BGH, 19.11.1997 - 3 StR 271/97
1. Die Behandlung mit Gammastrahlen in therapeutisch wirksamer Dosis stellt einen erheblichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit dar. Die Einwilligung des Patienten rechtfertigt bei Fehlen einer weitergehenden Aufklärung nur eine lege artis durchgeführte Strahlentherapie.
2. Ein ärztlicher Urlaubsvertreter darf eine von dem vertretenen Arzt begonnene Therapie nach dessen Bestrahlungsplan jedenfalls dann nicht ungeprüft weiterführen, wenn ausreichende Anhaltspunkte für ernste Zweifel an dessen Richtigkeit für ihn erkennbar sind.
Tenor
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 5. Juli 1996 wird verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten Dr. R. wegen fahrlässiger Körperverletzung in fünf Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 200 Tagessätzen zu je 330,00 DM verurteilt.
I.
Der Angeklagte Dr. R. hatte sich als gleichberechtigter Partner an einer Gemeinschaftspraxis mit dem inzwischen rechtskräftig verurteilten früheren Mitangeklagten Dr. K. beteiligt. Beide waren Fachärzte für Radiologie und Strahlentherapie, jedoch hatten sie intern eine Arbeitsteilung dahin vorgenommen, daß Dr. K. die Strahlentherapie oblag, während Dr. R. in diesem Bereich lediglich Urlaubsvertretungen wahrnahm. Ihre Kenntnisse auf diesem Gebiet erwarben sie bei ihrer Facharztausbildung im Knappschaftskrankenhaus in D. , an dem Dr. K. bis 1968 und Dr. R. bis 1974 arbeitete. Die Fortbildung der beiden Ärzte im Bereich der Strahlentherapie war allenfalls "rudimentär". Dr. K. sah keinen Fortbildungsbedarf, da er die Strahlentherapie für unproblematisch hielt. Entsprechendes galt für den Angeklagten Dr. R. , der auf diesem Gebiet nur Urlaubsvertretungen wahrnahm (UA S. 22).
Die Durchführung der Strahlentherapie in der Praxis entsprach im Tatzeitraum nicht mehr dem Stand der Wissenschaft und den einschlägigen Vorschriften. Die zur größt-möglichen Schonung des gesunden Gewebes entwickelten Methoden wurden unzureichend angewandt. Bei der Mehrfeldertechnik, bei der der Tumor von mehreren Feldern aus abwechselnd bestrahlt wird, wurde meist der tägliche Wechsel nicht eingehalten, in zahlreichen Fällen sogar die gesamte Bestrahlung nur über eines der Felder vorgenommen. Die mit dem vorhandenen Gerät mögliche Rotationstechnik, bei der sich der Strahlenkopf bewegt, kam nicht zum Einsatz, weil Dr. K. nicht in der Lage war, die dafür notwendigen Berechnungen anzustellen. Die erforderlichen röntgenologischen Feldkontrollaufnahmen, mit denen geprüft wird, ob einerseits der Tumorherd getroffen und andererseits wichtige Organe verschont werden, unterblieben bei Bestrahlungen im Brust- und Beckenbereich, weil sie Dr. K. für entbehrlich hielt. Die Bestrahlungen erfolgten in zwei Serien mit einer Zwischenpause von sechs bis acht Wochen; diese war jedoch im Tatzeitraum nach dem Stand der Medizin nicht mehr vertretbar, da sie dem Tumor Zeit gibt, erneut zu wachsen, und den Erfolg der Therapie in Frage stellt.
Die Dokumentation der Bestrahlungsbehandlung in den Karteikarten erfolgte unzureichend, was der Angeklagte Dr. R. mehrfach beanstandet hatte, allerdings ohne eine Änderung zu erreichen. Die Patientenakten wurden auch sonst sehr unordentlich geführt; entgegen Ziff. 6.3.6. Abs. 6 der Richtlinie Strahlenschutz (GMBl 1979, S. 638, 648) wurde das Bestrahlungstagebuch von keinem der beiden Ärzte unterzeichnet und auch sonst nachlässig geführt. Das für das Telekobaltgerät vorgeschriebene Betriebstagebuch fehlte ebenso wie ein Wartungsvertrag; die nach der Strahlenschutzverordnung und der dazu ergangenen Richtlinie erforderlichen betriebsinternen Prüfungen unterblieben.
