BAG, 18.12.1984 - 3 AZR 168/82
Tatbestand
Der im Jahre 1917 geborene, schwerbehinderte Kläger trat am 1. Mai 1967 als Aushilfsangestellter in die Dienste der Beklagten. Das Arbeitsverhältnis richtete sich nach dem Bundes-Manteltarifvertrag für die Bundesanstalt für Arbeit. Die ersten Arbeitsverträge waren befristet abgeschlossen. In dieser Zeit war der Kläger nicht bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder versichert. Als das Arbeitsverhältnis über den 1. November 1967 verlängert werden sollte, teilte der Direktor des Arbeitsamtes B dem Kläger am 4. Oktober 1967 mit:
"Ab 1.11.67 unterliegen Sie der Pflicht der Zusatzversicherung bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL). § 4 des Versorgungs-Tarifvertrages I bestimmt, daß ein Arbeitnehmer nicht bei der VBL zu versichern ist, wenn sein Arbeitsverhältnis voraussichtlich nicht länger als 6 Monate dauert. Wird es über diesen Zeitraum hinaus fortge- setzt, ist der Arbeitnehmer vom Beginn des 7. Monats zu versichern. Die Versicherung beginnt außerdem ohnehin, wenn er in ein Dauerarbeitsverhältnis übernommen wird. Auf schriftlichen Antrag hin ist der Arbeitnehmer vom Beginn des Arbeitsverhältnisses an zu versichern. Der Antrag kann nur innerhalb einer Frist von 3 Monaten seit der Verlängerung oder Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bei der Personalstelle gestellt werden. Wird kein Antrag gestellt, ist eine kurze schriftliche Erklärung darüber abzugeben und der Personalstelle zuzuleiten. Ich mache Sie ausdrücklich darauf aufmerksam, daß die Arbeitnehmeranteile für den zurückliegenden Zeitraum in einer Summe von Ihren Dienstbezügen einbehalten werden."
Mit Schreiben vom 11. Oktober 1967 bat der Kläger, ihn erst ab 1. November 1967 bei der VBL zu versichern. Am 11. Januar 1968 händigte die Beklagte ihm die Anmeldebestätigung zur VBL und eine VBL-Satzung aus, die sie vorher von der VBL erhalten hatte. Am 31. Dezember 1978 trat der Kläger in den vorgezogenen Ruhestand. Seit dieser Zeit erhält er vorgezogenes Altersruhegeld von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und eine Zusatzrente der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder in Höhe von 117,20 DM monatlich. Wäre der Kläger bereits ab 1. Mai 1967 versichert worden, dann erhielte er ab 1. November eine Versorgungsrente in Höhe von monatlich 465,30 DM.
Der Kläger hat behauptet, nach Zugang des Schreibens vom 4. Oktober 1967 habe er sich bei dem Angestellten D aus der Personalstelle des Arbeitsamtes erkundigt, ob es zweckmäßig sei, wenn er schon von Beginn des Arbeitsverhältnisses an versichert werde. D habe dies mit der Begründung verneint, angesichts der zu erwartenden Beschäftigungsdauer spiele die sechsmonatige rückwirkende Versicherung keine Rolle für die späteren Rentenleistungen. Diese Auskunft sei falsch gewesen. Bei einer Versicherung seit Beginn des Arbeitsverhältnisses sei die Zusatzversorgungsrente nach höheren Steigerungssätzen zu berechnen, da er dann bei Versicherungsbeginn noch nicht 50 Jahre alt gewesen wäre. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, auf die maßgebliche Bedeutung des 50. Lebensjahres für die Rentenberechnung habe die Beklagte ihn hinweisen müssen. Mit der Klage verlangt er den Unterschiedsbetrag für die Zeit vom 1. November 1979 bis zum 30. November 1980 in Höhe von 23 X 348,10 DM = 8.006,30 DM.
