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BVerfG, 10.05.1960 - 2 BvL 76/58

Daten
Fall: 
Ermächtigungsadressaten
Fundstellen: 
BVerfGE 11, 77; BB 1960, 647; DÖV 1960, 585; DVBl 1960, 864; DVBl 1960, 945; JZ 1960, 536; MDR 1960, 733; NJW 1960, 1291
Gericht: 
Bundesverfassungsgericht
Datum: 
10.05.1960
Aktenzeichen: 
2 BvL 76/58
Entscheidungstyp: 
Beschluss

Die Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen nach Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG kann außer an die Bundesregierung oder an einen Bundesminister nur an eine Landesregierung, nicht an einen Landesminister gegeben werden.
Was "Landesregierung" im Sinne des Artikels 80 Abs. 1 Satz 1 GG ist, bestimmt das Landesverfassungsrecht; nur wenn nach dem Verfassungsrecht eines Landes unter "Landesregierung" (auch) der zuständige Minister verstanden werden kann, kann die durch Bundesgesetz der "Landesregierung" erteilte Ermächtigung unmittelbar von dem Minister ausgeübt werden. In keinem Falle kann ein Bundesgesetz einen Landesminister unmittelbar ermächtigen.

Inhaltsverzeichnis 

Beschluß

des Zweiten Senats vom 10. Mai 1960
– 2 BvL 76/58 –
in dem Verfahren wegen verfassungsrechtlicher Prüfung des § 12 Abs. 2 Satz 1 und 4 des Gesetzes über den Verkehr mit Milch, Milcherzeugnissen und Fetten (Milch- und Fettgesetz) in der Fassung vom 10. Dezember 1952 (BGBl. I S. 811) - Vorlagebeschluß des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen - III. Senat - vom 24. September 1958, III A 1468/54.
Entscheidungsformel:

§ 12 Absatz 2 Satz 1 des Gesetzes über den Verkehr mit Milch, Milcherzeugnissen und Fetten (Milch- und Fettgesetz) in der Fassung vom 10. Dezember 1952 (BGBl. I S. 811) ist mit Artikel 80 Absatz 1 Satz 1 GG unvereinbar und daher nichtig.

Gründe

I.

Das Bundesgesetz über den Verkehr mit Milch, Milcherzeugnissen und Fetten (Milch- und Fettgesetz – MFG) in der Fassung vom 10. Dezember 1952 (BGBl. I S. 811) regelt in seinem ersten Teil das System der milchwirtschaftlichen Marktordnung, deren Anfänge auf die – durch § 33 Abs. 2 MFG aufgehobene – Vorschrift des § 38 des Milchgesetzes vom 31. Juli 1930 (RGBl. I S. 421) zurückgehen und vor allem im Rahmen der nationalsozialistischen Reichsnährstandspolitik mehr und mehr ausgebaut wurden. Kernstück der milchwirtschaftlichen Marktordnung in ihrer heutigen Form ist die Einteilung des Bundesgebietes in Molkereieinzugs- und -absatzgebiete: Alle "Milcherzeuger sind verpflichtet, Milch und Sahne (Rahm), die sie in den Verkehr bringen, an eine Molkerei, die von der obersten Landesbehörde für Ernährung und Landwirtschaft (oberste Landesbehörde) bestimmt wird, zu liefern" (§ 1 Abs. 1 Satz 1 MFG). "Die nach Absatz 1 bestimmten Molkereien sind verpflichtet, Milch und Sahne (Rahm) von den Milcherzeugern abzunehmen, welche die oberste Landesbehörde einzeln oder ortsweise bestimmt. Die Annahme von Milch und Sahne (Rahm) von anderen Milcherzeugern ist unzulässig" (§ 1 Abs. 4 MFG). "Milchhändler und Molkereien (Abnehmer) sind verpflichtet, Milch, entrahmte Milch, Buttermilch und geschlagene Buttermilch nur von Molkereien, die von der obersten Landesbehörde bestimmt werden, zu beziehen" (§ 2 Abs. 1 Satz 1 MFG). "Die Molkereien sind verpflichtet, Milch, entrahmte Milch, Buttermilch und geschlagene Buttermilch an die von der obersten Landesbehörde bestimmten Milchhändler und Molkereien zu liefern. Die Lieferung an andere Milchhändler und Molkereien ist unzulässig" (§ 2 Abs. 2 MFG).