Dr. K. errechnete ursprünglich die erforderlichen Bestrahlungszeiten für das von ihm eingesetzte Telekobaltgerät selbst. Als er erfahren hatte, daß er bei Überprüfungen des Gewerbeaufsichtsamtes Bestrahlungszeittabellen benötige, ließ er sich solche von dem ebenfalls mitangeklagten, zwischenzeitlich rechtskräftig verurteilten Medizinphysiker Kr. mit Hilfe eines Computerprogramms erstellen, um sie vorweisen zu können, beabsichtigte jedoch ihre Anwendung vorerst nicht. Bei der Erstellung kam es zu einem nicht mehr aufklärbaren Fehler, der die Erhöhung der Werte um den Faktor 2,2 bewirkte. Dies bemerkte weder der Kr. noch Dr. K. , der die Tabellen ungeprüft übernommen und nicht einmal eine einfache Plausibilitätskontrolle vorgenommen hatte. Während er zunächst noch nach seiner bisherigen Methode die Bestrahlungszeiten errechnete, ging er ab April oder Mai 1986 zunehmend dazu über, die Tabellen zu verwenden, weshalb es in der Folgezeit in zahlreichen Fällen zu einer Bestrahlung von Patienten mit mehr als der doppelten der medizinisch indizierten und damit einer unvertretbar hohen Dosis bis zur Entdeckung des Fehlers im März 1987 kam. Dr. K. wurde deswegen in diesem Verfahren rechtskräftig wegen fahrlässiger Tötung in vier Fällen und wegen fahrlässiger Körperverletzung in 16 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und der Medizinphysiker Kr. - ebenfalls rechtskräftig - wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten, jeweils ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt.
Der Angeklagte Dr. R. hat nach den getroffenen Feststellungen als Urlaubsvertreter in fünf Fällen Patienten nach dem von Dr. K. aufgestellten Behandlungsplan in dessen Urlaubszeit vom 2. bis 22. September 1986 und vom 20. Februar bis 6. März 1987 weiterbehandelt. Er prüfte die Indikation zur Behandlung sowie die Feldgröße und Herdtiefe; die Bestrahlungszeiten übernahm er jedoch ungeprüft, da ihm eine Kontrolle weder nötig noch möglich erschien, weil er die Dosisleistung des Geräts nicht kannte. Ebensowenig wie sein Kollege kümmerte er sich um die erforderlichen Aufzeichnungen und betriebsinternen Prüfungen. Bei einer vom Gewerbeaufsichtsamt veranlaßten Überprüfung der Röntgenanlage am 3. März 1987 bat er die Prüfingeneurin S. um eine Dosismessung an der Telekobaltanlage, weil ihm in letzter Zeit außergewöhnliche Hautreaktionen Anlaß zu Zweifeln gegeben hatten. Die hierfür an sich nicht zuständige Zeugin S. nahm auf sein Drängen trotz unzureichender Meßapparatur eine grobe Messung vor, die ergab, daß die Bestrahlungszeiten in der Tabelle mehr als doppelt so lang waren, als es der Dosisleistung entsprochen hätte. Obgleich die Zeugin ihn darauf hingewiesen hatte, daß er die Anlage bis zu einer genauen Messung nicht mehr benutzen dürfe, führte er in den Folgetagen bei zwei Patienten je drei Bestrahlungen mit der bisherigen Überdosis durch.
II.
Mit seiner Revision rügt der Angeklagte Dr. R. die Verletzung formellen und sachlichen Rechts; das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Die Verfahrensrügen sind unbegründet, wie der Generalbundesanwalt in seinem Verwerfungsantrag im einzelnen ausgeführt hat. Diesen eingehenden und zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an und weist ergänzend darauf hin, daß die Ablehnung der Zuziehung eines pathologischen Gutachters neben der strahlentherapeutischen Sachverständigen mit den Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen bei einer Kompetenzüberschneidung in Einklang steht (vgl. BGHSt 34, 355; BGHR StPO § 244 IV 2 Zweitgutachter 2, 3).
