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RG, 12.01.1904 - VI 111/04

Daten
Fall: 
Postanweisung
Fundstellen: 
RGZ 60, 24
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
12.01.1904
Aktenzeichen: 
VI 111/04
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Leipzig
  • OLG Dresden
Stichwörter: 
  • Bereicherung, Postanweisung, B.G.B. § 812

Ist, wenn ein Postbeamter in seiner amtlichen Eigenschaft eine Postanweisung unter der Adresse einer Person, der er Geld schuldet, abfertigt, ohne den angewiesenen Betrag bei der Postkasse einzuzahlen, der Postfiskus berechtigt, den an den Adressaten gezahlten Betrag von diesem wegen ungerechtfertigter Bereicherung zurückzufordern?

Aus den Gründen

Am 13.,14, und 16 April 1902 hat der damalige Verwalter des Postamtes in B., Ernst T., neun Postanweisungen über zusammen 7000 M an die Adresse der verklagten Bank als Absender ausgefertigt und bei dem genannten Postamte aufgegeben. Die angewiesenen Beträge sind der Beklagten zum Teil bar durch das Postamt Leipzig-Plagwitz ausgezahlt, im übrigen auf ihren Wunsch durch Überweisung an ihr Girokonto bei der Reichsbank gewährt worden. Nach den einwandfreien und nicht angegriffenen Feststellungen der Beklagten unter Bürgschaft der Nebenintervenienten ein Darlehen von 7000 M erhalten hatte, und der darüber von ihm akzeptierte Wechsel am 13.April 1902 fällig wurde; diese Schuld sollte durch die angewiesenen Beträge getilgt werden. Eine besondere Bemerkung hierüber enthielten die Anweisungen nicht.

Der Kläger behauptet, T., der inzwischen wegen Verbrechen im Amte zu Zuchthausstrafe verurteilt worden ist, habe die Anweisungen in seiner Eigenschaft als Annahmebeamter abgefertigt, die angewiesenen Summen nicht eingezahlt, sie aber als eingezahlt in die Bücher des damals von ihm verwalteten Postamtes eingetragen. Der Kläger hält sich deswegen für berechtigt, die 7000 M von der Beklagten zurückzufordern; seine Klage ist indes von beiden Vorinstanzen abgewiesen worden.

Das Berufungsgericht läßt dahingestellt, wie Postanweisungsgeschäfte rechtlich aufzufassen seien, und führt aus: zweifellos entstehe für die Post eine Verpflichtung zur Auszahlung des auf der Postanweisung angegebenen Betrages nicht, wenn dieser bei Aufgabe der Anweisung nicht an die Post gezahlt worden sei; es habe also, wenn die Angaben des Klägers über das Verfahren des T. wahr seien, eine Verpflichtung der Post, die 7000 M an die Beklagte auszuzahlen, nicht bestanden. Im Sinne von § 812 B.G.B. sei indes im Verhältnis zur Post nicht die Beklagte, sondern allein T. Empfänger der durch die Auszahlung des Geldes bewirkten Leistung, da der Postanweisungsvertrag ein Schuldverhältnis nur zwischen dem Absender und der Post begründet, diese also durch die Auszahlung des Geldes an den Adressaten nur eine ihr gegenüber dem Empfänger obliegende Verpflichtung erfülle, sonach ihm in der Person des Adressaten leiste.

Die gegen diese Ausführungen erhobenen Angriffe konnten keinen Erfolg haben.

