RG, 19.12.1879 - III 176/79

Daten
Fall: 
Haftung für Vorarbeiter
Fundstellen: 
RGZ 1, 28
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
19.12.1879
Aktenzeichen: 
III 176/79
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Handelsgericht Augsburg.
  • Handelsappellationsgericht daselbst.
Stichwörter: 
  • Haftung eines Betriebsunternehmers für sog. Vorarbeiter

Gehört ein sogenannter Vorarbeiter zu denjenigen Personen, für welche der Betriebsunternehmer nach §. 2 des Ges. vom 7. Juli 1871 zu haften hat? Macht es einen Unterschied, ob das Verschulden desselben bei der Anordnung oder in der Mitthätigkeit bei der gemeinsam zu verrichtenden Arbeit verübt worden ist?

Gründe

Das Reichsgericht hat die erste der obigen Fragen bejaht, die zweite verneint aus folgenden, zugleich das Thatsächliche des Falles ergebenden Gründen:

"Die Abweisung der Klage ist aus zwei Gründen erfolgt; zuvörderst wird verneint, daß der Gießer Conrad F. zu den zur Leitung oder Beaufsichtigung des Betriebes oder der Arbeiter angenommenen Personen gehöre.

Obgleich nämlich festgestellt wird, daß die dem Gießer zur Aushilfe bei dem Heben und Tragen der Pfanne zugeteilten Tagelöhner den Befehlen desselben zu gehorchen haben und der Gießer dabei die Stellung eines Vorarbeiters einnehme und daß dies insbesondere auch in der Gießerei des Beklagten so gehalten worden sei, versagt das Appellationsgericht dennoch dem §. 2 des Haftpflichtgesetzes die Anwendung und zwar aus solchen Gründen, welche bei richtiger Auslegung des Gesetzes keine Beachtung finden durften.

Zunächst deshalb, weil der Gießer doch nur ein gewöhnlicher Fabrikarbeiter und dem Gießmeister untergeben sei, welchem die technische Leitung und Aufsicht beim Gießen zukomme. Das Gesetz unterscheidet aber bezüglich der Haftung nirgends zwischen dem größeren und geringerem Umfange der Funktionen, sondern erkennt vielmehr an, daß die Haftung des Fabrikherrn nicht nur durch das Verschulden des Bevollmächtigten oder Repräsentanten, sondern auch durch das solcher Personen begründet werde, welche zur Leitung oder Beaufsichtigung des Betriebes oder der Arbeiter angenommen sind. Hierunter versteht das Gesetz nach seinem Vorbilde, dem Art. 74 des preuß. allg. Berggesetzes, inhaltlich der Motive und der Äußerungen bei seiner Beratung jeden, welcher eine Aufsichtsfunktion irgend welcher Art vorübergehend oder dauernd ausübt. Es liegt aber auch im Wesen einer Fabrik, deren organisch gegliederte Einrichtung verschiedenartige unmittelbare und mittelbare Abhängigkeitsverhältnisse hervorbringt, daß für das Thun und Lassen eines Angestellten innerhalb derjenigen Sphäre, innerhalb welcher er für die Ausführung der ihm erteilten Weisungen selbständig leitend und beaufsichtigend zu sorgen hat, dessen Abhängigkeit von demjenigen, von welchem diese Weisung ausgegangen ist, höchstens insofern von Bedeutung sein kann, als das Verschulden in der zuerst erteilten Weisung selbst und nicht in der Ausführung zu finden wäre, wodurch jedoch die Haftung des Prinzipals nicht ausgeschlossen, sondern nur aus der Verschuldung der vorgesetzten Persönlichkeit hergeleitet würde. Bei einer folgerichtigen Durchführung der Ansicht des Königlichen Appellationsgerichtes mußte auch die Haftung für ein etwaiges Verschulden des Gießmeisters abgelehnt werden, da auch dieser in der Regel die Weisungen eines ihm übergeordneten entgegenzunehmen hat.

Bei der dargelegten Auslegung des Gesetzes muß aber auch die andere Erwägung des Appellationsgerichtes hinfällig erscheinen, welche der untergeordneten Stellung und dem geringen Maße technischer Kenntnisse des Gießers entnommen ist; denn mit der untergeordneten Stellung, mit dem geringeren Wirkungskreise vermindert sich nur der Umfang der Verantwortlichkeit, ohne daß diese gänzlich aufhörte, und ist es immer ein die Haftung des Prinzipales begründendes Verschulden, wenn ein solcher Leiter diejenige Umsicht und Sorgfalt nicht ausübt, welche bei dem bescheidenen Maße von Kenntnissen, die er anzuwenden hat, gefordert werden müssen.

