RG, 02.12.1879 - II 23/79
1. Ist die Rechtsgültigkeit eines Handgeschenkes durch die bei Lebzeiten des Schenkgebers erfolgte Annahme bedingt?
2. Beweislast, wenn ungewiß ist, ob die zwecks einer Schenkung zugesendete Sache dem Schenknehmer schon zu Lebzeiten des Schenkgebers zugekommen und von ihm angenommen worden sei?
Tatbestand
Die Ende Dezember 1876 im Rheine ums Leben gekommene Schw. hatte am 30. Dez. jenes Jahres ein an ihren Verlobten R. adressiertes Paket mit Wertpapieren im Nominalbetrage von 4800 M. nebst einem Briefe auf die Post gegeben. Paket und Brief gelangten richtig in die Hände des Adressaten. Die Erben der Verstorbenen klagten gegen denselben unter anderem auf Herausgabe jener Wertpapiere und stützten diese Klage darauf, daß der Beklagte diese Objekte von ihrer Erblasserin zugeschickt erhalten habe. Der Beklagte räumte dies zwar ein, jedoch mit dem Zusatze, daß seine Braut bei Übersendung der Wertpapiere ihm erklärt habe, diese Papiere sollten sein Eigentum sein und bleiben, worauf er sie dann auch als sein Eigentum acceptiert und in Besitz genommen. Nachdem er den ihm in dieser Hinsicht zugeschobenen Eid ausgeschworen hatte, verurteilte ihn das Landgericht zur Herausgabe der Wertpapiere. Seine Berufung ward vom Appellationsgerichte verworfen, dessen Urteil jedoch vom Reichsgerichte kassiert aus folgenden
Gründen
"In Erwägung, daß das sogenannte Handgeschenk, dessen rechtliche Gültigkeit im allgemeinen, trotzdem daß der Code civil desselben als einer besonderen Form der freigebigen Verfügungen unter Lebenden nicht erwähnt, von der Jurisprudenz als feststehend betrachtet wird, hinsichtlich seiner inneren rechtlichen Natur, und abgesehen von dem Erfordernisse der für die Schenkungen im allgemeinen vorgeschriebenen Form der notariellen Beurkundung, nach denselben Grundsätzen, wie die Schenkungen im allgemeinen zu beurteilen ist; daß die Schenkung im allgemeinen, mag man sie als einen Vertrag schlechthin definieren, oder mit Rücksicht auf die ihr vom Gesetze gegebene Bezeichnung als eines "Aktes" ihr eine besondere und eigentümliche Natur vindicieren, doch in dem einen wie anderen Falle als eine Rechtshandlung, die - im Gegensatze zu den dem Widerrufe unterliegenden freigebigen Verfügungen auf den Todesfall - unter Lebenden, sofort und in unwiderruflicher Weise den Übergang des Eigentumes auf den Beschenkten bewirken soll, nur durch die bei Lebzeiten des Schenkgebers erfolgte Annahme der Schenkung zur Perfektion gelangen kann, da die Wirksamkeit, die man einer späteren Annahme beilegen wollte, den Eigentumsübergang nur von diesem späteren Zeitpunkte ab zur Folge haben könnte, diese Wirkung aber etwas ganz anderes als das vom Geschenkgeber Gewollte wäre, und überhaupt auch vom Gesetze selbst an die Voraussetzung einer anderen Verfügungsform geknüpft ist; daß hieran, wenn ein Handgeschenk in Frage steht, auch dadurch, daß die Sache durch Vermittelung eines Dritten, namentlich der Post, in die Hände des Schenknehmers gelangt, nichts geändert erscheinen kann, da die Postanstalt hierbei nur im Auftrage des Absenders bezw. des Schenkgebers handelt, die Vollziehung dieses Mandates aber nur die Handlung des Schenkgebers vollendet, dagegen in Bezug auf das vom Schenknehmer zur Perfektion der Schenkung Vorzunehmende ganz bedeutungslos ist; -
In Erwägung, daß hiernach dem Appellationsrichter darin, daß er die Beurteilung der Sache durch die Frage, ob zur Zeit der Aushändigung der fraglichen Postsendung an den Kassationskläger und seiner Acceptation der in dem fraglichen Briefe ihm gemachten Schenkung die Schw. noch am Leben gewesen, als bedingt erachtet hat, nur beigetreten werden kann; -
In Erwägung, was aber die Verteilung der Beweislast betrifft - daß zur Begründung der von den Kassationsbeklagten erhobenen Klage auf Herausgabe der fraglichen Wertpapiere die Behauptung, beziehungsweise das Beweiserbieten, daß der Beklagte diese Effekten von der klägerischen Erblasserin zugeschickt erhalten habe und besitze, in keiner Weise geeignet und ausreichend erscheinen konnte, da diese Aufstellung einen den Beklagten zur Herausgabe verpflichtenden Rechtsgrund gar nicht enthielt; daß mithin auch dadurch, daß der Beklagte, anstatt auf die Geltendmachung dieser aus dem formalen Gebrechen der Klagebegründung herzunehmenden Einrede sich zu beschränken, zwar den Empfang jener Papiere einräumte, hiermit aber die Qualifikation verband, daß sie ihm geschenkt worden, und er die Schenkung accepttiert habe, derselbe sich nicht mit der Verpflichtung zum Nachweise der zur Perfektion der Schenkung erforderlichen Momente belasten konnte; daß vielmehr nur den Klägern noch zu überlassen war, ihre Klage von dem durch die Erklärung des Beklagten selbst gegebenen thatsächlichen Boden aus durch die Replik zu begründen, daß die fragliche Schenkung mangels rechtzeitiger Acceptation nicht perfekt geworden, ihnen also auch der Hauptbeweis oblag, daß zu der oben präcisierten Zeit die Schenkgeberin schon nicht mehr gelebt habe."