Dieses System der Einzugs- und Absatzgebiete führt dazu, daß jene Molkereien, die auf Grund dieser Regelung die großen Verbrauchszentren mit Trinkmilch zu beliefern haben, gegenüber den marktferneren Betrieben erheblich begünstigt werden, weil für Trinkmilch ein höherer Preis erzielt wird als für solche Milch, die zu Butter, Käse und anderen Molkereiprodukten verarbeitet wird (Werkmilch). Außerdem sind, da die Trinkmilch wegen ihrer leichten Verderblichkeit nicht beliebig eingeführt werden kann, die Trinkmilcherzeuger fast konkurrenzlos, während die aus der Verwertung der Milch als Werkmilch gewonnenen Produkte wie Butter und Käse unter dem Preisdruck ausländischer Konkurrenz stehen. Da diese verschiedenen Verwertungsmöglichkeiten, soweit sie nicht durch Qualitätsunterschiede oder sonstige den Milcherzeugern zurechenbare Gründe gerechtfertigt wären, auch eine Folge der Einzugs- und Absatzgebietsregelung sind, hat man bereits bei der Einführung der Milchmarktordnung im Jahre 1934 versucht, den Mindererlös der von der Einzugs- und Absatzgebietsregelung benachteiligten Milcherzeuger auf Kosten der von ihr begünstigten Betriebe auszugleichen. Der gleiche Zweck wird heute mit § 12 MFG verfolgt:

"(1) Die obersten Landesbehörden haben durch ausgleichende Maßnahmen, insbesondere durch Gewährung von Zuschüssen aus den nach Absatz 2 erhobenen oder den nach Absatz 3 zugeteilten Ausgleichsabgaben, dafür zu sorgen, daß
1. die Verwertung der Milch als Trinkmilch und als Werkmilch,
2. die notwendige Versorgung der Trinkmilchmärkte trotz unterschiedlicher Entfernung der Molkereien vom Markt zu einer Annäherung der wirtschaftlichen Ergebnisse für Milcherzeuger und Molkereien führt.

(2) Die obersten Landesbehörden können nach Anhörung der Landesvereinigungen (§14) von den Molkereien, den Milchsammelstellen und den Rahmstationen Ausgleichsabgaben auf die von diesen abgesetzte Milch, Sahne (Rahm), entrahmte Milch, Schlagsahne sowie saure Sahne, Buttermilch und geschlagene Buttermilch erheben. Milcherzeuger, die Milch oder Sahne (Rahm) unmittelbar an Milchhändler, Groß- oder Einzelverbraucher abgeben dürfen, sind mit einem Pauschalbetrag zur Ausgleichsabgabe heranzuziehen. Die abgesetzten Einheiten von Sahne (Rahm), Schlagsahne, saurer Sahne sind zum Zwecke der Errechnung der Ausgleichsabgabe in die entsprechenden Einheiten von Milch umzurechnen. Soll die Ausgleichsabgabe mehr als einen Deutschen Pfennig je Kilogramm betragen, so ist die Zustimmung des Bundesministers erforderlich. Die aufkommenden Mittel sind gesondert zu verwalten und nach Anhörung der Landesvereinigung (§ 14) im laufenden oder folgenden Wirtschaftsjahr ausschließlich für die in Absatz 1 genannten Zwecke zu verwenden. Beeinträchtigen die von einem Lande festgesetzten Ausgleichsabgaben die Belange eines Nachbarlandes, so entscheidet auf Antrag einer beteiligten obersten Landesbehörde der Bundesminister über die in den beteiligten Ländern zu erhebenden Ausgleichsabgaben. Das gleiche gilt, wenn von einem Lande keine Ausgleichsabgaben festgesetzt und hierdurch die Belange eines Nachbarlandes beeinträchtigt werden.

