RG, 16.11.1880 - IVa 121/80
Setzt die Vorschrift des A.L.R.'s 1.5. §. 37 zu ihrer Anwendung ein ausdrückliches Anerkenntnis voraus?
Tatbestand
Für den am 4. März 1847 geborenen Kläger stand auf dem Grundstücke des Beklagten, seines Vaters, ein bei seiner Großjährigkeit fälliger Muttererbteil von 2580 Mark nebst Zinsen eingetragen. Nachdem der Kläger am 9. September 1867 aus der väterlichen Gewalt entlassen worden war, hatte er an demselben Tage über seine Befriedigung wegen dieses Erbteiles durch Barzahlung Quittung geleistet, worauf das Ingrossat im Grundbuche gelöscht worden war.
Kläger behauptete später, daß er Zahlung nicht erhalten, die Quittung vielmehr nur in der Erwartung der Zahlung ausgestellt habe, und erhob wegen Gewährung des Muttererbes Klage. Beklagter wendete ein, daß er kurz vor dem 9. September 1867 mit dem Kläger mündlich dahin übereingekommen sei: er seinerseits solle in die Auswanderung des Klägers nach Amerika, damit derselbe dort ein Gewerbe selbständig betreibe, willigen, den Kläger neu bekleiden und ihm auf den Muttererbteil, obgleich derselbe noch nicht fällig sei, sofort 150 Thlr. zahlen, während Kläger als Gegenleistung jeder Mehrforderung in Bezug auf den Muttererbteil entsagen und zu dem Zwecke über den ganzen Erbteil als bar gezahlt quittieren solle.
Der erste Richter verurteilte den Beklagten zur Gewährung des Erbteiles, soweit nicht die Befriedigung des Klägers durch Barzahlung nachgewiesen war. Der Appellationsrichter legte dagegen dem Beklagten einen Eid bezüglich der behaupteten Abrede auf und wies im Falle der Eidesleistung den Kläger gänzlich ab. Auf die Revision des Klägers stellte das Reichsgericht das erste Urteil im wesentlichen wiederum her, und zwar aus folgenden Gründen:
Gründe
"Nach den §§. 37 und 38 A.L.R. I. 5 erlangt ein Vertrag, welcher wegen Unfähigkeit des einen Teiles unverbindlich ist, durch ein nach gehobener Unfähigkeit erfolgendes Anerkenntnis nur infofern verbindliche Kraft, als dieses Anerkenntnis selbst für einen neuen rechtsgültigen Vertrag angesehen werden kann, und ein solcher neuer Vertrag erstreckt sich nur alsdann auf den Anfang des Geschäfts zurück, wenn dies zugleich ausdrücklich verabredet worden. - Unter Hinweis auf diese Vorschriften verordnen die §§. 136. 137 A.L.R. II. 2:
Die von einem unter väterlicher Gewalt stehenden Kinde von Anfang an ungültig gemachten Schulden werden gültig, wenn sich der Schuldner nach aufgehobener väterlicher Gewalt zu deren Bezahlung verpflichtet. Doch soll nur auf ein ausdrückliches - vor Gerichten oder vor einem Justizkommissarius erklärtes - Anerkenntnis Rücksicht genommen werden.
Daß die vorstehenden Bestimmungen nicht bloß auf willensunfähige Personen, sondern auch auf solche, welche in ihrer Handlungsfähigkeit nur eingeschränkt sind, Anwendung finden, hat bereits das vormalige Obertribunal in dem Erk. vom 30. November 1874 (Entsch. Bd. 74 S. 164, Striethorst, Archiv Bd. 93 S. 44) an der Hand der Gesetzesmaterialien überzeugend dargelegt.
Es konnte mithin das fragliche, während der Unfähigkeit des Klägers geschlossene Abkommen nur durch ein nach gehobener Unfähigkeit erfolgtes Anerkenntnis, welches selbst einen neuen rechtsgültigen Vertrag bildete, rechtsverbindlich werden. Ein solches Anerkenntnis liegt aber nicht vor, und ist insbesondere auch nicht in dem Akte der Quittungsleistung enthalten. Der Appellationsrichter sagt:
"der im Augenblicke der Quittierung bereits emancipierte Kläger habe das Abkommen konkludent durch die Quittungsausstellung ratihabiert (§§. 19. 37. 38 A.L.R. I. 5)."
