BVerfG, 06.11.1968 - 1 BvR 501/62
Leitsatz
Die Wahrnehmung berechtigter Interessen deckt in einem öffentlichen Meinungskampf auch herabsetzende Äußerungen, wenn sie ein adäquates Mittel zur Abwehr eines von der Gegenseite beabsichtigten grundrechtsgefährdenden Verhaltens sind.
Beschluß
des Ersten Senats vom 6. November 1968
– 1 BvR 501/62 –
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerden 1. des Redakteurs ... 2. des Deutschen Tonjägerverbandes e.V., gesetzlich vertreten durch den Vorstand, Redakteur ..., beide in ..., gegen das Urteil des Oberlandesgerichts München vom 7. August 1962 – 5 U 1120/62 –.
Entscheidungsformel:
Das Urteil des Oberlandesgerichts München vom 7. August 1962 – 5 U 1120/62 – verletzt die Grundrechte der Beschwerdeführer aus Artikel 5 Absatz 1 und 2 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht München zurückverwiesen.
Gründe
A.
I.
Während der Vorarbeiten für die Mitte der fünfziger Jahre eingeleitete Urheberrechtsreform bestanden zwischen der Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA) als Interessenvertreterin der Urheber und den Beschwerdeführern als Interessenvertreter der Tonbandgerätebesitzer Meinungsverschiedenheiten darüber, ob und unter welchen Voraussetzungen private Überspielungen geschützter Werke auf Tonbänder zulässig sein sollten. Im Verlaufe dieser Auseinandersetzungen erschien in Nr. 12 der vom Beschwerdeführer zu 1) redigierten Zeitschrift "Tonbandaufnahmen" vom 28. Dezember 1961 ein von ihm verfaßter Artikel mit der Überschrift: "Was sind 'östliche Zustände'?" Darin wurde zunächst über einen Regierungsentwurf zur Urheberrechtsreform, über Veranstaltungen des Tonjägerverbandes, des Beschwerdeführers zu 2), gegen die geplante Vergütungspflicht für private Tonband-Überspielungen und über eine gegen diesen Verband ergangene einstweilige Verfügung berichtet; auch wurde darauf hingewiesen, daß der Regierungsentwurf die Möglichkeit einer Bespitzelung im privaten Bereich zulasse, und hierzu wörtlich ausgeführt:
Wenn im Osten unseres Vaterlandes Hauswarte im Hause die Mieter kontrollieren und bespitzeln, ob sie "West-Sender" abhören, wenn die Hauswarte im Osten kontrollieren, ob Fernsehantennen "westlich ausgerichtet sind", so nennt das die gesamte freie Welt sehr richtig "östliche Zustände!" Wenn nach Meldung der Main-Post, Würzburg, im Anschluß an die Urteilsverkündung im Streitverfahren GEMA contra Conradt ein Vertreter der GEMA gesagt haben soll: "Die GEMA will unter Umständen sogar mit Hilfe von Hauswarten und anderen Personen noch nicht zahlende Geräte-Besitzer ermitteln". So müssen wir weder naiv noch spitzfindig fragen: "Wodurch unterscheidet sich ein solcher Hauswart im Westen von seinem Kollegen im Osten?!"
Am Schluß des Artikels wurde die Absicht angekündigt, neben der Fortsetzung von Aufklärungsversammlungen diesen Beitrag allen Mitgliedern des Bundestages zur Kenntnis zu bringen.
Die GEMA erwirkte daraufhin beim Landgericht München I gegen den Beschwerdeführer zu 2) als Herausgeber der Zeitschrift und gegen den Beschwerdeführer zu 1) als Vereinsvorstand und Redakteur der Zeitschrift folgende einstweilige Verfügung:
Den Antragsgegnern wird bei Meidung einer Geldstrafe in unbeschränkter Höhe oder Haftstrafe bis zu 6 Monaten für jeden Fall der Zuwiderhandlung untersagt, auch bei anderer Gelegenheit als in Einladungsschreiben zu Veranstaltungen die Behauptung aufzustellen und zu verbreiten, die Antragstellerin unternehme den Versuch, in "östliche Zustände" hineinzuführen.