Sie hat bestritten, daß dem Kläger ein Rat über die zweckmäßige Versicherung erteilt worden sei. Aber selbst dann, wenn ihm empfohlen worden wäre, sich erst ab Beginn der unbefristeten Beschäftigung versichern zu lassen, hätte er die zweckmäßige Versicherung noch nach Zugang der VBL-Satzung erkennen können. Im übrigen seien Ansprüche des Klägers infolge Ablaufs der tariflichen Verfallfrist erloschen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich dessen Revision.
Gründe
Der Kläger kann wegen Verletzung der Belehrungspflicht von der Beklagten Schadenersatz verlangen.
1.
Die Beklagte hat die ihr obliegenden Belehrungspflichten gegenüber dem Kläger verletzt. Dies hat das Landesarbeitsgericht verkannt.
a)
Dem Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes obliegt die vertragliche Nebenpflicht, über die bestehenden Zusatzversorgungsmöglichkeiten und die Mittel und Wege zu ihrer Ausschöpfung zu belehren. Diese Belehrungspflicht hat ihren Grund darin, daß der in den öffentlichen Dienst eintretende Arbeitnehmer im allgemeinen über die bestehenden Versorgungssysteme nicht hinreichend unterrichtet ist und nicht unterrichtet sein kann. Darüber hinaus ist der Arbeitgeber verpflichtet, die erforderlichen Erklärungen abzugeben, um die tariflich gebotene Zusatzversorgung zu verwirklichen. Unter Umständen bedarf es einer Absprache zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, bei wem und in welcher Form sowie für welche Zeit Zusatzversorgungsansprüche begründet werden können (BAG 14, 193, 195 = AP Nr. 5 zu § 611 BGB Öffentlicher Dienst, zu I der Gründe; Urteil vom 22. November 1963 - 1 AZR 17/63 - AP Nr. 6 zu § 611 BGB Öffentlicher Dienst, zu 4 der Gründe). Dagegen ist der Arbeitgeber im allgemeinen nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer über die Zweckmäßigkeit unterschiedlicher Gestaltungsmöglichkeiten zu belehren. Insoweit können vom Arbeitgeber nur allgemeine Hinweise erwartet werden, wie sich bestimmte Versorgungsgestaltungen in der Praxis auswirken. Die Versorgungsplanung und ihre zweckmäßige Auswahl muß grundsätzlich dem Arbeitnehmer eigenverantwortlich überlassen bleiben. Die Entscheidung der Arbeitnehmer hängt überdies vielfach von individuellen Verhältnissen ab, deren Kenntnis sich der Arbeitgeber nicht zu verschaffen braucht. Wenn der Arbeitgeber jedoch auf Verlangen des Arbeitnehmers oder aus eigenem Antrieb Ratschläge zur Versorgungsplanung erteilt, so müssen diese sachlich richtig, eindeutig und vollständig sein (BAG Urteil vom 24. Mai 1974 - 3 AZR 422/73 - AP Nr. 6 zu § 242 BGB Ruhegehalt- VBL, zu II 2 der Gründe; Urteil vom 17. April 1984 - 3 AZR 383/81 -, zu II 1 der Gründe; zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). Diese Rechtsgrundsätze hat das Landesarbeitsgericht verkannt. Die Beklagte hat ihre Pflichten verletzt, wie sich bereits aus dem vom Landesarbeitsgericht als unstreitig festgestellten Sachverhalt ergibt, so daß es auf die Aussage des Zeugen D nicht ankommt.