Zutreffend erscheint es allerdings, wenn die Revision annimmt, es sei, sofern man die Angaben des Klägers als wahr unterstelle, überhaupt gar kein Anweisungsvertrag zustande gekommen. Ob dies aus § 181 B.G.B. abzuleisten sein würde, kann dahingestellt bleiben; denn wenn T. so, wie vom Kläger behauptet ist, gehandelt hat, so kann nicht angenommen werden, daß er die Absicht gehabt habe, als Vertreter der Post mit sich selbst einen Vertrag abzuschließen, vermöge dessen diese verpflichtet sein sollte, 7000 M an die Beklagte auszuzahlen; der Natur der Sache entspricht es vielmehr allein, anzunehmen, daß er lediglich beabsichtigt habe, durch Ausfertigung und Absendung der Anweisungen in den Postbeamten des Ortes, wo die Auszahlung erfolgen sollte, den Irrtum zu erregen, daß ein Vertrag über Vermittlung der Zahlung der angewiesenen Beträge unter Einzahlung derselben an die Postkasse zwischen dem Absender und dem die Anweisungen entgegennehmenden Beamten abgeschlossen worden sei. Es ist dann bezüglich dieser Anweisungen gar kein Vertrag, auch kein Scheinvertrag, geschlossen worden; es liegt vielmehr bloß eine von T. gegenüber den Beamten der Auszahlungsstelle verübte betrügliche Handlung vor.

Indes sind hieraus keine dem Kläger günstigere Folgerungen herzuleiten, als sie sich auch bei der Annahme ergeben würden, daß formell ein Postanweisungsvertrag zwischen T. und dem Postfiskus zustande gekommen sei, aber aus materiellem Rechtsgrunde- wegen Nichteinzahlung der angewiesenen Beträge – die einem solchen Vertrage an sich zukommenden Rechtswirkungen nicht gehabt habe. Denn immerhin sind Urkunden hergestellt und an die Auszahlungsstelle gesendet worden, die sich nach Form und Inhalt als Postanweisungen darstellten und den Auftrag des Absenders enthielten, daß die Post die angewiesenen Beträge an die Beklagte auszahlen solle, und die Auszahlung ist vermöge dieses Auftrags erfolgt, weil die damit befaßten Organe des Postfiskus irrigerweise annahmen, daß den Anweisungen auch entsprechende rechtsgültige Einzahlungsverträge zugrunde lägen. Entscheidend ist bei beiden vorstehend erwähnten Auffassungen, welcher Charakter der infolge dieses Irrtums bewirkten Verabfolgung der angewiesenen Beträge an die Beklagte zukommt, ob sie rechtlich bloß eine Leistung der Post an den Absender T.; oder zugleich auch eine solche an die Beklagte darstellt.

Die Revision will das letztere angenommen wissen, weil der Vertrag zwischen dem Absender und der Post, sofern nicht etwa Absender und Adressat identisch seien, auch als ein Vertrag zugunsten des Adressaten anzusehen sei, durch welchen dieser, wenn auch nicht sofort, so doch unter Voraussetzung, daß der Absender die Postanweisung nicht vor der Auszahlung des Betrags zurücknehme, das Recht auf Zahlung des angewiesenen Betrags gegen die Post erwerbe. Hierfür spreche namentlich auch die Erwägung, daß das Postanweisungsgeschäft wirtschaftlich auf ein Beförderungsgeschäft hinauslaufe (vgl. Schmidt, in Grochot´s Beiträgen Bd.34 S.180), und daß dasselbe Verkehrsbedürfnis, das bei den handelsrechtlichen Transportgeschäften zur gesetzlichen Statuierung des Auslieferungsrechts für den Empfänger geführt habe (§ 435 H.G.B.), bei den Postbeförderungsverträgen mindestens in gleichem Maße vorhanden sei…

Was die Sache selbst anlangt, so hat unter der Herrschaft des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuchs allerdings die Meinung Vertretung gefunden, daß die Bestimmung in Art.405 dieses Gesetzes auch auf Postsendungen Anwendung finde, und dazu auch die Postanweisungen zu rechnen seien.

Vgl. Mittelstein, in Gruchot´s Beiträgen Bd.36 S.578 flg. und in seinen Beiträgen zum Postrecht S.63 flg.