Nach Bestätigung dieser einstweiligen Verfügung durch das Landgericht wies das Oberlandesgericht die Berufung der Beschwerdeführer zurück und führte zur Begründung u. a. aus: Mit dem Vorwurf, die GEMA wolle in östliche Zustände hineinführen, hätten die Beschwerdeführer die GEMA in ihrer Ehre verletzt (§ 823 Abs. 1 BGB) und damit gleichzeitig zum Nachteil der GEMA gegen ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB verstoßen. Die Wiederholungsgefahr ergebe suich aus der Ankündigung, mutig den Weg weiterzugehen, und aus dem Hinweis auf eine beabsichtigte "Aufklärungswelle" durch die größeren Städte der Bundesländer, vor allem aber aus dem Vorbringen der Beschwerdeführer, sie sähen die Anprangerung der Methoden der GEMA als staatsbürgerliche Pflicht an. Daher habe die GEMA einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch. Auf den Rechtfertigungsgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen könnten sich die Beschwerdeführer nicht berufen, weil sich aus Inhalt und Form der Behauptung ihre Absicht ergebe, die GEMA in ihrem Ansehen herabzuwürdigen und zu beleidigen. Zu solchen Zwecken dürfe auch die Pressefreiheit und die Freiheit der Meinungsäußerung nicht mißbraucht werden.
II.
1. Mit der Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Oberlandesgerichts rügen die Beschwerdeführer Verletzung der Artikel 5, 17, 18 und 19 Abs. 2 GG.
Sie machen geltend, das Oberlandesgericht habe die Bedeutung des Grundrechts der freien Meinungsäußerung für die Entscheidung des Rechtsstreits verkannt und deshalb die widerstreitenden Interessen der Beschwerdeführer und der GEMA nicht verfassungsgemäß abgewogen. Die GEMA habe in einem vor dem Amtsgericht Charlottenburg anhängigen Rechtsstreit die Durchsetzung ihrer Ansprüche mit Hilfe von Nachbarn, Portiersleuten und Freunden angekündigt. Demgegenüber habe der Beschwerdeführer zu 1) als Redakteur und Mitglied der deutschen Presse in Wahrnehmung der öffentlichen Aufgabe der Presse gehandelt und der Aufklärung des Gesetzgebers und der öffentlichen Meinungsbildung dienen wollen. Deshalb müsse ihm bei verfassungskonformer Auslegung der Rechtfertigungsgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen zugebilligt werden. Art. 17 GG sei verletzt, weil die vom Oberlandesgericht bestätigte einstweilige Verfügung den Beschwerdeführern die Möglichkeit nehme, ihr Anliegen den Mitgliedern des Bundestages vorzutragen.
2. Die GEMA hat ein Rechtsgutachten des Professors Dr. ... R. ... vorgelegt, in dem ausgeführt wird: Zwischen den Beschwerdeführern und der GEMA habe es zwar keine Pressefehde im eigentlichen Sinne gegeben; der vorliegende Streit sei aber in eine große Pressefehde und öffentliche Meinungskontroverse über die Rechte der Urheber und der Schallplattenindustrie gegenüber den Interessen der Tonbandgeräte-Besitzer und auch der Tonbandgeräte-Industrie eingebettet. Das Oberlandesgericht habe in der angefochtenen Entscheidung die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts über das Hineinwirken des Art. 5 Abs. 1 GG in § 193 StGB nicht genügend beachtet. Es komme darauf an, ob der von den Beschwerdeführern erhobene Vorwurf gegenüber der GEMA noch als ein notwendiges Mittel angesehen werden könne, den Prozeß der Meinungsbildung nicht vorzeitig absterben zu lassen. Das müsse angesichts der ständigen Reizüberflutung im öffentlichen Prozeß der Meinungsbildung im Ergebnis bejaht werden. Die erstmalige Einführung des Begriffs "östliche Zustände" sei jedoch ausreichend gewesen, um die Schwelle der Reizimmunität dauerhaft zu überwinden. Nach deren Überwindung müsse bei jeder Wiederholung des Vorwurfs mehr und mehr ein beleidigender Charakter hervortreten. Deshalb hätten die Gerichte die Wiederholung des Vorwurfs untersagen dürfen, ohne damit das Grundrecht der Beschwerdeführer aus Art. 5 GG zu verletzen.
B.
Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet.
I.