Die von der Beklagten mit Schreiben vom 4. Oktober 1967 vorgenommene Belehrung war unvollständig und irreführend. In dem Schreiben wird der Kläger darauf hingewiesen, daß er rückwirkend oder mit sofortiger Wirkung bei der VBL versichert werden könne. Dagegen enthält das Schreiben keinerlei Hinweise über die versicherungsrechtlichen Folgen bei rückwirkender oder künftiger Versicherung. Diese Hinweise waren im vorliegenden Fall für die Entscheidung des Klägers nicht entbehrlich, weil durch die damals gültige Stichtagsregelung des § 41 Abs. 2 Satz 3 VBL-Satzung i.d.F. vom 22. Dezember 1966 (50. Lebensjahr) eine Nachversicherung für den Kläger ganz ungewöhnliche Vorteile bot. Die Belehrungspflicht der Beklagten erstreckte sich auf die Verschaffung der Zusatzversorgung. Deshalb hätte eine vollständige Belehrung des Klägers vorausgesetzt, daß entweder durch eigene hinreichende Belehrung oder durch Aushändigung hinreichenden Informationsmaterials über die Folgen der rückwirkenden Versicherung und des Stichtages informiert worden wäre.
Das Schreiben vom 4. Oktober 1967 war bei dieser Sachlage irreführend. Durch die Belehrung über die beitragsrechtliche Seite und die Ankündigung des Beitragsabzuges in einem Einmalbetrag mußte bei dem Kläger der Eindruck entstehen, daß die Beklagte ihn erschöpfend über die Wahl des Versicherungszeitpunktes unterrichten wollte. Eine Belehrung, in der sich der Arbeitgeber darauf beschränkt, einseitig auf die beitragsrechtlichen Lasten einer rückwirkenden Versicherung und eines einmaligen Prämienabzuges hinzuweisen, während die wesentlichen Rentenvorteile verschwiegen werden, muß zu Irrtümern und Fehlentscheidungen führen. Sie läßt eine Abwägung der Interessen nicht zu und drängt den Arbeitnehmer wegen der erforderlich werdenden Abzüge einseitig in eine bestimmte Richtung.
b)
Diese Verletzung der vertraglichen Nebenpflicht muß sich die Beklagte als Verschulden zurechnen lassen. Sie hat für das Verschulden ihrer Erfüllungsgehilfen einzustehen (§ 278 BGB) und hat deren Vorsatz oder Fahrlässigkeit zu vertreten (§ 276 BGB). Bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt war erkennbar, daß die Beklagte mit der Herausgabe des unvollständigen Schreibens, mag es auch auf einem Mustervordruck beruhen, von dem Kläger eine fristgebundene Entscheidung verlangte, die dieser bei den gegebenen Informationen nicht sachgemäß treffen konnte.
2.
Es kann auch nicht der Auffassung des Landesarbeitsgerichts gefolgt werden, das Verhalten der Beklagten sei für die Entstehung des Rentenschadens nicht ursächlich geworden.
Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, der Kläger hätte sich auch dann nicht rückwirkend versichern lassen, wenn er hinreichend über die Folgen belehrt worden wäre oder wenn ihm die Beklagte schon mit dem Schreiben vom 4. Oktober 1967 Merkblätter der VBL oder deren Satzung übersandt hätte. Dieser Schluß sei gerechtfertigt, weil die Merkblätter der VBL nur unzureichend auf die Bedeutung des 50. Lebensjahres als Stichtag hinwiesen und der Kläger trotz der Übersendung der VBL- Satzung vor Ablauf der dreimonatigen Überlegungsfrist seine Entscheidung nicht korrigiert habe. - Die von dem Landesarbeitsgericht gezogenen Schlußfolgerungen sind nicht überzeugend.
Ursächlich ist das Unterbleiben einer hinreichenden Belehrung dann, wenn diese nicht hinzugedacht werden kann, ohne daß auch das rentenschädigende Verhalten entfällt (MünchKomm-Grunsky, BGB, vor § 249 Rz 92 mit weiterem Nachweis). Hiervon ist aber auszugehen, wenn der Kläger hinreichend über die Bedeutung der sofortigen oder rückwirkenden Versicherung belehrt worden wäre. Es muß davon ausgegangen werden, daß der Kläger bei einer sachgemäßen Belehrung seine Eigeninteressen in vernünftiger Weise gewahrt hätte. Für eine abweichende Beurteilung ist die Beklagte darlegungs- und beweispflichtig (BGH Urteil vom 5. Juli 1973 - VII ZR 12/73 -, NJW 1973, 1688; Urteil vom 30. September 1981 - IV a ZR 288/80 -, ZIP 1981, 1213).