(3) Unbeschadet der Vorschrift des Absatzes 2 werden Abgaben von den in Absatz 2 genannten Betrieben sowie den Herstellern von sterilisierter Milch, Sahne (Rahm), entrahmter Milch und Schlagsahne erhoben, und zwar
a) in Höhe bis zu einem Deutschen Pfennig je Kilogramm abgesetzter Milch und der in Absatz 2 genannten Milcherzeugnisse,
b) in Höhe von zwei Deutschen Pfennig je Kilogramm hergestellter sterilisierter Milch, Sahne (Rahm), entrahmter Milch und Schlagsahne.
Die abgesetzten Einheiten von Sahne (Rahm), Schlagsahne, auch sterilisiert, saurer Sahne sind zum Zwecke der Errechnung der Ausgleichsabgaben in die entsprechenden Einheiten von Milch umzurechnen. Die aufkommenden Mittel sind ausschließlich für die Durchführung eines übergebietlichen Ausgleichs im Sinne des Absatzes 1 im laufenden und folgenden Wirtschaftsjahr zu verwenden. Die für die Durchführung der Erhebung erforderlichen Bestimmungen erläßt der Bundesminister durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates. Die Verwendung der aufgekommenen Mittel erfolgt durch den Bundesminister nach Anhören der obersten Landesbehörden und eines Beirates, der beim Bundesministerium aus Vertretern der Erzeuger-, Be- und Verarbeitungsbetriebe der Milchwirtschaft gebildet ist."

Auf Grund von Absatz 2 dieser (und der durch sie abgelösten früheren) Bestimmungen sind in allen Bundesländern mit Ausnahme von Berlin und Bremen Rechtsverordnungen über die Erhebung einer Landesausgleichsabgabe ergangen, die teils von den Landesregierungen als Kollegien, teils von den für Ernährung und Landwirtschaft zuständigen Landesministern erlassen worden sind. Höhe, System und Gegenstand der in den einzelnen Bundesländern erhobenen Ausgleichsabgaben sind sehr verschieden: Den höchsten Abgabesatz von 2,5 Pf. je Kilogramm abgesetzter Milch erreicht auf Grund der Landesverordnung vom 26. Januar 1954 (GVBl. S.70) Nordrhein-Westfalen; in Hessen wurde auf Grund der Landesverordnung vom 9. Februar 1954 (GVBl. S. 5) im Preisgebiet II nur eine Landesausgleichsabgabe von 0,75 Pf. je Kilogramm Trinkmilch erhoben; den niedrigsten Satz von nur 0,25 Pf. je Kilogramm erhebt Niedersachsen auf Grund der Landesverordnung vom 3. Juni 1953 (GVBl. S. 39) für entrahmte Milch, Buttermilch und geschlagene Buttermilch. Die Abgabesätze der übrigen Länder bewegen sich zwischen diesen Extremen. Auch innerhalb desselben Landes war der Abgabesatz im Laufe der Jahre teilweise nicht unerheblichen Schwankungen unterworfen. So wurde z. B. in Baden-Württemberg auf Grund der Landesverordnung vom 30. März 1955 (GBl. S. 67) eine Abgabe von 0,5 Pf. je Kilogramm abgesetzter Trinkmilch erhoben, während nach der diese Regelung ablösenden Rechtsverordnung vom 4. Juni 1958 (GBl. S. 161) bis zu 2 Pf. je Kilogramm zu zahlen sind.

II.

1. Durch zwei Bescheide des vormaligen Landesernährungsamts, jetzigen Landesamts für Ernährungswirtschaft Nordrhein- Westfalen, vom 4. März und 2. April 1954, war die Milchverwertungsgenossenschaft Essen eGmbH in Essen-Altenessen für die in den Monaten Januar und Februar 1954 abgesetzte Trinkmilch zur Landesausgleichsabgabe nach Maßgabe der Landesverordnung vom 26. Januar 1954 herangezogen worden. Gegen die Bescheide legte die Milchverwertungsgenossenschaft Einspruch ein mit der Begründung, die Erhebung der Abgabe sei grundgesetzwidrig. Das Landesernährungsamt wies den Einspruch mit Bescheid vom 29. Mai 1954 zurück; eine hiergegen erhobene Anfechtungsklage wurde durch Urteil des Landesverwaltungsgerichts Düsseldorf vom 20. Oktober 1954 abgewiesen. Auf die Berufung hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen das Verfahren mit Beschluß vom 24. September 1958 ausgesetzt und beschlossen, eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber einzuholen, ob § 12 Abs. 2 Satz 1 und Satz 4 MFG mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar ist.

