RG, 16.12.1879 - II 27/79
Bestellung eines zweiten Faustpfandes an der nämlichen Sache. Wirkung des Vertrages über Bestellung des Faustpfandes vor der Besitzübertragung.
Tatbestand
B. hatte am 31. Dez. 1873 bei dem Vereine A. zu Aachen ein Darlehn von 37000 Thalern gegen Hingabe von Wertpapieren als Faustpfand aufgenommen. Am 15. Dez. 1874 verpfändete B. diese Wertpapiere auch dem Hüttenvereine daselbst, welcher mit Gerichtsvollzieherakt vom 2. Juni 1875 dem Vereine A. von dem Inhalte dieses Verpfändungsaktes Kenntnis gab mit der Aufforderung, die Papiere an niemanden als an ihn auszuliefern. Am 25. Juni 1875 ließ B. dem Vereine A. die zur Rückzahlung des Darlehns nötige Summe bar anbieten und zur Rückgabe der Wertpapiere, wenigstens eines entsprechenden Teiles derselben, auffordern. Der Verein A. verweigerte diese Herausgabe, und seine Weigerung wurde für berechtigt erklärt aus folgenden Gründen.
Gründe
"In Erwägung, daß zunächst die Behauptung, es sei rechtlich unmöglich ein zweites Faustpfand an der nämlichen Sache zu bestellen, nicht begründet erscheint, da dies in allen Fällen geschehen kann, wo ein gemeinsamer Besitz verschiedener Personen denkbar ist, also insbesondere dann, wenn der erste Faustpfandgläubiger, der die Sache im Besitze hat, dieselbe zugleich für Rechnung des zweiten Faustpfandgläubigers verwahrt (Art. 2076 Code civ.), wie dies in vorliegender Sache in der That der Fall ist; -
- daß der Faustpfandvertrag zwar ein Realvertrag, also Pfandbesitz nötig ist, um ihm seine volle Wirkung zu geben (Art. 2071 Code civ.), hieraus jedoch nicht folgt, es sei ein Pfandbestellungsvertrag ohne sofortigen Besitzübertrag wirkungslos, vielmehr ein solcher Vertrag unter den Kontrahenten unzweifelhaft Rechtswirkungen erzeugt, insbesondere dem Pfandgläubiger das Recht giebt, die Auslieferung des Pfandes zu verlangen; daß, wenn daher B. durch den Vertrag von: 15. Dez. 1874 dem Aachener Hüttenverein an den in Gewahrsam der Hauptbeklagten befindlichen Wertpapieren ein Faustpfand bestellte, er hiermit selbstverständlich jenem Vereine auch das Recht übertrug, von der Hauptbeklagten die Auslieferung jener Wertpapiere unter denselben Voraussetzungen zu verlangen, unter welchen ihm selbst dieses Recht zustand; wie dies offenbar der Appellrichter auch annimmt, indem er erklärt, das Auslieferungsverlangen von B. schließe eine Verletzung des Vertrages vom 15. Dez. in sich;
- daß nun der vom Appellrichter mehrfach angezogene, seinem Inhalte nach unstreitige Zustellungsakt vom 2. Juni 1875 genügte, um den Übertrag des bezeichneten Forderungsrechtes der Hauptbeklagten als Schuldnerin gegenüber in rechtliche Wirksamkeit zu setzen, da jener Akt allen Anforderungen entspricht, welche im Sinne von Art. 1690 Code civ. an die Kundgabe einer Cession zu machen sind;
- daß, dies vorausgesetzt, vom Zeitpunkte besagter Kundgabe an die Hauptbeklagte kraft Gesetzes verpflichtet war, die in Frage stehenden Wertpapiere für Rechnung des Aachener Hüttenvereins zu verwahren, um sie seiner Zeit an diesen Verein, nicht aber an A. auszuliefern, weshalb die Weigerung der Hauptbeklagten, die fraglichen Wertpapiere an den Hauptkläger auszuliefern, vollkommen gerechtfertigt erscheinen muß."