RG, 28.10.1880 - Va 104/79

Daten
Fall: 
Eigentumsvermutung bei Grundstücken
Fundstellen: 
RGZ 3, 245
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
28.10.1880
Aktenzeichen: 
Va 104/79
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Kreisgerichtsdeputation Rastenburg.
  • Ostpreußisches Tribunal Königsberg.

1. Begründet der Umstand, daß der Grund und Boden eines gewissen Landstriches sich zu früheren Zeiten in dem besonderen Eigentume des Landesherrn befunden hat, eine Vermutung für das Eigentum des Fiskus an den innerhalb der Grenzen jenes Landstriches belegenen Seen?
2. Kann aus einem Vertrage, mittels dessen der Fiskus die ihm in einem Landsee zustehende Fischerei in Erbpacht überlassen hat, ein Anerkenntnis des Erbpächters hergeleitet werden, daß der Fiskus Eigentümer des Sees ist?

Tatbestand

Der preußische Fiskus behauptete Eigentümer dreier in Ostpreußen gelegener Seen, des Queder-, Zeiser- und Gr. Tauchel-See, zu sein, und, da er die Absicht hatte, über dieselben ein Grundbuchblatt anlegen zu lassen, die angrenzenden Grundeigentümer, namentlich verschiedene Besitzer der Ortschaft Schwarzstein, aber gleichfalls Eigentumsansprüche auf die Seen machten, stellte er den Antrag, die letzteren zur Anerkennung seines Eigentums zu verurteilen.

Der erste Richter wies den Kläger, als beweisfällig, ab, der Zweite erachtete dagegen den Beweis des klägerischen Eigentums für geführt und verurteilte demgemäß die Beklagten nach dem Klageantrage.

Auf die Revision der Beklagten hat das Reichsgericht unter Abänderung des zweiten Erkenntnisses das erste wiederhergestellt aus folgenden Gründen:

Gründe

"Nach den Bestimmungen des A.L.R.'s I. 9. §§. 176. 267. 268 und II. 15. §. 73 steht gesetzlich das Eigentum an einem Landsee, ebenso wie an einem Privatflusse, den Anliegern nach der Ausdehnung, des Uferbesitzes und bis zur Mitte des Gewässers als Ausfluß ihres Eigentumsrechtes an den am Ufer liegenden Grundstücken zu. Dies ist in den Erkenntnissen des früheren Obertribunals vom 31. August 1846 (Entsch. Bd. 15 S. 361), vom 3. November 1864 (Entsch. Bd. 52 S.38), vom 21. Dezember 1868 ( Striethorst, Archiv Bd. 71 S. 335), vom 2. September 1870 (Entsch. Bd. 64 S. 34) und vom 2. Dezember 1872 ( Striethorst, Arch. Bd. 87 S. 134) aus dem Zusammenhange der gedachten Vorschriften wiederholt und zutreffend nachgewiesen und insofern genügt es, auf jene Erkenntnisse Bezug zu nehmen.

Davon abweichende Vorschriften enthält auch das ostpreußische Provinzialrecht nicht. Dieses bestimmt namentlich nirgend, daß das Eigentum der in seinem Geltungsbezirke belegenen Seen gesetzlich dem Fiskus zusteht.

Da der Kläger nicht behauptet hat, Eigentümer eines an den streitigen Seen belegenen Grundstückes zu sein, kann er mithin aus dem bestehenden Gesetz sein Eigentum nicht herleiten und, da er ebenso wenig behauptet und jedenfalls nicht unter Beweis gestellt hat, sich in dem Besitze der Seen zu befinden, ihm also diejenigen Vermutungen, welche der Besitz für das Eigentum giebt, nicht zur Seite stehen, so unterliegt es keinem Zweifel, daß er nur dann legitimiert sein würde, zu verlangen, daß die Beklagten sein Eigentum anerkennen, wenn er den Beweis für dieses anderweit geführt hätte. Dies ist aber nicht der Fall.

