RG, 04.07.1917 - I 85/17
1. Zur Anwendung des § 629 Abs. 1 Nr. 2 HGB.
2. Muß sich der Befrachter, dem nach dem Frachtvertrage mehrere Bestimmungshäfen zur Wahl stehen, vom Verfrachter auf einen bestimmten weniger gefährdeten Hafen verweisen lassen?
Tatbestand
Die Beklagte charterte von dem Kläger dessen Schiff Takma durch Vertrag vom 30. Mai 1914. Die Takma, welche im Begriffe stand, eine Reise von Liverpool nach Rio Grande anzutreten, sollte nach ihrem Eintreffen dort für die Beklagte in erster Linie eine Ladung gesalzener Häute nach einen englischen Hafen bringen oder nach einem "Hafen auf dem Festlande zwischen Havre und Hamburg ... oder nach Gothenburg oder Kopenhagen". Die Fracht war nach dem Satze 32,6 sh. bestimmt, jedoch mit der Maßgabe: If vessel is ordered to Gothenburg or Copenhagen, fife shillings additional is to be paid for Salted Hides. Vor Antritt der bedungenen Reise brach der Krieg aus. Die Beklagte hat alsdann am 22. August 1914 dem Kapitän der Takma ihren Rücktritt vom Vertrag erklärt. Der Kläger ist damit nicht einverstanden, fordert vielmehr auf Grund der Charter die Zahlung der vollen Fracht, welche er bei Ausführung der Reise verdient haben würde, nämlich von 555,9 £ n.Z. Er stützt sich dabei auf die Vertragsklausel: Penalty for non-performance of this agreement estimated amount of freight.
Die Kammer für Handelssachen des Landgerichts wies die Klage ab. Die gegen dieses Urteil vom Kläger eingelegte Berufung wurde vom Oberlandesgerichte zurückgewiesen. Auch die Revision ist zurückgewiesen worden aus folgenden Gründen:
Gründe
"Nach § 629 Abs. l Nr. 2 HGB. ist jeder Teil befugt, von dem Frachtvertrage zurückzutreten, ohne zur Entschädigung verpflichtet zu sein, "wenn vor dem Antritt der Reise ein Krieg ausbricht, infolgedessen das Schiff oder die nach dem Frachtvertrage zu verschiffenden Güter ... nicht mehr als frei betrachtet werden können und der Gefahr der Aufbringung ausgesetzt würden". Die Kammer für Handelssachen des Landgerichts ging bei der Beurteilung des Streitfalls davon aus, im Sinne des Gesetzes seien die zu verschiffenden Güter auch dann nicht mehr als frei zu betrachten, vielmehr als der Gefahr der Aufbringung ausgesetzt anzusehen, wenn verständige Erwägung den Befrachter mit der Möglichkeit rechnen lassen müsse, daß die Güter im Laufe der Reise als Konterbande erklärt und alsdann der Gefahr der Aufbringung durch die feindliche Kriegsmacht ausgesetzt sein würden. Das Oberlandesgericht ist dieser Auffassung (unter Bezugnahme auf Entscheid, des ROHG. Bd. 7 Nr. 42 S. 174) beigetreten.
Die gekennzeichnete Auffassung der Vorinstanzen ist zu billigen. Das Gesetz will beiden Vertragsteilen rechtzeitig - noch vor der Beladung des Schiffes oder doch dem Reiseantritt, wodurch die Schwierigkeiten der Auseinandersetzung unter den Vertragschließenden erheblich vermehrt werden (§§ 634, 636, 639 HGB.) - Gelegenheit gebend eine glatte Auflösung des Vertragsverhältnisses zu bewirken. Bei dieser Auflösung findet zugleich die Sicherheit von Schiff und Frachtgut gebührende Berücksichtigung; ihr Wert erhält mit Recht den Vorrang vor der Bedeutung des Frachtvertrags, der nur auf die Ortsveränderung der Güter abzielt. Schon von diesen allgemeinen Gesichtspunkten aus würde eine enge Auslegung des § 629 HGB. nicht als angebracht erscheinen.
Im übrigen ist die Entscheidung darüber, ob dem Schiffe oder den Gütern Gefahr droht, im Einzelfalle wesentlich Sache tatsächlicher Würdigung. Die Revision greift einen besonderen Erwägungsgrund an, der für das Berufungsgericht leitend gewesen ist. Die für die Takma bestimmte Ladung bestand aus gesalzenen Häuten, welche, wie die Beklagte angegeben hat, nach Hamburg gebracht werden sollten. Der Berufungsrichter hat nun erwogen, es sei ohne Bedeutung, ob die Häute zur Zeit der Rücktrittserklärung (22. August 1914) nach den bis dahin für maßgeblich erachteten internationalen Grundsätzen als Bannware noch nicht erachtet worden seien. Denn man habe mit einer Änderung dieser Grundsätze bei den Feinden rechnen müssen und ein mit Häuten von Südamerika nach Deutschland bestimmtes Schiff sei der Gefahr der Aufbringung ausgesetzt gewesen. Die Revision meint, diese Ansicht werde ohne nähere Prüfung der einschlägigen Verhältnisse aufgestellt und sei unrichtig. Da die Takma ein norwegisches Schiff sei, habe die neutrale Flagge das Gut gedeckt, soweit es nicht Bannware gewesen sei. Zur Zeit der Rücktrittserklärung hätten aber Häute noch auf der sog. Freiliste gestanden, also zu den Waren gehört, die nicht zur Bannware hätten erklärt werden dürfen.