Zur Rüge der Verletzung des § 265 Abs. 4 StPO kann der Senat offen lassen, ob die Auffassung des Generalbundesanwalts zutrifft, daß die Stützung des Körperverletzungsvorwurfs auf die "bloße" Zellschädigung in den Fällen, in denen manifeste Schäden als Folge der Überbestrahlung nicht festgestellt werden konnten, nicht eine Veränderung, sondern lediglich eine Beschränkung des sich aus der zugelassenen Anklage ergebenden Sachverhalts darstellt, die eine Anwendung des § 265 Abs. 4 StPO nicht rechtfertigt. Jedenfalls wäre die Ablehnung auch nicht ermessensfehlerhaft gewesen, weil in dem Aussetzungsantrag keine konkreten notwendigen Verteidigungsvorbereitungen benannt waren, die nicht in der zur Verfügung stehenden Zeit hätten getroffen werden können, und es im wesentlichen - wie jedenfalls aus dem Gang der Hauptverhandlung ersichtlich - nur noch um die Rechtsfrage ging, ob die Einwirkung auf Zellen ohne manifeste Schäden eine Verletzung der körperlichen Unversehrtheit darstellt.
2. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Soweit es in den Fällen L. , H. und C. die festgestellten Bestrahlungszeiten aus den von Dr. K. nachträglich gefertigten Bestrahlungsprotokollen entnommen hat, hat es seine tatrichterliche Überzeugung ohne Rechtsfehler gewonnen. Dr. K. hat eingeräumt, daß er bei der Nachfertigung der Protokolle in den meisten Fällen die Bestrahlungszeiten unverändert übernommen, in etlichen jedoch um 10 bis 20 % vermindert habe, um die angewandte Dosis geringer erscheinen zu lassen. Dafür, daß er die Zeiten zu hoch angegeben und damit zu seinem und des Angeklagten Nachteil verfälscht haben könnte, hatte die Kammer keine Anhaltspunkte, eine solche Annahme liegt auch fern. Die Strafkammer hat sich auch damit auseinandergesetzt, ob Dr. K. höhere Angaben aus Versehen gemacht haben könnte und ob die angegebenen Zeiten mit den sonstigen Befunden und Umständen im Einzelfall vereinbar sind.
Der von der Revisionsbegründung geltendgemachte Widerspruch in der Beweiswürdigung im Fall W. besteht nicht. Soweit sie beanstandet, daß die Strafkammer bei der zweiten Bestrahlungsserie mit insgesamt 25 Terminen, von denen der Angeklagte nur acht wahrgenommen hatte, gleichwohl die gesamte Strahlendosis von 17,6 Gy allein diesem angelastet hat, übersieht sie, daß Dr. K. nach seiner Urlaubsrückkehr und der Aufdeckung des Fehlers die weiteren Bestrahlungstermine nur zum Schein wahrgenommen hatte, um gegenüber der Patientin zu verschleiern, daß die Dosis bereits überschritten war. Tatsächlich hatte er die Öffnungsblende des Geräts geschlossen gehalten und keine weiteren Strahlen mehr verabreicht (UA S. 167).
3. Das Landgericht hat den objektiven Tatbestand der Körperverletzung auch in den Fällen L. und C.
bejaht, in denen keine manifesten Schäden als Folge der zu hohen Strahlendosis festgestellt werden konnten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit auch dann als Körperverletzung zu bewerten, wenn er durch einen Arzt in heilender Absicht erfolgt. Die Heilmaßnahme kann im Regelfall nur durch eine wirksame Einwilligung des Patienten gerechtfertigt werden (vgl. BGH NJW 1972, 335, 336; BGHSt 11, 111, 112; BGHR StGB § 223 I Heileingriff 4 m.w.Nachw.).
