RG, 09.12.1884 - II 317/84
Findet Art. 1794 Code civil auch Anwendung, wenn der Unternehmer den Stoff der anzufertigenden Sache liefert?
Aus den Gründen
"Der Art. 1794 Code civil, um dessen Anwendung es sich handelt, steht in dem dritten Abschnitte des Kap. 3 Tit. 8 vom Mietvertrage unter der Überschrift " Des devis et marchés", welche nach Art. 1779 Abs. 3 eine Unterart der louage d'ouvrage bilden. Nach Vorschrift des Art. 1787 a. a. O., welcher den genannten Abschnitt eröffnet, kann der Werkverdingungsvertrag in der Weise geschlossen werden, daß der Unternehmer lediglich seine Arbeit oder seinen Gewerbfleiß hergiebt, oder auch zugleich den Stoff liefert, und die daran sich anschließenden Artt. 1788-1799 bestimmen, welche rechtlichen Folgen unter der einen und anderen Voraussetzung im Falle des Unterganges der Sache eintreten. Nachdem dann in den folgenden Artikeln (Art. 1791 bezüglich der nach Stück oder Maß zu liefernden Arbeiten, Artt. 1792. 1793 in betreff der Unternehmung von Bauten) besondere Regeln gegeben werden, folgt Art. 1794, welcher bestimmt, daß derjenige, welcher einen Werkverdingungsvertrag in Bausch und Bogen - marché à forfait - geschlossen hat, nach Belieben den Vertrag auflösen kann, wenn er den Unternehmer für alle seine Arbeit, seine Auslagen und den zu erzielenden Gewinn entschädigt. Der Grund dieser Bestimmung ist der, daß der Besteller nicht an den Vertrag gebunden sein soll, wenn er an dessen Ausführung kein Interesse mehr hat, z. B. weil der Gegenstand desselben nicht weiter für ihn von Nutzen ist, weil ihm vielleicht unter veränderten Verhältnissen die Mittel zur Zahlung fehlen etc.1
Das Gesetz gestattet ihm deshalb den freien Rücktritt, während es andererseits das Interesse des Unternehmers dadurch wahrt, daß es den Besteller zur vollständigen Schadloshaltung auch für den entgangenen Gewinn verpflichtet.
Wenn es sich nun fragt, ob die bezogene Gesetzesvorschrift auf beide Fälle des Art. 1787 a. a. O. anzuwenden, oder, wie das Oberlandesgericht annimmt, auf den Fall, wo der Unternehmer lediglich seine Arbeit hergiebt, zu beschränken sei, so müssen die Gründe, welche für die erstere Annahme sprechen, als überwiegend erachtet werden. Zunächst ist unbedenklich, daß Art. 1794 nach seinem allgemeinen Wortlaute, und darauf weist auch die Stellung desselben hin, den einen wie den anderen Fall des Art. 1787 a. a. O. umfaßt, und sodann trifft nicht minder der angeführte Grund des Gesetzes auch in dem Falle, wenn der Unternehmer zugleich den Stoff liefert, im vollen Maße zu. Demgegenüber macht das Oberlandesgericht nun geltend, daß zwischen den beiden Fällen des Art. 1787 ein rechtlicher Unterschied bestehe, daß nämlich der Vertrag in dem zuletzt genannten Falle, wo derselbe sich als Lieferungsvertrag charakterisiere, wie das von dem ersten Richter auf Grund des Art. 1711 und der Entstehungsgeschichte des Art. 1787 zutreffend ausgeführt, nach den Grundsätzen von dem Kaufe zu beurteilen sei, und daß bei synallagmatischen Verträgen der einseitige Rücktritt eines Kontrahenten prinzipiell ausgeschlossen erscheine (Art. 1184 a. a. O.). Dabei ist nun aber nicht außer acht zu lassen, daß ein Vertrag der fraglichen Art, bei dem es sich immerhin nur von dem Kaufe einer erst anzufertigenden, also künftigen Sache handelt, und die Perfektion desselben, sowie der Eigentumsübergang erst mit der Annahme der fertig gestellten Sache eintritt, einen aus Werkmiete und Kauf gemischten Charakter hat, und daher kein rechtliches Hindernis besteht, die Auflösung eines solchen Vertrages auf Grund des Art. 1794 a. a. O., wie der Wortlaut und Grund des letzteren es gestatten, zuzulassen.2
Ist nun nach vorstehendem die Anwendung des Art. 1794 a. a. O. auf den gegenwärtigen Fall begründet, so stand der Klägerin kein Recht zu, nach der Rücktrittserklärung der Beklagten die fragliche Maschine fertigzustellen und die Zahlung des eingeklagten Kaufpreises zu fordern."
- 1. Vgl. Pothier, Louage Nr. 441; Laurent, Bd. 26 Nr. 17.
- 2. Vgl. übereinstimmend Aubry & Rau, Bd. 4 S. 525 Note 2, S. 528 Note 2; Laurent, Bd. 26 Nr. 19; Duvergier, Louage Bd. 2 Nr. 335; Duranton, Bd. 16 Nr. 257; Colmet de Santerre zu Art. 1794 A. M. Troplong, Louage Nr. 1030; Marcadé, zu Art. 1794 Nr. 2; Massé & Bergé, Bd. 4 S. 710 Note 24; Dalloz, Louage d'ouvrage Note 168; Clamageran, Louage d'industrie Nr. 281.