Dieser Angriff ist nicht gerechtfertigt. Zwar gehören Häute ( raw hides) nach Art. 28 Nr. 4 der Londoner Deklaration zu den Gegenständen, die als Kriegskonterbande nicht erklärt werden können. Aber die Londoner Deklaration war nicht ratifiziert. Und schon in der Order in Council vom 4. August 1914 waren die Listen der absoluten und relativen Bannwaren der Londoner Deklaration nicht unverändert geblieben (vgl. Schedule I Nr. 11 mit Art. 22 der Deklaration; H. Reason Pyke, The Law of Contraband of War - Oxford 1915 - S. 285/6). Weitere Änderungen wurden ausdrücklich vorbehalten (We do hereby Deklare ... that during the continuance of the War or until we do give further public notice ...). Eine einschneidende neue Änderung enthält denn auch bereits die Order in Council vom 20. August 1914. Im Art. 35 der Londoner Deklaration findet sich die wichtige Bestimmung, daß die Lehre von der fortgesetzten (einheitlichen) Reise keine Anwendung auf relative Bannware leiden solle; diese soll der Aufbringung nicht unterliegen, wenn die Ware in einem neutralen Zwischenhafen auszuladen ist. Dagegen schreibt die Order vom 20. August 1914 unter Nr. 3 und 5 vor: Notwithstanding the provision of Art. 35 of the said Deklaration, conditional contraband, if shown to have the destination referred to in Art. 33 (i. e. for the use of the enemy State or to or for a merchant or other person under the control of the authorities of the enemy State) is liable capture to whatever port the vessel is bound and at whatever port the cargo is to be discharged. Allerdings waren auch damals Häute noch keine Konterbande, allein es hat nicht lange gedauert, bis sie dazu von England erklärt worden sind. Dies geschah in der Order vom 21. September 1914. Nach dieser sollen, unter Abänderung des angeführten Art. 28, als relative Konterbande u. a. behandelt werden: Hides and Skins, raw or rough tanned. Diese Verordnungen und der ganze Verlauf der Dinge zeigen klar, daß der Berufungsrichter die Sachlage zutreffend gewürdigt hat, die Beklagte somit einen gesetzlichen Grund hatte, vom Frachtvertrage zurückzutreten.
Einen besonderen Angriff stützt die Revision auf die Bestimmung des Frachtvertrags, wonach es der Beklagten freistand, als Löschungshafen auch Gothenburg oder Kopenhagen zu wählen. Die Revision führt aus, die Beklagte habe also vertragsgemäß dem Schiffe einen unverfänglichen Bestimmungsort geben können. Habe aber die Beklagte der Reise ein Ziel setzen können, das die Gefahr der Aufbringung ausgeschlossen habe, so habe sie es nach Sinn und Wortlaut der Charter und bei sinngemäßer Anwendung des in § 265 BGB. niedergelegten Rechtsgedankens auch tun müssen. Dieser Angriff würde schon deswegen nicht durchgreifen können, weil selbst im Falle der Fahrt des Schiffes nach einem neutralen nordischen Hafen die Gefahr der Beschlagnahme des Frachtguts offenbar nicht als beseitigt anzusehen war. Aber der Revision steht noch weiter entgegen, daß hier der Hinweis auf die Vorschrift des § 265 BGB. überhaupt verfehlt ist. Nach dieser Vorschrift beschränkt sich bei der Wahlschuld, wenn eine der Leistungen unmöglich wird, das Schuldverhältnis auf die übrigen Leistungen. Es besteht indes Einverständnis darüber, daß die Vorschrift nachgiebiges Recht enthält. Die Beschränkung auf den übrigbleibenden Leistungsgegenstand tritt nicht ein, wenn dies der Vertragsabsicht widerstreiten würde (vgl. u.a. Pescatore, Wahlschuldverhältnisse, S. 252). Wollte man nun auch den § 265 BGB. an sich für entsprechend anwendbar halten, so kann doch die angeführte Vertragsbestimmung nur in dem Sinne verstanden werden, daß die Wahl des Hafens für den Charterer durchaus frei bleiben muß. Der Befrachter braucht sich nicht auf eine Beschränkung seines Wahlrechts, dessen Ausübung mit seinen jeweiligen freien geschäftlichen Maßnahmen und Plänen zusammenhängt, einzulassen. Dem Verfrachter kann nicht die Befugnis zugestanden werden, dem anderen Vertragsteil einen der mehreren im Vertrage genannten Häfen aufzudrängen. Das ist mit dem Sinne derartiger typischer Vertragsklauseln unvereinbar.
Davon, daß etwa die Beklagte Hamburg als in Aussicht genommenen Bestimmungshafen nur vorgeschützt hätte, um sich vom Vertrage loszumachen, kann nicht die Rede sein. Dies ist auch nicht behauptet worden."