Die Behandlung mit Gammastrahlen in einer zur Tumorvernichtung ausreichenden Dosis, auch wenn sie medizinisch indiziert ist und lege artis ausgeführt wird, bewirkt einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Patienten. Die Strafkammer, beraten durch die Sachverständige Prof. Dr. We. hat dargelegt, daß bei der von den Angeklagten angewandten Methode der Strahlung durch die Haut zwangsläufig stets gesundes Gewebe mitbestrahlt werden muß, dessen Zellen durch die Strahlen verändert und geschädigt werden. Auch wenn dabei die zur größtmöglichen Schonung des gesunden Gewebes entwickelten Techniken (z.B. Mehrfeldertechnik) lege artis eingesetzt werden, ist die Strahlentherapie regelmäßig mit Nebenwirkungen verbunden, die allerdings bei ordnungsgemäßer Dosierung in der Regel alsbald wieder abklingen, wie zum Beispiel Rötungen der Haut, Übelkeit und Erbrechen. Das bestrahlte Gewebe, zum Beispiel die Haut, bleibt auch nach dem Abklingen der akuten Nebenwirkungen anfälliger für Verletzungen und heilt schwerer. Daneben können als dauerhafte Folgen u.a. Nekrosen (Absterben von Gewebe), Fibrosen (Vermehrung des Bindegewebes), Proktitis (Mastdarmentzündung) oder Stenosierung (Verengung) des Darms eintreten, wobei solche Folgen häufig erst längere Zeit nach Abschluß der Bestrahlung erkennbar werden (UA S. 24). Angesichts dieser Nebenwirkungen und möglichen Folgen ist der mit der Strahlenanwendung verbundene Eingriff in den menschlichen Organismus durchaus als erheblich im Sinne der Rechtsprechung anzusehen (vgl. zur Körperverletzung durch Gammastrahlenbehandlung OLG Stuttgart NJW 1983, 2644 f. [OLG Stuttgart 24.11.1982 - 1 U 66/82]). Für die entsprechende Problematik bei der Behandlung mit Röntgenstrahlen zur Entfernung von Warzen hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden, daß die Anwendung von Röntgenstrahlen in therapeutisch wirksamer Dosis einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit bedeutet, da eine planmäßige Gewebsschädigung erfolge (VI. Zivilsenat, NJW 1972, 335, 336). Für den nicht weniger gefährlichen Bereich der Gammastrahlen gilt nichts anderes. Auch die in der Revisionsbegründung zitierte Entscheidung des Landgerichts München I (NStZ 1982, 470) geht grundsätzlich davon aus, daß durch die Zuführung von Gammastrahlung eine Körperverletzung begangen werden kann; allerdings war dort die in Betracht kommende Dosis (aus einem Prüfgerät für Schweißnähte) sehr gering und in der genauen Höhe nicht bekannt, so daß ein Überschreiten der Erheblichkeitsschwelle nicht festgestellt werden konnte.
Eine wirksame Einwilligung der Patienten für diese Eingriffe lag nicht vor, denn diese bezog sich schon wegen Fehlens einer weitergehenden Aufklärung nur auf eine lege artis, das heißt nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft durchgeführte Heilbehandlung (vgl. Laufs, Arztrecht 5. Aufl. Rdn. 693; Tröndle, StGB 48. Aufl. § 223 Rdn. 9 a; BGH, Urteil vom 25. März 1982 - 1 StR 674/81; OLG Stuttgart NJW 1983, 2644 [OLG Stuttgart 24.11.1982 - 1 U 66/82]). Daß dies bei einer Bestrahlung mit fehlerhaft ermittelten Überdosen von mehr als dem Doppelten nicht der Fall ist, bedarf keiner näheren Darlegung.
4. Soweit der Angeklagte in den Fällen W. und C. die Bestrahlungen mit Überdosen auch noch nach dem 3. März 1987 mit je drei Terminen fortgesetzt hatte, obgleich er von der Zeugin S. auf das alarmierende Meßergebnis und die Notwendigkeit, die Anlage vor einer endgültigen Messung nicht mehr zu benutzen, hingewiesen worden war, liegt Fahrlässigkeit ohnehin auf der Hand.
