RG, 07.10.1880 - IV 214/80
Wer hat die auf die Pfarrländereien ausgeschriebenen Deichkassenbeiträge zu zahlen?
Tatbestand
Von dem Kläger, welcher Pfarrer der beklagten Gemeinde ist, sind im Verwaltungswege die für 1878 auf die Pfarrländerei ausgeschriebenen Deichkassenbeiträge eingezogen; derselbe hält die Beklagte zu deren Tragung verpflichtet und hat daher beantragt, dieselbe zur Erstattung derselben zu verurteilen. Die Beklagte hat nicht nur Abweisung des Klägers, sondern auch widerklagend beantragt, denselben zu verurteilen, als Nießbraucher der Pfarrländereien die von diesen zu entrichtenden Deichabgaben und Lasten zu tragen.
Das Oberlandesgericht zu Marienwerder hat die Beklagte nach dem Klageanträge verurteilt und mit ihrer Widerklage abgewiesen. Gegen den Inhalt dieses Erkenntnisses hat die Beklagte die Revision eingelegt. Es ist aber die Bestätigung ausgesprochen aus folgenden Gründen:
Gründe
"Nach §.13 des hier maßgebenden Statutes für den Deichverband des großen Marienburger Werders vom 23. Mai 1870 (G.S. S. 426) ruht die Verbindlichkeit zu diesen Beiträgen als Reallast unablöslich auf den Grundstücken und ist den öffentlichen Lasten gleich zu achten. Es hat daher gemäß A.L.R. I. 21. §. 87 der Nießbraucher diese Beiträge zu leisten und dasselbe folgt aus §. 135 in Verbindung mit §. 47 desselben Titels.
Nach A.L.R. II. 11. §. 778 gebührt dem Pfarrer der Nießbrauch der Pfarrgüter; es entsteht aber die Frage: ob der allgemeine Grundsatz über die Verpflichtung des Nießbrauchers zur Tragung der Deichkassenbeiträge auch für den Pfarrer gilt? und bei Beantwortung dieser Frage kommt es darauf an:
ob man den Nießbrauch des Pfarrers in der Weise als eine Species des im 21. Titel abgehandelten Nießbrauchs aufzufassen hat, daß die Regeln dieses Titels soweit gelten, als sie nicht durch die Vorschriften des 11. Titels II. Teils ausdrücklich abgeändert sind? oder:
ob der gedachte elfte Titel den Nießbrauch des Pfarrers als ein eigentümliches Rechtsinstitut hinstellt, so daß die allgemeinen Regeln des 21. Titels nur soweit gelten, als auf dieselben ausdrücklich verwiesen ist (wie in den §§. 799. 823. 831 geschehen), oder doch nur soweit, als sie mit der eigentümlichen Stellung des Pfarrers nicht in Widerspruch stehen?
Das Revisionsurteil des Obertribunales vom 22. August 1809 (Min. Bl. f. d. Verw. d. Inn. 1860 S. 85) hat die Vorschriften des 21. Tit., insbesondere dessen §. 135, auf den Nießbrauch des Pfarrers für anwendbar erklärt; es kommt aber demungeachtet zu dem Ergebnis, daß nicht der Pfarrer, sondern (mangels ausreichenden Kirchenvermögens) die Eingepfarrten und der Patron die Kosten der Unterhaltung der Dämme der Pfarrländereien zu tragen haben. Dies ist wesentlich daraus hergeleitet, daß der Pfarrer als Inhaber eines auf onerosem Titel beruhenden und ihm als pars salarii angewiesenen Nießbrauches die Pfarrgebäude nicht zu unterhalten habe, dazu vielmehr (mangels ausreichenden Kirchenvermögens) der Patron und die Eingepfarrten verpflichtet seien, und daß nach A.L.R. I. 21. §. 135 von Dämmen dasselbe, was von Gebäuden verordnet ist, gelte.
Diese Entscheidung, welche lange Jahre hindurch als Norm für die provisorischen Anordnungen der Verwaltungsbehörden gebildet hat (vgl. insbesondere die in Kletke, Deichwesen des preußischen Staates Seite 28 abgedruckten Ministerialreskripte aus den Jahren 1857 bis 1866), ist indessen in den Entscheidungen des Obertribunals vom 30. November 1860 und 20. April 1863 (Entsch. Bd. 45 S. 303; Bd. 49 S. 257) reprobiert. Es wird dort ausgeführt: daß aus A.L.R. I. 21. §. 135 nicht folge, daß auch die Entscheidung der Frage, ob die Deichlast vom Patron oder der Pfarre bezw. dem Pfarrer zu tragen sei? die Dämme den Gebäuden gleich stehen; daß vielmehr die Pflichten des Patrons nur aus Teil II. Titel 11 hergeleitet werden können. Er habe nicht über die ihm dort auferlegte Pflicht, zur Erhaltung der Pfarr- und Kirchengebäude beizutragen, hinaus die Lasten der Pfarrländereien, welche nicht ihm, sondern der Kirchengesellschaft eigentümlich zustehen, zu tragen.
