RG, 15.01.1930 - V 217/29
Kann der Gläubiger eines Grundstücks, dem dieses übergeben ist, auf Grund seines Besitzes der Zwangsvollstreckung eines Hypothekengläubigers nach § 771 Abs.1 ZPO widersprechen?
Sachverhalt
Die Eheleute E. verkauften am 13.03.1925 ein Grundstück an die Kl. Im Kaufvertrag war festgehalten, daß die Verkäufer befugt sind, das Grundstück vor der Auflassung noch zugunsten der Bekl. mit einer Pfandbriefhypothek zu belasten, die von den Käufern übernommen werden sollte. Am 31.08.1925 haben die Eheleute E. für die Bekl. eine Roggenpfandbriefhypothek von 6620 Zentnern Roggen nebst Zinsen eintragen lassen. Aufgrund rückständiger Zinsbeträge betreibt die Bekl. die Zwangsversteigerung aus der Hypothek dieses Grundstücks. Die Kl. erheben gegen die Zwangsvollstreckung Widerspruch und begründen dies damit, daß sie am 1.4.1925 das Grundstück übergeben erhalten haben und nunmehr Besitzer sind.
Das LG erklärte die Zwangsversteigerung für unzulässig, das OLG wies dagegen die Klage ab.
Die Revision der Kl. war erfolglos.
Gründe
Es wird zunächst ausgeführt, es liege bisher keine Feststellung darüber vor, daß sich die Verkäufer E. mit der Bestellung der Hypothek im Rahmen dessen gehalten hätten, was ihnen nach dem Kaufvertrag gestattet sein sollte. Dann wird fortgefahren:
Die Frage, vor deren Entscheidung der vorliegende Fall den Richter stellt, ist zunächst zu begrenzen. Sie geht dahin, ob im Liegenschaftsrecht dem Käufer, dem nur der schuldrechtliche Vertragsanspruch auf Verschaffung des Eigentums an einem ihm bisher fremden Grundstück zusteht, dem aber das Grundstück bereits zu Eigenbesitz übergeben ist, das Recht zuerkannt werden kann, nach § 771 ZPO der Zwangsvollstreckung des Gläubigers einer Hypothek zu widersprechen, die vom Eigentümer nach dem Verkauf und der Übergabe und ohne die Zustimmung des Käufers bestellt worden ist. Um dies zu verneinen, braucht keineswegs dem Besitz überhaupt, insbesondere dem Fahrnisbesitz die Eigenschaft eines die Veräußerung hindernden Rechts am Gegenstande der Zwangsvollstreckung im Sinne des § 771 ZPO abgesprochen zu werden. Ebensowenig braucht darauf eingegangen zu werden, inwieweit etwa mittelbarem Besitz als solchem, z.B. des Vermieters, Verleihers usw., jene Eigenschaft zuerkannt werden kann. Dagegen bedarf es von vornherein der scharfen Betonung des Unterschiedes, der besteht zwischen der Rechtsstellung des bloß besitzenden Käufers eines Grundstücks einerseits und anderseits der Rechtsstellung solcher Dritter, denen entweder ein Anspruch auf Rückgewähr einer von ihnen dem unmittelbaren Besitz des Vollstreckungsschuldners anvertrauten Sache (also nicht ein bloßer Verschaffungsanspruch) zur Seite steht, oder die in der Lage sind, geltend zu machen, daß der Gegenstand der Vollstreckung sich nur der äußeren Gestaltung nach, etwa infolge eines Auftrags, oder Treuhandverhältnisses, im Vermögen des Vollstreckungsschuldners befinde, der inneren Wahrheit nach aber ihrem Vermögen zugehöre. Zwar hat die Rechtsprechung in Fällen der beiden letztgenannten Arten das Widerspruchsrecht des Dritten nach § 771 ZPO (wie auch das entsprechende Aussonderungsrecht im Konkurse) anerkannt (RGZ Bd. 79 S.121, Bd. 84 S.214, Bd. 45 S.80). Aber damit ist noch nichts für das Widerspruchsrecht des Grundstückskäufers gewonnen, der neben seinen Besitz lediglich einen schuldrechtlichen Verschaffungsanspruch wegen eines ihm sonst bisher fremden Grundstücks für sich geltend zu machen kann (RGZ Bd. 81 S.64, Bd. 84 S.214).