Für sein Eigentum macht der Kläger zunächst geltend, daß bei der Eroberung Preußens durch den Deutschen Orden dieser nicht allein als Landesherr das Land in Besitz genommen, sondern dasselbe auch privatrechtlich okkupiert habe, dergestalt, daß in Ostpreußen der gesamte Grund und Boden und somit auch die auf diesem befindlichen Seen, soweit sie nicht durch besondere Titel in Privateigentum gelangt seien, als fiskalisch angesprochen werden müßten. Selbst wenn aus der dem Deutschen Orden von Kaiser Friedrich II. erteilten Verleihungs- und Schenkungsurkunde (siehe Voigt, Geschichte Preußens Bd. 3 S. 410 und Bd. 6 S. 635) in Verbindung mit der nicht abzuleugnenden, historischen Thatsache, daß der Deutsche Orden Preußen seiner Herrschaft unterworfen hat, rechtlich gefolgert werden könnte, daß alle Eigentumsrechte, welche vordem an dem Grund und Boden Preußens bestanden hatten, durch die Eroberung erloschen und sämtliche Ländereien mit Einschluß der darauf befindlichen Seen in das fiskalische Eigentum des Deutschen Ordens übergegangen seien, so steht doch fest, daß der Deutsche Orden, bezw. die Landesherren, das Eigentum an den eroberten Ländereien nur in einem verhältnismäßig geringen Umfange behalten, zum bei weitem größerem Teile dagegen im Laufe der Zeiten verschiedentlich auf andere Personen übertragen haben, so daß von einer erst von dem Privatbesitzer zu widerlegenden, allgemeinen Vermutung für das fiskalische Eigentum nicht die Rede sein kann. Nach der Auslassung des Klägers kann kein Zweifel darüber sein, daß auch hinsichtlich der die streitigen Seen umgebenden Uferländereien eine Eigentumsübertragung seitens der Landesherren stattgefunden hat. Da aber auch nach gemeinem Rechte ein umschlossener Landsee Gegenstand des Privateigentums und als ein Teil des, bezw. der Grundstücke zu betrachten ist, auf welchen er sich befindet ( von Holzschuher, Theorie und Kasuistik des gemeinen Civilrechts Bd. 2 S. 140), so muß nach gemeinrechtlichen Grundsätzen ebenso, wie nach denen des A.L.R.'s, angenommen werden, daß durch die Verleihung der Uferländereien auch das Eigentum an den Seen auf die Beliehenen übergegangen ist, es sei denn, daß der Verleiher sich dasselbe vorbehalten hätte. Ob aber die Seen in dem vorliegenden Falle ausnahmsweise für vorbehalten erachtet werden könnten, würde sich nur an der Hand der betreffenden Primordialverschreibungen beurteilen lassen, und auf diese hat der Kläger, abgesehen von dem Erbpachtskontrakte vom 25. April 1785, auf welchen weiter unten näher einzugehen sein wird, nicht Bezug genommen.