Das angefochtene Urteil verletzt die Grundrechte der Beschwerdeführer aus Art. 5 Abs. 1 GG, weil es bei der Anwendung und Auslegung der in Betracht kommenden Rechtsvorschriften die Ausstrahlungswirkung des Art. 5 GG nicht hinreichend berücksichtigt hat.
1. Beide Beschwerdeführer können für sich das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) wie auch das der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) in Anspruch nehmen. Der Beschwerdeführer zu 1) ist als Redakteur im Pressewesen tätig. Der Beschwerdeführer zu 2) ist als eingetragener Verein juristische Person des Privatrechts; sein Zweck ist darauf gerichtet, u. a. durch Herausgabe der Zeitschrift "Tonbandaufnahmen" seine Mitglieder und die Öffentlichkeit über das Gebiet der Tonbandentwicklung zu informieren (Art. 19 Abs. 3 GG). Auf die Abgrenzung der Meinungs- von der Pressefreiheit kommt es daher für den vorliegenden Fall nicht an.
2. Die angefochtene Entscheidung ist in dem summarischen Verfahren über eine einstweilige Verfügung ergangen. Auch hier obliegt die Feststellung des Sachverhalts und seine Beurteilung nach einfachem Recht den ordentlichen Gerichten. Das Bundesverfassungsgericht kann deren Entscheidung nicht allgemein auf ihre Richtigkeit nachprüfen. Es muß insbesondere die tatsächlichen Feststellungen und Würdigungen hinnehmen. Nachzuprüfen hat das Bundesverfassungsgericht aber die Würdigung der Ausstrahlungswirkung des Art. 5 Abs. 1 GG im Bereich des Ehrenschutzes (BVerfGE 7, 198 [207]; 7. 230 [233 f.]; 19, 73 [75]; 20,162 [176 f.]).
Das Oberlandesgericht hat zwar die mögliche Kollision des Ehrenschutzes mit dem Grundrecht der Beschwerdeführer aus der Meinungs- und Pressefreiheit erwähnt, aber jede nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erforderliche konkrete Abwägung für den Einzelfall (BVerfGE 7, 198 ,[207 ff.]) unterlassen. Bei Vornahme dieser Abwägung hätte es erkennen müssen, daß die von den Beschwerdeführern verwendete Formulierung durch den § 193 StGB in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt ist, weil die Äußerung im Rahmen einer öffentlichen, der allgemeinen Meinungsbildung dienenden Auseinandersetzung gefallen ist und es sich um eine adäquate Reaktion auf einen anderen Vorgang handelte (BVerfGE 12, 113 [125 f.]).
a) Gegenstand und Anlaß der Auseinandersetzung zwischen den Beschwerdeführern und der GEMA war weder ein persönlicher Streit noch eine Kritik am Geschäftsgebaren der GEMA, sondern eine grundsätzliche Meinungsverschiedenheit über ein bestimmtes zur allgemeinen Diskussion stehendes Problem, nämlich über Umfang und Realisierung der Urheberrechte bei privaten Tonbandüberspielungen. Unmittelbar betroffen war davon nur ein bestimmter Personenkreis, die Urheber und Aufführenden geschützter Werke sowie die Tonbandgerätebesitzer. Der Kreis der letzteren vergrößerte sich angesichts der erst beginnenden Verbreitung von Tonbandgeräten ständig. Schon aus diesem Grunde gehörte die grundlegende Streitfrage der privaten Tonbandüberspielung zum allgemeinen öffentlichen Interessenbereich. Auch tatsächlich waren die strittigen Probleme Gegenstand öffentlicher Erörterung geworden. In zahlreichen Meldungen und Kommentaren beschäftigte sich die Tagespresse von 1960-1965 fortlaufend mit der Vergütungspflicht für Tonbandaufnahmen und übte Kritik teils an den Ansprüchen und dem Verhalten der GEMA, teils auch an den Forderungen der Tonbandgerätebesitzer und -industrie. So wurde die Forderung erhoben, den Bürger vor einem Einbruch in seine Privatsphäre durch Bespitzelung zu bewahren; Bedenken wegen der Ermittlungsmethoden der GEMA wurden angemeldet. Erwogen wurden auch die Vor- und Nachteile einer pauschalierten Vergütungspflicht für private Tonbandaufnahmen; auf mögliche Weiterungen für andere Geräte (z. B. Fotoapparate) wurde hingewiesen. Besonderes Aufsehen in der Presse erregten die verschiedenen Zivilprozesse, durch die die GEMA Hersteller von Tonbandgeräten zur Angabe von Käufernamen oder Gerätebesitzer zur Zahlung von Vergütungen zwingen wollte.