Im geltenden Liegenschaftsrecht kommt dem Besitz des Grundstückskäufers keine Bedeutung für die dingliche Rechtsgestaltung zu. Der Übergang des Eigentums am Grundstück, die Begründung von dinglichen Rechten daran vollziehen sich ohne Rücksicht au den Besitz und selbst im Gegensatz zu ihm. Der bloße Besitz verleiht auch in Verbindung mit dem Käuferanspruch keine dingliche Rechtsstellung und § 986 Abs.1 BGB (Abs. 2 kommt nicht in Frage) gewährt einem Besitzer, der, wie der Käufer, nur schuldrechtlich zum Besitz berechtigt ist, lediglich eine Einrede gegenüber dem Herausgabeverlangen des ihm verpflichteten Eigentümers. Demgegenüber handelt es sich, wie das Berufungsgericht mit Recht als entscheidend betont, bei dem Anspruch der Beklagten, der durch die Zwangsvollstreckung verwirklicht werden soll um einen solchen aus dinglichem Recht. War es für die Entstehung dieses Rechts ohne jede Bedeutung, daß sich das Grundstück bereits im Käuferbesitz der Kläger befand, so besteht ferner das eigentliche Wesen der Dinglichkeit eines Rechts an fremder Sache gerade darin, daß sie die Sache der Herrschaft des Berechtigten nach Maßgabe des Inhalts seines Rechts unterwirft ohne Rücksicht darauf, in wessen Hand sich befindet. Auf der Dinglichkeit der Hypothek beruht der Immobiliarkredit, auf den eine Beeinträchtigung der dinglichen Kraft im Bereich der Zwangsvollstreckung, d. i. auf dem Gebiete, wo die Hypothek gerade bestimmungsgemäß zur Durchführung gelangt, nicht ohne schwerste Rückwirkung bleiben könnte.
Es ist unzutreffend, wenn in einer zu der hier streitigen Frage vielfach (z.B. bei Stein-Jonas ZPO 14. Auflage § 771 II 1b, Anm. 40) angezogenen Entscheidung vom 21. März 1902 das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG Bd. 4 S. 380, vgl. auch das. Bd. 20 S.342) ausführt, daß dem Käufer nur noch formales (Buch-) Eigentum an dem übergebenen Grundstück verbleibe und daß das Grundstück wegen des daran nunmehr bestehenden Rechts des Erwerbers und Besitzers nicht mehr als zum Vermögen des Verkäufers gehörig angesehen werden könne. Auch der schon hervorgehobenen Ausgestaltung, die das Liegenschaftsrecht im geltenden bürgerlichen Recht gefunden hat, wird der materielle Rechtsstand des Grundstückseigentümers durch die Übertragung des Besitzes an einen Käufer keineswegs derart berührt, daß man von einem Ausscheiden des damit begründeten materiellen Zugehörigkeit zum Vermögen des Käufers, von einem beim Verkäufer zurückgebliebenen bloß formalen oder Buch-Eigentum sprechen dürfte. Trotz der Besitzübergabe besteht nur erst eine schuldrechtliche Übereignungsverpflichtung des Verkäufers. Ihm verbleibt auch materiell das Eigentum, bis Auflassung und Umschreibung auf den Käufer hinzugetreten sind. Er kann anderweit darüber mit voller Wirkung verfügen und zwar nicht nur, wie das Oberlandesgericht Stuttgart rechtsirrig annimmt, zugunsten eines gutgläubigen, die schuldrechtliche Bindung nicht kennenden, sondern zugunsten des Dritten, vorbehaltlich allein der besonderen Folgen, die sich aus unerlaubtem Handeln des Dritten ergeben könnten. Zugunsten eines Widerspruchsrechts des besitzenden Käufers kann deshalb nicht geltend gemacht werden, daß der Vollstreckungszugriff nicht weiter gehen könne als die Verfügungsmacht des Schuldners; denn dessen Verfügungsmacht ist durch seine bloße persönliche Bindung selbst bei Hinzutritt der Besitzübertragung nicht dahin beschränkt, daß er nicht Eigentum oder dingliche Rechte zugunsten anderer begründen könnte. Was aber die Stellung des vollstreckenden Hypothekengläubigers im besonderen anlangt, so ist es nicht einmal grundsätzlich richtig, daß er mit seiner Vollstreckungsbefugnis an die Verfügungsmacht eines bestimmten Eigentümers gebunden sei, da ihn ja gerade die Dinglichkeit seines Rechts von solcher Bindung befreit.
