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RG, 15.12.1880 - I 373/80

Daten
Fall: 
Abnahmeverzug
Fundstellen: 
RGZ 4, 7
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
15.12.1880
Aktenzeichen: 
I 373/80
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Berlin.
  • KG Berlin.
Stichwörter: 
  • Voraussetzungen des Abnahmeverzuges und des Selbsthilfeverkaufes

Voraussetzungen des Abnahmeverzuges und des Selbsthilfeverkaufes, wenn in einem und demselben Vertrage verschiedene Sorten einer Ware, unter Festsetzung eines besonderen Preises für jede Sorte und ratenweiser Lieferung, verkauft werden. Rechtliche Wirkung des auf die eine oder die andere Sorte beschränkten Verzuges und Selbsthilfeverkaufes.

Aus den Gründen

"Die Entscheidung hängt davon ab, ob der am 12. Juli 1877 erfolgte Selbsthilfeverkauf nach Art. 343 H. G. B. als für Rechnung der Beklagten bewirkt anzusehen ist. Der Appellrichter hat dies verneint, weil am 12. Juli 1877 nur Stückkohlen und Würfelkohlen und nicht zugleich ein entsprechendes Quantum Kleinkohlen verkauft worden. Ob dieser Grund für sich allein die ergangene Entscheidung rechtfertigen würde, kann unerörtert bleiben, da die Entscheidung dadurch gerechtfertigt wird, daß es an dem ersten Erfordernisse des Selbsthilfeverkaufes, nämlich einem Annahmeverzuge des Käufers, unter Berücksichtigung der Bestimmungen in den §§. 20 flg. A. L. R. I. 16, fehlt. In dem Vertrage von 1876 sind drei verschiedene Sorten Kohlen, nämlich Stückkohle, Würfelkohle und Kleinkohle, verkauft, und es ist für jede dieser drei Sorten ein besonderer Preis pro Centner, nicht ein gleicher Durchschnittspreis für alle drei Sorten, stipuliert.1

Daraus folgt aber keineswegs, daß drei besondere, in keinem Zusammenhange mit einander stehende Kaufverträge als geschlossen anzusehen wären; vielmehr kann nach Lage der Sache kein Zweifel darüber obwalten, daß nach dem Willen der Beteiligten das in einen Abschluß zusammengefaßte, alle drei Kohlensorten umfassende Kaufgeschäft als ein dergestalt untrennbares Ganzes aufzufassen ist, daß der Käufer sich nicht die Erfüllung des Geschäftes bezüglich der einen Kohlensorte ohne gleichzeitige Erfüllung bezüglich der anderen Kohlensorte gefallen zu lassen brauchte, und daß namentlich ein zunächst nur die eine Kohlensorte betreffender Erfüllungsmangel auch das Geschäft im ganzen, auch bezüglich der anderen Kohlensorten, beeinflußte. (Folgt die nähere thatsächliche Darlegung, daß das Geschäft nach dem Willen der Beteiligten so aufzufassen sei.)

Diese Untrennbarkeit des ganzen, alle drei Kohlensorten umfassenden Geschäftes darf auch nicht identifiziert und verwechselt werden mit der Teilbarkeit des Lieferungsobjektes, (vgl. Art. 359 H. G. B. ). Daraus, daß das Objekt des Vertrages eine teilbare Sache ist, folgt, wie bereits in zahlreichen Entscheidungen des Reichsoberhandelsgerichts ausgesprochen ist, nicht, daß der Verkäufer dem Käufer Teillieferungen aufnötigen bez. anbieten darf, ohne sich einer Vertragsverletzung schuldig zu machen. Dies vorausgeschickt, wird ein Annahmeverzug der Beklagten durch folgende Gründe ausgeschlossen.

Wenngleich die Beklagte vom 1. Oktober 1876 bis 1. April 1877 weniger als das vertragsmäßige Quantum an Kohlen in allen drei Sorten abgenommen hatte, so ist doch ein Abnahmeverzug der Beklagten vor dem 1. April 1877 jedenfalls nicht eingetreten. (Wird durch die Abreden der Parteien begründet.) Aber auch anfangs April 1877 trat ein Abnahmeverzug der Beklagten aus folgenden Gründen nicht ein: Mit Brief vom 5. April 1877 überreichte Klägerin der Beklagten zugleich mit der Märzfaktura die Aufstellung über den gesamten Abnahmerückstand der Beklagten, welchen sie für die 6 Wintermonate vom 1. Oktober 1876 bis Ende März 1877 zu 81798 Centner Stück- und Würfelkohle berechnete und wofür sie Zahlung von 29 685 M. und zugleich Abnahme der angegebenen Quantität forderte. Diese Aufforderung enthielt eine, noch bis zum Selbsthilfeverkauf aufrecht erhaltene Zuvielforderung und war deshalb zur Begründung eines Abnahmeverzugs der Beklagten nicht geeignet ....