Dem hat sich auch der vierte Civilsenat des Reichsgerichtes in dem am 13. Mai 1880 in Sachen Tannsen wider den Fiskus gesprochenen Erkenntnis angeschlossen.
Aber wenn hiernach auch der Grund nicht gebilligt werden kann, aus welchem das citierte Urteil von 1809 den Pfarrer für nicht verpflichtet erklärt, die Dämme der Pfarrländereien zu erhalten, so folgt dies doch aus dem anderen Grunde, daß der Nießbrauch des Pfarrers so hervortretende, auf der Stellung des Pfarrers beruhende Eigentümlichkeiten hat, daß sich darauf die in T.I. Tit. 21 aufgestellten allgemeinen Grundsätze vom Nießbrauch nicht schlechthin, sondern nur soweit anwenden lassen, als diese Eigentümlichkeiten nicht entgegenstehen. In einer ganzen Reihe von Punkten hat T. II. Tit. 11 diesen Eigentümlichkeiten durch ausdrückliche Gesetzesbestimmungen Rechnung getragen, so in den Bestimmungen über die Benutzung der Wohngebäude (§. 782) und des Pfarrwaldes (§§. 804 flg.), in den Verhältnissen zum Amtsnachfolger (§§. 800 flg. 822 flg.), in der Beendigung des Nießbrauches (§§. 833 flg.), ganz besonders aber in den Bestimmungen über die Unterhaltung der Pfarrgebäude (§§. 784 flg.). Es sind dort im §. 789 als Regel für die Verteilung der Pfarrbaulast die Grundsätze von Verteilung der Kirchenbaulast hingestellt, diese haben aber mit dem Nießbrauch gar nichts zu thun, beruhen vielmehr vielfach auf publicistischen Gründen. Fragt man aber nach dem Grunde namentlich dieser letzteren erheblichsten Abweichung des Pfarrnießbrauches vom Nießbrauch überhaupt, so liegt er offenbar darin, daß man den Pfarrer, welchem (wie schon das oben citierte Revisionsurteil von 1809 hervorhebt) der Nießbrauch auf Grund eines onerosen Titels und als Teil seines Diensteinkommens überwiesen ist, unmöglich mit den sehr weit gehenden Verpflichtungen, welche der gewöhnliche Nießbraucher nach T.I. Tit. 21. §§. 47 flg. in Ansehung der Gebäude hat, belasten konnte. In dieser wohlbegründeten Erwägung sind ihm in Ansehung der Unterhaltung der Gebäude in T. II. Tit. 11. §§. 784-787. 798 nur mäßige, seinem besonderen Verhältnis zur Gemeinde entsprechende Pflichten auferlegt.
Man darf aber aus solcher ausdrücklichen Regelung des Pfarrnießbrauches in Bezug auf eine gewisse Anzahl von Gegenständen nicht schließen, daß der Gesetzgeber die Abweichungen desselben vom Nießbrauch auf diese Gegenstände habe beschränken wollen; man muß vielmehr aus der Bedeutsamkeit dieser Eigentümlichkeiten den Schluß ziehen, daß jene allgemeinen Vorschriften überall da nicht anwendbar sind, wo sie der Stellung des Pfarrers widersprechen würden, und dies ist bei den Deichlasten anzunehmen, welche oft unberechenbar hoch sind, so daß die Heranziehung des Pfarrers zu denselben der Notwendigkeit, dem Pfarrer durch die Pfründe ein ständig gesichertes Auskommen zu gewähren, widersprechen würde.
Es läßt endlich auch der Umstand, daß es nötig befunden ist, an mehreren Stellen des T. II. Tit. 11 (§§. 823. 831) auf T.I. Tit. 21 ausdrücklich zu verweisen, erkennen, daß der Gesetzgeber die allgemeinen Grundsätze vom Nießbrauch wenigstens nicht schlechthin als Norm des Pfarrnießbrauches angesehen wissen will. Ferner ist darauf hinzuweisen, daß in dem gedachten Titel 11 §. 784 die Unterhaltung der Zäune und Gehege, aber nicht die Unterhaltung der Dämme dem Pfarrer auferlegt ist, obwohl doch alle drei Gegenstände in T. I. Tit. 21. §. 135 völlig gleichgestellt sind. Der Gesetzgeber würde im §. 784 auch die Dämme aufgeführt haben, wenn der Pfarrer die Unterhaltung derselben aus eigenen Mitteln besorgen sollte.
Hat aber hiernach der Kläger, als Pfarrer, nicht die Verpflichtung zur Zahlung der Deichkassenbeiträge, so kann dieselbe nur der Beklagten, als Eigentümerin der Pfarrländereien und als der zu der Fürsorge für den Unterhalt des Pfarrers verpflichteten (A.L.R. II. 11. §. 164), obliegen.
Mit vorstehender Ausführung stimmen übrigens auch überein die Erkenntnisse des Obertribunals vom 4. Mai 1860 (Min. Bl. für die Verw. d. Inn. 1862 S. 112), vom 30. November desselben Jahres (Entsch. Bd. 45 S. 296), vom 19. Dezember 1862 ( Klette a. a. O. S.46) und vom 23. Juni 1873 ( Striethorst, Arch. Bd. 89 S. 101)."