Hinsichtlich der übrigen Bestrahlungen hat das Landgericht den Fahrlässigkeitsvorwurf zu Recht darin gesehen, daß der Angeklagte die Bestrahlungszeiten aus dem von seinem Kollegen Dr. K. aufgestellten Behandlungsplan ungeprüft übernommen und nicht einmal eine stichprobenartige Plausibilitätsprüfung vorgenommen hatte, obgleich ausreichende Anhaltspunkte für ernste Zweifel an dessen Richtigkeit für ihn erkennbar gegeben waren.
Bei den ihm bekannten Verhältnissen in der Praxis konnte sich der Angeklagte nicht auf den Vertrauensgrundsatz berufen. Dieser ist zwar in der Rechtsprechung auch für den Fall der Zusammenarbeit von Ärzten der gleichen Fachrichtung bei sogenannter horizontaler Arbeitsteilung (also nicht in einem Über- und Unterordnungsverhältnis) grundsätzlich anerkannt (vgl. BGHR StGB § 15 Fahrlässigkeit 1; BGH - VI. Zivilsenat - NJW 1989, 1536, 1538; 1994, 797, 798). Jedoch gilt dieser Grundsatz nur, wie das Landgericht zutreffend ausführt, solange keine ernsthaften Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit der Vorarbeiten des Kollegen erkennbar sind (BGH - VI. Zivilsenat - aaO). Hier war jedoch die Tätigkeit des Dr. K. in der Strahlentherapie für den Angeklagten erkennbar von zahlreichen Nachlässigkeiten, wie mangelhafter Dokumentation, fehlenden Aufzeichnungen und unterlassenen nach den Strahlenschutzbestimmungen vorgesehenen Überprüfungen, aber auch dadurch gekennzeichnet, daß die Strahlenbehandlung selbst nicht mehr dem aktuellen Stand der ärztlichen Kunst entsprach. Bei der Fülle und Schwere der Anhaltspunkte hätte der Angeklagte auch nicht auf die Richtigkeit der von Dr. K. angegebenen Bestrahlungszeiten vertrauen dürfen, zumal er keinen Anhalt hatte, daß dieser die von dem Medizinphysiker Kr. stammenden Tabellen seinerseits kontrolliert hatte. Die Anforderungen an die Geltung des Vertrauensschutzes sind um so höher, je größer das Risiko eines Behandlungsfehlers und die daraus resultierende Gefährdung des Patienten ist (vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis 1988, S. 103).
Das Landgericht hat für die Frage der Erkennbarkeit dieser Anhaltspunkte zu Recht auf den Stand eines Facharztes abgestellt, der ihn befähigt, die übernommenen Aufgaben lege artis durchzuführen. Der Angeklagte kann sich dabei nicht darauf berufen, er habe Mängel der Strahlentherapie seines Kollegen Dr. K. deswegen nicht erkennen können, weil er seinerseits mangels Fortbildung den aktuellen Stand der Strahlentherapie nicht gekannt habe. Denn ein Arzt ist verpflichtet, sich in dem Umfang fortzubilden, wie es zur Erhaltung und Entwicklung der zu seiner Berufsausübung erforderlichen Fachkenntnisse notwendig ist (vgl. die vom 100. Deutschen Ärztetag 1997 beschlossene Muster-Berufsordnung in § 4 Abs. 1, NJW 1997, 3076). Ein ärztlicher Urlaubsvertreter muß danach über die Fachkenntnisse verfügen, die ihn befähigen, die bei der Vertretung vorgenommenen Behandlungen lege artis durchzuführen. Hätte sich der Angeklagte wenigstens über die wesentlichen Fortentwicklungen der Strahlentherapie informiert, wäre er auch in der Lage gewesen, die Mangelhaftigkeit der von seinem Kollegen Dr. K. ausgeübten Strahlentherapie zu erkennen. In der Rechtsprechung ist anerkannt, daß auch derjenige schuldhaft handeln kann, der eine Tätigkeit vornimmt, obwohl er weiß oder erkennen kann, daß ihm die dafür erforderlichen Kenntnisse fehlen, wobei das Verschulden sowohl in der Übernahme einer die Fähigkeit des Handelnden übersteigenden Tätigkeit liegen kann, wie auch in ihrer Fortführung (BGH JR 1986, 248, 250 m.w.Nachw.; BGHZ 88, 248, 257 ff.).