Dazu kommt als weiterer, den Abnahmeverzug der Beklagten ausschließender Grund, daß die Klägerin im Briefe vom 5. April 1877 die Beklagte nur zur Abnahme der rückständigen Stück- und Würfelkohlen aufforderte, dagegen von den rückständigen Kleinkohlen gänzlich schwieg, also nur eine Teillieferung offerierte, welche die Beklagte (vgl. A. L. R. I. 16. §§. 22. 57) nicht abzunehmen brauchte. In dem weiteren Briefe vom 14. April 1877 erklärte zwar die Klägerin, daß sie die fehlenden 1600 Centner Kleinkohlen auf Erfordern natürlich nachliefern werde; allein abgesehen davon, ob dieser Rückstand nicht zu niedrig berechnet ist, und ob der Brief vom 14. April 1877 an sich genügend gewesen wäre, die Beklagte bezüglich der Kleinkohlen in Abnahmeverzug zu versetzen, kam vor dem Selbsthilfeverkauf noch das Lieferungsquantum für die Monate April, Mai, Juni 1877 (45 000 Centner für 3 Monate) hinzu, und zur Lieferung dieser Quantität Kleinkohlen hat Beklagte sich weder erboten, noch Anstalten gemacht, noch die Klägerin zur Abnahme aufgefordert; sie hat vielmehr an die Beklagte kurz vor dem Selbsthilfeverkauf nur eine Aufforderung zur Abnahme der rückständigen Stück- und Würfelkohlen erlassen. Sie mußte aber, um die Beklagte bezüglich des im Wege der Selbsthilfe verkauften Quantums in Verzug zu setzen, das ganze, zur maßgebenden Zeit rückständige Quantum Kohlen von allen drei Sorten zur Abnahme anbieten und resp. die Beklagte zur Abnahme auffordern. Dies hat sie durch gänzliche Außerachtlassung der Kleinkohlen versäumt.

Endlich hat die Klägerin auch bezüglich der Qualität der in der Zeit vom 1. April bis 12. Juli 1877 zur Abnahme offerierten Stück- und Würfelkohlen ihre Vertragspflicht nicht erfüllt und kann auch deshalb na A. L. R. I. 16. §. 22 der Beklagten keinen Verzug vorwerfen. Es ist außer Streit, daß die Kohle durch Aufstapelung am Wert verliert, daß sie dadurch namentlich während des Winters verwittert und verfällt und schlechterer Qualität wird. Daraus folgt, daß, wenn Kohlen frischer Förderung Gegenstand des Verkaufes sind, der Käufer dadurch, daß Kohlen, welche bereits längere Zeit aufgestapelt gelegen haben, zur Abnahme offeriert werden, nicht in Verzug gesetzt werden kann, da er schlechtere als die vertragsmäßige Qualität nicht anzunehmen braucht. Nun ist im Vertrage vom 30. Juni / 11. 12. Juli 1876 von Aufstapeln der Kohlen nur für die Sommermonate bis zu einem Maximum von 60 000 Centner die Rede, nicht für die Wintermonate. Wenn man aber auch mit der Beklagten ein Aufstapeln auch während der Wintermonate nicht für vertragsmäßig gänzlich ausgeschlossen erachten will, so ist dasselbe doch jedenfalls durch einen Abnahmeverzug der Beklagten bedingt. Obwohl nun, wie bereits ausgeführt worden, die Beklagte vor dem 1. April 1877 überhaupt nicht in Abnahmeverzug gekommen ist, hat Klägerin während der Wintermonate vom 1. Oktober 1876 bis 31. März 1877 ihrer eigenen Angabe nach das ganze Quantum, welches die Beklagte in jedem Monate weniger als das Vertragsquantum abgenommen hat, aufgestapelt und diese seit Monaten aufgestapelten verwitterten Kohlen der Beklagten am 5. April 1877 zur Abnahme offeriert. Diese während des Winters aufgestapelten Kohlen, zu welchen die während der Monate April, Mai, Juni 1877 aufgestapelten hinzukamen, sind dann auch am 12. Juli 1877 im Wege der Selbsthilfe verkauft." ...

  • 1. Amtl. Anm.: Der Vertrag wurde dahin abgeschlossen, daß Klägerin der Beklagten auf die Dauer eines Jahres, vom 1. Oktober 1876 bis 80. September 1877, monatlich 15000 Centner von jeder der drei Kohlensorten liefern sollte. D. E.