In der Rechtsprechung war das Problem wiederholt Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen. Eingehend legte der Bundesgerichtshof die Bedenken dar, die derartigen Kontrollmaßnahmen innerhalb des Privatbereiches entgegenstünden, und wies besonders darauf hin, daß mit solchen Maßnahmen in der häuslichen Sphäre die Gefahr einer erheblichen Störung des Rechtsfriedens auch von Personen verbunden wäre, die an derartigen Rechtsverletzungen unbeteiligt seien (BGHZ 42,118 ff.).
Schließlich war die Streitfrage auch Gegenstand langdauernder Erörterungen mit wechselnden Vorschlägen im Gesetzgebungsverfahren. Der Regierungsentwurf vom 23. März 1962 sah – nach anderslautenden Vorentwürfen – in seinem § 54 Absatz 3 eine Vergütungspflicht für die "Aufnahme der Vorführung oder Funksendung eines Werkes auf Bild- oder Tonträger" vor, weil das Urheberrecht nicht ausgehöhlt werden solle und andererseits ein Verbot der Überspielungen nicht ohne Gefahr für den häuslichen Bereich durchzusetzen wäre (BTDrucks. IV/270 mit Begründung S. 31 f. und 71). Der Bundesrat schlug in seiner Stellungnahme vor, die Vorschrift zu streichen, da auch der Vergütungsanspruch nicht durchsetzbar sei und kulturpolitische Bedenken wegen der noch nicht abzusehenden Entwicklung des Tonbandes bestünden (BTDrucks. aaO, S. 177). Dem stimmte die Bundesregierung zu (aaO, S. 179). Nach weiteren Änderungsvorschlägen im Rechtsausschuß und seinem Unterausschuß "Urheberrecht", Beschlußfassung im Bundestag und Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat enthielt das Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) vom 9. September 1965 (BGBl. I S. 1273) als § 53 Abs. 5 folgende Regelung:
Ist nach der Art eines Werkes zu erwarten, daß es durch Aufnahme von Funksendungen auf Bild- oder Tonträger oder durch Übertragung von einem Bild- oder Tonträger auf einen anderen zum persönlichen Gebrauch vervielfältigt wird, so hat der Urheber des Werkes gegen den Hersteller von Geräten, die zur Vornahme solcher Vervielfältigungen geeignet sind, einen Anspruch auf Zahlung einer Vergütung für die durch die Veräußerung der Geräte geschaffene Möglichkeit, solche Vervielfältigungen vorzunehmen...
Anlaß für die Äußerung der Beschwerdeführer war also ein die Allgemeinheit interessierender, in der Öffentlichkeit ausgetragener Meinungskampf, nicht eine persönliche Auseinandersetzung.
b) Die formale, nicht näher ausgeführte Begründung, aus dem Inhalt und aus der Form der aufgestellten Behauptung ergebe sich die Beleidigungsabsicht der Beschwerdeführer, läßt eine Erörterung darüber vermissen, ob Form und Inhalt der Äußerung adäquates Mittel zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Diskussion oder angemessene Reaktion auf einen früheren Vorgang waren.
Dem angefochtenen Urteil ist zwar nicht eindeutig zu entnehmen, ob es den Beschwerdeführern überhaupt zugestehen will, wenigstens auch zur Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt zu haben. Angesichts des sich ausführlicher mit der gesetzlichen Neuregelung beschäftigenden Gesamtinhalts des Artikels vom 28. Dezember 1961 und der Tatsache, daß die Beschwerdeführer sich dieser Fragen im Zusammenhang mit einer öffentlichen Auseinandersetzung in einer Fachpresseveröffentlichung annahmen, kann jedoch kein Zweifel daran bestehen, daß die mit dem Artikel verfolgten Interessen "berechtigte Interessen" waren (vgl. BVerfGE 12, 113 [126]); auch der Bundesgerichtshof hat in der zitierten Entscheidung (BGHZ 42, 118 [131 f.]) die Bedeutung der von der GEMA erstrebten Regelung (Namensnennung der Käufer durch Hersteller und Händler zwecks Durchsetzung der Vergütungsansprüche) für die Öffentlichkeit und den Rechtsfrieden hervorgehoben und u. a. gerade wegen dieser Auswirkungen die Klage der GEMA insoweit abgewiesen.