Nach Auffassung des Vorlagegerichts verstößt § 12 Abs. 2 Satz 1 MFG zwar nicht schon deshalb gegen das Grundgesetz, weil dort die "obersten Landesbehörden" und nicht die "Landesregierungen" (Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG) zum Erlaß von Rechtsverordnungen ermächtigt werden; § 12 Abs. 2 Satz 1 MFG könne in der Weise verfassungskonform ausgelegt werden, daß unter der obersten Landesbehörde eben die Landesregierung im Sinne der Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG verstanden werde. So habe offenbar auch der Adressat der Ermächtigung sie aufgefaßt; denn die im Lande Nordrhein-Westfalen auf Grund des § 12 Abs. 2 Satz 1 MFG ergangene Rechtsverordnung sei nicht vom Landesminister, sondern von der Landesregierung als Kollegium erlassen worden. Die Ermächtigung genüge jedoch nicht dem Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG, weil ihr Ausmaß in § 12 Abs. 2 MFG nicht hinreichend bestimmt sei.

2. Den Vorschriften der §§ 80 Abs. 4, 82 Abs. 1 in Verbindung mit § 77 BVerfGG ist genügt. Zu dem Vorlagebeschluß haben sich der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten namens der Bundesregierung, die Landesregierung des Landes Nordrhein-Westfalen, das Bundesverwaltungsgericht sowie die Klägerin des Ausgangsverfahrens geäußert. Bundesregierung, Landesregierung und Bundesverwaltungsgericht halten die Bedenken aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG für unbegründet; die Klägerin teilt die Bedenken des Vorlagegerichts und hält § 12 Abs. 2 Satz 1 MFG auch mit Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG für unvereinbar. Demgegenüber vertritt die Bundesregierung die Auffassung, Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG schließe nicht aus, in einem Bundesgesetz auch einen Landesminister zum Erlaß einer Rechtsverordnung zu ermächtigen; ebensowenig sei es verfassungsrechtlich bedenklich, die einer Landesregierung oder einem Landesminister erteilte Ermächtigung unter bestimmten Voraussetzungen an die Zustimmung eines Bundesministers zu knüpfen. Die Hessische Landesregierung hat zu beiden Fragen den gegenteiligen Standpunkt vertreten.

Da dem Verfahren niemand beigetreten ist, konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.

III.

Die – zulässige – Vorlage führt zu der Feststellung, daß § 12 Abs. 2 Satz 1 MFG mit Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG unvereinbar und daher nichtig ist.

1. Nach § 12 Abs. 2 Satz 1 MFG können "die obersten Landesbehörden" auf Milch und bestimmte Milcherzeugnisse eine Ausgleichsabgabe erheben. Das ist eine Ermächtigung zum Erlaß einer Rechtsverordnung. Was unter "oberster Landesbehörde" zu verstehen ist, ergibt sich aus § 1 Abs. 1 Satz 1 MFG. Dort ist eine Maßnahme zum Vollzug des Gesetzes "der obersten Landesbehörde für Ernährung und Landwirtschaft" übertragen und in Klammern beigefügt "(oberste Landesbehörde)". In den folgenden Vorschriften des Gesetzes wird dann allenthalben, wo die Zuständigkeit einer Landesstelle begründet wird, die Bezeichnung "oberste Landesbehörde" verwandt. Mit dieser in der deutschen Gesetzestechnik häufig angewandten Methode ist eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß "oberste Landesbehörde" im Milch- und Fettgesetz überall, wo dieser Begriff auftaucht – also auch in § 12 Abs. 2 – "oberste Landesbehörde für Ernährung und Landwirtschaft" bedeutet. Unter "oberster Landesbehörde für Ernährung und Landwirtschaft" wird weder in der Terminologie des Grundgesetzes noch in der Terminologie einer Landesverfassung noch in der öffentlich-rechtlichen Literatur das Landeskabinett (die Landesregierung) verstanden, sondern regelmäßig der zuständige Landesminister. Demnach kann die in § 12 Abs. 2 MFG den obersten Landesbehörden erteilte Ermächtigung nur als eine in einem Bundesgesetz enthaltene Ermächtigung an die für Ernährung und Landwirtschaft zuständigen Landesminister zum Erlaß einer Rechtsverordnung begriffen werden. Für eine Auslegung, die Ermächtigung sei in § 12 Abs. 2 a.a.O. "der Landesregierung" (oder neben dem Minister auch der Landesregierung) erteilt, ist hier kein Raum mehr.

