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RG, 23.10.1880 - I 29/80

Daten
Fall: 
Voraussetzungen der Nichtigkeitserklärung im Patentrecht
Fundstellen: 
RGZ 2, 13
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
23.10.1880
Aktenzeichen: 
I 29/80
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Patentamt

1. Wer ist zur Stellung des Antrages auf Nichtigkeitserklärung im Falle des §. 10 Nr. 2 des Patentgesetzes vom 25. Mai 1877 berechtigt?
2. Voraussetzungen der Nichtigkeitserklärung nach §. 10 Nr. 2 a. a. O.

Tatbestand

Der Obermaschinenmeister B. stellte den Antrag, ein dem Fabrikanten St. auf Neuerungen an Sicherheits-Kuppelungen erteiltes Patent für nichtig zu erklären, weil der Inhalt desselben aus den an verschiedene Eisenbahnverwaltungen versandten Zeichnungen und Berichten über eine von ihm bei der Main-Weser-Eisenbahn infolge amtlich angeordneter Versuche entworfene Kuppel-Vorrichtung ohne seine Einwilligung entlehnt sei. Das Reichsgericht bestätigte die vom Patentamte erkannte Teil-Nichtigkeitserklärung.

Gründe

" ... Dagegen erhebt sich die Frage, ob B., der den Antrag auf Nichtigkeitserklärung nicht namens der Main-Weser-Bahn, zu deren Vertretung er als technischer Beamter ohne besondere Vollmacht nicht befugt war, sondern im eigenen Namen gestellt hat, hierzu nach §. 27 des Patentgesetzes legitimiert erscheint. Nach §. 27 des Patentgesetzes ist zur Stellung eines Antrages auf Nichtigkeitserklärung auf Grund des §. 10 Nr. 2 nur "der Verletzte" berechtigt. Wäre hierunter, wie von dem Patentamte in einer andern Sache erkannt worden ist (vergl. Patentblatt 1879 S. 531 flg.), nur derjenige zu verstehen, welcher über die Erfindung zu verfügen berechtigt ist, so müßte geprüft werden, ob das Verfügungsrecht in betreff der in Rede stehenden, von dem Obermaschinenmeister B. in seiner Eigenschaft als Beamter der Main-Weser-Bahn bei den ihm aufgetragenen Versuchen gemachten Erfindung ihm für seine Person oder dem Staate, in dessen Dienst er steht, zukomme. Es kann jedoch von einer Erörterung dieser Frage abgesehen werden, weil die gedachte Auslegung des §. 27 zu eng und bei richtiger Auslegung desselben die Legitimation des B. zur Stellung des Antrages auf Nichtigkeitserklärung auch dann anzuerkennen ist, wenn ihm das Verfügungsrecht über die in Rede stehende Erfindung nicht zukam.

