tarifverträge. Hierbei ergeben sich in der Praxis vor allem Abgrenzungs- und Anwendungsschwierigkeiten der verschiedenen Tarifverträge zueinander.

7.1. Verschiedene Rangstufen

Für Normenkonkurrenzen auf verschiedenen Stufen gilt das Hierarchieprinzip. Das heißt, beispielsweise, dass die zwingende Gesetzesbestimmung Vorrang vor dem Tarifvertrag hat, der Tarifvertrag verdrängt die Betriebsvereinbarung, die Betriebsvereinbarung setzt den Rahmen des Arbeitsvertrags und dieser bestimmt den Rahmen für das Direktionsrecht.

Im Arbeitsrecht wird dieses Prinzip aber weitgehend durch das Günstigkeitsprinzip verdrängt. Dann geht die rangniedere Regelung der Höheren vor, wenn sie für den Arbeitnehmer günstiger ist.

7.1.1. Hierarchieprinzip

Dieses Prinzip wird auch auch Rangprinzip genannt. Es gilt im Verhältnis zwischen Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung.

Wichtig ist hierbei der § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG. Danach gilt: „Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, können nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein.“ Die Tarifautonomie geht hier der betrieblichen Regelungsmacht vor, weil Betriebsräte den Gewerkschaften keine Konkurrenz machen sollen. Eine Ausnahme gilt nach § 77 Abs. 3 S. 2 BetrVG nur, „wenn ein Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt.

7.1.2. Günstigkeitsprinzip

Das Günstigkeitsprinzip besagt, dass eine rangniedrigere Rechtsquelle der ranghöheren Rechtsquelle trotzdem vorausgeht, wenn sie für den Arbeitnehmer günstigere Rechtsfolgen vorsieht.

In Tarifverträgen gilt dies kraft Gesetzes (§ 4 Abs. 3 TVG) im Verhältnis zwischen Tarifvertrag und Individualarbeitsvertrag. Nach ständiger Rechtsprechung gilt dies auch im Verhältnis zwischen Betriebsvereinbarung und Individualarbeitsvertrag.23

Im Verhältnis von Gesetz zu Arbeitsvertrag ist das Günstigkeitsprinzip von zwei Faktoren abhängig: Manche Regelungsgegenstände sind günstigkeitsresistent, weil sie nach dem alles-oder-nichts-Prinzip funktionieren (beispielsweise Beschäftigungsverbote). Manch andere geseztliche Regelungen verkörperen ein so wichtiges Ordnungsinteresse, dass sie beiderseitig zwingend sind (z. B. § 619 BGB).

Im Verhältnis zwischen Gesetz und Tarifvertrag gilt das Günstigkeitsprinzip gilt erst recht.

Außerdem existieren tarifdispositive Gesetzesnormen. Für diese wurde das Hierarchieprinzip ganz aufgegeben.

7.1.3. Ranggleiche Normen

Bei ranggleichen Rechtsnormen ergeben sich Gesetzeskonkurrenzen auf derselben Rangstufe. Hier besteht jedoch kein Raum für die Anwendung des Günstigkeitsprinzips. Folgende Lösungsansätze für Konkurrenzproblematiken sind daher denkbar:

  • Es gilt der Vorrang der jüngeren Vorschrift oder,
  • es gilt die jeweils speziellere Vorschrift oder,
  • bei der Kollision vor Tarifverträgen gilt das Mehrheitsprinzip.

Diese Lösungsansätze seien nachfolgend etwas genauer erläutert.

Die Zeitkollisionsregel besagt, dass auf gleicher Normebene bei gleichem Regelungsgegenstand die jüngere der älteren Rechtsnorm vorgeht. Dies gilt auch, wenn die neue Regelung ungünstig ist, es gibt keine Veränderungssperre.

Das Spezialitätsprinzip besagt: Beantworten mehrere gleichrangige Rechtsquellen ein und dieselbe Frage, hat nach dem Spezialitätsprinzip die speziellere Regelung den Vorrang.

Das sogenannte Mehrheitsprinzip ist kompliziert. Es hat seinen Anwendungsbereich bei der Konkurrenz mehrere Tarifverträge im selben Betrieb. Es kann durchaus vorkommen, dass im gleichen Betrieb sich die Geltungsbereiche verschiedener Tarifverträge von verschiedenen Gewerkschaften überschneiden. Diese Problematik wird in § 4a Abs. 2 S. 2 TVG aufgegriffen und gelöst.

8. Exkurs: Schwellenwerte im Arbeitsrecht

Gesetz Rechtsnorm Arbeitnehmerzahl Rechtsfolge
BetrVG § 1 Ab 5 Betriebsratsfähigkeit
BetrVG § 99 Ab 21 Beteiligung bei personellen Einzelmaßnahmen
BetrVG § 111 Ab 21 Beteiligung bei Betriebsänderungen
BetrVG § 106 Ab 101 Wirtschaftsausschuss zu bilden
BetrVG § 38 Ab 200 Betriebsratsmitglieder freizustellen
BetrVG § 95 Ab 500 Auswahlrichtlinien sind aufzustellen
KSchG § 23 Abs. 1 Ab 10, 25 Allgemeiner Kündigungsschutz seit 01.01.2004 bei Neueinstellungen
KSchG § 17 Ab 21 Anzeigepflichten bei Entlassungen
SGB IX § 71 Abs. 1 Ab 20 Beschäftigungspflicht / Ausgleichsabgabe
TzBfG § 8 Abs. 8 Ab 16 Anspruch auf Teilzeit
Literaturverzeichnis
Zitierte Literatur: 
  • Grüneberg, Christian [Hrsg.], Bürgerliches Gesetzbuch, 82. Auflage (2023), Verlag C. H. Beck,
  • Junker, Abbo, Grundkurs Arbeitsrecht, 17. Auflage (2018), Verlag C. H. Beck,
  • Maties, Martin, Arbeitsrecht – Jura kompakt, 4. Auflage (2021), Verlag C. H. Beck,
  • Stürner, Rolf [Hrsg.], Jauernig - Bürgerliches Gesetzbuch, 18. Auflage (2021), Verlag C. H. Beck.
Weitere Literatur: 
  • Genfer Bibelgesellschaft, Die Bibel – Gott spricht heute, übersetzt von Franz Eugen Schlachter, 3. Auflage (2022), Christliche Literatur-Verbreitung.