Indes ist schon vor dem Inkrafttreten des Handelsgesetzbuchs vom 10.Mai 1897 von dem Reichsgericht dahin entschieden worden, daß nach den Vorschriften in Art.421 Abs.2 H.G.B. a.F. und § 35 der Postordnung vom 11.Juni 1892 das postalische Sonderrecht einen selbständigen Auslieferungsanspruch des Adressaten gegenüber der Post ausschließe (Entsch. In Zivilf. Bd.43 S.98 flg.). Inzwischen ist durch § 452 des Handelsgesetzbuchs vom 10.Mai 1897 bestimmt worden, daß auf die Beförderung von Postgütern durch die Postverwaltungen des Reichs und der Bundesstaaten die Vorschriften des vom Frachtgeschäft handelnden Abschnittes keine Anwendung finden; es ist dies geschehen, weil die Rechte und Pflichten der Post aus den von ihr übernommenen Beförderungen durch die Bestimmungen des Reichspostgesetzes und der auf Grund desselben erlassenen Postordnung eine eingehende Regelung erfahren hätten, und ein Bedürfnis für die Anwendung der handelsgesetzlichen Bestimmungen über den Frachtvertrag nicht mehr bestehe.

Vgl. Denkschrift, Bemerkungen zu § 444 des Entwurfs.

Hiernach erscheint jede, auch eine nur analoge, Anwendung des dem älteren Art. 405 entsprechenden § 435 H.G.B. n.F. ausgeschlossen. Die Postordnung aber bestimmt auch in ihrer neuen Fassung vom20.März 1900 in § 33, daß der Absender eine Postsendung zurücknehmen oder ihre Aufschrift ändern lassen kann, solange sie dem Empfänger noch nicht ausgehändigt ist. Hieraus muß in Übereinstimmung mit der vorstehend erwähnten Entscheidung des Reichsgerichts (Entsch. in Zivils. Bd.43 S.98 flg.) entnommen werden, daß ein selbständiger Auslieferungsanspruch des Adressaten einer Postsendung gegenüber der Postanstalt nicht besteht, und diese daher auch bei Auszahlung des auf einer Postanweisung angegebenen Betrags an den Adressaten lediglich den mit dem Aufgeber der Anweisung geschlossenen Vertrag erfüllt.

Die Revision meint, daß auch bei dieser Auffassung die Beklagte im Sinne von § 812 B.G.B. als Empfängerin der auf die Anweisungen gezahlten Beträge anzusehen sei, da die Post nicht als Beauftragte oder Vertreterin des Absenders an den Adressaten zahle, sondern für sich und aus ihrem Vermögen.

Auch hierin kann jedoch der Revision nicht beigetreten werden. Allerdings beschränkt sich bei dem Postanweisungsverkehr die Aufgabe der Post darauf, den Übergang der angewiesenen Summe in den Besitz des Adressaten zu vermitteln; welcher Grund den Absender dazu veranlasst, diesen Übergang unter Inanspruchnahme der Post herbeizuführen, und welchem rechtlichen Zwecke die angewiesene Summe diesen soll, ist für die Post ohne Bedeutung; diese auch dann, wenn der Zweck der Sendung unter richtiger Benennung des Absenders auf dem für dessen Mitteilungen bestimmten Teile des Anweisungsformulars genau angegeben ist. Denn die auf dem Anweisungsabschnitt fehlenden Notizen sind bloß für den Adressaten bestimmt und kommen für die Post nur insoweit in Betracht, als sie bei Unbestellbarkeit der Anweisung zur Ermittlung der Person dienen, an welche der eingezahlte Betrag zurückzuzahlen ist (vgl. Entsch. des R.G.´s in Zivils. Bd.41 S.107). Es ist daher, auch abgesehen davon, daß im vorliegenden Falle die Anweisungsabschnitte über den Zweck der Geldübersendung keine Angaben enthielten, richtig, daß die Postanstalt nicht in Vertretung des T. eine Schuld desselben an die Beklagte bezahlt hat, es vielmehr ihr unbekannt und für sie bedeutungslos war, zu welchem Zwecke die angewiesenen Beträge bestimmt waren. Allein andererseits erfolgt im Postanweisungsverkehr die Zahlung, welche die Post dem Adressaten leistet, mit dem Willen, daß dieser sie als eine ihm von dem Absender durch Vermittlung der Post übersendete empfange; sie geschieht daher für Rechnung des Absenders (vgl. dazu Entsch. des R.G.`s in Zivils. Bd.18 S.309 flg.).