Soweit das Landesarbeitsgericht annimmt, daß der Kläger bei sofortiger Aushändigung der Satzung nicht anders entschieden hätte, weil er das Regelwerk nicht verstanden hätte, geht es von der Prämisse aus, der Kläger wäre bei etwaigen Verständnisschwierigkeiten nicht einmal veranlaßt worden, sich bei der Gewerkschaft oder einem Rechtsanwalt Rat einzuholen. Hierfür ergibt der Sachverhalt jedoch keine Anhaltspunkte. Der Schluß des Landesarbeitsgerichts wäre nur dann gerechtfertigt, wenn Anhaltspunkte dafür beständen, daß der Kläger einer vernünftigen Versorgungsplanung nicht fähig und zugänglich gewesen sei. Hiervon kann nach dem Sachvortrag der Beklagten jedoch keine Rede sein.
3.
Nach § 254 Abs. 1 BGB hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend vom Kläger oder der Beklagten verursacht worden ist. Das Landesarbeitsgericht hat von seinem Standpunkt nicht geprüft, ob dem Kläger bei der Entstehung oder der Höhe des Schadens ein Mitverschulden zuzurechnen ist. Insoweit bedarf es jedoch keiner Zurückverweisung an die Vorinstanz, weil die zur Entscheidung dieser Frage erforderlichen Feststellungen bereits getroffen worden sind.
a)
An der Entstehung des Schadens trifft den Kläger kein Mitverschulden. Dem Kläger ist allenfalls zuzurechnen, daß er vor Ausübung des Wahlrechts nicht seinerseits auf einer Belehrung oder Aushändigung der Satzung bestanden hat. Dies ist dem Kläger aber nicht als erhebliches Verschulden anzulasten, da er darauf vertrauen konnte, daß die Beklagte ihn nicht nur über die beitragsrechtlichen Risiken einer Nachversicherung belehren würde, sondern auch über die versicherungsrechtlichen Vorteile, wenn diese erwähnenswert wären.
b)
Ebensowenig ist dem Kläger ein Teil des Schadens deshalb zuzurechnen, weil er seine Entscheidung nach Übersendung der VBL-Satzung nicht nochmals innerhalb der Drei-Monats-Frist überprüft hat. Nach § 254 Abs. 2 (2. Fallgestaltung) BGB muß sich der Geschädigte als Verschulden zurechnen lassen, wenn er es unterlassen hat, den Schaden abzuwenden oder zu mindern. Freilich war es dem Kläger nach Übersendung der Satzung möglich, die Bedeutung des 50. Lebensjahres für seine Versorgungsanwartschaft allein oder mit Hilfe eines Rechtsberaters zu erkennen. Indes war es dem Kläger nicht zumutbar, in der kurzen noch zur Verfügung stehenden Zeit einen Rechtsanwalt aufzusuchen. Nach der zuvor von der Beklagten erfahrenen Beratung und Belehrung hatte er aus seiner Sicht keine Veranlassung, die bereits einmal getroffene Entscheidung umgehend erneut zu prüfen und gegebenenfalls in Frage zu stellen.
4.
Damit ist die Beklagte verpflichtet, den Kläger so zu stellen, wie er gestanden hätte, wenn die schädigende Handlung nicht eingetreten wäre. Dieser Schadenersatzanspruch ist auch nicht infolge Ablaufs der tariflichen Ausschlußfrist erloschen. Laufende Versorgungsbezüge unterfallen nicht der tariflichen Ausschlußfrist des MTA (vgl. BAG 42, 22 = AP Nr. 11 zu § 70 BAT). Entsprechendes muß auch gelten für die Schadensersatzleistungen wegen Nichtverschaffung dieser Rentenleistungen.