RG, 12.01.1889 - I 312/88

Daten
Fall: 
Haftung des Samtgutes
Fundstellen: 
RGZ 23, 185
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
12.01.1889
Aktenzeichen: 
I 312/88
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Landgericht Königsberg
  • Oberlandesgericht Königsberg

Haftet das Samtgut für Ansprüche auf Ersatz des durch unerlaubte Handlungen der in allgemeinen Gütergemeinschaft lebende Ehefrau verursachten Schadens?

Gründe

Die in der Überschrift gestellte Frage ist für das Geltungsgebiet des preußischen Allgem. Landrechtes bejaht aus folgenden Gründen:

"Nach den älteren deutschen Rechten, in welchen die Munt des Ehemannes über die Ehefrau in ihren reinen Konsequenzen zur Geltung kam, mußte bei jedem ehelichen Güterrechtssystem der Ehemann (kraft seiner Munt) wahrend der Ehe nach außen für den durch Delikte der Ehefrau verursachten Schaden haften. Ob bei Auflösung der Ehe der dadurch entstandene Verlust der Ehefrau oder ihren Erben auf den an sie fallenden Teil angerechnet werden dürfe, ist eine Frage, welche sich nicht so bestimmt als Konsequenz eines feststehenden Grundprinzipes der altdeutschen Rechte klarlegen läßt.1

Bei der späteren Entwickelung der mannigfaltigsten Systeme des ehelichen Güterrechtes in den deutschen Rechten ist die klare Normierung der Konsequenzen der Munt vielfach zu vermissen. Selbst in den verschiedenen Gebieten der Geltung des Systemes der ehelichen Gütergemeinschaft sind sehr voneinander abweichende Rechtsgrundsätze zur Geltung gelangt. Es hat sich indessen schließlich in Doktrin und Rechtsprechung in denjenigen Gebieten, in welchen die Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechtes für maßgebend erachtet werden, die Auffassung als die herrschende befestigt, daß im Falle des Bestehens allgemeiner ehelicher Gütergemeinschaft, wenn nicht eine positive Satzung eines in erster Linie durchgreifenden örtlichen Rechtes entgegenstehe, das gütergemeinschaftliche Vermögen haftbar sei für die vermögensrechtlichen Folgen der von der Ehefrau verübten Delikte (für Geldbußen, Untersuchungskosten, Entschädigungsverbindlichkeiten). Diese Auffassung fußt im wesentlichen darauf, daß nach dem leitenden Grundprinzip dieses ehelichen Gütersystemes das Vermögen der Eheleute sowohl in bezug auf das Aktivvermögen, als auch in bezug auf die Schulden, ein einheitliches Ganzes bilde und gegen die Haftung für die Deliktschulden der Ehefrau eine durchgreifende Folgerung daraus nicht gezogen werden dürfe, daß regelmäßig nur dem Ehemanne ein Verfügungsrecht über das Gesamtgut zustehe. Durch das Delikt der Ehefrau konstituiere dieselbe nicht durch einen vermögensrechtlichen Dispositionsakt Rechte, sondern es knüpfe das Gesetz an ihre gesetzwidrige Handlung bestimmte Folgen.2

Die herrschende Rechtslehre und Rechtsprechung hat die Bestimmungen des preußischen Allgem. Landrechtes Tl. II. Tit. 1 §§. 363-395 (welche in dem vorliegenden Rechtsstreite gemäß Zusatz 92 des ostpreußischen Provinzialrechtes in Verknüpfung mit den Normen des Publikationspatentes vom 5. Februar 1794 §. 3 und vom 4. August 1801 Nr. I. sowie des §. 360 Tit. 1 Tl. II. des preußischen Allgem. Landrechtes anzuwenden sind) in ihrem Zusammenhange (unter Heranziehung der Norm des §. 49 der Einleitung zum preußischen Allgem. Landrechte und der Bestimmung des §.27 Tit. 6 Tl. I. desselben Gesetzbuches) dahin ausgelegt, daß nach dem ersichtlichen Gesetzeswillen in dem Geltungsgebiete des preußischen Allgem. Landrechtes Normen ganz desselben Inhaltes gelten, wie die vorstehend als von der herrschenden Doktrin und Judikatur im Geltungsgebiete des gemeinen deutschen Privatrechtes anerkannten gekennzeichnet worden sind.

Nachdem in den §§. 306-308 und 314 des bei der Gesetzesrevision von dem Revisor vorgelegten Entwurfes des Tit. 1 Tl. II. des preußischen Allgem. Landrechtes (mit Ausschluß des siebenten Abschnittes) die Norm ausgedrückt war, daß Schulden aus unerlaubten Handlungen, ingleichen Geldstrafen und Kosten (sei es des Ehemannes, sei es der Ehefrau) aus dem gemeinschaftlichen Vermögen beigetrieben werden konnten (allerdings mit der aus Billigkeitsgründen empfohlenen Bestimmung, daß von der Exekution wegen solcher Schulden wenigstens so viel vom gemeinschaftlichen Vermögen freibleiben müsse, als die Hälfte des von dem nicht delinquierenden Ehegatten in die Gemeinschaft gebrachten Vermögens betrage), daß indessen bei erfolgender Aufhebung der Gemeinschaft die dadurch bewirkte Vermögenseinbuße auf den Anteil des delinquierenden Ehegatten anzurechnen sei, trat zunächst Bornemann in seiner systematischen Darstellung des preußischen Civilrechtes für die später herrschend gewordene Gesetzesauslegung ein.3

Auch Koch sagt in der dritten, im Jahre 1858 erschienenen Auflage seines Lehrbuches des preußischen Privatrechtes Bd. 2 §. 759 N.4 S. 589:

"Unerlaubte Handlungen der Frau, ebenso wie des Mannes, belasten mit dem Schadensersatze, den Geldstrafen und Untersuchungskosten das gemeinschaftliche Vermögen",

wozu er in der Anm. 7 bemerkt:

"§§. 384-386. 390 A.L.R. II. 1. Der Schadensersatz ist nicht genannt. Nach dem Princip muß jedoch eben das gelten, was von Kosten und Geldstrafen."

