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RG, 26.11.1880 - III 641/80

Daten
Fall: 
Revision ohne Rücksicht auf den Wert des Beschwerdegegenstandes
Fundstellen: 
RGZ 3, 422
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
26.11.1880
Aktenzeichen: 
III 641/80
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Gießen
  • OLG Darmstadt

Findet nach §. 509 Ziff. 1 C.P.O. die Revision ohne Rücksicht auf den Wert des Beschwerdegegenstandes statt, gleichviel, ob das Oberlandesgericht den Rechtsweg ausgeschlossen oder zugelassen, das Erkenntnis erster Instanz bestätigt oder abgeändert hat?

Ist bei Zurückweisung bei Revisionsbeschwerde wegen angeblicher Unzulässigkeit des Rechtsweges auf die Beschwerde in der Hauptsache einzugehen, wenn deren Gegenstand den Betrag von 1500 Mark nicht übersteigt?

Tatbestand

Mehrere Personen hatten im Jahre 1875 zwei Gemeindejagden für ein jährliches Bestandgeld von 125 Thlr. auf die Dauer von sechs Jahren gepachtet. Einer dieser Pachter starb im Herbste 1879. Nun verlangte dessen Sohn und Erbe Aufnahme in die Jagdgemeinschaft. Während einer der Mitpachter hiergegen protestierte, beantragten die verpachtenden Gemeinden bei der vorgesetzten Verwaltungsbehörde, den Erben des verstorbenen Jagdbeständers an der Stelle seines Vaters als Jagdteilhaber anzunehmen, anderenfalls aber mit Bezug auf die Bedingungen des Pachtvertrages diesen für erloschen zu erklären. Das Kreisamt wies jedoch beide Anträge zurück.

Nunmehr beschritt der gedachte Sohn und Erbe den Rechtsweg und wurde der beklagte Mitpachter in beiden Vorinstanzen, unter Verwerfung der vorgeschützten Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges, klaggemäß verurteilt:

"anzuerkennen, daß Kläger berechtigt sei, in den zwischen seinem Vater und den übrigen Mitpachtern der streitigen Gemeindejagden einerseits und den Gemeinden etc. etc. andererseits abgeschlossenen Jagdpachtvertrag einzutreten."

Die Revisionsbeschwerden des Beklagten wurden verworfen und zwar die eventuell zur Hauptsache erhobene wegen mangelnder Revisionssumme.

Aus den Gründen

1.

"Nach §. 509 Ziff. 1 C.P.O. findet die Revision ohne Rücksicht auf den Wert des Beschwerdegegenstandes statt, insoweit es sich um die Unzulässigkeit des Rechtsweges handelt. Diese Ausnahme von der Regel des §. 508 C.P.O. tritt nach richtiger Auslegung jener Vorschrift nicht bloß dann ein, wenn das Oberlandesgericht den Rechtsweg ausgeschlossen, sondern auch dann, wenn es denselben, wie hier, zugelassen hat und ohne Unterschied, ob das Berufungsgericht das Erkenntnis erster Instanz bestätigte oder abänderte (vgl. Protokolle der Justizkommission S. 250).

Ist hiernach im vorliegenden Falle die Zulässigkeit des Rechtsweges auch in dritter Instanz zu prüfen, so kann diese Frage nicht, wie Revisionsbeklagter behauptet, deshalb als erledigt betrachtet werden, weil das Berufungsurteil die Verfügung der Verwaltungsbehörde vom 29. Dezember 1879 auslege und gegen die Interpretation einer Urkunde das Rechtsmittel der Revision nicht gegeben sei. Denn das Oberlandesgericht gelangt zu der Feststellung des Sinnes des gedachten kreisamtlichen Erlasses teils durch Heranziehung der Jagdpachtbedingungen, teils durch Bezugnahme auf das Landesgesetz vom 26. Juli 1848, teils endlich durch Bezugnahme auf die privatrechtliche Natur des verfolgten Anspruches und auf die Berufung der ordentlichen Gerichte zur Verhandlung und Entscheidung derartiger Streitigkeiten überhaupt, also zugleich aus Rechtsgründen, deren Nachprüfung in der Revisionsinstanz nur in den §§. 511 und 525 C.P.O. eine Schranke findet....

Sachlich ist das Berufungsurteil gerechtfertigt. ...

2.

Bei der Zurückweisung der Revisionsbeschwerde wegen angeblicher Unzulässigkeit des Rechtsweges als unbegründet erhebt sich die Frage, ob der Beschwerdegegenstand in der Hauptsache den Betrag von 1500 M. übersteige (§. 508 C.P.O.). Denn ohne Rücksicht auf diesen Wert ist nach dem schon angezogenen §. 503 C.P.O. die Revision nur statthaft, insoweit solche die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit des Rechtsweges betrifft. Auf die Erörterung und Entscheidung dieser Prozeßvoraussetzung hat sich daher das Revisionsgericht zu beschränken, wenn bezüglich der anderen an dasselbe gebrachten Streitpunkte die Beschwerdesumme nicht vorhanden ist. Würde durch die Beschwerde über die Unzulässigkeit des Rechtsweges die Sache in ihrem vollen Umfange an die dritte Instanz erwachsen, so könnte jeder zur Landgerichtlichen Kompetenz gehörige Prozeß über klag- oder einredeweise verfolgte vermögensrechtliche Ansprüche dadurch revisibel gemacht werden, daß die eine oder andere Partei die Zulässigkeit des Rechtsweges bestreitet.

Nun hat der Beklagte und Revisionskläger in der Klagbeantwortung und Berufungsschrift den Wert des Streitgegenstandes auf 724 M. angegeben, während er jetzt ausführt, daß derselbe den Wert von 2300 M. erreiche. Die Vorinstanzen haben dagegen übereinstimmend mit Bezug auf §. 8 C.P.O. das Jagdbestandgeld für die Dauer von zwei Jahren, also 250 M., als Streitobjekt bezeichnet.

Der §. 8 C.P.O. läßt, wenn das Bestehen oder die Dauer eines Pachtverhältnisses streitig ist, für die Wertsberechnung den Betrag des auf die gesamte streitige Zeit fallenden Zinses entscheiden. Ihrem Wortlaute nach redet diese Vorschrift nicht von dem Falle, wenn das Pachtverhältnis zwischen mehreren Beständern beziehungsweise deren Erben in Frage kommt und der Streit sich nicht sowohl um das Bestehen und die Dauer des Pachtvertrages, als vielmehr darum dreht, ob dem Erben eines Mitpachters der Eintritt in das Rechtsverhältnis des Erblassers den Mitpachtern gegenüber zu gestatten sei. Ob jedoch der §. 8 C.P.O. seinem Geiste nach auch für Streitigkeiten der letzteren Art heranzuziehen sei, kann dahingestellt bleiben, da selbst, wenn man dies verneint und auf die Wertsberechnung des Revisionsklägers eingeht, kein Zweifel darüber besteht, daß der Beschwerdegegenstand 1500 M. nicht übersteigt." ...