RG, 04.10.1880 - IV 151/80
Sind die einzelnen fiskalischen Stationen in prozeßrechtlicher Beziehung als besondere Rechtssubjekte anzusehen?
Tatbestand
Der Kläger hat den preußischen Fiskus, vertreten durch die Gerichtskassenverwaltung zu Greifswald, auf Erstattung gezahlter Stempelbeträge verklagt.
Die Gerichtskassenverwaltung beantragte Abweisung der Klage und zwar vorab deshalb, weil nicht sie, sondern der Königliche Provinzialsteuerdirektor zu Stettin als Vertreter des Fiskus zu verklagen sei, eventuell auch aus sachlichen Gründen.
Sie denunzierte dem Provinzialsteuerdirektor litem; dieser erklärte, der Gerichtskassenverwaltung assistieren zu wollen, und stellte dieselben Anträge wie jene.
Das Kreisgericht zu Greifswald nahm an, daß die Klage mit Recht gegen die Gerichtskassenverwaltung angestellt sei, und verurteilte den Beklagten.
Nur der Provinzialsteuerdirektor appellierte.
Kläger bestritt, daß der Provinzialsteuerdirektor das Recht habe, zu appellieren.
Das Oberlandesgericht zu Stettin hat die Appellation des Provinzialsteuerdirektors für zulässig erachtet, aber den Kläger abgewiesen, weil die Klage nicht gegen die Gerichtskassenverwaltung, sondern gegen den Provinzialsteuerdirektor zu richten gewesen wäre.
Das Reichsgericht hat das Urteil des Oberlandesgerichts zu Stettin aus folgenden Gründen vernichtet:
Gründe
"Es handelt sich im vorliegenden Falle keineswegs, wie die Vorderrichter annehmen, um einen Einwand mangelnder Legitimation zur Sache, sondern nur darum, ob der Provinzialsteuerdirektor berechtigt war, den Fiskus zu vertreten und infolge dessen ihm auch das Recht zustand, zu appellieren. Daß der Provinzialsteuerdirektor zur Vertretung des Fiskus berechtigt war, hat der Appellationslichter in zutreffender Weise ausgeführt.
War aber der Provinzialsteuerdirektor im vorliegenden Falle zur Vertretung des Fiskus berechtigt, so durfte die Klage nicht deshalb zurückgewiesen werden, weil sie ursprünglich gegen einen unrichtigen Vertreter des Fiskus gerichtet war. Dieser Fehler der Klage ist bereits in erster Instanz dadurch behoben worden, daß infolge der dem Provinzialsteuerdirektor von der Gerichtskassenverwaltung gemachten Mitteilung von dem Prozeß der Provinzialsteuerdirektor in den Prozeß eingetreten ist. Der Umstand, daß dieser Eintritt in den Prozeß auf Grund einer Litisdenunziation der Gerichtskassenverwaltung erfolgte und der Provinzialsteuerdirektor erklärte, er wolle dem Beklagten assistieren, die Klage sei abzuweisen, weil sie gegen ihn hätte gerichtet werden müssen, ist von keiner Erheblichkeit.
Als Beklagter ist nur der Fiskus anzusehen. Gegen ihn ist die Klage gerichtet. Die verschiedenen fiskalischen Stationen sind in keiner Weise als besondere Personen aufzufassen; sie sind eben nur Vertreter des Fiskus für die ihnen zugewiesenen Angelegenheiten. Sie stehen insofern in keinem anderen Verhältnis zum Fiskus und unter einander, wie die Vertreter einer jeden anderen Person. Es ist insbesondere eine unrichtige Ansicht, wenn der Appellationsrichter meint, die verschiedenen fiskalischen Stationen seien rücksichtlich ihrer prozeßrechtlichen Stellung zu personifizieren. Es können daher auch die Grundsätze von der Litisdenunziation und Intervention auf sie nicht angewendet werden, weil dieselben nur auf von einander verschiedene Personen Anwendung finden. Es kann eben nur in Frage kommen, ob im konkreten Falle der Fiskus von dem richtigen Vertreter vertreten worden ist. Soweit dies der Fall ist, hat der Vertreter des Fiskus alle diejenigen Rechte, welche dem Vertreter einer jeden Partei zustehen.
Da nun im vorliegenden Falle, wie bemerkt, der Provinzialsteuerdirektor bereits in erster Instanz in den Prozeß eingetreten ist und die Rechte des Fiskus wahrgenommen hat, so kann es keinem Zweifel unterliegen, daß er zur Einlegung der Appellation berechtigt war, und daß dem Appellationsrichter die Verpflichtung oblag, in der Sache selbst eine Entscheidung zu treffen.
Der Appellationsrichter aber hat dadurch, daß er infolge der unrichtiger Weise angenommenen Personifikation der verschiedenen fiskalischen Stationen die Klage abwies, weil sie gegen den unrichtigen Beklagten gerichtet sei, den von ihm selbst anerkannten und im Plenarbeschluß des preußischen Obertribunals vom 20. Oktober 1850 (Entsch., Bd. 20 S. 19) begründeten Rechtsgrundsatz verletzt:
Der preußische Fiskus stellt mit allen seinen Verwaltungsstellen, sogenannten fiskalischen Stationen, auch soweit das gemeine Recht Anwendung findet, nur ein Rechtssubjekt dar, und die einzelnen Stationen sind nicht als besondere Rechtssubjekte anzusehen."