Der Kläger behauptet vielmehr, daß speciell bei den landesherrlichen Verleihungen in Ostpreußen die Seen von Rechts wegen als ausgeschlossen von der Verleihung anzusehen seien, und hat sich hierüber auf die §§. XIII und XIV der erneuerten kulmischen Handveste von 1251 ( Leman, das alte kulmische Recht S. 7) berufen, in welchem sich der Deutsche Orden allerdings bei Verleihung gewisser Ländereien neben anderen Gegenständen auch alle Seen vorbehalten hat. Indessen die kulmische Handveste bezieht sich nur auf die zu den Städten Kulm und Thorn gehörig gewesenen Landbezirke. In derselben begab sich der Orden aller seiner Rechte über die jenen beiden Städten erteilten Ländereien und stellte die Bedingungen auf, unter denen er sich dieser Rechte begab. Durch die kulmische Handveste kann daher der Kläger die Richtigkeit seiner Behauptung nicht darthun. In der Appellationsrechtfertigungsschrift hat er sich zwar auf eine amtliche Auskunft des Königlichen Archivs zu Königsberg darüber berufen, daß die Bestimmungen der kulmischen Handveste und insbesondere der Vorbehalt des Eigentums des Ordens, als Landesherrn, an den Seen auf das ganze Preußenland ausgedehnt worden seien, und es mag sich aus dem Inhalte der in dem Königlichen Archive aufbewahrten Urkunden nachweisen lassen, daß der Orden auch in Ostpreußen verschiedentlich Ländereien unter denselben, oder ähnlichen Bedingungen, wie denen der kulmischen Handveste verliehen und sich dabei das Eigentum an den auf den verliehenen Ländereien befindlichen Seen vorbehalten hat. Wenn aber der Kläger behaupten zu wollen scheint, in Ostpreußen seien die landesherrlichen Verleihungen stets nach Maßgabe der kulmischen Handveste erfolgt, so ist dies nicht nachweisbar und sicher auch nicht richtig. Die Geschichte Preußens von Voigt, auf welche der Kläger sich selbst berufen hat, enthält Bd. 6 S. 586 flg. eine sehr ausführliche Darstellung der Rechtsverfassung in Preußen zur Zeit des Ordens, und aus dieser ergiebt sich, daß schon die Verleihungen seitens des Ordens zu sehr verschiedenen Rechten erfolgt sind, und von den späteren Landesherren läßt sich noch weniger annehmen, daß sie ihren Landesverleihungen stets die kulmische Handveste zu Grunde gelegt haben. Über die Zeit, wann die fraglichen Uferländereien von dem Landesherrn ausgethan sind, erhellt, abgesehen von dem vorerwähnten Erbpachtsvertrage, aus den Anführungen des Klägers nichts. Daß zu jener unbestimmten Zeit in Ostpreußen ein Gesetz, oder auch nur ein Gewohnheitsrecht bestanden hätte, wonach Seen, welche bei Verleihung der sie umschließenden Grundstücke nicht ausdrücklich mitverliehen, Eigentum des Landesherrn, bezw. des Fiskus geblieben sind, ist nicht erweislich gemacht und auch nicht wahrscheinlich; denn es läßt sich wohl annehmen, daß, wenn in Ostpreußen eine derartige, von den Grundsätzen des A.L.R.'s abweichende Bestimmung andauernd Gesetzeskraft gehabt hätte, dieselbe in das ostpreußische Provinzialrecht aufgenommen sein würde. Wenn Voigt in seiner preußischen Geschichte Bd. 6 S. 636 mitteilt, daß der Orden nebst den Landesbischöfen über alle Binnengewässer in Preußen das Oberhoheitsrecht behauptet habe, so folgt aus einem den Landesherren etwa zuständig gewesenen Oberhoheitsrecht über die Seen noch nicht, daß ihnen an diesen auch das fiskalische Eigentum zugestanden hat und verblieben ist, nachdem sie sich des Eigentums an den die Seen umgebenden Grundstücken entäußert hatten.