Dadurch, daß das Oberlandesgericht den Beschwerdeführern den Rechtfertigungsgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen versagte, verkannte es das Wesen und die rechtfertigenden Auswirkungen eines öffentlichen Meinungskampfes, die an der Bedeutung des Gegenstandes und an der Art der Auseinandersetzung zu messen sind; es hat zu Unrecht aus der Form und den Umständen die Rechtswidrigkeit der Äußerung der Beschwerdeführer angenommen.
Ein unmittelbar vorangegangener Angriff auf die Ehre der Beschwerdeführer, der eine ähnlich wirkende Erwiderung allein deshalb gerechtfertigt hätte (BVerfGE 12,113 [130]), lag allerdings nicht vor. Die Verknüpfung von Anlaß und Reaktion in einem schwebenden Meinungskampf ist aber nicht auf gegenseitige Beleidigungen beschränkt. Da es der Sinn jeder zur Meinungsbildung beitragenden öffentlichen Äußerung ist, Aufmerksamkeit zu erregen, sind angesichts der heutigen Reizüberflutung aller Art einprägsame, auch starke Formulierungen hinzunehmen. Setzen sie den davon Betroffenen in seiner Ehre herab, so sind sie jedenfalls dann noch rechtmäßig, wenn sie gemessen an den von der Gegenseite erhobenen Ansprüchen oder aufgestellten Behauptungen nicht unverhältnismäßig erscheinen.
Die GEMA hatte zur Sicherung ihres Anspruchs auf unbeschränkte Vergütung für alle privaten Tonbandüberspielungen Kontrollmaßnahmen verlangt, die in den Privatbereich des Einzelnen hineinzuwirken drohten. Die Gefahr eines unerwünschten Denunziantentums lag damit nicht fern. Ob die GEMA ernstlich die Absicht hatte, sich derartiger Methoden zu bedienen, oder ob nur ihr Prozeß Vertreter selbstherrlich eine Bemerkung gemacht hatte, von der die Organe der GEMA nichts wußten, ist unerheblich. Für die Öffentlichkeit mußte die Ankündigung als Meinung der GEMA gelten, zumal sie zunächst nicht öffentlich widerrufen oder korrigiert wurde.
Der Vergleich mit "östlichen Zuständen" kann in diesem Zusammenhang nicht beanstandet werden. Da die Gesamtäußerungen der Beschwerdeführer eindeutig erkennen ließen, daß es nicht um die allgemeine Einführung totalitärer Methoden, sondern nur um den einzelnen Fall einer befürchteten Bespitzelung ging, war die strittige Äußerung keine unverhältnismäßige Antwort auf eine rechtlich bedenkliche Ankündigung. Auch Verfechter der von der GEMA vertretenen Ansicht hatten mit starken Ausdrücken nicht gespart, wie die GEMA in dem von ihr vorgelegten Rechtsgutachten von Professor R. ... mit einem Zitat aus der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung ("Tonjäger wollen wildern") einräumt.
Entgegen dem angefochtenen Urteil hielten sich die beanstandeten Äußerungen in dem Artikel vom 28. Dezember 1961 im Rahmen der verfassungsrechtlichen Grenzen und hätten nicht als Begründung für den Unterlassungsanspruch herangezogen werden dürfen.
3. Die Rechtmäßigkeit der in der Vergangenheit gemachten Äußerungen zwang allerdings nicht dazu, auch künftige Wiederholungen ohne weiteres als rechtmäßig anzusehen. Der quasi-negatorische Unterlassungsanspruch setzt – wie in Rechtsprechung und Literatur überwiegend vertreten wird – nicht in allen Fällen voraus, daß ein rechtswidriger Eingriff bereits vorangegangen ist; vielmehr genügt es, wenn ein solcher künftiger Eingriff mit großer Wahrscheinlichkeit droht. Infolgedessen könnten wiederholte Äußerungen gegebenenfalls rechtswidrig sein, obwohl die in der Vergangenheit liegenden gleichlautenden rechtmäßig waren.
