RG, 29.10.1894 - IV 165/94

Daten
Fall: 
Einwendungen dritter Personen
Fundstellen: 
RGZ 34, 377
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
29.10.1894
Aktenzeichen: 
IV 165/94
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • AG Hermsdorf u.K.
  • LG Hirschberg
  • OLG Breslau
Stichwörter: 
  • Beschwerderecht aus § 685 C.P.O.

Umfaßt § 685 CPO nicht bloß Anträge, Einwendungen und Erinnerungen des Schuldners und Gläubigers, sondern auch dritter Personen, und auf welchem Wege haben die letzteren ihre Einwendungen geltend zu machen?

Sachverhalt

Im Auftrage des Kretschambesitzers Be. und des Gutsbesitzers Br., beider als Gläubiger der Mühlenbesitzer D.'schen Eheleute, sind gegen die letzteren durch den Gerichtsvollzieher F. im Wege der Zwangsvollstreckung 11 1/2 Morgen Winterroggen auf dem Halme am 19. Juni 1894 gepfändet worden. Ein anderer Gläubiger der D.'schen Eheleute, der Kaufmann St., welcher denselben Winterroggen am 7. .Juli 1894 hatte pfänden lasten, hielt die Pfändung vom 19. Juni 1894 für unzulässig, weil dieselbe entgegen der Vorschrift des § 714 C.P.O. erfolgt sei. Er wandte sich deshalb mittels Eingabe vom 9. Juli 1894 an das Amtsgericht zu H. als daS Vollstreckungsgericht mit dem Antrage, die Pfändung vom 19. Juni 1894 für unwirksam zu erklären und den Gerichtsvollzieher F. zu deren Aufhebung anzuweisen. Dieser Antrag wurde durch Beschluß des genannten Amtsgerichtes vom 18. Juli 1894 zurückgewiesen, weil die in § 714 a. a. O. gedachte Frist mit Rücksicht aus das von einem Sachverständigen über die gewöhnliche Zeit der Reife der Roggens abgegebene Gutachten als gewahrt anzusehen sei. Der Kaufmann St. legte hiergegen unter Wiederholung seines früheren Antrages die sofortige Beschwerde ein. Nachdem inzwischen der Roggen öffentlich versteigert und der Auktionserlös von 402 M 36 Pf hinterlegt worden war, beantragte er weiter in der Eingabe vom 7. August 1894, ihm diesen Erlös auszuzahlen. Durch Beschluß des Landgerichts vom 29. August 1894 ist darauf die. Pfändung vom 19. Juni 1894 für unzulässig erklärt, der Antrag auf Auszahlung des Erlöses zurückgewiesen, und es sind die Kosten des Verfahrens den beiden Gläubigern Be. und Br. auferlegt. Gegen diesen Beschluß legten nur die beiden Gläubiger Be. und Br. die sofortige Beschwerde ein; das Oberlandesgericht zu B. hat darauf durch Beschluß vom 22. September 1894 die Beschlüsse des Amtsgerichtes vom 18. Juli 1894 und des Landgerichtes vom 29. August 1894 aufgehoben und die Anträge des Kaufmanns St. vom 9. Juli und 7. August 1894 als unzulässig kostenpflichtig zurückgewiesen. Die hiergegen von dem Kaufmanne St. noch erhobene weitere sofortige Beschwerde wurde für begründet erachtet, der Beschluß des Oberlandesgerichtes wurde aufgehoben und der Beschluß des Landgerichtes insoweit, als er der Beschwerde des St. stattgegeben hat, wiederhergestellt.

Aus den Gründen:

... „Zunächst unterliegt die Zulässigkeit der weiteren Beschwerde keinem Bedenken. Denn sowohl das Amtsgericht als das Landgericht gehen davon aus, daß über den Antrag des Kaufmannes St., die Pfändung vom 19. Juni 1894 für unwirksam zu erklären, im Wege der Beschwerde durch Beschluß entschieden werden könne, und es ist nach materieller Prüfung der Sachlage von ersterem jener Antrag für unbegründet, von letzterem für begründet erachtet worden. Das Oberlandesgericht dagegen hat angenommen, daß auf jenen Antrag nur nach erhobener Klage durch Urteil Entscheidung ergehen könne, und es hat deshalb den gedachten Antrag sowie den späteren Antrag vom 7. August 1894 als unzulässig zurückgewiesen. Das Oberlandesgericht hat somit durch seine Entscheidung eine andere, dem jetzigen Beschwerdeführer ungünstigere oder doch in anderer Weise ungünstige Rechtswirkung herbeiführen wollen, als der bei ihm angefochtenen Entscheidung des Landgerichtes zukam, und hierdurch ist, wie solches vom Reichsgerichte schon mehrfach, vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 1 S. 233, Bd. 1k S. 318, ausgesprochen worden ist, ein neuer selbständiger Beschwerdegrund gegeben.