Er faßt also, wie er dies auch im weiteren ausführt - und darin, würde ihm an sich beizutreten sein - die Quittungsausstellung nur als eine auf Anerkennung des Abkommens gerichtete stillschweigende Willenserklärung auf (§. 8 A.L.R. I. 4). Allein ein stillschweigendes Anerkenntnis kann hier nicht in Betracht kommen. Abgesehen von der zur Anwendung gelangenden Bestimmung des §. 137 A.L.R. II. 2, welche direkt ausspricht, daß nur auf ein ausdrückliches Anerkenntnis Rücksicht genommen werden soll, erfordert ein so beschaffenes Anerkenntnis auch der §. 37 A.L.R. I. 5. Solches ergiebt sich einerseits aus der Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift. Der Entwurf des A.L.R.'s (§§. 40. 41) erklärte ein ausdrückliches oder stillschweigendes Anerkenntnis für hinreichend; hiergegen erinnerte Suarez in der revisio monitorum:
"er müsse anheimstellen, ob es nicht, um die im bürgerlichen Verkehr so äußerst nachteiligen Ungewißheiten möglichst zu vermeiden und den so sehr zweifelhaften Auslegungen über dergleichen stillschweigende Agnitiones, woraus oft die fatalsten Prozesse entstehen, zuvorzukommen, am besten sein möchte, sich nicht gar zu genau an die Theorie zu binden, sondern anzunehmen: daß nur auf ausdrückliche Agnitiones zu sehen, auf stillschweigende aber gar nicht zu reflektieren (wie solches schon in dem Titel von Eltern und Kindern angenommen worden ist)."
(Gesetz-Revis. Pens. XIV Mot. zu §§. 9 bis 33 S. 53 flg.; Rönne, Ergänzungen 6. Ausg. Bd. 1 S.123; Bornemann, System 2. Ausg. Bd. 1 S. 95 flg.)
Die §§. 37 und 38 haben demnächst ihre jetzige Fassung erhalten, so daß angenommen werden muß, das Gesetz verlange ein ausdrückliches Anerkenntnis, wie solches im §. 137 A.L.R. II. 2 speciell vorgeschrieben ist. Andererseits ergiebt sich die Notwendigkeit einer ausdrücklichen Erklärung aus der inneren Bedeutung der Vorschrift. Das Anerkenntnis soll einen neuen rechtsgültigen Vertrag darstellen, also den Vertragswillen selbständig zum unzweideutigen Ausdruck bringen. Damit dieser Zweck erreicht werde, müssen aus dem Anerkenntnis selbst - sei es unmittelbar durch nochmalige Wiedergabe oder durch Bezugnahme auf eine bereits geschehene Fixierung des vorher verabredeten Geschäfts - die wesentlichen Punkte des letzteren erhellen, und hieraus folgt, daß eine stillschweigende, nur aus dem Zusammenhange zu folgernde Genehmigung der ursprünglichen Abrede rechtlich ausgeschlossen, also unkräftig ist (§. 60 A.L.R. I. 4). Vgl. Entsch. des Ob.-Trib. Bd. 12 S. 332. 336.
Sonach kann sich der Beklagte zum Zwecke der Entlastung von seiner Verbindlichkeit auf das behauptete Abkommen mit Erfolg nicht berufen (A.L.R I. 5 §. 14, I. 4 §§. 21 flg.). Allerdings will derselbe die Rechtsbeständigkeit der Abrede - da sie bereits von beiden Teilen, zum mindesten aber von seiner Seite erfüllt sei - auch aus den §§. 146. 165 A.L.R. I. 5, sowie aus dem Umstande herleiten, daß die Abrede selbst die Entlassung des Klägers aus der väterlichen Gewalt enthalte. Dabei übersieht jedoch Beklagter, daß die §§. 146. 165 a. a. O. zu ihrer Anwendung voraussetzen, daß der Vertrag, wenn auch formwidrig, von vertragsfähigen Personen geschlossen ist, und daß in dem bloßen Versprechen des Vaters, er werde dem minderjährigen Sohne die Erlaubnis zur Auswanderung erteilen, damit er im fremden Lande ein Gewerbe selbständig betreibe, eine Einwilligung im Sinne des §. 218 A.L.R. II. 2, welche die Wirkung einer ausdrücklich erklärten Entlassung des Sohnes aus der väterlichen Gewalt hat, nicht zu finden ist.
Da nun der Beklagte zugestanden hat, daß er dem Kläger nicht, wie die Quittung besagt, den vollen Betrag des Erbteiles, sondern nur 150 Thlr. bar gezahlt hat, so ist ihm gegenüber - abgesehen von dieser Teilzahlung - die Beweiskraft der Quittung erloschen (§§. 104 flg. A.L.R. 1.16). Die §§. 113. 114 ebenda kommen dem Beklagten nicht zu statten, weil sie nur den hier nicht vorliegenden Fall im Auge haben, daß aus der Quittung erhellt, daß die darin bescheinigte Aufhebung der Verbindlichkeit nicht durch Zahlung erfolgt ist. Vgl. Entsch. des Ob.-Trib. Bd. 41 S. 117; Striethorst, Archiv Bd. 12 S. 272, Bd. 85 S. 312; Entsch. des vorm. R.O.H.G.'s Bd. 14 S. 340; Dernburg, preußisches Privatrecht 2. Aufl. Bd. 2 S. 228, Anm. 15."