Die GEMA hält die Wiederholung für rechtswidrig, weil zwar ursprünglich eine durch die allgemeine Reizüberflutung geschaffene "Reizschwelle" im Bewußtsein des Publikums habe durchstoßen werden müssen, eine Wiederholung aber wegen der Dauerwirkung der ersten Äußerung nicht notwendig und damit auch nicht zulässig gewesen sei.
Von der Sicht des Grundrechtsschutzes der Meinungs- und Pressefreiheit her darf die selbständige Bedeutung künftiger "Wiederholungen" jedoch nicht überbetont werden. Eine Ansicht oder Meinung kann grundsätzlich auch über einen längeren Zeitraum hin frei geäußert werden, sofern ihre Wiedergabe nicht durch eine Veränderung der Sachlage rechtswidrig wird. Das hätte für die herabsetzende Äußerung der Beschwerdeführer der Fall sein können, wenn der Rechtfertigungsgrund – Teilnahme an einer öffentlichen Meinungsbildung, Erforderlichkeit und Adäquanz gerade dieser Reaktion – bei Erlaß des Urteils nicht mehr bestanden hätte oder sein Wegfall in nächster Zeit sicher gewesen wäre. Daran fehlt es jedoch vor allem aus zwei Gründen:
a) Die angebliche Dauerwirkung der bereits gefallenen Äußerung existierte nicht. Nach der Erfahrung des täglichen Lebens werden auch bedeutsame Zeitungsinformationen nach kurzer Zeit vom Publikum vergessen, wenn sie nicht immer wieder ins Bewußtsein gerufen werden. Wird die Berechtigung der den Beschwerdeführern vorgeworfenen Äußerung wesentlich auf die Notwendigkeit gestützt, die Aufmerksamkeit des Publikums durch eine auffällige Formulierung zu wecken, so war angesichts des bis zum Erlaß des Urheberrechtsgesetzes fortbestehenden Interesses an der Aufrechterhaltung des Meinungsbildungsprozesses auch die Wiederholung der Äußerung zulässig; andernfalls hätte Gefahr bestanden, daß die öffentliche Diskussion wegen der nachlassenden Aufmerksamkeit und Beteiligung des Publikums abgestorben wäre.
b) Die Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Behauptung beruhte auch nicht ausschließlich auf der Notwendigkeit, die "Reizschwelle" zu durchstoßen. Vielmehr stellte die Äußerung die adäquate Antwort auf einen von der GEMA erhobenen, die Öffentlichkeit erregenden Anspruch dar. Solange der Anlaß für die Äußerung fortbestand, durfte auch die Behauptung der Beschwerdeführer wiederholt werden. Anlaß aber war die geplante Gesetzesregelung in Verbindung mit der von der GEMA nicht verbindlich zurückgezogenen Ankündigung, sich bei der Realisierung ihrer Ansprüche der Mithilfe von Nachbarn usw. zu bedienen. Da zur Zeit der Entscheidung des Oberlandesgerichts dieser Anlaß noch bestand, deckte Art. 5 Abs. 1 GG auch künftige Äußerungen mit gleichem Inhalt wie die frühere. Der GEMA stand deshalb ein Anspruch auf Unterlassung nicht zu, so daß das Oberlandesgericht der Berufung der Beschwerdeführer hätte stattgeben müssen.
II.
Auf die weiteren von den Beschwerdeführern geltend gemachten Rügen kommt es unter diesen Umständen nicht an. Eine Verletzung des Petitionsrechts (Art. 17 GG) liegt nicht vor, weil die einstweilige Verfügung den Beschwerdeführern nicht verbot, sich mit ihrem sachlichen Anliegen an den Bundestag zu wenden.
III.
Die unter Verletzung des Art. 5 Abs. 1 GG zustande gekommene Entscheidung war gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben. Da es keiner weiteren tatsächlichen Aufklärung bedarf, konnte die Aufhebung auf das von den Beschwerdeführern ausdrücklich angefochtene Urteil des Oberlandesgerichts München beschränkt und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen werden.