2. Nach Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG können durch Bundesgesetz "die Bundesregierung, ein Bundesminister oder die Landesregierungen" ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen.

a) Was unter "Landesregierung" zu verstehen ist, war in der Literatur und in der Staatspraxis der Weimarer Republik nicht unzweifelhaft und eindeutig; je nach dem Zusammenhang, in dem das Wort verwandt wurde, konnte es einen verschiedenen Sinn haben. Ähnlich wie der Ausdruck "Reichsregierung" unter Umständen den Reichskanzler allein, in anderen Fällen einen Reichsminister allein oder mehrere beteiligte Reichsminister zusammen und schließlich auch das aus Reichskanzler und Reichsministerien bestehende Regierungskollegium (Reichskabinett) bedeuten konnte, wurde auch der Begriff "Landesregierung" je nach den Umständen bald zur Bezeichnung des aus den Regierungsmitgliedern bestehenden Kollegiums (Landeskabinett), bald – soweit es eine Gliederung in Fachministerien überhaupt gab zur Bezeichnung eines einzelnen oder mehrerer Fachminister verwandt. Für die Auslegung des Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG kann indessen aus dem Sprachgebrauch der Weimarer Zeit nichts hergeleitet werden, weil die Reichsverfassung vom 11. August 1919 eine dem Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG entsprechende Bestimmung nicht kannte. Zur Auslegung dieser Vorschrift kann daher nur das Grundgesetz herangezogen werden.

b) Im allgemeinen Sprachgebrauch bedeutet "Bundesregierung" oder "Landesregierung" heute im Zweifel das kollegial gebildete Verfassungsorgan, dem die Staatsleitung obliegt.

In Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG ist der Bundesregierung der einzelne Bundesminister ausdrücklich gegenübergestellt; der unmittelbare Zusammenhang, in dem hier der Ausdruck "Landesregierung" verwendet ist, spricht dagegen, daß auch der einzelne Landesminister ermächtigt werden kann, zumal Art. 80 Abs. 1 Satz 3 ausdrücklich die Möglichkeit vorsieht, im Bundesgesetz zu bestimmen, daß die der Landesregierung erteilte Ermächtigung weiter übertragen werden kann, und damit dem Bedürfnis zu genügen, daß, wo es zweckmäßig erscheint, der Fachminister des Landes die Rechtsverordnung erlassen kann.

In dieselbe Richtung weist die Terminologie, die das Grundgesetz an anderen Stellen verwendet: So weit es nicht einfach von den "Ländern" spricht, denen gewisse Kompetenzen zustehen (vgl. Art. 32, 84 Abs. 1 und 4, 85 Abs. 1, 89 Abs. 2, 90, 91, 118), spricht es von den "Regierungen der Länder" (Art. 51, 52) oder den "Regierungen der beteiligten Länder" (Art. 127), wo unzweifelhaft nur das Kollegium gemeint ist, während es – von den Fällen abgesehen, in denen es den Landesminister ausdrücklich nennt (Art. 95 Abs. 3, 96 Abs. 2, 98 Abs. 4) – den Ausdruck "oberste Landesbehörde" (Art. 84 Abs. 3, 84 Abs. 5, 85 Abs. 3 Satz 2, 120 a Abs. 1) oder "die nach Landesrecht zuständigen Stellen" (Art. 129 Abs. 2) verwendet, wo die Beschränkung auf die Landesregierung als Kollegium nicht gewollt ist.