Wer als Verletzter im Sinne des §.27 anzusehen sei, ist weder in diesem Paragraphen entschieden, noch aus dessen Entstehungsgeschichte erkennbar. Aus dem Zusammenhange aber, in welchem §. 27 mit §. 10 Nr. 2 und letztere Bestimmung mit §. 3 steht, ist zu entnehmen, daß derjenige, welcher zum Einspruch gegen eine beantragte Patenterteilung nach §. 3 berechtigt ist, auch zum Antrage auf Erklärung der Nichtigkeit des erteilten Patents nach §. 10 Nr. 2 und §. 27 berechtigt sein soll. Der Grund der Versagung des angemeldeten und der Vernichtung des erteilten Patents ist in beiden Fällen derselbe, die Widerrechtlichkeit des Verhaltens desjenigen, welcher das Patent angemeldet oder erlangt hat, und erfolgt in beiden Fällen nur auf Verlangen desjenigen, welcher von dieser Widerrechtlichkeit betroffen ist. Nach §. 3 aber steht das Recht des Einspruches einem jeden zu, dessen Beschreibungen, Zeichnungen, Einrichtungen oder Verfahren der wesentliche Inhalt der angemeldeten Erfindung ohne seine Einwilligung entnommen ist, mithin nicht bloß dem zur Verfügung über die Erfindung Berechtigten, sondern auch demjenigen, welcher vermöge der in seinem Besitz befindlichen Beschreibungen etc. oder des von ihm angewendeten Verfahrens thatsächlich über die Erfindung zu verfügen imstande, gleichsam im Besitze der Erfindung ist. In demselben Sinne bezeichnet §. 27 als zum Antrage auf Nichtigkeitserklärung legitimiert den "Verletzten", erfordert mithin, wie bereits vom R.O.H.G. (Entsch. B. 25 S. 189) bemerkt worden ist, nicht eine Rechtsverletzung, sondern nur eine Verletzung, d. h. eine Benachteiligung durch das widerrechtliche Verhalten des Patentinhabers, welche das Gesetz schon darin findet, daß die bis dahin thatsächlich mögliche Verfügung über die Erfindung durch die Patenterwirkung beeinträchtigt ist. Ein Bedenken gegen diese Auslegung kann nicht daraus entnommen werden, daß nach den geschlichen Bestimmungen über das Urheberrecht vergl. Reichsgesetz vom 11. Juni 1870 §. 4, vom 9. Januar 1876 §. 5, vom 10. Januar 1876 §. 3, vom 11. Januar 1876 §. 5 bei der Frage der Erlaubtheit einer Vervielfältigung oder Nachbildung die Genehmigung des "Berechtigten" entscheidend ist. Denn während es sich hierbei um den Schutz eines bereits erworbenen Urheberrechts handelt, stehen bei dem Einspruche gegen die Erteilung eines Patents und bei dem Antrage auf Erklärung der Nichtigkeit eines erteilten Patents die Voraussetzungen des Erwerbes des Ausschließungsrechtes in Frage. Erscheint aus obigen Gründen sogar derjenige, welcher über eine fremde Erfindung thatsächlich verfügen kann, zum Einspruch nach §. 3 und zum Antrag auf Nichtigkeitserklärung nach §. 27 berechtigt, so kann diese Berechtigung um so weniger dem Erfinder abgesprochen werden, auch wenn das Recht, über die Erfindung zu verfügen, nicht ihm, sondern einem Dritten zustehen sollte.

Der Antrag des Berufungsbeklagten B. genügt demnach zur Nichtigkeitserklärung nach §. 10 Nr. 2 des Patentgesetzes." ... .

Im weiteren Verlauf der Gründe wird ausgeführt, ein Teil der patentierten Vorrichtung sei aus den Zeichnungen des B. entnommen, und wird sodann fortgefahren:

"Diese Feststellung genügt, den §. 10 Nr. 2 des Patentgesetzes in Anwendung zu bringen; unerheblich ist, ob Berufungskläger im Bewußtsein der Widerrechtlichkeit oder in gutem Glauben handelte. Wenn der Inhalt der Anmeldung aus Zeichnungen des B. entnommen ist, welche sich nicht in seinem Gewahrsam befanden, sondern anderen von ihm mitgeteilt waren, so ist hierin ein Hindernis, den §. 10 Nr. 2 auf Antrag des B. anzuwenden, nicht zu entnehmen.

Vgl. Klostermann, das Patentgesetz S. 136.

Ebensowenig ist die Anwendung desselben ausgeschlossen, wenn die Zeichnungen des B. von Personen, welche sich in deren Besitz befanden, dem Berufungskläger freiwillig mitgeteilt worden sind. Denn die Widerrechtlichkeit, welche nach §. 3 Abs. 2 die Verfügung des nachgesuchten Patents und nach §.10 Nr. 2 die Vernichtung des erteilten Patents begründet, besteht nicht darin, daß die Kenntnis des Inhaltes der Erfindung den Beschreibungen etc. eines Anderen ohne oder gegen dessen Willen - heimlich oder mit Gewalt - entnommen, sondern darin, daß die Erfindung ohne dessen Einwilligung zur Patenterteilung angemeldet worden ist, gleichviel in welcher Weise die Kenntnis derselben erlangt war.

Vgl. Kohler, deutsches Patentrecht S. 92.

Endlich ist die Anwendung des §. 10 Nr. 2 auch nicht dann für ausgeschlossen zu erachten, wenn dem Berufungskläger bei Mitteilung der in Rede stehenden Konstruktion nicht untersagt worden ist, davon Gebrauch zu machen. Denn nach §. 3 Abs. 2 und §. 10 Nr. 2 ist die Benutzung einer fremden Erfindung zur Erlangung eines Patentes schon dann unbefugt, wenn derjenige, dessen Beschreibungen sie entnommen ist, dazu seine Einwilligung nicht erteilt hat, gleichviel ob eine Untersagung stattgefunden hat oder nicht. In der bloßen Mitteilung der Erfindung aber kann die Gestattung, darauf ein Patent zu nehmen, nicht gefunden werden."