Der erste Senat des preußischen Obertribunales hatte sich anfangs in einem (dürftig motivierten, in Striethorst Archiv Ad. 41 S. 267 abgedruckten) Erkenntnisse vom 27. Mai 1861 für die entgegengesetzte Ansicht, in einem (eingehender begründete, in Gruchot, Beitrage Bd. 7 S. 236-239 mitgeteilten) Erkenntnisse in demselben Sinne entschieden. Der I. Senat des preußischen Obertribunales reprobierte indessen selbst ausdrücklich in dem (Bd. 47 seiner Entscheidungen S. 238-253 und in Striethorst Archiv Bd. 46 S. 132-148. in den Entscheidungen mit dem unrichtigen Datum vom 2. Juni 1861 abgedruckten) Urteile in Sachen Behrens wider Bogun sein früheres Erkenntnis vom 27. Mai 1861. Das Urteil vom 2. Juni 1862 ist sehr sorgfältig und eingehend begründet. Der Professor Paul Hinschius (in der preußischen Anwaltszeitung Jahrg. 1863 S. 190. 191) und Gruchot (in seinen Beiträgen Bd. 7 3. 239 flg.) schlossen sich letzterem Urteile an. Koch dagegen (uneingedenk dessen, was er selbst in seinem Jahrbuche des preußischen Privatrechtes gelehrt hatte) griff (in seinem Kommentar zum preußischen Allgem. Landrecht bei dem §. 389 Tit. 1 Tl. II. dieses Gesetzbuches) das Erkenntnis des preußischen Obertribunales heftig an, indem er bemerkte: Es gebe keinen Rechtsgrund, aus welchem sich der Satz herleiten ließe, daß die Frau das, was sie durch rechtliche Handlungen zu thun nicht vermöge (nämlich die Gütergemeinschaft zu belasten), durch Verbrechen in vollem Mähe solle thun können. Das sei unjuristisch und unlogisch. Diese Argumentation ist von den späteren Herausgebern jenes Kommentars aufgegeben. Dieselben und Förster selbst (in seiner Theorie und Praxis Bd. 3 §. 209 S. 548 der 3. Aufl.), sowie Eccius (in der 3. Aufl. des vorgenannten Werkes Bd. 4 S. 69. 70), Dernburg (in seinem Lehrbuche des preußischen Privatrechtes Bd. 3 Aufl. 3 5.37 S. 124) und Fischer (in seinem Lehrbuche desselben Privatrechtes §. 99 S. 542) erklären sich übereinstimmend dafür, daß nach den Prinzipien des preußischen Allgem. Landrechtes das gütergemeinschaftliche Vermögen für die Deliktschulden der Ehefrau haftbar sei.

Von dieser herrschenden Gesetzesauslegung abzuweichen, liegt kein durchschlagender Grund vor, vielmehr sind die (hierdurch in bezug genommenen) Gründe des Erkenntnisses des preußischen Obertribunales vom 2. Juni 1862 zu billigen. Bemerkt mag werden, daß auch das bürgerliche Gesetzbuch für das Königreich Sachsen in §. 1696 bestimmt:

"Die vorhandenen oder später entstehenden Verbindlichkeiten der Ehegatten werden, selbst wenn sie auf unerlaubten Handlungen beruhen, gemeinschaftlich,"

und daß in dem Entwurfe eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich (ausweislich der zu verknüpfenden §§. 1359 und 1367 desselben) derselbe Grundsatz in Vorschlag gebracht und in den Motiven Bd. 6 S. 375. 376. 385. 386 als dem Wesen der ehelichen Gütergemeinschaft entsprechend gerechtfertigt wird."

  • 1. Vgl. Mittermaier, Grundsätze des deutschen Privatrechtes 5. Ausg. §. 402; Heusler, Institutionen des deutschen Privatrechtes Bd. 2 §. 146 S. 383.
  • 2. Vgl. Erkt. des Niedergerichtes und Obergerichtes zu Hamburg vom 11. März und 7. Oktober 1853 i. S. Dr. Noack m. n. Blohm & Lepper in Baumeister's Privatrecht der freien und Hansestadt Hamburg Bd. 2 §. 68 Anm. 13; Erk. des VI. Civilsenates des Preußischen Obertribunales, in Entsch. desselben Bd. 83 S. 149 -151; Urt. des III. Civilsenates des Reichsgerichtes vom 10. Oktober 1882. in Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 7 Nr. 51; Urt. der Berufungskammer des Landgerichtes Bremen vom Jahre 1888, Hanseatische Gerichtszeitung Jahrg. 1889 Nr. 1 S. 1; Trümmer, Hamburg. Erbrecht Bd. 1 S. 132 flg.; Seibertz im Arnsberger Neuen Archiv Bd. 1 S. 222 flg.: Kraut, Die Vormundschaft nach den Grundsätzen des deutschen Rechtes Bd. 2 S. 555 flg.; Stobbe, Handbuch des deutschen Privatrechtes Bd. 4 5. 233 N. 3; Gierke, Die Genossenschaftstheorie S. 397. 393.
  • 3. Vgl. Bd. 3 der 2. Aufl. des genannten Werkes §. 328 S. 146.