c) Der für die Auslegung des Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG entscheidende Gesichtspunkt ist jedoch die Rücksicht auf das bundesstaatliche Prinzip, auf dem die Verfassungsordnung der Bundesrepublik beruht. Grundsätzlich respektiert die Bundesverfassung die Verfassungsordnung der Länder; ein Eingriff der Bundesgewalt in die Verfassungsordnung der Länder ist nur zulässig, soweit es das Grundgesetz ausdrücklich bestimmt oder zuläßt. Vor allem dort, wo das Grundgesetz die Grenze zwischen den Kompetenzen des Bundes und denen der Länder zieht, verzichtet es in der Regel darauf, die Verfassungsorgane der Länder zu bestimmen, die die Landeskompetenzen wahrzunehmen haben; deshalb beschränkt es sich darauf, in den zitierten Bestimmungen des Grundgesetzes teils einfach von den "Ländern", teils von den "obersten Landesbehörden", teils von den nach "Landesrecht zuständigen Stellen" zu sprechen; es verweist also mit diesen Formeln auf das Landesverfassungsrecht; aus ihm ergibt sich, welches Organ die Zuständigkeit wahrzunehmen hat, die in jenen grundgesetzlichen Bestimmungen den Ländern zugewiesen ist. Entsprechendes gilt, soweit Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG vorsieht, daß ein Bundesgesetz die "Landesregierung" ermächtigt, eine Rechtsverordnung zu erlassen: Die Ermächtigung kann im Bundesgesetz also nur an die "Landesregierung" gegeben werden. Was "Landesregierung" ist, bestimmt das Landesverfassungsrecht; nur wenn nach dem Verfassungsrecht eines Landes unter "Landesregierung" (auch) der zuständige Minister verstanden werden kann – das ist, soweit ersichtlich, zur Zeit in keinem Land der Fall --, kann die durch Bundesgesetz der "Landesregierung" gegebene Ermächtigung unmittelbar durch den Minister ausgeübt werden. Sonst kann die Verordnung nur von der Landesregierung als Kollegium erlassen werden, es sei denn, daß das Bundesgesetz gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG bestimmt, daß die Ermächtigung weiter übertragen werden kann, und die Landesregierung dem Minister den Erlaß der Verordnung überträgt. In keinem Fall kann das Bundesgesetz die Ermächtigung unmittelbar an den "Landesminister" geben; damit griffe es ohne Not korrigierend in die Kompetenzverteilung ein, die die Landesverfassung getroffen hat.

Diese "föderalistische", dem Bundesgesetzgeber Schranken ziehende Auslegung des Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG ist um so mehr geboten, als es nicht selten politisch höchst bedeutsam ist, welcher Stelle des Landes die Verordnungsmacht von Bundes wegen übertragen wird: Die Übertragung auf den Fachminister des Landes bedeutet, daß das Ressortinteresse das häufig mit dem Interesse des entsprechenden Bundesressorts gleichläuft, dominiert; der Einfluß des Bundesministers und seiner Bürokratie auf den Inhalt der Verordnung ist im Zweifel größer, die Rücksicht auf die übergeordneten Gesichtspunkte, insbesondere auf die allgemeinen Grundlinien der Landespolitik im Zweifel geringer. Außerdem: Im Bund und in den Ländern werden in der Regel Koalitionsregierungen von verschiedener parteipolitischer Zusammensetzung amtieren; dann kann es sowohl vom Standpunkt der Regierungsmehrheit im Bunde wie auch für die Verteilung der Gewichte innerhalb der Landesregierung von erheblicher politischer Bedeutung sein, ob der Landesminister oder die Landesregierung befugt ist, die Verordnung zu erlassen. Hätte also der Bundesgesetzgeber die Wahl, die Ermächtigung zum Erlaß der Verordnung der Landesregierung oder dem Landesminister zu geben, so hätte er die Möglichkeit, auf diese Weise mittelbar auf die Landespolitik Einfluß zu nehmen.

d) Der Tatsache, daß nach 1949 in einer Reihe von Gesetzen die Ermächtigung zum Erlaß von Verordnungen dem Landesminister erteilt worden ist, kommt keine entscheidende Bedeutung zu. Die Zeitspanne von knapp zehn Jahren ist zu kurz, um aus einer – durchaus nicht in bewußter Auseinandersetzung mit der Bedeutung des Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG entstandenen Übung auf eine Fixierung des Inhalts jener grundgesetzlichen Vorschrift zu schließen. Das geht um so weniger an, als die meisten dieser zum Erlaß von Rechtsverordnungen ermächtigenden Bestimmungen in den Bundesgesetzen an entsprechende Bestimmungen in Gesetzen aus der Zeit vor 1945 anknüpfen. Wo der Bundesgesetzgeber nach sorgfältigen Beratungen neues Recht schuf, wie beispielsweise das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, hat er richtig unterschieden zwischen der an die Landesregierung zu erteilenden Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen (vgl. §§ 89, 93 GWB) und der der obersten Landesbehörde übertragenen Befugnis zum Erlaß von Verwaltungsakten (vgl. § 44 GWB).