Die jetzt vorliegende Beschwerde betrifft ebenso wie die bei dem Oberlandesgerichte erhobene Beschwerde nur die Frage, ob der Antrag des Gläubigers St. auf Unwirksamkeitserklärung, der Pfändung vom 19. Juni 1894 für zulässig und für begründet zu erachten ist. Der weitere von St. beim Landgerichte gestellte Antrag, ihm den aus dem inzwischen erfolgten Verkaufe des Roggens erzielten Erlös auszuzahlen, ist durch den Beschluß des Landgerichtes vom 29. August 1894 zurückgewiesen, dieser Antrag also, da St. hiergegen keine Beschwerde eingelegt hat, erledigt und nicht mehr Gegenstand der Entscheidung. Die bezüglich der Auszahlung des Erlöses vom Oberlandesgerichte ausgesprochenen Erwägungen sind daher unerheblich, und es ist außerdem die Annahme desselben, es habe das Landgericht die Entscheidung über die Auszahlung des Erlöses abgelehnt, unzutreffend; denn es hat das Landgericht jenes Verlangen des St. definitiv zurückgewiesen.

In betreff des somit allein in Betracht kommenden Antrages des St. vom 9. Juli 1894 beruht die Entscheidung des Oberlandesgerichtes auf folgenden Erwägungen: die Schuldner, D.'schen Eheleute, hätten einen Antrag auf Aufhebung der Pfändung vom 19. Juni 1894 nicht gestellt, sondern sich mit der erfolgten Pfändung dadurch einverstanden erklärt, daß sie dieselbe hätten bestehen lasten. Unter diesen Umständen könne nicht ein Dritter die Ungültigkeit der Pfändung ausführen, zumal wenn er ein Pfandrecht und somit ein Interesse erst zu einer Zeit erlangt habe, zu welcher die erfolgte und wegen der Nichtanfechtung seitens des Schuldners aufrecht erhaltene Pfändung als eine verfrühte nicht mehr anzusehen sei. Der Kaufmann St. hätte überhaupt der Pfändung vom 19. Juni nur mit der Behauptung widersprechen können, daß sein Recht die Veräußerung auf Grund jener Pfändung hindere, oder daß wegen seines Rechtes die Auszahlung des hinterlegten Geldes an ihn zu erfolgen habe, während die beiden Gläubiger Be. und Br. aus jener Pfändung ein wirksames Recht nicht erlangt hätten. Dies bezweckten auch in der That die von St. gestellten Anträge, indem sie im Beschwerdewege eine Entscheidung über einen civilrechtlichen Anspruch herbeiführen wollten; es könne jedoch einer Pfändung ein civilrechtlicher Anspruch, sowohl vor als nach dem Verkaufe der gepfändeten Sachen, nur im Wege der Klage entgegengestellt werden (§§ 690. 728 Abss. 2, 3. 758 flg. 764 C.P.O.).

Diese Erwägungen lasten jedoch die Vorschrift des § 685 C.P.O. unberücksichtigt, durch welche angeordnet ist, daß über Anträge, Einwendungen und Erinnerungen, welche die Art und Weise der Zwangsvollstreckung oder das bei derselben von dem Gerichtsvollzieher zu beobachtende Verfahren betreffen, das Vollstreckungsgericht zu entscheiden hat. Daß die Behauptung des Gläubigers St., der Gerichtsvollzieher habe die Pfändung vom 19. Juni unter Verletzung der in § 714 C.P.O. getroffenen Bestimmung ausgeführt, nach welcher die Pfändung von Früchten auf dem Halme nicht früher als einen Monat vor der gewöhnlichen Zeit der Reife erfolgen darf, den Stoff einer Einrede bildet, welche die Art und Weise der Zwangsvollstreckung betrifft, kann einem Zweifel nicht unterliegen. Die gedachte Vorschrift des § 685 spricht nun ganz allgemein von Anträgen und Einwendungen ohne Beschränkung und ohne Bezeichnung der Personen, welche zu solchen berechtigt sind, und es muß daher bei der allgemeinen Fassung des Gesetzes angenommen werden, daß antrags und einwendungsberechtigt gemäß § 685 nicht bloß der Schuldner und der Gläubiger, sondern auch dritte Personen sind, dem Rechte durch eine unrichtige Art und Weise der Zwangsvollstreckung betroffen werden, und deren Interesse durch die den gesetzlichen oder reglementarischen Bestimmungen widersprechende Art des Vollstreckungsaktes verletzt wird. Von einer gleichen Auffassung über die Tragweite des § 685 gehen auch fast sämtliche Kommentatoren der Civilprozeßordmmg aus.