Dementsprechend ist der Empfänger auch der Post gegenüber berechtigt, das ihm von dieser ausgehändigte Geld so zu verwenden, wie es dem zwischen ihm und dem Absender bestehenden Rechtsverhältnisse entspricht. Ist daher der Empfänger Gläubiger des Absenders, und war nach dessen ausdrücklich erklärten oder aus den Umständen zu entnehmenden Willen der angewiesene Betrag zur Tilgung von dessen Schuld bestimmt, so erlischt zu dem entsprechenden Betrage die Forderung des Empfängers, sofern auch er den Willen hat, das ihm von der Post überantwortete Geld als Zahlung auf seine Forderung anzunehmen und zu verwenden. Die Überantwortung des Geldes von seiten der Post wirkt daher, obwohl diese in eigenem Namen, nicht als Vertreterin des Absenders zahlt, wie eine Zahlung, die der Schuldner durch einen Vertreter oder Boten an den Gläubiger leistet, und das Rechtsverhältnis ist in derselben Weise zu beurteilen, wie in dem Falle, wenn jemand, weil er einem anderen hierzu verpflichtet zu sein glaubt, eine Schuld desselben an dessen Gläubiger bezahlt.

Für diesen Fall war nach gemeinem Recht, sofern der Zahlende sich bezüglich seiner Verpflichtung, den andern von seiner Schuld zu befreien, in Irrtum befunden hatte, als der rechtlos Bereicherte nicht der Empfänger des gezahlten Betrages, sondern der, dessen Schuld getilgt worden war, anzusehen.

Vgl. die bereits von der Vorinstanz angezogene Entscheidung des Reichsgerichts in Seuffert´s Archiv Bd.44 Nr.257; Windscheid, Pandektenrecht, Aufl. 6 Bd.2 § 424 unter 2; Dernburg, Pandekten, Aufl.5 Bd.2 § 141 unter II; Witte, Bereicherungsklagen S.76, 81; Erzleben, Condictiones sine causa S.171 flg.; Oertmann, im Archiv für civilist. Praxis Bd.82 S.457 flg.

Dafür, daß diese der Natur der Sache entsprechende Auffassung für das gegenwärtige Recht keine Geltung mehr habe, bietet weder der Wortlaut der einschlagenden Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs, noch deren Entstehungsgeschichte einen Anhalt.

Vgl. auch die Lehrbücher des bürg. Rechts von Dernburg, Bd.2 Abs.2 § 375 unter III 2; Goldmann u. Lilienthal, 2.Auf. § 255 unter 3; Enneccerus u. Lehmann § 352 unter 2 b; ferner Mayer, Bereicherungsanspruch S.219 flg. 225; Jung, Bereicherungsansprüche S.82 flg. 88 flg.

Im vorliegenden Fall ist von der Vorinstanz einwandfrei festgestellt, daß T. die in Frage stehenden Postanweisungen angefertigt und abgesendet hat, damit die Beklagte das ihr durch die Postanstalt zugehende Geld zur Ausgleichung der Darlehns- und Wechselforderung, welche ihr gegen ihn und die Bürgen zustand, verwende, und die Beklagte hat das Geld auch zu diesem Zwecke angenommen; sie hat dies auch nach dem Inhalt ihrer Briefe vom 15. und 16. April 1902 dem T. noch besonders mitgeteilt. Ihre Forderung an diesen und ebenso die an die Bürgen ist daher erloschen; sie hat nicht mehr als ihr zukam erhalten und ist nicht rechtlos bereichert.“ …

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