Die Anerkennung eines Widerspruchsrechts des besitzenden Käufers würde - worauf schon das Landgericht hingewiesen hat - die auffällige Folge haben, daß trotz des Verkaufs die Zwangsvollstreckung des Hypothekengläubigers zweifellos zufällig wäre, solange der Verkäufer das verkaufte Grundstück dem Käufer noch nicht übergeben hat; daß sie vermöge der Dinglichkeit der Hypothek auch zufällig wäre gegen den Käufer, sobald das Eigentum auf diesen umgeschrieben ist; daß sie dagegen ungeachtet der Dinglichkeit, wirksamem Widerspruch ausgesetzt sein würde während der Übergangszeit, wo das Grundstück dem Käufer übergeben wäre, ohne schon im Grundbuch auf ihn übertragen zu sein. Dies Ergebnis ist unannehmbar. Es würde den Immobiliarkredit ohne rechtfertigenden Grund zeitweilig entwerten. Es würde den Käufer nach Vollendung seines Eigentumserwerbs ungünstiger stellen als vorher; es müßte ihn geradezu anreizen, zur Hintanhaltung von Vollstreckungsmaßnahmen seine Eintragung als Eigentümer möglichst lange hinauszuschieben, womit eine starker Anreiz zu unlauterem Zusammenspiel zwischen Verkäufer und Käufer auf Kosten der Gläubige des ersteren gegeben wäre.
Das Landgericht hatte seine der Beklagten gleichwohl ungünstige Entscheidung auf das RGZ Bd. 116 S. 363 veröffentlichte Urteil des erkennenden Senats vom 21. März 1927 gestützt. Dort ist allerdings in einem nicht wesentlich verschiedenen Falle, wo es sich namentlich auch um die Vollstreckung aus einem dinglichen Titel handelte, der Besitz des Käufers am verkauften Grundstück als ein die Veräußerung (durch den Schuldner) hinderndes Recht im Sinne des § 771 ZPO anerkannt. Soweit die Begründung dieses Erkenntnisses von vorstehenden Ausführungen abweicht, wird die darin ausgesprochene Rechtsmeinung, die inzwischen im Schrifttum beachtlichen Widerspruch gefunden hat (vgl. Oertmann JW 1927 S. 1639 Note zu 10; Jaeckel-Güthe ZPO 6. Aufl. §§ 37, 38 Anm. 13 unter 5a Abs. 2 S.198; Reinhardt-Müller ZPO 6. Aufl. § 9 V 1 S.27), nicht aufrechterhalten. Der Umstand, daß in jenem Fall auch die Auflassung an den Käufer bereits erfolgt war, stellt, wie die Entscheidung selbst (S.367 oben) anerkennt, keinen durchgreifenden Unterschied dar. Der auf S.366 das. ausgesprochene Satz, daß eine die Veräußerung hinderndes Recht im Sinne des § 771 ZPO immer schon dann anzunehmen sei, wenn die Veräußerung der den Vollstreckungsgegenstand bildenden Sache durch den Schuldner dem berechtigten Dritten gegenüber sich als rechtswidrig darstellen würde, hält in dieser Allgemeinheit der Nachprüfung nicht stand. Dem dinglichen Vollstreckungsrecht eines Hypothekengläubigers gegenüber kann die nur auf schuldrechtlichem Gebiet liegende Rechtswidrigkeit einer anderweitigen Verfügung dem besitzenden Käufer gegenüber (soweit eine solche im Einzelfall überhaupt vorläge) kein Widerspruchsrecht für diesen begründen.
Anhang | Größe |
---|---|
RG, 15.01.1930 - V 21729 - RGZ 127, 8.pdf | 175.18 KB |