Vgl. Reincke, 2. Aufl. S. 650; v. Wilmowski-Levy, 6. Aufl. S. 931; Förster, S. 407; und die ferner bei Falkmann, Zwangsvollstreckung, angeführten Zitate.

Als ein solcher interessierter Dritter ist aber der Gläubiger St., nachdem er seinerseits die Pfändung am 7. Juli 1894 bewirkt hat, gegenüber den beiden Gläubigern Be. und Br. welche außerhalb der in § 714 C.P.O. gedachten Zeit den Roggen auf dem Halme früher in Beschlag genommen haben, zu erachten.

Vgl. auch das Urteil des obersten Landesgerichtes für Bayern vom 9. Februar 1884 in Seuffert, Archiv Bd. 99 S. 973.

Daß aber der Schuldner bei einer ungerechtfertigten Art und Weise der Zwangsvollstreckung nur auf dem in HZ 685. 701 C.P.O. vorgesehenen Wege mit Ausschluß der Klage Abhilfe suchen darf, und die Absicht des Gesetzes hierauf gerichtet ist, hat das Reichsgericht in wiederholten Entscheidungen ausgesprochen und näher begründet.

Vgl. Urteil vom 3. Mai 1884 in Gruchot, Beiträge Bd. 28 S. 1164; Beschluß vom 10. Februar 1886 in Bolze, Bd. 2 Nr. 1934; Urteil vom 27. Mai 1886 in Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 16 S. 348; Beschluß vom 14. September 1887 in Jurist. Wochenschrift von 1887 S. 415; Urteil vom 24. Oktober 1889 in Entsch. des R.G.'S in Civils. Bd. 25 S. 335, vom 30. November 1889 in Jurist. Wochenschrift 1889 S. 515.

Denselben Weg muß daher auch der Dritte einschlagen, welcher Einwendungen der in § 685 C.P.O. gedachten Art geltend zu machen hat. In dieser Weise hat denn auch der Gläubiger St. von dem ihm zustehenden Rechte Gebrauch gemacht. Unter der Behauptung, daß der Gerichtsvollzieher die Pfändung vom 19. Juni unter Verletzung der Vorschrift des § 714 C.P.O. vorgenommen habe, hat er bei dem zuständigen Vollstreckungsgerichte den Antrag gestellt, die Pfändung für unwirksam zu erklären und den Gerichtsvollzieher zu deren Aufhebung anzuweisen, also den früheren Zustand wiederherzustellen. Zu einem solchen Antrage war er nach dem oben gesagten berechtigt; er konnte denselben auch nur auf diesem Wege, nicht aber durch Erhebung einer Klage geltend machen. Nachdem sein Antrag vom Vollstreckungsgerichte abgelehnt worden war, stand ihm dagegen gemäß § 701 C.P.O. die sofortige Beschwerde zu, und er hat auch von dieser in zutreffender Weise Gebrauch gemacht, um die Aufhebung der nach seiner Behauptung in vorschriftswidriger Art ausgeführten Pfändung herbeizuführen. Diese Beschwerde ist vom Landgerichte aus den bezüglich der Reifezeit des Roggens angegebenen Gründen mit Recht für begründet erachtet und die Pfändung selbst für unzulässig erklärt. Der Beschluß des Landgerichtes war hiernach insoweit, als er der Beschwerde des St. stattgegeben hat, wiederherzustellen, und der Beschluß des Oberlandesgerichtes, welcher auf der unzutreffenden Annahme der Unzulässigkeit des von St. gestellten Antrages beruht, aufzuheben. Die Zurückweisung des weiteren Antrages des St. wegen Auszahlung des Auktionserlöses ist, wie bereits bemerkt, nicht Gegenstand der Beschwerde und der jetzigen Entscheidung.“

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