Wenn endlich, worauf weiter, noch Gewicht gelegt wird, die hier in Frage stehende Arbeit auch nur eine einfache und gewöhnliche ist, so ist es doch rechtsirrtümlich, wenn daraus hergeleitet wird, daß derjenige, unter dessen Befehl und nach dessen Vorgehen sie auszuführen war, nicht als Leiter und Beaufsichtiger gelten könne.

Mit dieser letzteren unrichtigen Annahme steht aber der zweite Grund für die Klagabweisung unverkennbar im Zusammenhange. Es wird nämlich gesagt, daß, wenn auch Conrad F. zu den im §. 2 aufgeführten Personen gerechnet werden könnte, dies doch nicht in Bezug auf jene Handlung desselben der Fall wäre, in Folge deren der Kläger das rechte Auge einbüßte, denn die Verletzung des Auges sei nicht durch sein Kommando, die Pfanne emporzuheben, herbeigeführt, sondern durch sein übereiltes, einseitiges Aufheben derselben, und diese seine Thätigkeit sei jedenfalls nur die eines einfachen Arbeiters gewesen.

Das Appellationsgericht nimmt hiernach an, daß durch ein schuldhaftes Handeln eines Leiters oder Aufsehers die Haftung des Prinzipales nicht begründet werden könne, sofern die fragliche Thätigkeit nur die eines einfachen Arbeiters gewesen ist und erachtet schon mit der thatsächlichen Feststellung, daß dies der Fall war, den Klageanspruch für beseitigt. -- Dies genügt aber nicht; denn auch durch verkehrte und unvorsichtige Verrichtung der Thätigkeit eines Arbeiters kann der Leiter oder Aufseher ein Verschulden im Sinne des citierten §. 2 verüben, sofern diese seine Mitthätigkeit mit den ihm untergebenen Arbeitern ungeachtet der thatsächlichen Gleichheit der Verrichtungen doch ein Teil der Leitung, für die Ausführung der gemeinschaftlich zu vollbringenden Arbeit entscheidend und für die Mitarbeiter das maßgebende Beispiel ist.

Aus der Gleichheit der Thätigkeit des mitwirkenden Vorarbeiters mit derjenigen der ihm unterstellten einfachen Arbeiter kann nicht die allgemeine Folgerung gezogen werden, daß ein Verschulden des Vorarbeiters bei der Ausführung der Verrichtung nicht als ein Verschulden bei der Leitung oder Beaufsichtigung zu gelten habe.

Es ist nicht bloß denkbar, daß das mitthätige Eingreifen des Aufsehers, obgleich es an sich betrachtet als ganz die gleiche Thätigkeit wie die der übrigen Arbeiter erscheint, dennoch insofern die gleiche Wichtigkeit wie sein Kommando habe, als es dieses ergänze oder gar ersetze, sondern es kann auch vorkommen, daß das Miteingreifen des leitenden Fabrikarbeiters in so enger Verbindung mit dem Kommandoworte steht, daß ein hierbei begangener Fehler im Sinne des Gesetzes als ein Versehen der mit Leitung des Betriebes betrauten Person angesehen werden muß. Letzteres trifft namentlich in dem Falle zu, wenn der leitende Fabrikarbeiter auf sein Kommandowort ein so übermäßig rasches Eingreifen in die Arbeit folgen läßt, daß er ein gleichzeitiges Mitwirken der Arbeiter unmöglich macht und dadurch einen Unfall herbeiführt; denn die eigentliche Aufgabe der Leitung besteht ja doch in solchem Falle immer darin, ein gleichzeitiges Eingreifen sämtlicher Arbeiter zu erwirken. Es kann also rechtlich keinen Unterschied begründen, ob der Leitende unzeitig oder mangelhaft das Kommandowort ausspricht, oder ob er das durch seine Leitung herbeizuführende gleichzeitige Zusammenwirken in anderer Weise vereitelt.

Hiernach beruht es auf einer zu engen Auslegung des §. 2, wenn dessen Anwendung schon aus dem Grunde verneint wird, weil die Thätigkeit, bei welcher ein Vorgesetzter schuldhaft verfahren ist, die eines gewöhnlichen Arbeiters war und nicht geprüft wurde, welche Bedeutung diese Thätigkeit eben dadurch gewonnen hat, daß sie von dem Vorgesetzten bei Ausführung derjenigen Arbeit verrichtet worden ist, bei welcher er den anderen Arbeitern zu befehlen und zugleich zu helfen hatte."