RG, 16.11.1880 - III 635/80

Daten
Fall: 
Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch bei Enteignungen
Fundstellen: 
RGZ 3, 171
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
16.11.1880
Aktenzeichen: 
III 635/80
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Kiel
  • OLG Kiel

Hat der Anlieger eines Gemeindeweges wegen der Aufhebung desselben eine Klage gegen die Gemeinde?

Tatbestand

Der Beklagte ist Eigentümer eines an der Fleckenstraße in Kiel belegenen, mit zwei Häusern bebauten Grundstückes. Seitens der Stadtgemeinde wurde beschlossen, diese Straße von ihrer Einmündung in die Br. Straße bis an das Grundstück des Beklagten aufzuheben und das Areal der Universität zu einer Vergrößerung ihrer Baulichkeiten zu überlassen. Der Beklagte erklärte hierauf, daß er, als Anlieger, der Stadt das Recht zur Aufhebung dieser Straßenstrecke bestreite und eventuell von ihr Ersatz des ihm durch die Beschränkung der Zuwegung seines Grundstückes verursachten bedeutenden Schadens beanspruche. Auf die alsdann gemäß §. 230 C.P.O. von der Stadtgemeinde gegen ihn und widerklagend von ihm angestellte Feststellungsklage wurde in zweiter Instanz erkannt, daß Beklagter nicht berechtigt sei, der Einziehung und Veräußerung der fraglichen Straßenstrecke zu widersprechen oder deshalb Schadensersatz zu verlangen. Die vom Beklagten eingelegte Revision wurde aus folgenden Gründen zurückgewiesen:

Gründe

"Zunächst ist gegenüber den allgemeinen Erwägungen, durch welche der Beklagte seinen Anspruch zu rechtfertigen versucht, darauf hinzuweisen, daß ihm durch die Aufrechterhaltung des angefochtenen Erkenntnisses keineswegs jeder Schutz für sein Interesse an der Erhaltung der bisherigen Straße abgesprochen wird. Die Organe der klagenden Stadtgemeinde waren öffentlich-rechtlich verpflichtet, bei ihrer Beschlußfassung über die teilweise Einziehung der fraglichen Straße alle einschlagenden Interessen in billig abwägende Berücksichtigung zu ziehen, und wenn der Beklagte sich durch eine hierbei stattgefundene ungebührliche Außerachtlassung seines Anliegerinteresses verletzt finden konnte, so stand ihm zur Wahrung desselben im Verwaltungswege die Beschwerdeinstanz offen. Aber das von ihm in Anspruch genommene Recht, der Stadtgemeinde die unternommene Einziehung eines Teiles der Straße zu untersagen, kann nur aus einer unter privatrechtlichem Schutze stehenden Berechtigung desselben, die fragliche Straßenstrecke fortwährend als Straße zu benutzen, hergeleitet werden und ebenso ist sein Schadensersatzanspruch nur aus einer Verletzung seiner privatrechtlichen Ansprüche zu begründen.

Ein Privatrecht des Beklagten auf die in Rede stehende Benutzung der Straßenstrecke könnte nur beruhen entweder in einer seinem anliegenden Grundstücke zustehenden Servitut oder in einem gesetzlichen Nachbarrechte. Da durch die bloße Thatsache, daß das Straßenareal bisher zum öffentlichen Gebrauche bestimmt war, ein privatrechtlicher Anspruch auf die Fortdauer dieses Zustandes nicht entstanden sein kann, so bleibt in betreff der Entstehung einer Servitut nur die Frage übrig, ob ein entsprechender stillschweigender Vertrag zwischen der Gemeinde und den Anliegern einerseits durch die Herstellung der Straße und andererseits durch die Bebauung ihrer Grundstücke zustande gekommen sei. Es läßt sich hierfür geltend machen, daß die Gemeinde durch die Herstellung der Straße die Anlieger provoziert habe, ihre anliegenden Grundstücke im Vertrauen auf das immerwährende Fortbestehen der Straße zu bebauen. Allein die Frage ist zu verneinen, weil diese Erwägung nicht zu der Annahme berechtigt, daß die Gemeinde eine privatrechtliche Verpflichtung habe auf sich nehmen wollen. Die Grundsätze des Nachbarrechts kommen dem Beklagten nicht zu statten; denn das Nachbarrecht gewährt nur Schutz gegen eine positive Beschädigung der Eigentumssubstanz, nicht aber einen Anspruch auf Erhaltung derjenigen Vorteile, welche einem Grundeigentümer durch die bisherige Art der Verwendung des Nachbargrundstückes thatsächlich zu teil geworden sind.

Es bleibt nur noch zu untersuchen, ob der Anspruch des Beklagten auf eine zum Schutze des Rechts des Gemeingebrauches öffentlicher Sachen, insbesondere der öffentlichen Wege, gegebene privatrechtliche Klage gestützt werden kann. Allein dies ist schon nach den Bestimmungen des römischen Rechts zu verneinen. In den Quellen ist nirgends bezeugt, daß die Klagen, welche gegen denjenigen, der den Gemeingebrauch öffentlicher Sachen stört, teils jedem Bürger und teils dem Verletzten gegeben werden, auch gegen das Gemeinwesen selbst stattfinden, wenn dasselbe unternimmt, die Sache der Bestimmung für den Gemeingebrauch zu entziehen. Von einer solchen Ausdehnung dieser Klagen könnte auch höchstens dann die Rede sein, wenn anzunehmen wäre, daß die Bestimmung der öffentlichen Sachen zum Gemeingebrauche kraft des Gesetzes eine immerwährende und unentziehbare sei;1 aber letzteres ist nicht anzunehmen. Denn die Äußerungen der Quellen, welche man allenfalls geneigt sein könnte hierfür anzuführen - 1. 83. §. 5. Dig. de V. O. 45,1: "usibus publicis in perpetuum relicta" und ähnlich 1. 2. §. 5. Dig. ne quid in loco publ. 43. 8 und §. 2 Inst. de inutil. stipul. 3.19 - sprechen nur aus, daß das Kriterium einer öffentlichen Sache in ihrer Bestimmung zum dauernden Gemeingebrauche zu finden ist, und hierin ist keineswegs enthalten, daß das Gemeinwesen, welchem die öffentlichen Sachen gehören und von welchem diese Bestimmung derselben in der Regel sich herschreibt, zu einer Abänderung dieser Bestimmung nicht befugt sei. Endlich würden auch die durch die Verordnung vom 16. September 1867 in die neuen Provinzen eingeführten Bestimmungen des preußischen Rechts über die Zulässigkeit des Rechtsweges, wonach der Rechtsweg in Verwaltungsangelegenheiten ausgeschlossen ist, wenngleich hierdurch die bezeichneten Klagen nicht für alle Fälle unzulässig geworden sind,

Entsch. des Reichsgerichts in Civilsachen Bd. 1 Nr. 59 S. 156 flg., doch jedenfalls eine nur auf das publizistische Recht des Gemeingebrauches sich gründende Klage gegen eine Gemeinde, um derselben die Aufhebung eines öffentlichen Weges, dessen Aufhebung im Verwaltungswege von den zuständigen Gemeindeorganen beschlossen worden ist, zu verbieten oder deshalb Schadensersatz zu beanspruchen, als unzulässig erscheinen lassen müssen."

  • 1. Vgl. Ihering, Geist des Röm. Rechts I S. 201; III S. 349. D. E.