Der Appellationsrichter hat denn auch weder auf Grund des Eigentums, welches ursprünglich dem Deutschen Orden an den streitigen Seen zugestanden haben soll, noch auf Grund der Bestimmungen der kulmischen Handveste das Eigentum des Klägers für nachgewiesen erachtet. Er meint aber, daß die Vorbesitzer der Beklagten in dem Erbpachtskontrakte vom 25. April 1785, mittels dessen der Fiskus den köllmischen und bäuerlichen Einsassen der Dorfschaft Schwarzstein und dem Erbmühlenpächter daselbst das Recht, in den streitigen Seen zu fischen, und die Benutzung der am Queden-See belegenen, sogenannten faulen Wiesen und Werder in Erbpacht überlassen hat, das Eigentum des Fiskus an den fraglichen Seen anerkannt hätten und die Beklagten dieses Anerkenntnis wider sich gelten lassen müßten. Dem läßt sich indessen nicht beitreten. Der Erbpachtskontrakt von 1785 giebt über das Eigentum an den Seen keine Auskunft. Die Seen werden darin nicht etwa als fiskalische bezeichnet, auf denen der Fiskus, als Eigentümer, die Fischereigerechtigkeit verliehen hätte, sondern nach dem Wortlaute des Vertrages war Gegenstand desselben die dem Amte Rastenburg - also dem Fiskus - in den streitigen Seen zustehende Fischerei und die Überlassung dieses Rechtes in Erbpacht. Worauf das fiskalische Fischereirecht beruhte, erhellt nicht. Insbesondere ist nicht mit Notwendigkeit anzunehmen, daß dasselbe nur ein Ausfluß des fiskalischen Eigentums an den Seen sein konnte. Auch spricht dafür nicht der Umstand, daß die Beklagten, trotz des von ihnen behaupteten Eigentumes noch besonders die Fischerei in Erbpacht genommen haben. Wenn der Kläger geltend macht, daß ein Fischereirecht als ein Nutzungsrecht auf eine fremde Sache, anderen nicht abgetreten werden könne, so ist dieser Rechtssatz, so uneingeschränkt, nicht einmal richtig. Im Einverständnis mit dem Eigentümer ist auch ein Nutzungsrecht auf eine fremde Sache übertragbar. (Vgl. Erk. des früheren Obertribunals vom 8. April 1869; Striethorst, Archiv Bd. 74 S. 185.) Jedenfalls rechtfertigen die Bedenken, welche der Kläger gegen die Rechtsgültigkeit einer solchen Übertragung aufstellt, nicht tatsächlich den Schluß, daß, weil der Fiskus ein ihm in den fraglichen Seen zustehendes Fischereirecht in Erbpacht überlassen hat, er dabei notwendig als Eigentümer jener Seen gehandelt haben muß und deshalb sein Eigentum von den Erbpächtern in rechtsverbindlicher Weise anerkannt ist. ...

Unzutreffend folgert ferner der Kläger und, wie es scheint, auch der Appellationsrichter aus dem in Sachen des Fiskus wider K. und Genossen ergangenen Erkenntnisse des früheren Obertribunals vom 18. Januar 1861, daß das Obertribunal in einem dem vorliegenden analogen Falle das Eigentum des Fiskus an dem Skall-See auf denselben Grundlagen als geführt angenommen habe. Das Erkenntnis vom 18. Januar 1861 ist im Nichtigkeitsverfahren ergangen und fußt auf den thatsächlichen Voraussetzungen des Appellationsrichters. Dadurch, daß das Obertribunal, ausgehend von diesen Voraussetzungen, damals die Nichtigkeitsbeschwerde gegen das dem Fiskus das Eigentum an dem Skall-See zusprechende Appellationserkenntnis zurückwies, hat es über die Frage, ob Thatumstände, wie die jetzt vorgebrachten, bei freier Beurteilung ausreichen, um das Eigentum des Fiskus an den Landseen Ostpreußens darzuthun, nicht entschieden.

Bei der Unzulänglichkeit der erbrachten Beweise spricht selbst gegen das Eigentum des Klägers, daß nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die Besitzer in Schwarzstein nicht nur die Fischerei auf den streitigen Seen ausgeübt, sondern auch während langer Zeit ohne Widerspruch seitens des Fiskus andere Nutzungen von den Seen gezogen haben, wie solche an und für sich nur dem Eigentümer zustehen, und daß ferner die Vertreterin des Fiskus, die Königliche Regierung, Abteilung für direkte Steuern, Domänen und Forsten, zu Königsberg, seit kaum einem Dezennium vor Anstellung der Klage, obwohl sie nicht einmal behauptet hat, daß ihr damals diejenigen Umstände, auf welche jetzt das Eigentum des Fiskus gestützt wird, unbekannt gewesen sind, selbst angenommen hat, daß das Eigentum an den Seen der Dorfschaft Schwarzstein zustehe; denn sie hat den von dieser hinsichtlich der fraglichen Seen angemeldeten Grundsteuerentschädigungsanspruch durch Verfügung vom 29. Dezember 1866 als begründet anerkannt."