3. Demnach ist die Ermächtigung in § 12 Abs. 2 Satz 1 MFG im Widerspruch zu Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG erteilt: Sie hätte nur an die Landesregierung gegeben werden dürfen – gegebenenfalls mit dem Recht, sie weiterzuübertragen -; sie ist aber dem Landesminister für Ernährung und Landwirtschaft erteilt worden. § 12 Abs. 2 Satz 1 MFG ist daher nichtig.

Es fehlt also an der Rechtsgrundlage zum Erlaß einer Rechtsverordnung über die Erhebung einer Landesausgleichsabgabe auf Milch. Bei dieser Rechtslage ist es ohne Bedeutung, daß die nordrhein-westfälische Rechtsverordnung vom 26. Januar 1954 von der Landesregierung – also von der Stelle, die hätte ermächtigt werden können – erlassen worden ist.

4. Unter diesen Umständen war nicht mehr zu entscheiden, ob die den obersten Landesbehörden für Ernährung und Landwirtschaft erteilte Ermächtigung nicht auch insofern verfassungswidrig ist, als § 12 Abs. 2 Satz 4 MFG die auf Grund dieser Ermächtigung ergehenden Rechtsverordnungen unter bestimmten Voraussetzungen an die Zustimmung des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten knüpft. Immerhin sei darauf hingewiesen, daß auch diese Beschränkung möglicherweise mit dem föderalistischen Prinzip des Grundgesetzes unvereinbar ist, das den Ländern – von den im Grundgesetz genannten Ausnahmen abgesehen – das Recht gibt, von den ihnen eingeräumten Kompetenzen unabhängig und selbständig Gebrauch zu machen.

Unentschieden mußte auch die Frage bleiben, ob die in § 12 Abs. 2 MFG erteilte Ermächtigung im Sinne des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG inhaltlich hinreichend begrenzt ist. Bedenken in dieser Richtung erregt insbesondere die Tatsache, daß Nordrhein- Westfalen, obgleich dort das Verhältnis zwischen dem Absatz von Trinkmilch und dem Absatz von Werkmilch mit 40: 60 weitaus günstiger ist als im Bundesdurchschnitt (30 :70), mit 2,5 Pf. je Kilogramm Trinkmilch eine höhere Ausgleichsabgabe erhebt als alle übrigen Bundesländer. Besonders auffallend erscheint in diesem Zusammenhang der Unterschied zum Land Baden-Württemberg, das – zumindest zeitweilig – je Kilogramm Trinkmilch nur 0,5 Pf., also ein Fünftel des in Nordrhein-Westfalen festgesetzten Betrages erhob. Selbst in Bayern, wo bei einem Verhältnis zwischen Trinkmilch und Werkmilch von 10 : 90 die ungünstigsten Verwertungsmöglichkeiten für Trinkmilch bestehen, beträgt die Ausgleichsabgabe weniger als in Nordrhein-Westfalen, nämlich 2 Pf. je Kilogramm. Möglicherweise ist der auffallend hohe Abgabesatz des Landes Nordrhein-Westfalen nicht oder nicht allein auf eine unrichtige Berechnung der Ausgleichsabgabe oder darauf zurückzuführen, daß Ausgleichsmittel für andere als die in § 12 Abs. 1 MFG gedachten Zwecke verwendet werden, sondern darauf, daß – infolge einer zu weiten Fassung der Ermächtigung der Regelung der Landesausgleichsabgabe verschiedene Systeme zugrunde gelegt werden können; gibt aber die in § 12 Abs. 2 MFG erteilte Ermächtigung für eine solche Praxis Raum, dann spricht dies dafür, daß ihr Inhalt, Zweck und Ausmaß nicht hinreichend bestimmt sind.